Verwaltungsrecht

Vorläufige Zulassung zur staatlichen Abschlussprüfung in der Kinderpflege – Deutschkenntnisse

Aktenzeichen  M 16 E 17.1319

Datum:
11.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
ZPO ZPO § 920 Abs. 2
BFSO § 71
BSO § 13, § 17

 

Leitsatz

Auch mit einem Entlassungszeugnis können hinreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig zur staatlichen Abschlussprüfung in der Kinderpflege 2017 zuzulassen.
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine kosovarische Staatsangehörige, begehrt vorläufig zur Abschlussprüfung an der Berufsfachschule für Kinderpflege zugelassen zu werden.
Die Antragstellerin hat am 6. Juni 2016 ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin im Bildungszentrum für Pflege, Gesundheit und Soziales, Fachakademie für Sozialpädagogik mit einer Kursdauer von 800 Stunden bei einer Gemeinnützigen Gesellschaft für Soziale Dienste begonnen. Ausbildungsende ist der 31. Mai 2017.
Im Februar 2017 beantragte die Antragstellerin bei der Staatlichen Berufsschule für Kinderpflege Freising die Zulassung als externe Bewerberin.
Mit Schreiben vom 1. März 2017 wurde die Antragstellerin von der Staatlichen Berufsschule für Kinderpflege Freising zu einem Deutschsprachtest am 6. März 2017 geladen.
Mit Bescheid vom 9. März 2017 wurde mitgeteilt, dass die Antragstellerin in diesem Test keine hinreichenden Deutschkenntnisse nachgewiesen habe und die Zulassung zur Prüfung nicht erteilt werde.
Die Antragstellerin übersandte mit Schreiben vom 9. März 2017 eine beglaubigte Kopie eines Entlassungszeugnisses der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung an den Antragsgegner. Dieses Entlassungszeugnis bescheinigt, dass die Antragstellerin im Fach Deutsch die Note „ausreichend“ im Schuljahr 2002/2003 der Klasse DBL3-1 erzielte. Weiter führt das Zeugnis aus, dass die Antragstellerin die Berufsschulpflicht erfüllt habe.
Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 13. März 2017 mit, dass das Entlassungszeugnis nicht den Anforderungen an den Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse genüge. Die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch sei in einem Abschlusszeugnis einer Schule nachzuweisen.
Am 30. März 2017 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, vorläufig zur Abschlussprüfung an der Berufsfachschule für Kinderpflege zugelassen zu werden, und erhob Klage gegen den Bescheid vom 9. März 2017. Die Abschlussprüfungen würden am 2. Mai 2017 beginnen. Die Antragstellerin würde durch die Nichtzulassung zur Prüfung einen erheblichen Nachteil erleiden. Die nächsten Abschlussprüfungen fänden erst im Mai 2018 statt. Nach § 71 Abs. 3 Satz 4 der Berufsfachschulordnung Ernährung und Versorgung Kinderpflege, Sozialpflege, Hotel und Tourismusmanagement, Informatik vom 11. März 2015 (BFSO) müssten Bewerber mit einer anderen Muttersprache als Deutsch nachweisen, dass sie über hinreichende Deutschkenntnisse verfügten. Das Staatsministerium könne zu diesem Zweck einen zentralen Deutschtest durchführen und hierzu die näheren Einzelheiten festlegen. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus habe in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 2013, Az.: VII.8-5 S. 9500-3-7a.66 443, KWMBl Nr. 17/2013, 275, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 14. Juli 2016, KWMBl Nr. 11/2016, 199 (im Folgenden: Bekanntmachung vom 23. Juli 2013) bestimmt, dass der Nachweis hinreichender Deutschkenntnis erbracht sei, wenn ein Bewerber im Abschlusszeugnis einer öffentlichen bzw. staatlich anerkannten Schule (auf dem Niveau einer Haupt-/Mittelschule oder höher) mindestens die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch bzw. Deutsch als Fremdsprache erzielt habe. Könne dieser Nachweis nicht geführt werden, müsse ein Deutschsprachtest absolviert werden. Weder die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 noch die Regelung des § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO genügten dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt. Die wesentlichen Grundzüge der Prüfung und des Prüfungsverfahrens müsse der parlamentarische Gesetzgeber regeln. Das gelte vor allem für Prüfungen, die die grundgesetzlichen Freiheiten auf Berufswahl oder Wahl der Ausbildungsstätte einschränkten. Auch die Leitentscheidungen hinsichtlich des Anforderungsniveaus blieben dem Gesetzgeber