Verwaltungsrecht

Widerruf der Approbation als Apotheker nach Verurteilung wegen Besitzes kindepornographischer Schriften

Aktenzeichen  AN 4 S 20.02002

Datum:
12.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28333
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
VwGO § 80
BApO § 6 Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
StGB § 184b Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Approbationswiderrufs setzt voraus, dass überwiegende öffentliche Belange dies rechtfertigen, was wiederum davon abhängt, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zudem ergibt sich aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG, dass der Rechtsschutzanspruch des Antragstellers nur dann zugunsten überwiegender öffentlicher Belange zurückgestellt werden kann, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der am 28.09.2020 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Regierung … vom 09.09.2020, Az.: …, wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 28.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Sofortvollzug des Widerrufs seiner Approbation als Apotheker.
Der Antragsteller übt seinen Beruf als angestellter Apotheker in … und …aus.
Mit inzwischen rechtskräftigem Strafbefehl vom 26. Mai 2020 wurde gegen den Antragsteller wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Dieser Strafbefehl legte dabei dem Antragsteller folgenden Sachverhalt zur Last:
„Zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 09.11.2018 um 7:20 Uhr waren Sie in Ihrer Wohnung …, … wissentlich und willentlich im Besitz von 23 kinderpornographischen Bild- und 3 kinderpornographischen Videodateien, welche auf dem Laptop … gespeichert waren, wobei
– 11 Bilder und 2 Videos hiervon die Vornahme sexueller Handlungen von Erwachsenen an Mädchen oder Jungen unter 14 Jahren (vaginal, anal und oral)
– 1 Video hiervon die Vornahme sexueller Handlungen von Kindern an anderen Kindern jeweils unter vierzehn Jahren (vaginal, anal und oral)
– 11 Bilder hiervon das Darstellen von sexuell aufreizenden Posen von Kindern unter vierzehn Jahren durch die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes
– 1 Bild ein gefesseltes komplett entkleidetes weibliches Kind zeigten.“
Die Bayerische Landesapothekerkammer teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. Juli 2020 mit, die Verurteilung berühre grundsätzlich auch die Berufspflichten, wonach ein Apotheker gehalten sei, dem Vertrauen zu entsprechen, das den Angehörigen des Berufsstandes entgegengebracht werde, sowie das Interesse und Ansehen des Berufsstandes zu wahren. Vor dem Hintergrund der bereits erfolgten strafrechtlichen Ahnung könne allerdings von Seiten der BLAK kein berufsrechtlicher Überhang erkannt werden, weshalb von der Einleitung eines förmlichen berufsrechtlichen Verfahrens abgesehen werde. Zugleich wurde der Antragsteller informiert, dass es ihm nun verboten sei, Jugendliche zu beschäftigen, zu beaufsichtigen, anzuweisen und auszubilden. Es werde um Mitteilung gebeten, wie dieses Verbot ihn der Apotheke, in der er angestellt sei, umgesetzt werde. Zudem werde die Regierung … informiert, der berufsrechtliche Verfahrensabschluss sei aber ohne Bedeutung für etwaige Maßnahmen der Regierung in eigener Zuständigkeit.
Die Regierung … teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 22. Juli 2020 daraufhin mit, dass beabsichtigt sei, seine Approbation als Apotheker mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
Der Antragsteller ließ hierzu mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 19. August 2020 Stellung nehmen. Hierzu wurde vorgetragen, dass ein Widerruf wegen Unwürdigkeit und/oder Unzuverlässigkeit nicht in Betracht käme.
Der Antragsteller sei nicht als Unzuverlässig anzusehen, nachdem abgesehen vom genannten Strafbefehl der …-jährige Antragsteller in knapp … Berufsjahren straffrei gewesen sei und insbesondere keine Verfehlungen im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung als Apotheker aufgetreten seien, wie sich daraus ergibt, dass es niemals ein förmliches berufsrechtliches Verfahren gegeben habe. Allein aus der einmaligen Begehung der Straftat könne keine herabgesetzte Hemmschwelle hinsichtlich der Verletzung von Rechtsnormen angenommen werden. Auch die Besorgnis, der Antragsteller würde sich künftig nicht pflichtadäquat verhalten, sei unbegründet. Dieser habe vom … bis … professionelle psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Höchst vorsorglich und aus rein präventiven Gründen habe sich der Antragsteller auch erneut seit … in psychotherapeutische Behandlung begeben. Daneben sei nicht von einer besonderen Schwere der Straftat auszugehen, weil es sich bei der Strafnorm des § 184b Abs. 3 StGB nicht um ein Verbrechen, sondern lediglich um ein Vergehen handle und damit nach gesetzgeberischer Wertung ein vergleichsweise geringer Unwertgehalt ergebe. Bei der konkreten Tat sei auch der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Auch eine Strafaussetzung zur Bewährung komme bekanntlich nur in Betracht, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht von der Prognose ausgehen, der Täter lasse sich die Verurteilung als Warnung dienen und werde künftig keine Straftaten mehr begehen.
