Verwaltungsrecht

Vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 19.10081

Datum:
7.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1259
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV § 44 Abs. 3, § 54 Abs. 1
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Ausbildungskapazitäten sind ausgeschöpft und korrekt berechnet. Dabei bezieht sich die Berechnungsgrundlage gem. § 51 Abs. 2 Nr. 4 iVm § 54 Abs. 1 Satz 1 HZV nur auf den klinischen Teil des Studiums. Eine entsprechende Vorschrift für den davon getrennt zu berechnenden vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin existiert nicht.  (Rn. 7 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine getrennte Schwundberechnung für Voll- und Teilstudienplätze des Studiengangs Medizin ist kapazitätsrechtlich nicht geboten. (ständige Rsp. vgl. BeckRS 2012, 100025) (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Über die festgesetzten Zulassungszahlen hinausgehende “Überbuchungen” von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren sind grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen (ständige Rsp. vgl. BeckRS 2018, 535). Die im Wege von Überbuchungen ordnungsgemäß vergebenen Studienplätze sind nicht mehr frei und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung. Eine Überbuchung verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E L 18.10200 2019-05-17 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester (Vorklinik) an der L.-M.-Universität M. (LMU) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2018/2019. Erstmalig im Beschwerdeverfahren strebt sie hilfsweise an, sie vorläufig auf den vorklinischen Studienabschnitt beschränkt zuzulassen.
Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 17. Mai 2019 abgelehnt. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass an der LMU über die vergebenen Studienplätze hinaus noch ein weiterer Studienplatz im Studiengang Humanmedizin im ersten Fachsemester zur Verfügung stehe, der von der Antragstellerin in Anspruch genommen werden könne.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel – um den Hilfsantrag erweitert – weiter. Sie macht geltend, die LMU habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft. Die Berechnung der Ausbildungskapazität auf der Grundlage der tagesbelegten Betten sei nicht haltbar, da dieser Parameter inzwischen durch die Gesundheitsreform völlig überholt sei. Bei der Ermittlung der tagesbelegten Betten müsse angesichts der gesunkenen Verweildauer der Patienten bei der Zählung der tagesbelegten Betten ausschließlich auf die ausbildungsbezogenen Wochentage von Montag bis Freitag abgestellt werden. Die Vorgabe in § 17 KapVO sei aller Voraussicht nach insbesondere im Hinblick auf das BACES-Gutachten, wonach Erhebungen an den jeweiligen Modellhochschulen im Bundesgebiet eine patientenbezogene Eignungswahrscheinlichkeit von 17,1% ergeben hätten, nichtig. Bei der Schwundberechnung verkenne das Verwaltungsgericht, dass der Gerichtsmedizinerschwund bei Teilstudienplätzen wesentlich höher sei als bei Vollstudienplätzen. Es verbiete sich deshalb zumindest bei vorläufigen Teilstudienplätzen, diese in die Schwundberechnung endgültiger Vollstudienplätze einzubeziehen. Die Überbuchung könne der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden. Das Verwaltungsgericht habe nämlich festgestellt, dass 10 mehrfach beurlaubte Studierende kapazitätswirksam zu berücksichtigen seien, obwohl dies im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stehe. Diese 10 Studienplätze seien zu vergeben.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 26. August und vom 2. Dezember 2019 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde. Es wird auf den Schriftsatz vom 2. September 2019 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Die LMU hat in § 1 Abs. 1 ihrer Satzung über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die im Studienjahr 2018/2019 als Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie in höhere Fachsemester aufzunehmenden Bewerber und Bewerberinnen (Zulassungszahlsatzung 2018/2019) vom 12. Juli 2018 i.V.m. der Anlage hierzu für den Studiengang Medizin, 1. Studienabschnitt (Vorklinik) für das 1. Fachsemester 871 Studienplätze festgesetzt. Nach der Studierendenstatistik, Stand 15. November 2018, waren im Wintersemester 2018/2019 im 1. Fachsemester insgesamt 892 Studierende immatrikuliert. Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass die LMU darüber hinaus noch über weitere Ausbildungskapazität verfügen würde.
