Verwaltungsrecht

Wegen Konversion zum Christentum erfolgreiche Asylklage einer Iranerin

Aktenzeichen  AN 1 K 17.32102

Datum:
24.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 48992
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 34 Abs. 1
AufenthG § 59, § 60 Abs. 10

 

Leitsatz

Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann wegen der Situation muslimischer Konvertiten in Iran zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.  (Rn. 81 – 85) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 5.4.2017, Gz. …, wird in den Ziffern 1. und 3. bis 6. aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
5. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 5. April 2017 ist in den Ziffern 1. und 3. bis 6. rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Die Klägerin hat einen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich
1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Mit der zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 3 Abs. 1 AsylG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 wurden die europarechtlichen Vorgaben für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Teil der Gewährung internationalen Schutzes aus der Richtlinie 2011/95/EU (nachfolgend: RL), welche die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) abgelöst hat, im Asylverfahrensgesetz umgesetzt. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen war den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt worden (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die
1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist oder
2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Als Verfolgung in diesem Sinne können nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL) unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
1.die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen,
6.Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist gemäß § 3b AsylG Folgendes zu berücksichtigen:
1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2. der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3. der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4. eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn a) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und b) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
Durch § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG wird insbesondere klargestellt, dass auch jegliche an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe darstellt (sog. geschlechtsspezifische Verfolgung; vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. A. 2016, Rn. 13 f. zu § 3b AsylG).
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 a) RL angesehen werden können.
Diese Rechtsprechung, die vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden ist (U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12, juris), kann auf § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG übertragen werden, der Art. 9 Abs. 1 a) RL in nationales Recht umgesetzt hat.
Eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a) RL danach nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum) (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12, juris Rn. 24). Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 26). Ein solches Verbot hat aber nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, a.a.O., Rn. 28). Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 29).
Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG
1.der Staat,
2.Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder.
3.nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nichtstaatlichen Akteure i.S. von § 3c Nr. 3 AsylG können auch private Personen sein (z.B. Familienmitglieder). Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der inhaltsgleichen Bestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG a.F. entschieden, dass unter diese schon ihrem Wortlaut nach einschränkungslos alle nichtstaatlichen Akteure, insbesondere also auch Einzelpersonen, von denen Verfolgungshandlungen ausgehen, fallen (BVerwG, U.v. 18.07.2006 – 1 C 15/05, BVerwGE 126, 243).
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen.
Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d) RL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013, a.a.O. und vom 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162).
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL).
Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