Daneben sei der Antragsteller auch nicht als Unwürdig anzusehen. Trotz moralischer und rechtlicher Kritikwürdigkeit des Verfahrens seien eine umfassende Beurteilung der Einzelfallumstände und eine Betrachtung des Nachtatverhaltens geboten. Hier seien insbesondere die Tatumstände zu sehen, dass sich der Antragsteller in einer tiefen Lebenskrise mit depressiven Episoden befunden habe, nachdem sich dessen langjährige Lebensgefährtin von ihm getrennt habe und ausgezogen sei, woraufhin er völlig verzweifelt gewesen sei, mit der unerwarteten Einsamkeit im privaten Bereich vorübergehend nicht zurechtgekommen sei und Zerstreuung im Internet gesucht habe. Er habe auch unmittelbar nach der Tatbegehung am 09.11.2018 psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen und habe die volle Verantwortung für sein Handeln übernommen, was sich insbesondere darin zeige, dass er es nicht auf eine Hauptverhandlung habe ankommen lassen, bei der seine persönliche Lebenssituation und eine anzunehmende zumindest eingeschränkte Schuldfähigkeit hätten auswirken können. Für die Beurteilung der Unwürdigkeit sei nicht auf die Zahl der heruntergeladenen Dateien abzustellen, sondern auf Beharrlichkeit, sowie etwaige niedere Beweggründe oder schädliche Neigungen. Hier sei von einer nur kurzen Tatdauer (09.11.2018) und nicht von starker Ausprägung der übrigen Kategorien auszugehen. Auch sei – ohne Verharmlosungsabsicht – zu berücksichtigen, dass keine Weiterverbreitung erfolgt sei und die Opfer niemals von der Tat (dem Anschauen der Bilder) jemals erfahren hätten. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass die Bayerische Landesapothekerkammer von der Einleitung eines förmlichen berufsrechtlichen Verfahrens in Kenntnis des Strafbefehls abgesehen habe.
Die Regierung … erließ daraufhin am 9. September 2020 (dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 15. September 2020) den verfahrensgegenständlichen Bescheid und verfügte:
1. Die Herrn … mit Wirkung vom 23.06.1994 durch das …, erteilte Approbation als Apotheker wird widerrufen.
2. Die unter Nr. 1 bezeichnete Urkunde wird eingezogen. Herr … ist verpflichtet, der Regierung … das Original seiner Approbationsurkunde sowie sämtliche in seinem Besitz befindliche Ausfertigungen, Zweitschriften und beglaubigte Kopien hiervon bis spätestens 12.10.2020 zu übermitteln.
3. Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 dieses Bescheids wird angeordnet.
4. Sofern Herr … seiner Verpflichtung aus Nr. 2 dieses Bescheides nicht bis zum 12.10.2020 nachkommt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 EUR fällig, das hiermit angedroht wird.
5. Herr … hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
6. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr von 400 EUR festgesetzt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Regierung … sei nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BApO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 HeilBZustV zuständig. Die Untersagung werde auf § 6 Abs. 2 BApO gestützt, weil sich aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt die Unwürdigkeit des Antragstellers für die Ausübung des Berufs des Apothekers ergebe. Zugrunde gelegt werden könnten alle im Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen. Die genannten Zweifel an der Schuldfähigkeit seien keine gewichtigen Anhaltspunkte, hiervon abzuweichen, nachdem der dieser Einwand bereits im Strafverfahren hätte vorgebracht werden können und müssen. Darüber hinaus seien auch die Akten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen. Aus diesen ergäbe sich, dass der Antragsteller nach weiteren Dateien gesucht habe und weitere 588 gelöschte kinderpornographische Dateien gefunden worden seien.
