Verwaltungsrecht

Vorläufige Dienstenthebung bei Besitz von Kinderpornographie

Aktenzeichen  16b DS 20.1693

Datum:
16.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24725
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 63 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 184b Abs. 3

 

Leitsatz

1. Für die Annahme ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Dienstenthebung und einer Einbehaltung von Bezügen im Sinne von § 63 Abs. 2 BDG reicht es aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die disziplinarrechtliche Ahndung von außerdienstlichen Straftaten mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren reicht der Orientierungsrahmen – unabhängig vom Statusamt des Täters – bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nachträgliche Therapiemaßnahmen können bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nur mildernd berücksichtigt werden, wenn das Ergebnis der Therapie positiv ausfällt und eine günstige Zukunftsprognose gestellt werden kann. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19B DA 20.1816 2020-06-05 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2020 wird aufgehoben. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

1. Der Antragsgegner hat den Antragsteller, einen Postbetriebsassistenten (Besoldungsgruppe A 5vz), mit Verfügung vom 19. November 2019 vorläufig des Dienstes enthoben und die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge angeordnet. Das Amtsgericht Freising hatte zuvor gegen den Antragsteller mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 6. Juni 2019 wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 3 StGB) eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war. Weiter hatte es den Antragsteller angewiesen, sich einer sexual- oder psychotherapeutischen Behandlung zur Verhinderung des Sammelns und des Konsumierens von kinder- und jugendpornografischen Inhalten zu unterziehen und diese weiterzuführen bis zu dem ärztlich für erforderlich gehaltenen Zeitpunkt. Außerdem war dem Antragsteller auferlegt worden, als Geldauflage einen Geldbetrag in Höhe von 3.500 € an die Staatskasse zu bezahlen.
Nach den Feststellungen des Strafbefehls war der Antragsteller zum Zeitpunkt der Durchsuchung seiner Wohnung in F. am 9. Mai 2018 wissentlich und willentlich im Besitz von mindestens sieben kinderpornografischen Bild- und mindestens 150 kinderpornografischen Videodateien, wobei
– 122 hiervon (davon 119 Videos) die Vornahme sexueller Handlungen von Erwachsenen an Mädchen oder Jungen unter 14 Jahren (vaginal, anal und oral),
– ein Bild und acht Videos hiervon die Vornahme von sexuellen Handlungen von Kindern an anderen Kindern jeweils unter 14 Jahren (vaginal, anal und oral) und
– drei Bilder und 23 Videos durch die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung und die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes zeigten.
Dem Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung eines Teils seiner Bezüge hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Juni 2020 stattgegeben. Der Besitz kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 3 StGB) sei auch in Anbetracht des nunmehr dreijährigen Strafrahmens nur ein „mittelschweres“ Delikt. Deshalb reiche der Orientierungsrahmen nur bis zur Zurückstufung. Da eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis damit nicht in Betracht komme, seien die Voraussetzungen für eine vorläufige Dienstenthebung und der Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge nicht gegeben.
2. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Die zur Begründung dargelegten Gründe, die allein der Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 67 Abs. 3 BDG, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Es bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (BVerwG, B.v. 28.11.2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 19) auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen.
a. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Unter denselben Voraussetzungen kann die Behörde nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG auch anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.
Das Merkmal „voraussichtlich“ verlangt nicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird. Auch ist es nicht erforderlich, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen in vollem Umfang nachgewiesen oder aufgeklärt ist. Notwendig ist, dass das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird (Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 17 m.w.N.; Weiß in GKÖD, Band II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Stand: Juli 2020 § 38 Rn. 51 und 71 m.w.N.; zum bayerischen Landesrecht: Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: August 2019, Art. 61 Rn. 6).
„Ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Sinne von § 63 Abs. 2 BDG sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 BDG sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (BVerwG, B.v. 28.11.2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 22 m.w.N.).
b. Das – hier – außerdienstliche Verhalten des Antragstellers ist disziplinarwürdig (1), der Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme reicht bis zur Höchstmaßnahme (2) und es ist nach Überzeugung des Senats überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller nach Maßgabe von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden wird (3).
(1) Das außerdienstliche Verhalten des Antragstellers ist im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarwürdig. Der Besitz der kinderpornografischen Schriften – der vom Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch eingeräumt worden ist (vgl. Schr. vom 29.4.2020, S. 7) – ist nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. § 184b Abs. 3 StGB sieht für den Besitz kinderpornografischer Schriften einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren vor. Gemessen an den Kriterien des Strafgesetzbuches handelt es sich dabei um eine Strafandrohung, die eine disziplinarrechtlich bedeutsame Ansehensschädigung des Beamtentums nahelegt (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 16.10 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 18.6.2014 – 2 B 55.13 – juris Rn. 11: jeweils bereits ab einem Strafrahmen von zwei Jahren).