Art. 4 Abs. 4 RL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, B.v. 2.7.1980 – 1 BvR 147, 181, 182/80 – BVerfGE 54, 341; dem folgend U.v. 31.3.1981 – 9 C 237.80 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, U.v. 18.2.1997 – 9 C 9.96, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, U.v. 27.4.1982 – 9 C 308.81, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden – auch seelischen – Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, U.v. 18.2.1997 – 9 C 9.96, a.a.O.). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend BVerwG, U.v. 25.9.1984 – 9 C 17.84, BVerwGE 70, 169 und v. 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21.92, BVerwGE 91, 150), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95, BVerwGE 99, 324 zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4.6.1996 – 9 C 134.95 – InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
Art. 4 Abs. 4 RL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten jedoch auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C – 175/08 u.a., Abdulla). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09, BVerwGE 136, 377).
Für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09, BVerwGE 136, 360).
Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Kläger ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne § 3a Abs. 1 AsylG (Art. 9 Abs. 1 RL) gelten können (vgl. U.v. EuGH vom 5.9.2012, a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 AsylG vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) ergibt.
§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Nr. 1. Die Maßnahmen im Sinne von Nr. 2 können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Nr. 1 beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition“). Während die „Art“ der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung“ eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30).
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 1 mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative der Nr. 2 in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in § 3a Abs. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 2 RL) aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, die aber den Anforderungen des § 108 Abs. 1 VwGO entsprechen muss, wohingegen für Vorgänge innerhalb des Gastlandes grundsätzlich der volle Nachweis auf Grund von Tatsachen zu fordern ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, BVerwGE, 71, 180).
Bei der Feststellung der für eine Verfolgung im Herkunftsland im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sprechenden Umstände kommt dem Vorbringen des Schutzsuchenden deshalb besondere Bedeutung zu. Er ist auf Grund der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gehalten, die in seine Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern. Das Gericht muss sich die feste Überzeugung vom Wahrheitsgehalt des klägerischen Vorbringens verschaffen können (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, BVerwGE, 71, 180, 181 und vom 12.11.1985 – 9 C 27.85, EZAR 630 Nr. 23). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur geglaubt werden, wenn diese Unstimmigkeiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985, a.a.O., 183 und vom 23.2.1988 – 9 C 32.87, EZAR 630 Nr. 25).
Hiervon ausgehend kann die Klägerin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG beanspruchen.
Die Klägerin hat glaubhaft geschildert, dass sie seit dem Jahr 1382 (2003/2004) Kontakte mit Payman Fattahi hatte und an den von diesen abgehaltenen Sitzungen teilgenommen hat. Payman Fattahi ist der Gründer und Führer der Elyasin-Gemeinschaft. Herr Fattahi trat seit seinem 23. Lebensjahr in Teheran u.a. mit öffentlichen Reden in Erscheinung, die ein weites Spektrum geistiger Themen, darunter auch religiöse Themen beinhalteten. Die 1991 gegründete Elyasin-Gemeinschaft gab u.a. auch eigene Magazine heraus (zum Ganzen: Wikipedia unter „Payman Fattahi“ sowie „Elyasin community“) heraus, so dass sich die diesbezüglichen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als glaubhaft darstellen.
Ebenso zutreffend ist, dass Herr Fattahi zunehmenden staatlichen Repressalien ausgesetzt war und schließlich am 27. Mai 2007 erstmals inhaftiert wurde. Ihm wurde vorgeworfen, er setze sich für religiöse Innovationen ein, propagiere den religiösen Pluralismus sowie die Apostasie. Zudem plane er eine Verschwörung gegen das islamische Regime und gefährde die nationale Sicherheit.
Es ist deshalb durchaus glaubhaft, dass die Klägerin durch den regelmäßigen Besuch der von Herrn Fattahi organisierten Veranstaltungen und den Kontakt mit der Elyasin-Gemeinschaft eine offene Denkweise und kritische Einstellung zum Islam gewonnen und diesen zunehmend kritisch hinterfragt hat.
