Verwaltungsrecht

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit bei Identifizierung mit der Reichsbürgerbewegung

Aktenzeichen  24 ZB 20.1096

Datum:
7.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28634
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 4 S. 4
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 4, § 152 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, fehlt es an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG i.V.m. § 5 WaffG ist ausschließlich personenbezogener Art und berücksichtigt nicht, für welche Art der Waffe eine Erlaubnis erteilt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 18.1288 2020-02-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, … Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seines Kleinen Waffenscheins (§ 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG) und die hierzu ergangenen Folgemaßnahmen.
Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechende Klage mit Urteil vom 5. Februar 2020 abgewiesen. Der Widerruf des Kleinen Waffenscheins gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger besitze nicht die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers sowohl im behördlichen wie auch im gerichtlichen Verfahren begründeten in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme, dass dieser der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. sich deren Ideologie bindend zu eigen gemacht habe. Eine glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ habe nicht festgestellt werden können.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger durch seine Bevollmächtigte sein Rechtsschutzziel weiter. Ohne ausdrücklich einen bestimmten Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO zu benennen, führt der Kläger aus, das erstinstanzliche Urteil, das vor allem generalisierende Ausführungen enthalte, habe seinen konkreten Einzelfall nicht ausreichend gewürdigt. Die in Bezug genommenen Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar. Zudem fehle diesen die Begründungsdichte einer Endentscheidung; das Gericht habe die „laxeren Anforderungen der Eil- bzw. Prozesskostenhilfeverfahren“ auf die Überzeugungsbildung im Hauptsacheverfahren übertragen. Die Begründung, der Kläger sei nach wie vor Reichsbürger und damit waffenrechtlich unzuverlässig, halte einer Nachprüfung nicht stand. Es sei von Anfang an eingeräumt worden, dass manche Wendungen des Klägers gegenüber der Behörde ungeschickt gewesen seien; diese seien aber weder strafbar noch ordnungswidrig, weder beleidigend noch anstößig gewesen. Schließlich zeigten sie keine innere Haltung, die auch nur in die Nähe von waffenrechtlichen Versagungstatbeständen komme. Das Urteil des Erstgerichts laste dem Kläger „reichsbürgertypische Aussagen“ in seinem Schreiben vom 16. Mai 2017 an, ohne mitzuteilen, worin diese bestünden. Im Bewusstsein traditionell denkender Kreise, insbesondere bei älteren Menschen mit preußischen Vorfahren wie dem Kläger, lebe eine gewisse verklärende Nostalgie vom „alten Preußen“ fort; dies habe nichts mit Reichsbürgern zu tun. Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit könne diesen Personen ebenso wenig abgesprochen werden wie etwa Angehörigen der Bayernpartei, die den Standpunkt verträten, es gebe eine bayerische Staatsangehörigkeit. Ferner könne es dem Kläger nicht angelastet werden, dass er einen Antrag auf Ausstellung einer Staatsbürgerurkunde gestellt habe. Schließlich sei in dem Urteil nicht berücksichtigt worden, dass es lediglich um den Kleinen Waffenschein gehe, von dem nicht das Gefährdungspotenzial ausgehe, das dem „großen“ Waffenschein anhafte.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers in der Zulassungsbegründung zielen auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden können (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl. 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel genügt keine unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung.
In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Bescheid des Beklagten vom 22. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend bleibt folgendes anzumerken:
1.1. Soweit der Kläger ausführt, das Erstgericht habe den Einzelfall des Klägers nicht hinreichend gewürdigt, führt dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages.
Das erstinstanzliche Urteil enthält zwar – wie vom Kläger zu Recht ausgeführt – zunächst allgemeine Ausführungen zur Szene der Reichsbürger und der von ihr vertretenen Ideologie und Verhaltensweisen, um hierauf aufbauend die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze darzustellen, wann einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person die waffenrechtliche Zuverlässigkeit abgesprochen wird (UA Rn. 26 ff.). Im Anschluss hieran würdigte das Verwaltungsgericht aber den konkreten Einzelfall des Klägers, insbesondere seine (schriftlichen) Äußerungen gegenüber dem Beklagten und seine Einlassungen im Anhörungs- und im gerichtlichen Verfahren, und kam hierbei zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigten, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. sich deren Ideologie bindend zu eigen gemacht habe (UA Rn. 29). Die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die sich der Senat zu eigen macht und die ergeben hat, dass der Kläger diesem Personenkreis zuzurechnen ist, ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht zu beanstanden.
1.2 Auch der Einwand des Klägers, die vom Erstgericht zitierten Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien zum einen keine Endentscheidungen und zum anderen mit seinem Fall nicht vergleichbar, da er sich erkennbar von den „verqueren Persönlichkeiten“ unterscheide, über deren Verfahren der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in den in Bezug genommen Fällen entschieden habe, geht fehl.
Der erkennende Senat hat zuletzt in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 30. Juli 2020 (Az. 24 BV 18.2500), also einer Endentscheidung, ausgesprochen, dass es Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit fehle; ein Waffenbesitzer, der durch sein von außen wahrnehmbares Verhalten eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung erkennen lasse und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit wecke, müsse diese Zweifel selbst entkräften. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen stehen im Einklang mit dieser Rechtsprechung, auch wenn sie nur im Eil- oder im Prozesskostenhilfeverfahren ergangen sind. Der der genannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Sachverhalt hat im Übrigen viele Gemeinsamkeiten mit dem hiesigen Sachverhalt: Auch der dortige Kläger beantragte die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises, ohne eine nachvollziehbare und plausible Erklärung anzugeben, wofür er diesen benötige, gab in dem Antrag als Geburtsort „Königreich Bayern“ an und berief sich hinsichtlich seiner Abstammung auf § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913.
1.3. Eine glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der Reichsbürger lässt sich der Zulassungsbegründung nicht entnehmen. Soweit er einräumt, er habe gegenüber der Ausgangsbehörde lediglich Wendungen, die er im Internet gefunden habe, ungeschickt verwendet, überzeugt sein Vortrag nicht. Als bloße Ungeschicklichkeit kann weder die Rückgabe seines gültigen Personalausweises beim Einwohnermeldeamt gewertet werden, noch lässt sich hiermit seine Bezugnahmen auf das „Ru-StAG Stand 1913“ erklären. Dass eine solche Verhaltensweise allein durch eine „gewisse verklärende Nostalgie vom alten Preußen“ bei älteren Menschen gerechtfertigt werden könne, überzeugt den Senat ebenfalls nicht.
1.4. Soweit der Kläger ausführen lässt, das erstinstanzliche Urteil habe nicht berücksichtigt, dass streitgegenständlich der Widerruf eines Kleinen Waffenscheins sei, von dem eine geringeres Gefährdungspotenzial ausgehe als von einem „großen“ Waffenschein, verkennt er, dass bei der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG i.V.m. § 5 WaffG nicht zu berücksichtigen ist, für welche Art der Waffe eine Erlaubnis erteilt wird; es findet eine ausschließlich personenbezogene Prüfung statt. Auch § 10 Abs. 4 WaffG ändert diesen Prüfungsmaßstab nicht. Aus dieser den Kleinen Waffenschein regelnden Vorschrift ergibt sich, dass eine entsprechende Erlaubnis ohne Sachkunde-, Bedürfnis- und Haftpflichtversicherungsnachweis (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 WaffG) erteilt wird; das Prüfprogramm enthält aber weiterhin (und uneingeschränkt) die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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