Anders als die Unzuverlässigkeit verlange die Unwürdigkeit ein schwerwiegendes Fehlverhalten, welches seine weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lasse. Dieser Entziehungstatbestand hänge auch nicht vom zufälligen Umstand ab, inwieweit das Fehlverhalten in der Öffentlichkeit bekannt geworden sei, sondern davon, ob das Verhalten des Apothekers für jeden billig und gerecht Denkenden als Zerstörung der für die heilberufliche Tätigkeit unverzichtbaren Vertrauensbasis erscheine. Entscheidend sei damit, ob eine gravierende Verfehlung vorliege. Dabei sei das Delikt abgesehen vom konkreten Strafrahmen schon vom Deliktscharakter, aber auch in seiner spezifischen Prägung eine unentschuldbare und gravierende Straftat und damit als sehr schwerwiegendes Fehlverhalten nach diesen Maßstäben anzusehen. Der Gesetzgeber habe die Besitzverschaffung und den Besitz kinderpornographischer Schriften in § 184b StGB unter Strafe gestellt, um das Schaffen und Aufrechterhalten eines Marktes solcher Darstellungen schon im Ansatz zu verhindern. Damit trügen auch die Konsumenten eine Mitverantwortung, die vom Gesetzgeber schon beim Besitz solchen Materials unter Strafe gestellt worden sei. Konkret sei auch die besonders schwerwiegende Art der Darstellungen der vom Antragsteller im Besitz befindlichen Darstellungen zu berücksichtigen. Die willentliche Beschaffung und der Konsum kinderpornographischen Materials bedeute ein Fehlverhalten, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Apothekers schlechthin nicht zu vereinbaren sei und daher das Verdikt der Unwürdigkeit rechtfertige. Dabei habe der Antragsteller auch mehrmals zielgerichtet nach derartigem Material gesucht, nicht nur am o.g. Tag, an dem die Durchsuchung stattgefunden habe. Ob der Antragsteller dabei tatsächlich durch Akzeptanz des Strafbefehls Verantwortung übernommen habe oder nur eine öffentliche Hauptverhandlung habe vermeiden wollen, werde bezweifelt. Die Relativierung, der Antragsteller hätte das Material lediglich angesehen oder heruntergeladen, verkenne die Bedeutung der Konsumenten für derartige Darstellungen und bewirke auch einen vertieften Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Dass es bisher keine berufsrechtlichen Verfahren gegeben habe, spiele keine Rolle, weil § 6 Abs. 2 BApO nur eine „abstrakte“ Unwürdigkeit verlange.
Nachdem von einer Unwürdigkeit auszugehen sei, komme es auf die Unzuverlässigkeit insoweit nicht mehr an. Insoweit sei jedoch anzumerken, dass der Antragsteller sehr wohl strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, weil er wegen Betruges zuvor zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei. Eine gerade einmal zweimonatige psychotherapeutische Hilfe könne vernünftigerweise nicht als ausreichend für eine ernsthafte Bewältigung der gezeigten Neigungen gewertet werden. Außerdem entfalte das durch § 184b StGB bestrafte Delikt keinesfalls nur einen geringen Unwertgehalt, einem Vergehen könne grundsätzlich auch eine schwerere Schuld inne sein als einem Verbrechen. Es komme auch nicht auf die konkrete Ahndung an, sondern lediglich auf das zugrundeliegende Verhalten. Zudem sei die Strafe keinesfalls am unteren Rand des Strafrahmens gewesen; auch habe das Strafrecht einen anderen Prognosemaßstab für die Beurteilung der Bewährung.
Der Widerruf der Approbation verstoße auch unter Berücksichtigung der Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabei räume § 6 Abs. 2 BApO kein Ermessen ein. Zwar bedeute die subjektive Berufswahlbeschränkung einen Eingriff, dieser diene aber dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter, hier dem Vertrauen der Patienten in die Lauterkeit des Apothekers sowie die Wertschätzung dieses Berufes in der Gesellschaft und seine Integrität. Anders als bei Ärzten bestehe hier die Grundlage des Vertrauensverhältnisses in seiner charakterlichen Integrität. Dem Apotheker komme im Gesundheitssystem eine Aufgabe zu, die nur beim Erhalt des Ansehens des Berufsstandes des Apothekers in der Öffentlichkeit erfüllt werden könne. Damit sei der Widerruf der Approbation auch geeignet und mangels milderen Mittels erforderlich. Wegen des überragenden öffentlichen Interesses am besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Apotheker und Patient sei der Eingriff angemessen. Es sei nicht zumutbar, dass ein als unwürdig anzusehender Apotheker weiterhin diesen Beruf ausüben dürfe. Bei der Angemessenheit sei auch zu berücksichtigen, dass später ein Antrag auf Wiedererteilung der Approbation gestellt werden könnte. Alternative Betätigungsmöglichkeiten verblieben auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung oder im Verlagswesen. Einer zusätzlichen Berücksichtigung individueller Umstände (Alter, wirtschaftliche Situation) bedürfe es von Verfassung wegen nicht. Schließlich entfalte die Einschätzung der Landesapothekerkammer keine Sperrwirkung. Dies ergebe sich schon dadurch, dass die nach Landesrecht gebildete Kammer nicht die bundesrechtliche Kompetenz nach § 6 BApO einschränken könne. Im Übrigen verfolgten beide Verfahren unterschiedliche Zielsetzungen. Das berufsrechtliche Verfahren bezwecke die Ahndung von Standesrecht, der Approbationswiderruf diene der Gefahrenabwehr.