vorbehalten, diese Anforderung werde weder durch § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO noch durch die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 erfüllt. Zudem bestünden Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der gesamten Regelung zum Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse, da diese lediglich durch ein Abschlusszeugnis nachgewiesen werden könnten, aber nicht durch Zertifikate höheren Niveaus, wie etwa des Goethe-Instituts. In diesem Zusammenhang verwies die Antragstellerin auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 18. Juni 2012 – 7 CE 12.1286 – juris). Die Antragstellerin habe den Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse durch das Entlassungszeugnis der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung und durch die Vorlage ihrer Niederlassungserlaubnis vom 30. Juni 2009 führen können. Für den Erhalt einer Niederlassungserlaubnis habe die Antragstellerin gem. § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ausreichende Sprachkenntnisse der deutschen Sprache bezogen auf das Anforderungsniveau der Stufe B1 des Europäischen Referenzrahmens nachweisen müssen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragstellerin zur Abschlussprüfung an der Berufsfachschule für Kinderpflege vorläufig zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin habe im schriftlichen Deutschtest die Note „ungenügend“ erzielt. Die Bewertung des schriftlichen Deutschtests sei aus schulfachlicher Sicht nicht zu beanstanden. Das Bewertungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die von der Antragstellerin zitierte Rechtsprechung könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Sie sei zu § 49 Abs. 2 Satz 4 Schulordnung für die Berufsfachschulen für Hauswirtschaft, für Kinderpflege und für Sozialpflege (BFSOHwKiSo) ergangen, diese Verordnung gelte nicht mehr für das Verfahren der Antragstellerin. In § 49 Abs. 2 Satz 4 BFSOHwKiSo sei allgemein geregelt gewesen, dass Bewerber mit einer anderen Muttersprache als Deutsch nachweisen müssten, dass Sie über hinreichende Deutschkenntnisse verfügten. In § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO habe der Verordnungsgeber jedoch nun ausdrücklich vorgesehen, dass das Staatsministerium zu diesem Zweck einen zentralen Deutschtest durchführen könne. Die wesentliche Grundentscheidung für eine zentrale Deutschprüfung sowie die Zuständigkeit des Staatsministeriums würden nun im Verordnungswege getroffen. Die von der Antragstellerin angesprochene Bekanntmachung konkretisiere lediglich weitere Einzelheiten zur Sicherstellung eines einheitlichen Bewertungsmaßstabes. Die Neuregelung des § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO dürfte den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts gerecht werden. Auf die Frage, was Gegenstand einer normativen Regelung sein müsse und wie konkret diese auszugestalten sei, komme es jedoch nicht an, da die Deutschkenntnisse der Antragstellerin bereits als nicht hinreichend im Sinne des § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO angesehen werden könnten. Die Antragstellerin könne hinreichende Deutschkenntnisse nicht durch andere Zeugnisse nachweisen. Das von der Antragstellerin vorgelegte Entlassungszeugnis weise zwar die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch aus, entspreche aber nicht einem Abschlusszeugnis einer öffentlichen oder staatlich anerkannten Schule auf dem Niveau der Haupt- oder Mittelschule. Ein Entlassungszeugnis werde ausgestellt, wenn die Berufsschule ohne Erfolg abgeschlossen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist begründet, da die Antragstellerin Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht hat. Anordnungsanspruch ist dabei der zu sichernde bzw. zu regelnde materielle Anspruch aus dem Hauptsacheverfahren. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn die Antragstellerin glaubhaft machen kann, dass ohne gerichtliche Eilentscheidung die Verwirklichung des Anordnungsanspruchs im Hauptsacheverfahren vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
Ein Anordnungsgrund ist angesichts der am 2. Mai 2017 stattfindenden schriftlichen Abschlussprüfungen ohne weiteres gegeben. Auch einen Anordnungsanspruch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, die Antragstellerin ist daher vorläufig zur Abschlussprüfung zuzulassen.