Ob es nachfolgend dann auch zu den von der Klägerin geschilderten Besuchen von christlichen Hauskreisen gekommen ist, kann letztlich dahinstehen. Die Klägerin hat die angeblichen Besuche detailliert hinsichtlich der Abläufe und Örtlichkeiten geschildert. Insoweit besteht im Wesentlichen auch Übereinstimmung mit den Angaben ihres Bruders, … … … …, in seiner Anhörung beim Bundesamt, der mit der Klägerin gemeinsam die Hauskreise besucht haben will. Das Bundesamt hat die Schilderungen des Bruders als glaubhaft angesehen und diesem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Gleichwohl sind gewisse Zweifel angebracht. Dies betrifft zum einen die auffällige Größe des Hauskreises, der nach Angaben der Klägerin bis zu 40 Personen umfasst haben soll. Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen (Danisch Immigration Service, Update on the Situation for Christian Converts in Iran, Juni 2014, S. 22) bestehen christliche Hauskreise im Iran aus maximal 12 bis 15 Mitgliedern. Zum anderen wirkt die Erklärung der Klägerin, ihr Exmann habe über den Freund eines Freundes ihres Bruders von der Existenz des Hauskreises erfahren und diesen wohl verraten, konstruiert, da die Besuche verbotener Hauskreise streng vertraulich behandelt werden.
Hierauf kommt es jedoch nicht mehr entscheidungserheblich an, da sich das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung verschaffen konnte, dass die Klägerin jedenfalls während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für sie die Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 13.30120, v. 7.5.2013 – 14 ZB 13.30083 und v. 29.4.2010 – 14 ZB 10.30043; B.v. 14.6.2018 – 14 ZB 18.30524).
Ausgehen von obigen Ausführungen, wonach die Klägerin seit den engen Kontakten mit der Elyasin-Gemeinschaft und durch die Besuche der Veranstaltungen des Herrn … ab dem Jahr 1382 (2003/2004) den Islam kritisch reflektiert hat, hat die Klägerin in Deutschland ihren Glauben im Christentum gefunden. Sie hat sich aktiv um den Kontakt mit christlichen Gemeinden bemüht und übt den christlichen Glauben auch in der Öffentlichkeit aus. Die Klägerin engagiert sich in herausgehobener Form, indem sie aktiv in die wöchentlichen Gottesdienste der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde …-Stadtkirche eingebunden ist und dort in ihrer Muttersprache Lesungen hält. Selbst in der Anwesenheit des Regionalbischofs hat sie diese Aufgabe wahrgenommen. Die Klägerin zeigt ihre christliche Einstellung u.a. auch durch ihr Engagement im Ökumenischen Verein für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migration e.V. in … Sie verfügt über ein umfangreiches Wissen zum christlichen Glauben und war in der Lage, alle an sie in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen ausführlich und korrekt zu beantworten. Auch die Bedeutung der Taufe für sie persönlich hat sie fundiert dargestellt.
Der Einzelrichter ist auf Grund des persönlichen Eindrucks, den er von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung gelangt, dass diese nicht aus asyltaktischen Gründen den christlichen Glauben angenommen, sondern diesen verinnerlicht hat und auch aus innerer Überzeugung lebt. Die Klägerin erweckte nicht den Eindruck, lediglich auswendig erlerntes Wissen wiederzugeben.
Diese Einschätzung wurde auch durch die Ausführungen des in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörten Pfarrers der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde …-Stadtkirche Dr. … bestätigt, der ausführlich über das Engagement der Klägerin und seine persönliche Einschätzung zum Glaubenswechsel der Klägerin berichtet hat.
Das Gericht hat deshalb die volle Überzeugung gewinnen können, dass die Ausübung des christlichen Glaubens für die Klägerin eine besondere, identitätsprägende Bedeutung hat und die Klägerin auch gewillt ist, ihren christlichen Glauben im Iran mit anderen Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft – zumindest im häuslichen Bereich – auszuüben (subjektive Komponente der Glaubensausübung).
Der Klägerin wäre jedoch die Ausübung des christlichen Glaubens im Iran selbst im häuslichen Rahmen nicht ohne Gefahr für Leib oder Leben möglich, wobei es ihr nicht zugemutet werden darf, bei einer Rückkehr in den Iran von einer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um möglichen Repressalien zu entgehen.
Der Abfall vom Islam (Apostasie) wird im Iran hart bestraft (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.12.2015, S. 4; Lagebericht vom 2.3.2018, S. 13). Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht insbesondere auch für die Angehörigen einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (OVG NW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315; Sächs. OVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06).