(2) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt bei der Festlegung der Disziplinarmaßnahme dem abstrakten Strafrahmen eine maßgebliche Bedeutung im Sinne eines Orientierungsrahmens zu. Maßgeblich zur Festlegung des jeweiligen Orientierungsrahmens ist die zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens jeweils nach der maßgeblichen Strafvorschrift angeordnete Höchststrafe. Zur Begründung dieses Modells führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Gesetzgeber bringe durch die Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck. Diese für die gesamte Rechtsordnung maßgebliche Einschätzung habe auch das Disziplinarrecht zu respektieren. Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleiste zudem eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Sanktionierung von Dienstvergehen (BVerwG, B.v. 11.2.2014 – 2 B 37.12 – juris). Nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinarorgans, sondern die Einschätzung des Parlaments sollen bestimmen, welche Straftaten als besonders verwerflich anzusehen seien (BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 2 C 3.18 – juris Rn. 28).
Für die disziplinarrechtliche Ahndung von außerdienstlichen Straftaten mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen, dass der Orientierungsrahmen bis zur Dienstentfernung reicht (BVerwG, U.v. 16.6.2020 – 2 C 12.19 – juris; B.v. 23.1.2014 – 2 B 52.13 – juris Rn. 8 jeweils zum außerdienstlichen Besitz kinderpornografischer Schriften). Für den Besitz kinderpornografischer Schriften, wozu definitionsgemäß (§ 11 Abs. 3 StGB) auch Bild- und Videodateien gehören, sieht § 184b Abs. 3 StGB in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Dementsprechend reicht der Orientierungsrahmen hier bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die vom Verwaltungsgericht offenbar als zentral behandelte Frage der Einordnung des § 184b Abs. 3 StGB n.F. als mittelschwere (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.6.2020 a.a.O. Rn. 22 zu § 184b Abs. 3 a.F.) oder schwere Straftat spielt vor diesem Hintergrund keine Rolle. Es kommt alleine auf den Strafrahmen an, der den Orientierungsrahmen für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme vorgibt. Ob der außerdienstliche Besitz von kinderpornografischen Material einen hinreichenden Bezug zum Statusamt des Antragstellers aufweist, spielt gleichfalls keine Rolle mehr. Soweit das Bundesverwaltungsgericht diesen Bezug gefordert hat, um ausnahmsweise auf der Basis eines Orientierungsrahmens bis zur Zurückstufung die Höchstmaßnahme zu verhängen (was bei Lehrern und Polizisten der Fall war), war dies stets dem Umstand geschuldet, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht auf der erst später beschlossenen Anhebung der Strafandrohung für den (bloßen) Besitz kinderpornographischer Schriften von zwei Jahren Freiheitsstrafe auf bis zu drei Jahren durch § 184b Abs. 3 StGB i.d.F. des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) beruhte. Das Bundesverwaltungsgericht hat stets ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anhebung der Strafandrohung noch nicht berücksichtigt werden konnte (zuletzt: BVerwG, U.v. 16.6.2020 – 2 C 12.19 – juris Rn. 22).
Ein Verhalten eines Beamten, das den Tatbestand des § 184b Abs. 3 StGB erfüllt und zwar – wie hier – in der „Qualität“ der harten Kinderpornografie des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §§ 176, 176a StGB wie oralem, vaginalem und analem Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern, kann ausgehend von der Schwere des Dienstvergehens ohne weiteres die Schlussfolgerung rechtfertigen, der Beamte habe i.S.v. § 13 Abs. 2 BDG das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Innerhalb des Spektrums der durch § 184b StGB sanktionierten Sachverhalte erweist sich die Darstellung des vaginalen, oralen und analen Geschlechtsverkehrs Erwachsener mit Kindern als Gesichtspunkt, der die Tat als besonders verwerflich erscheinen lässt (OVG NW, U.v. 11.12.2019 – 3d A 3607/18.BDG – juris Rn. 104) Darüber hinaus besaß der Antragsteller 150 unterschiedliche kinderpornografische Videos, bei deren Aufnahmen schon mit Blick auf ihre Anfertigungsdauer die Belastungen für die Kinder größer waren als bei einem vergleichbaren Einzelbild. Insoweit beruht die Prognoseentscheidung des Senats bereits allein auf dem Sachverhalt des Strafbefehls. Die Sachverhalte, die Gegenstand der Ausdehnung gemäß § 19 Abs. 1 BDG sind (Verfügung vom 3.8.2020), hat der Senat nicht berücksichtigt, zumal Mehrfachzählungen nicht ausgeschlossen werden können, worauf der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung hingewiesen hat.
(3) Aus den dem Senat vorliegenden Akten ergeben sich keine entlastenden Umstände von erheblichem Gewicht, die dazu führen könnten, dass eine andere als die Höchstmaßnahme indiziert ist.
Der Antragsteller hat zwar eine Aufenthaltsbescheinigung der MEDIAN Klinik Tönisstein vom 7. Juni 2019 vorgelegt, wonach er „…seit dem 4.6.2019 bis voraussichtlich 16.7.2019 bei uns in stationärer Behandlung“ sei und schriftsätzlich vorgetragen, dass er diese ambulant fortführe und „ergänzend auch psychologische Unterstützung“ erhalte (Schr. vom 19.2.2000, Bl. 59 der DA). Nachträgliche Therapiemaßnahmen können jedoch bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nur mildernd berücksichtigt werden, wenn das Ergebnis der Therapie positiv ausfällt und eine günstige Zukunftsprognose gestellt werden kann (BVerwG, B.v. 22.3.2016 – 2 B 43.15 – juris Rn. 7 m.w.N.). Darüber ist dem Senat nichts bekannt.
c. Die Entscheidung über die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge des betroffenen Beamten steht nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG im Ermessen der für die Erhebung des Disziplinarklage zuständigen Behörde. Ausgehend von den dem Gericht derzeit vorliegenden Unterlagen erweist sich die Entscheidung nicht als ermessensfehlerhaft. Auch der Antragsteller hat sich nicht gegen die Höhe des Einbehalts gewendet.
3. Im Falle veränderter Umstände hat der Antragsteller die Möglichkeit, ein gerichtliches Abänderungsverfahren zu beantragen (§ 63 Abs. 2 BDG; § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 BDG i.V.m. § 152 VwGO).


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