Von den in § 71 BFSO genannten Zulassungsvoraussetzungen ist zwischen den Beteiligten einzig der Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse der Antragstellerin nach § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO streitig. Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin hinreichende Deutschkenntnisse bereits durch die Vorlage ihres Entlassungszeugnisses der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung nachgewiesen hat. Die Antragstellerin hat in diesem Entlassungszeugnis die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch erreicht. Die Antragstellerin hat damit glaubhaft gemacht, dass sie über die streitgegenständlichen hinreichenden Deutschkenntnisse verfügt. Auf den im März 2017 durchgeführten Deutschtest kommt es daher nicht an.
I.
Das Entlassungszeugnis entspricht dem vom Antragsgegner in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 2013, einer Verwaltungsvorschrift, verlangten Anforderungsniveau.
§ 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO lässt sich selbst nicht entnehmen, wann bei Bewerbern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch hinreichende Deutschkenntnisse anzunehmen sind, insoweit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 2013 gilt der Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse als erbracht, wenn der Bewerber im Abschlusszeugnis einer öffentlichen bzw. staatlich anerkannten Schule (auf dem Niveau der Haupt-/Mittelschule oder höher) mindestens die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch bzw. Deutsch als Zweitsprache erzielt hat. Kann dieser Nachweis nicht geführt werden, muss ein schriftlicher Deutschsprachtest mit zentral gestellten Prüfungsaufgaben absolviert und ein Bewerbungsgespräch an einer öffentlichen bzw. staatlich anerkannten Berufsfachschule für Kinderpflege zur Überprüfung der mündlichen Deutschkenntnisse geführt werden.
1. Der Antragsgegner hat mit der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 ein Anforderungsniveau an Deutschkenntnisse vorgegeben, das die Antragstellerin durch das Entlassungszeugnis bereits nachgewiesen hat. Richtig ist die formale Feststellung des Antragsgegners, dass ein Entlassungszeugnis kein Abschlusszeugnis ist. Dies ergibt sich aus § 13 Abs. 2 Satz 1 Schulordnung für die Berufsschulen in Bayern (BSO). Gleichwohl kann mit einem Entlassungszeugnis nachgewiesen werden, dass hinreichende Deutschkenntnisse entsprechend § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 vorliegen.
a. Hinsichtlich der Benotung im Fach Deutsch weisen ein Entlassungszeugnis und ein Abschlusszeugnis einer Berufsschule keine Unterschiede auf. Der Unterschied zwischen einem Abschlusszeugnis und einem Entlassungszeugnis ist, dass Schüler, die die Berufsschule mit Erfolg abgeschlossen haben, ein Abschlusszeugnis erhalten; Schüler, die die Berufsschule ohne Erfolg abgeschlossen haben, erhalten ein Entlassungszeugnis, § 13 Abs. 2 Satz 1 BSO. Beide Zeugnisarten enthalten die Noten, die in den einzelnen Fächern erreicht wurden, § 17 Abs. 1 BSO. Das Abschlusszeugnis enthält darüber hinaus die Zuerkennung des erfolgreichen Berufsschulabschlusses, § 17 Abs. 1 BSO. Hinsichtlich der Leistungen in einem bestimmten Fach enthalten daher beide Zeugnisarten die gleiche Benotung und damit den gleichen Feststellungswert hinsichtlich der erbrachten Leistung. Ein Schüler kann daher im Fach Deutsch zum Beispiel die Note „sehr gut“ erzielen und ein Abschlusszeugnis erhalten oder eben auch ein Entlassungszeugnis, weil er in zwei anderen Fächern eine ungenügende Leistung erbracht hat (vgl. 17 Abs. 3 Satz 3 und 4 BSO). Das ändert aber nichts daran, dass die Leistungen dieses Schülers in dem Fach Deutsch als „sehr gut“ einzustufen sind.
b. Weiter ist die Berufsschule im Vergleich zur Haupt- bzw. Mittelschule eine weiterführende Schule, da nach Abschluss der Mittelschule grundsätzlich die Berufsschule zu besuchen ist, vgl. Art. 39 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG). Daher entspricht eine Benotung im Fach Deutsch der Berufsschule mindestens dem Niveau der Haupt- bzw. Mittelschule, wie dies die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 fordert.