Für derartige Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung jedoch selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht gefahrlos möglich, womit auch für „einfache“ Mitglieder von einer konkreten Verfolgungsgefahr ausgegangen werden muss (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A, DÖV 2010, 238 und v. 28.1.2009 – 6 A 1867/07.A; DÖV 2009, 467; VG Augsburg, U.v. 19.9.2016 – Au 5 K 16.30957; VG Dresden, U.v. 16.3.2016 – 6 K 175/15.A; VG Leipzig, U.v. 15.3.2013 – A 5 K1232/11; VG Schwerin, U.v. 13.2.2013 – 3 A 1877/10 As; VG München, U.v. 4.2.2013 – M 2 K 12.30870; VG Stuttgart, U.v. 24.9.2009 – A 11 K 1146/08; VG Hannover, U.v. 10.9.2009 – 6 A 104/09).
Das Auswärtige Amt führt in den Lageberichten vom 2. März 2018 und vom 12. Januar 2019 hierzu aus, dass muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt sind. Anerkannten ethnischen Gemeinden ist es verboten, Christen mit muslimischem Hintergrund zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Persisch sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Mohabat News und Open Doors berichten von anhaltenden Razzien in Kirchengemeinden, insbesondere Hauskirchen, Konfiszierung von Bibeln und christlichen Materialien und der Verhaftung vieler Christen muslimischer Herkunft, aber auch traditioneller Christen wie Armenier und Assyrer.
Mindestens zwölf Christen wurden in den letzten Monaten zu Haftstrafen von zehn und mehr Jahren verurteilt: Der Pastor … … wurde am 24. Juni 2017 gemeinsam mit drei weiteren Konvertiten namens …, … und …, zu je zehn Jahren Gefängnis verurteilt, … zusätzlich zu zwei Jahren Verbannung nach der Haft. Die Anklage lautete u.a. auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und „Organisation von Hauskirchen“. Am 23. Mai wurden drei Christen aus Aserbaidschan (* … …, … … und … …*) sowie … … … zu ebenfalls je zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem sie 2016 bei einem privaten Besuch christlicher Freunde in Teheran verhaftet wurden. Zu Beginn ihrer Haft befanden sie sich zwei Monate in Einzelhaft im … Gefängnis und der Kontakt zum aserbaidschanischen Konsulat wurde ihnen verweigert. Am 4. Juli 2017 erhielten vier weitere iranische Christen, darunter der Pastor … …, lange Haftstrafen: drei von ihnen wurden zu 10 Jahren, … … zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wird zusätzlich „Beleidigung des Heiligen“ (Blasphemie) zur Last gelegt.
Auch der ausführlichen Stellungnahme von Amnesty International vom 7. Juli 2008 (für das VG Mainz) lässt sich entnehmen, dass evangelikale-freikirchliche Christen zu den Personen gehören, die im Iran besonders häufig der Überwachung und Verfolgung durch iranische Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind, wobei die geschilderten Referenzfälle von Verfolgungen fast ausschließlich Konvertiten als Mitglieder freikirchlicher Gemeinschaften betrafen, die ihren Glauben in Hausgemeinschaften ausübten. Während die genannten Übergriffe bis etwa zum Sommer des Jahres 2006 nahezu ausschließlich herausgehobene tätige – etwa Prediger, Pastoren oder Hausgemeindeleiter – getroffen haben, berichtet amnesty international für die Zeit danach, insbesondere für das Jahr 2008, davon, dass über diesen Personenkreis hinaus auch einfache Gemeindemitglieder festgenommen, mehrere Tage bis Wochen lang festgehalten, verhört, bedroht, zum Teil misshandelt und oft nur gegen hohe Kautionen (vorläufig) freigelassen wurden. Diese Schilderungen werden durch den Bericht des Informationszentrums Landinfo (Report Iran: Christians and Converts vom 7.7.2011) bestätigt.
Unter den geschilderten Umständen kann bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin die Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden.
Durch einen Verzicht auf die Religionsausübung in Gemeinschaft mit anderen auch fernab der Öffentlichkeit zur Vermeidung von Verfolgung würde die Klägerin aufgrund ihrer ernsthaften Hinwendung zum Christentum in ihrer religiös-personalen Identität verletzt, was eine Verfolgungshandlung (schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit) in Sinne des § 3 a Abs. 1 AsylG darstellte.
Die Klägerin hat somit einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegen. Auf den hilfsweise gestellten Antrag, ihr subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zu gewähren bzw. das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, kam es daher nicht mehr an (vgl. auch § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG; BVerwG, U.v. 26.6.2002 – 1 C 17.01).
Die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreisefristbestimmung ist ebenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für … erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Da für die Klägerin kein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG besteht, ist auch die Ziffer 6 des angefochtenen Bescheides gegenstandslos und damit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).


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