Soweit die Antragstellerin rügt, die Berechnung der Ausbildungskapazität auf der Grundlage der tagesbelegten Betten unter Zugrundelegung des Faktors 15,5% nach § 17 Abs. 1 KapVO sei infolge der Gesundheitsreform nicht mehr haltbar, kann sie damit nicht durchdringen. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayHZG wird die jährliche Aufnahmekapazität insbesondere auf der Grundlage des Lehrangebots und des Ausbildungsaufwands ermittelt. Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 HZV wird der Studiengang Medizin für Berechnungszwecke in einen vorklinischen und einen klinischen Teil untergliedert, wobei der vorklinische Teil den Studienabschnitt bis zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte und der klinische Teil den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und dem Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung umfasst. § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO bezieht sich – ebenso wie die in Bayern maßgebliche, gleichlautende Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV – ausschließlich auf den klinischen Teil des Studiengangs Medizin. Nach § 51 Abs. 2 Nr. 4, § 54 Abs. 1 Satz 1 HZV ist das Berechnungsergebnis für den klinischen Teil des Studiengangs Medizin anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren zu überprüfen. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV sind als patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität für den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte und dem Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte (klinischer Teil, vgl. § 44 Abs. 3 Satz 1 HZV) 15,5 v.H. der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten des Klinikums anzusetzen. Eine gleichlautende Vorschrift für die hier inmitten stehende Kapazitätsberechnung für den vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin existiert nicht. Auswirkungen der patientenbezogenen Aufnahmekapazität im Klinikum auf die Aufnahmekapazität in der Vorklinik könnten sich nur im Rahmen von § 55 Abs. 2 HZV ergeben. Auf den vorklinischen Teil des Studiengangs beschränkte Teilstudienplätze (§ 22 Abs. 1 HZV) sind jedoch weder streitgegenständlich noch wurden solche festgesetzt.
2. Mit dem Einwand, die Schwundberechnung berücksichtige fehlerhaft nicht, dass der Gerichtsmedizinerschwund bei Teilstudienplätzen wesentlich höher sei als bei Vollstudienplätzen, kann die Antragstellerin ebenfalls nicht durchdringen. Die Zulassungszahlsatzung 2018/2019 der LMU weist keine Teilstudienplätze, sondern ausschließlich Vollstudienplätze aus, sodass sich schon aus diesem Grund keine Auswirkungen auf die Schwundberechnung ergeben können. Abgesehen davon ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine getrennte Schwundberechnung für Voll- und Teilstudienplätze des Studiengangs Medizin kapazitätsrechtlich nicht geboten (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2012 – 7 CE 11.10770 u.a. – juris Rn. 13 m.w.N.).
3. Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe die Anzahl der überbuchten Studienplätze fehlerhaft berechnet und infolgedessen seien noch 10 Studienplätze zu vergeben, führt – abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht die Zahl der kapazitätswirksam besetzten Studienplätze mit 882 und damit unter Abzug der mehrfach beurlaubten Studenten in Ansatz gebracht hat – ebenfalls nicht zum Erfolg. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind über die festgesetzten Zulassungszahlen hinausgehende “Überbuchungen” von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 7 CE 17.10225 – juris Rn. 8 m.w.N.). Die im Wege von Überbuchungen ordnungsgemäß vergebenen Studienplätze sind nicht mehr frei und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung. Eine Überbuchung verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen. Anhaltspunkte dafür, dass über die kapazitätsdeckend vergebenen Studienplätze hinaus noch weitere Studienplätze vorhanden sind, bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
4. Der im Beschwerdeverfahren erstmalig gestellte Hilfsantrag auf vorläufige Zulassung beschränkt auf den vorklinischen Abschnitt hat – unabhängig von dessen Zulässigkeit – mangels vorhandener Kapazitäten ebenfalls keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.


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