c. Zwar spricht die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 lediglich von einem Abschlusszeugnis, vor dem soeben dargestellten Hintergrund muss jedoch der Wortlaut dieser Bekanntmachung extensiv ausgelegt werden. Der Maßstab dessen, was als „hinreichend“ im Sinne des § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO anzusehen ist, muss aus den Anforderungen gewonnen werden, die in sprachlicher Hinsicht an einen staatlich geprüften Kinderpfleger bei seiner Berufsausübung gestellt werden. Kinderpfleger sind in einem wichtigen Bereich und während einer sensiblen Phase der Kinderbetreuung bzw. -erziehung tätig. Dennoch dürfen keine im Verhältnis zu ihrem Tätigkeitsbereich überzogenen Anforderungen gestellt werden. Da – wie bereits aufgezeigt – Abschlusszeugnis und Entlassungszeugnis einer Berufsschule hinsichtlich ihrer Aussage der Leistung und Note im Fach Deutsch als gleichwertig anzusehen sind, ist nicht ersichtlich, wieso vor dem soeben dargestellten Zweck und des damit verbundenen Anforderungsniveaus von Deutschkenntnissen bei Kinderpflegern mit einem Entlassungszeugnis keine hinreichenden Deutschkenntnisse im Sinne des § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 nachgewiesen werden können.
2. Sofern davon ausgegangen wird, dass eine Auslegung der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 mit Blick auf den klaren Wortlaut nicht dahingehend möglich ist, dass auch mit einem Entlassungszeugnis hinreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden können, hätte die Antragstellerin zumindest bei analoger Anwendung der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 hinreichende Deutschkenntnisse durch die Vorlage ihres Entlassungszeugnisses nachgewiesen. Die Voraussetzungen einer Analogie als erfüllt anzusehen. Die Interessenlage ist vergleichbar und das Fehlen einer Rechtsnorm, die eine ausreichende Leistung im Fach Deutsch in einem Entlassungszeugnis der Berufsschule als Nachweis für hinreichende Deutschkenntnisse ausreichen lässt, stellt eine planwidrige Regelungslücke dar. Nach Aktenlage hat das Staatsministerium bei Erlass der Bekanntmachung ganz offensichtlich nicht in Rechnung gestellt, dass es im Bereich der Berufsschulen nicht nur Abschlusszeugnisse, sondern auch Entlassungszeugnisse gibt. Von daher besteht eine Regelungslücke hinsichtlich des Nachweises hinreichender Deutschkenntnisse durch ein Entlassungszeugnis. Da – wie bereits aufgezeigt – eine vergleichbare Interessenlage besteht, ist die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 auch auf Entlassungszeugnisse von Berufsschulen analog anzuwenden. Mithin hat die Antragstellerin auch aus diesem Grund nachgewiesen, dass sie über hinreichende Deutschkenntnisse verfügt.
II.
Selbst wenn der Begründung unter I. nicht gefolgt wird, wäre bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der hinreichenden Deutschkenntnisse in § 71 Abs. 3 Satz 4 FSO gleichwohl davon auszugehen, dass die Antragstellerin solche Kenntnisse nachgewiesen hat. Insoweit wäre dann jedoch nicht die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 heranzuziehen, da diese unverhältnismäßig ist.
Es fehlt der Regelung in der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 zumindest an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. Verhältnismäßig im engeren Sinn ist eine Regelung nur dann, wenn die Nachteile, die mit der Regelung verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt. Wie bereits aufgezeigt, soll die Regelung in der Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 sicherstellen, dass Kinderpfleger zum Wohle der Entwicklung der von ihnen pädagogisch mitbetreuten Kindern selbst über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen. Vor diesem Hintergrund wird es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht, wenn der Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse nur durch ein Abschlusszeugnis der Haupt- bzw. Mittelschule bzw. einer öffentlichen bzw. staatlich anerkannten Schule mindestens desselben Niveaus oder durch das erfolgreiche Bestehen eines Deutschsprachtests und durch ein Bewerbungsgespräch zur Überprüfung der mündlichen Deutschkenntnisse erbracht werden kann. Ausgeschlossen werden dadurch nämlich beispielsweise Bewerber, die Zertifikate etwa des Goethe-Instituts über die Beherrschung der deutschen Sprache auf höherem Niveau nach dem Europäischen Referenzrahmen erworben haben (so auch BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 7 CE 12.1268 – juris Rn. 12).
