Verwaltungsrecht

Vorrücken auf Probe, Erledigung durch Zeitablauf, Fortsetzungsfeststellungsklage

Aktenzeichen  M 3 K 17.5150

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49634
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
BayEUG Art. 53 Abs. 6
BayGSO § 31 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO. Beide Parteien erklärten sich in der mündlichen Verhandlung am 3. Dezember 2019 mit dem Übergang ins schriftliche Verfahren einverstanden. Es wurden Schriftsatzfristen gewährt. Beide Parteien äußerten sich zu der Problematik der Zulässigkeit nochmals mit Schriftsätzen. Die Wirksamkeit des Verzichtes auf weitere mündliche Verhandlung wurde nicht in Zweifel gezogen. Der nicht anfechtbare und grundsätzlich unwiderrufliche Verzicht auf mündliche Verhandlung (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Rn. 7) konnte auch nicht durch das Schreiben des gesetzlichen Vertreters des Klägers vom 18. September 2020 wirksam widerrufen werden.
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.
Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht – wenn sich der Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder anders erledigt hat – auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Fortsetzungsfeststellungsklage sind zum Einen die tatsächliche Erledigung des ursprünglichen Klagebegehrens – dieses liegt im bereits erfolgten Vorrücken des Klägers in die 7. Jahrgangsstufe und dem Ablauf des Schuljahres 2016/2017 – und zum Anderen das berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die Entscheidung des Beklagten hinsichtlich der Nichtgewährung des Vorrückens auf Probe für den Kläger im Schuljahr 2016/2017 rechtswidrig gewesen war.
Das Verwaltungsgericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, ein gegenstandslos gewordenes Klagebegehren auf seine ursprüngliche Berechtigung hin zu überprüfen. Der Kläger kann nur beim Vorliegen eines besonderen Interesses eine Sachentscheidung trotz Eintritts der Erledigung erzwingen. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG schließt nicht die Verpflichtung des Gerichts zu einer Sachentscheidung ein, wenn der Bürger den beantragten Rechtsschutz nicht (mehr) benötigt. Maßgeblich ist stets, ob die Inanspruchnahme des Gerichts dem Kläger noch etwas „nützt“, also zur Verbesserung seiner Position geeignet ist. Für das Feststellungsinteresse genügt jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (vgl. insgesamt: Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 108). Ein derartiges Interesse ist auf Seiten des Klägers nicht erkennbar (vgl. VG München, U.v. 22.11.2010 – M 3 K 08.5008 – juris; VGH München, B.v. 5.1.2010 – 7 CE 09.2899 – juris).
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein berechtigtes Interesse i.S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Nichtversetzung in die nächsthöhere Klasse dann besteht, wenn sich die Entscheidung der Schule auf die weitere schulische oder berufliche Laufbahn des Schülers nachteilig auswirken kann. Ein solcher Nachteil muss weder unmittelbar bevorstehen noch sich konkret abzeichnen (BVerwG, B.v. 24.10.2006 – 6 B 61/06 – juris; BVerwG, U.v. 14.7.1978 – VII C 22.76 – juris, BVerwG, U.v. 6.12.1983 – 7 C 39/83 – juris). Die Nichtversetzung habe nicht nur eine Verzögerung der Schulausbildung und regelmäßig deren Verlängerung zur Folge, sie könne auch den Erwerb von Berechtigungen gefährden und die Berufsmöglichkeiten beeinträchtigen (BVerwG, U.v. 14.7.1978 – VII C 22.76 – juris, Rn. 11). Es könne auch die Gefahr bestehen bei erneuter Nichtversetzung, dass die Schulausbildung abgebrochen werden müsse (BVerwG, U.v. 6.12.1983 – 7 C 39/83 – juris). Denn selbst nach bestandener Reifeprüfung sei es nicht schlechthin ohne Aussagewert, ob der Betreffende sie nach „glatt“ durchlaufener Schulzeit oder erst nach Wiederholung einer Klassenstufe abgelegt habe. Sollte sich der/die Schüler/in unmittelbar um einen Ausbildungsplatz bewerben, sei für diesen Fall angesichts der starken Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt nicht von vornherein auszuschließen, dass ein Arbeitgeber sich nach der gesamten Schullaufbahn erkundigen und dabei einer Nichtversetzung ein mehr oder weniger großes Gewicht beimessen könnte (BVerwG, U.v. 6.12.1983 – 7 C 39/83 – juris, Rn. 5 (zu einer Nichtversetzung)).
