Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtsschutz bei der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis

Aktenzeichen  M 4 E 17.3597

Datum:
5.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 55 Abs. 1 S. 1, § 61 Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3
ZPO ZPO § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem Antragsteller die im Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt ihn vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte. Die bloße zeitliche Verzögerung der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit stellt indes auch unter Berücksichtigung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechts des Antragstellers auf allgemeine Handlungsfreiheit keinen unzumutbaren Nachteil dar, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im vorläufigen Rechtsschutz.
Der Antragsteller ist nach Aktenlage und eigenen Angaben ein zwischen 1995 und 1998 geborener afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am … Mai 2014 erstmals in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Juni 2014 einen Asylantrag im Bundesgebiet unter den Personalien … …, geb. … April 1996 in …, afghanischer Staatsangehöriger.
Am 18. Juni 2014 wurde sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt, da er am 7. März 2014 in Bulgarien einen Asylantrag gestellt hatte.
Am 15. Juli 2014 wurde er im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Bulgarien überstellt.
Am 23. September 2014 wurde der Antragsteller erkennungsdienstlich in … Slowenien behandelt und reiste am … Oktober 2014 als „… …, geb. *. März 1997“, erneut in das Bundesgebiet ein.
Am 24. November 2014 beantragte er erneut die Durchführung eines Asylverfahrens im Bundesgebiet.
Am 20. Januar 2015 wurde der Antragsteller in … von der Polizei kontrolliert. Zum Zeitpunkt der Kontrolle war sein Aufenthalt auf den Landkreis … beschränkt.
Vom 14. Februar 2015 bis 18. Februar 2015 hielt sich der Antragsteller in … auf; erlaubt war der Zeitraum vom 12. Februar 2015 bis 14. Februar 2015.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. März 2015 wurde sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt.
Gegen diese Entscheidung erhob der Antragsteller Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Mai 2015 wurde dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben. Im Verfahren gab er an, am … Dezember 1998 geboren zu sein.
Mit Urteil vom 23. Dezember 2015 wurde der Bescheid des Bundesamtes aufgehoben. Laut Urteil hätte der Antragsteller nach seiner Einreise von Bulgarien aus einen psychischen Zusammenbruch erlitten. Aufgrund seiner gravierenden Erkrankung sei bei einer drohenden Abschiebung eine hohe Suizidgefahr gegeben.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 20. Januar 2017 wurde mitgeteilt, dass bei der von dem Antragsteller vorgelegten Tazkira keine Manipulationen festgestellt werden konnten. Danach wäre das Geburtsjahr 1998.
Am 23. Januar 2017 beantragte er bei der Ausländerbehörde die Erlaubnis zur Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung bei der Firma …
Mit Bescheid vom 6. Juni 2017 lehnte der Antragsgegner die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ab. Er begründete den Bescheid im Wesentlichen damit, dass die Erteilung der Erlaubnis gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG im Ermessen der Ausländerbehörde stünde. Auf die Ermessenserwägungen wird verwiesen.
Mit Telefax vom 22. Juli 2017 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, dem Antragsteller eine Beschäftigungserlaubnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
1. Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller die Erteilung einer vorläufig geltenden Beschäftigungserlaubnis.
Dieser Antrag ist schon deshalb nicht erfolgreich, weil er auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine Beschäftigungs-erlaubnis zu erteilen. Das gleiche Ziel verfolgt der Antragsteller letztlich auch mit seinem Eilantrag, da aufgrund der bekannten Belastung der Verwaltungsgerichte nicht mit einer zeitnahen Entscheidung zu rechnen ist. Hieran ändert nichts, dass oder wenn die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Rechtsstellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn auch die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem Antragsteller die im Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt ihn vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 11, VG München, B.v. 25.8. – M 4 E 15.3554 – juris). Ein solches Rechtsschutzziel kommt deshalb nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69).
Ein die Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise rechtfertigender schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Nachteil für den Antragsteller käme insbesondere in Betracht, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die soziale, berufliche oder wirtschaftliche Existenzgrundlage des Antragstellers gefährdet wäre und dies die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 12, 14 GG berührte (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris Rn. 13). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, wobei es genügt, wenn die behaupteten Tatsachen so dargelegt sind, dass das Gericht von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgehen kann (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 Rn. 94).