Da die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 vor diesem Hintergrund rechtswidrig und nicht anzuwenden ist, verbleibt es bei der Regelung in § 71 Abs. 3 Satz 4 BFSO, die hinreichende Deutschkenntnisse fordert. Das Gericht kann diesen unbestimmten Rechtsbegriff selbst auslegen, ein zu beachtender Beurteilungsspielraum ist insoweit nicht erkennbar. Ein Schüler einer Berufsschule, der im letzten Schuljahr an der Berufsschule die Note „ausreichend“ im Fach Deutsch erreicht, hat hinreichende Deutschkenntnisse, um an einer Abschlussprüfung für Kinderpflege teilzunehmen. Vor dem Hintergrund des bereits dargestellten Regelungszwecks des Erfordernisses hinreichender Deutschkenntnisse und bei Beachtung der Rolle des Berufs des Kinderpflegers reichen ausreichende Leistungen im Fach Deutsch im letzten Jahr der Berufsschule aus, um zumindest an der Abschlussprüfung in der Kinderpflege teilzunehmen.
III.
Das Gericht hat darüber hinaus auch große Bedenken, ob die Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 den Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt gerecht wird. Anders als der Antragsgegner meint, hat sich die Kritik des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 7 CE 12.1268 – juris Rn. 12) nicht durch eine geänderte Rechtslage erledigt. Nach dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war insbesondere fraglich, ob die damalige Bekanntmachung des Staatsministeriums insoweit dem Gesetzesvorbehalt gerecht wird, als sie den Nachweis hinreichender Deutschkenntnisse ausschließlich durch Zeugnisse öffentlicher bzw. staatlich anerkannter Schulen oder einen zentralen Sprachtest bei den Berufsfachschulen für Kinderpflege zulässt. Vorgenannte Materie ist nach wie vor ausschließlich in der aktuellen Bekanntmachung vom 23. Juli 2013 geregelt, so dass die rechtlichen Bedenken des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs immer noch aktuell sind. Da angesichts der umfangreichen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung erhebliche Unsicherheiten darüber bestehen, was im Bereich des Prüfungsrechts im Einzelnen Gegenstand normativer Regelungen sein muss und wie konkret die Regelungen im Einzelnen auszugestalten sind (Niehus/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 21), kann im einstweiligen Rechtsschutz nicht über diese Rechtsfrage entschieden werden. Da der Antragstellerin jedoch bereits aus den unter I. und II. genannten Gründen ein Anordnungsanspruch zukommt, kann die rechtliche Würdigung, ob die aktuelle Bekanntmachung den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts gerecht wird, wegen des damit verbundenen erheblichen Prüfungsaufwand ohne weiteres dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
IV.
Bei der Entscheidung über den Anordnungsanspruch ist auch zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsgerichte in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Auslegung der gesetzlichen Regelungen – wie § 123 VwGO – der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen haben. Je schwerer die sich daraus ergebenden Belastungen wiegen, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B.v. 25.7.1996 – 1 BvR 638/96 – juris). Vorliegend hat die Entscheidung über den Antrag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes daher auch unter Berücksichtigung der hier einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG zu erfolgen. Da die Antragstellerin weder deutsche Staatsbürgerin noch Bürgerin eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, kann Art. 12 GG keine Anwendung finden.
Das Gericht muss die Nachteile, die die Antragstellerin erleiden würde, stellte sich die Verweigerung der Zulassung zur Prüfung im Hauptsacheverfahren (nachträglich) als rechtswidrig heraus, mit den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn sich im Hauptsacheverfahren die Zulassung zur Prüfung nachträglich als rechtswidrig herausstellte (VG Bayreuth, B.v. 17.6.2011 – B 3 E 11.392 – juris Rn. 41).
Bei Berücksichtigung der vom Gericht zu achtenden und zu Gunsten der Antragstellerin streitenden Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ist diese vorläufig zur Abschlussprüfung zuzulassen. Bei einer vorläufigen Zulassung zur Abschlussprüfung sind auch keine besonderen Nachteile zu erkennen, die entstünden, wenn sich im Hauptsacheverfahren die Zulassung zur Prüfung nachträglich als rechtswidrig herausstellte. Dieses Risiko verbleibt bei der Antragstellerin. Mit der vorläufigen Zulassung werden insbesondere die Rechte der Antragstellerin gewahrt, ohne die Hauptsache endgültig vorwegzunehmen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,00 festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 36.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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