Nach Ansicht des Gerichtes ist der vorliegende Fall einer Verweigerung des Vorrückens auf Probe nicht vergleichbar mit dem Fall einer Entscheidung des generellen Vorrückens in die nächste Jahrgangsstufe. Beim Kläger stand unbestritten fest, dass aufgrund seiner Noten im Jahrgangszeugnis des Schuljahres 2016/2017 in der 6. Jahrgangsstufe ein Vorrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe nicht bewilligt werden konnte. Der in den Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen (s.o.) damit zugrundegelegte Nachteil/Makel der Nichtversetzung war damit eingetreten. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger keine Rechtsbehelfe eingelegt.
Durch den Antrag auf Zulassung des Vorrückens auf Probe wollte der Kläger die Chance eröffnet bekommen, die Probezeit zu bestehen, um daraufhin weiterhin die 7. Jahrgangsstufe besuchen zu können. Allerdings kann er zum jetzigen Zeitpunkt die Probezeit durch Zeitablauf tatsächlich nicht mehr ableisten. Dies hätte für ihn auch keinen Sinn mehr, da er die 7. Jahrgangsstufe mittlerweile erfolgreich bestanden hat. Die tatsächliche Möglichkeit des Antretens und Absolvierens der Probezeit ist vorbei. Sie kann im Nachhinein nicht nachgeholt werden. Während bei einem Rechtsstreit über die Versetzung bzw. Nichtversetzung des Schülers in die nächste Jahrgangsstufe auch in der Fortsetzungsfeststellungsklage direkt die Aussage erfolgen kann, dass der Kläger einen Anspruch auf Vorrücken hätte, also rechtlich gesehen kein „Wiederholer“ ist, kann eine positive Feststellungsklage hinsichtlich der Entscheidung des Vorrückens auf Probe bestenfalls die Aussage treffen, dass dem Kläger die Chance der Probezeit hätte eröffnet werden müssen. Damit ist mit dieser Entscheidung direkt kein Gewinn in der Richtung gegeben, dass der Kläger kein „Wiederholer“ sei. Voraussetzung hierfür wäre das Antreten und Bestehen der Probezeit. Während eine Feststellungsklage bezüglich des Nichtbestehens einer Jahrgangsstufe direkt die Frage eines zu Unrecht oder zu Recht erfolgten „Sitzenbleibens“ klärt, kann dies eine Entscheidung über die Zulassung eines Vorrückens auf Probe nicht leisten. Es bedarf hierzu mehrerer hypothetischer Schritte, die – und zwar jeweils mit dem für den Kläger günstigen Ergebnis – hinzugedacht werden müssen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in den oben zitierten Entscheidungen an, dass der Kläger durch die Nichtversetzung in seiner Ausbildung und zukünftigen beruflichen Entwicklung benachteiligt werden kann. An dieser Nichtversetzung würde sich durch die hier beantragte Feststellung gerade nichts ändern. Soweit von Klägerseite zur Begründung des Feststellungsinteresses argumentiert wird, der Kläger hätte gemäß Art. 53 Abs. 6 Satz 2 BayEUG auch bei nicht bestandener Probezeit gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 GSO nicht als Wiederholungsschüler gegolten, ist dem entgegenzuhalten, dass § 31 Abs. 3 S. 3 GSO nur eine Fiktion zur Folge hat, jedoch nicht die Rechtmäßigkeit der – dann tatsächlich stattfindenden – Wiederholung der Jahrgangsstufe in Frage stellt; ob § 31 Abs. 3 Satz 3 GSO hier überhaupt anwendbar ist (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 3 GSO letzter Halbsatz) oder nur in Fällen des Vorrückens