Die Rückforderung der Approbationsurkunde erfolge im pflichtgemäßen Ermessen und diene der Missbrauchsvermeidung.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 1 VwGO überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse bei weitem, wenn auch der selbständige Eingriffscharakter durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG gesehen werde. Hier lägen konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter vor, die den Rechtsschutzanspruch zurückstellen müssten, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit sei seiner Natur nach auf den sofortigen Vollzug ausgelegt, um seinen Zweck zu erfüllen. Anders als bei einer auf Prognose ausgerichteten Unzuverlässigkeitsentscheidung werde das Berufsansehen bei Vorliegen der Unwürdigkeit sofort gefährdet. Müssten hier bei der Unwürdigkeit weitere Umstände hinzutreten, wäre ein Sofortvollzug faktisch ausgeschlossen, weil es bei festgestellter Unwürdigkeit gerade nicht auf die Prognose ankomme. Es bedürfte also keiner gleichzeitigen Gefährdung einer Person, da das Ansehen und Vertrauen in die Apothekerschaft in Schutz genommen werden müssten. Alternative Mittel seien nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Verpflichtung der Herausgabe der Urkunde gelte entsprechendes.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit einem am 28. September 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten Klage erheben. Zugleich wurde gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Regierung … vom 09.09.2020, Az.: …, wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller wirklich als unwürdig anzusehen sei. Diesbezüglich werde auf das Vorbringen aus der Stellungnahme vom 19.08.2020 verwiesen.
Daneben werde auf die Stellungnahme der Bayerischen Landesapothekerkammer verwiesen, die in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände des Fehlverhaltens klargestellt habe, dass kein berufsrechtlicher Überhang zu erkennen sei und von einem förmlichen berufsrechtlichen Verfahren abgesehen werde. Dabei verkenne der Antragsgegner, dass die BLAK sich gerade mit der Frage befasst habe, ob das Fehlverhalten des Antragstellers das Ansehen des Berufsstandes beeinträchtigt habe und das Vertrauen, das die Öffentlichkeit diesem Berufsstand entgegenbringe. Schließlich sei die Kammer zum Ergebnis gekommen, dass der Schutz dieses Ansehens und Vertrauens der Berufsgruppe der Apotheker keine über die strafrechtliche Ahndung hinausgehende Sanktion erfordern würde. Wenn schon die Landesapothekerkammer als diesem Berufsstand besonders nahestehende Fachbehörde, die naturgemäß ein besonderes Interesse am Schutz des Ansehens dieses Berufsstandes und dem diesem entgegengebrachten Vertrauen durch die Öffentlichkeit habe, zu diesem Ergebnis gelange, könne dieses Interesse des Antragstellers am Vollzug keinesfalls überwiegen. Vielmehr müsse vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG und im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes der Antragsteller die Möglichkeit einer Klärung im Hauptsacheverfahren haben. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die der Verurteilung zugrundeliegenden Verfehlungen der Öffentlichkeit nicht bekannt seien und das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bereits vor über 2 Jahren eingeleitet worden sei. Da der Ansehensverlust nach Meinung des Antragsgegners mit Begehung der Straftat verursacht worden sei, stelle die Anordnung des Sofortvollzugs eine ungeeignete, jedenfalls aber unverhältnismäßige Maßnahme dar, da dem …-jährigen Antragsteller faktisch die Existenzgrundlage entzogen würde.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 30. September 2020,
der Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei unzweifelhaft von der Unwürdigkeit des Antragstellers auszugehen, weil der Besitz kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB eine derart unentschuldbare und schwerwiegende Straftat darstelle, dass ein gravierendes Fehlverhalten eines Heilberufangehörigen vorliege, das geeignet sei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig zu erschüttern. Es komme auch nicht auf die Sicht der Landesapothekerkammer, sondern nur auf diejenige der entscheidenden Behörde an. Zudem könne es nicht auf das Bekanntwerden der Vorwürfe ankommen, weil die Unwürdigkeit ansonsten etwa durch einen Ortswechsel ausgeräumt werden könnte. Dabei bedürfe es gerade keiner konkreten Gefährdung des Berufsstandes der Apotheker. Maßgebend sei allein eine objektive Betrachtungsweise. Auch das Zurückliegen der Taten von zwei Jahren schließe den Widerruf nicht aus. Schließlich könnten individuelle Gesichtspunkte wie der behauptete Entzug der Existenzgrundlage keine Rolle spielen, weil das Gesetz hierfür bei Vorliegen der Unwürdigkeit keinen Spielraum lasse. Insgesamt sei damit das Vollzugsinteresse in Gestalt des abstrakten Schutzes des unverzichtbaren Vertrauens der Öffentlichkeit in den Berufsstand der Apotheker höher zu gewichten als das private Suspensivinteresse des Antragstellers.