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller vorliegend entgegen § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht, dass ihm bei einem Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbare, auch nach einem Erfolg in diesem Verfahren nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen. Denn aus der Sicht des Gerichts droht dem Antragsteller hierdurch keine Gefährdung seiner sozialen, beruflichen oder wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Eine wirtschaftliche Notlage existenzieller Art ist auszuschließen, da dem Antragsteller auch weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt würden. Darüber hinaus hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass nach einem für ihn ggf. erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens keine Möglichkeit mehr bestünde, einen anderen Arbeitsplatz zu finden und er nunmehr eine einmalige berufliche Chance verlieren würde. Die bloße zeitliche Verzögerung der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit stellt indes auch unter Berücksichtigung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechts des Antragstellers auf allgemeine Handlungsfreiheit keinen unzumutbaren Nachteil dar, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde (vgl. VG München, B.v. 18.7.2017 – M 4 E 17.3597; B.v. 20.1.2016 – M 10 E 15.5756; B.v. 30.5.2017 – M 25 E 17.929; Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 61 AsylG Rn. 20).
2. Jedenfalls ist der Antrag auch unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Der Antragsteller hat nach der gebotenen summarischen Prüfung im Hauptsacheverfahren keinen Anspruch auf Erteilung der Beschäftigungserlaubnis.
Für Asylbewerber mit einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Danach ist die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis keine gebundene Entscheidung, sondern steht im Ermessen der Behörde. Als solche kann sie dem Antragsteller schon nicht den glaubhaft zu machenden Anspruch auf Erteilung der Beschäftigungserlaubnis vermitteln. Denn weder verstößt diese Regelung gegen Unionsrecht, so dass sich ein unmittelbarer Anspruch des Antragstellers aus Art. 15 der RL 2013/33/EU ergeben würde, noch liegt vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ergibt sich nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 15 RL 2013/33/EU, denn dieser wurde mit § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Dass § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG eine Ermessensentscheidung der Behörde vorsieht, hält sich im Rahmen des von der Richtlinie der Mitgliedstaaten eingeräumten Umsetzungsspielraums und ist deshalb nicht zu beanstanden (vgl. hierzu ausführlich: BayVGH, B.v. 21.4.2017 – 10 ZB 16.2281 – juris Rn. 22; VG München, U.v. 12.1.2016 – M 4 K 15.3550 – juris).
b) Der Antragsteller hat vorliegend auch keine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht, aus der sich eine Spruchreife im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ableiten ließe.
Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt dann vor, wenn angesichts der konkreten Umstände des Falles nur eine einzige, bestimmte Entscheidung in Betracht kommt, das heißt diese als einzige nicht ermessensfehlerhaft wäre (Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 207 m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall.
Der Antragsteller, der sich im Bundesgebiet sowie in Bulgarien unter mehreren Alias-Identitäten aufgehalten hat, wurde aufgrund seiner eigenen damaligen Altersangaben, die er mehrfach schriftlich bestätigt hat, zu Recht nach Bulgarien abgeschoben. Auch im Übrigen ist die Ermessensausübung wohl nicht zu beanstanden.
Somit kam hier nicht nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Antragsgegners in Betracht.
3. Auch in Hinblick auf die Sicherung eines Anspruchs auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO bliebe der Antrag erfolglos.
Sollte der Antragsgegner den Anspruch des Antragstellers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 AsylG noch nicht erfüllt haben, könnte dem Antragsteller nur dann ein Recht auf eine einstweilige Regelungsanordnung zustehen, wenn dem Rechtsschutzauftrag des Art. 19 Abs. 4 GG anders nicht Rechnung getragen werden kann. Dem Antragsteller würde in diesem Fall sogar mehr gewährt, als er in der Hauptsache (vorliegend mit seinem Hilfsantrag) erreichen könnte. Denn dort sind die Verwaltungsgerichte nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO darauf beschränkt, die öffentliche Verwaltung bei ihr unterlaufenen Ermessensfehlern zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts zu verpflichten, wenn eine im Ermessen der vollziehenden Gewalt stehende Entscheidung eingeklagt wird und kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Soll die in § 113 Abs. 5 Satz 2 und in § 114 Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gesetzgebers nicht unterlaufen werden, darf bei Beschlüssen nach § 123 VwGO ein verbleibendes behördliches Ermessen nur dann zugunsten des Rechtsschutzsuchenden übergangen werden, wenn diesem andernfalls nicht nur eine schwere, sondern darüber hinaus eine irreversible Grundrechtsverletzung droht. Zudem muss davon auszugehen sein, die geschuldete Neuverbescheidung werde mit hoher Wahrscheinlichkeit zugunsten des Rechtsschutzsuchenden auszufallen haben. (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2013 – 22 CE 13.923 – juris Rn. 20).
Vorliegend ist schon keine irreversible Grundrechtsverletzung ersichtlich (vgl. hierzu unter 1.).
4. Die Kostenfestsetzung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG in Verbindung mit § 61 AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG), da es sich vorliegend um eine Entscheidung nach dem Asylgesetz auf Grundlage des § 61 Abs. 2 AsylG handelt.


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