auf Probe nach Art. 53 Abs. 6 S. 2 BayEUG, kann daher offen bleiben. Das erkennende Gericht kann in einer Entscheidung, dass der Kläger bei eindeutig nicht bestandenem Ziel der Jahrgangsstufe die Chance zum Vorrücken auf Probe nicht erhalten hat, keinen „selbstständigen“, über den Makel der Nichtversetzung hinausgehenden Makel, erkennen, der zu einem Feststellungsinteresse führt. Ein Feststellungsinteresse könnte bei einem Fall bezüglich des Vorrückens auf Probe höchstens dann gegeben sein, wenn die Sperrwirkung des Art. 53 Abs. 3 Satz 2 BayEUG noch im Raume stände, wenn also die Probezeit die Möglichkeit zum Rücktritt mit der Folge des § 37 Abs. 1 GSO eröffnet hätte und damit auch im Fall, dass eine Jahrgangsstufe im weiteren Fortgang nicht bestanden worden wäre, die Wiederholung der Jahrgangsstufe noch nicht zur Sperrwirkung des Art. 53 Abs. 3 Satz 2 BayEUG führen würde. Der Kläger hat jedoch mittlerweile nach Aussage der Klagepartei die 7. Klasse erfolgreich bestanden. Auch das Geltendmachen der Klagepartei, dass einzelne negative Stellungnahmen über den Kläger (z.B. die Bewertungsbögen) in der Akte des Klägers verbleiben würden, kann nicht zu einem Feststellungsinteresse für die vorliegende Klage führen. Es kann nicht gesehen werden, dass die Feststellung über die Rechtmäßigkeit des Vorrückens auf Probe zu einer Löschung von Daten aus den Schülerakten führt. Ein Anspruch auf Löschung von Feststellungen und Beurteilungen aus den Schülerakten ist nicht Gegenstand der vorliegenden Feststellungsklage. Es besteht daher kein Rehabilitierungsinteresse, da die Entscheidung der Schule außer ihrer – erledigten – belastenden Wirkung keinerlei diskriminierenden oder ehrenrührigen Inhalt hatte.
Auch eine Wiederholungsgefahr ist nicht anzunehmen, da der Kläger nicht mehr das Oskar-Maria-Graf-Gymnasiums in Neufahrn bei Freising besucht und mittlerweile auch die 7. Jahrgangsstufe (wohl auch die 8. Jahrgangsstufe) erfolgreich abgeschlossen hat.
Zwar legt die Klagepartei im Schriftsatz vom 17. März 2020, nachdem der Beklagte im Schriftsatz vom 4. März 2020 erwähnt hat, dass keine Absicht des Klägers zur Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen vorgetragen wurde, dar, dass grundsätzlich die Absicht bestehe, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen. Dies wird zum einen jedoch schon nicht substantiiert ausgeführt und wird auch zeitlich erstmals nach sehr fortgeschrittenem Verfahrensstand geäußert. Im Übrigen kann das Gericht keinen Schaden erkennen, der durch einen Amtshaftungsanspruch eingeklagt werden könnte, einen solchen hat auch der Kläger nicht ansatzweise konkretisiert.
Das Gericht bleibt daher weiterhin bei seiner Rechtsprechung, dass es kein schutzwürdiges Interesse auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung, das Vorrücken auf Probe abzulehnen, gibt (vgl. VG München, U.v. 22.11.2010 – M 3 K 08.5008 – jurist; ähnlich VG München, U.v. 27.10.2008 – M 3 K 08.1521 – juris, zum fehlenden Interesse auf Feststellung der Entscheidung über das Nichtbestehen der Probezeit)
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da nicht ersichtlich ist, dass der Beklagten vollstreckbare Aufwendungen entstanden wären.


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