Mit weiterem Schriftsatz vom 06.10.2020 bestätigte der Antragsgegner, dass bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Zwangsmaßnahmen gegen den Antragsteller ergriffen würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs i.S.d. § 80 Abs. 1 VwGO gegen einen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt auf Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des vom Antragsgegner verfügten Entzugs der Approbation und dem Interesse des Antragsstellers an der Abwendung der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung ist von besonderer Bedeutung, ob sich der angefochtene Bescheid nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich gebotenen (nur) summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist, da ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheides nicht bestehen kann.
Zunächst spricht nach summarischer Prüfung durch das Gericht viel für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Widerruf der Approbation zur Ausübung des Apothekerberufs nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO.
Dabei ist bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber mit den Regelungen der § 80 Abs. 1 Satz 1 und § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO für den Regelfall der aufschiebenden Wirkung entschieden und deren Entfall als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme angehen hat. Von der Möglichkeit, den Approbationswiderruf wegen nachträglich eingetretener Unwürdigkeit von Gesetzes wegen als Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zu erklären, hat der Gesetzgeber allerdings keinen Gebrauch gemacht.
Für diesen Fall kam der Entfall der aufschiebenden Wirkung daher nur nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Betracht, was eine gesonderte Abwägungsentscheidung erforderlich macht. Grundsätzlich dürfen vorläufige Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen, insbesondere, wenn hiermit die vorläufige Entscheidung zu erheblichen Auswirkungen für die Berufsausübung des Betroffenen verbunden sind. Dabei hängt es insbesondere vom Vorliegen weiterer konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter ab, ob überwiegende öffentliche Belange es hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch eines Betroffenen einstweilen zurückzustellen; die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt voraus, dass überwiegende öffentliche Belange dies rechtfertigen, was wiederum davon abhängt, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG, B.v. 08.04.2010, Az.: 1 BvR 2709/09, juris Rn. 11 f.; B.v. 24.10.2003, Az.: 1 BvR 1594/03, juris Rn. 16). Zudem ergibt sich aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG, dass der Rechtsschutzanspruch des Antragstellers nur dann zugunsten überwiegender öffentlicher Belange zurückgestellt werden kann, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 22).
Diese vom Bundesverfassungsgericht angenommenen strengen Anforderungen an die Anordnung des sofortigen Vollzugs eines Approbationswiderrufs liegen im Fall des Antragstellers jedoch nicht vor.
Der Antragsgegner stützt die Anordnung des Sofortvollzugs auf die Annahme, der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit müsse seiner Natur nach auf den sofortigen Vollzug hin angelegt sei, wenn er den ihm zugedachten Zweck erfüllen solle. Das Schutzgut des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Angehörigen des Apothekerberufs werde bereits dann geschädigt, wenn die Öffentlichkeit mit einer weiteren Berufsausübung derjenigen Personen rechnen müsste, die in verwerflicher Weise gegen ihre Pflichten verstoßen hätten. Müssten für die Möglichkeit des Sofortvollzugs weitere Umstände neben die Unwürdigkeit hinzutreten, wäre dieser faktisch unmöglich, da die Unwürdigkeit anders als die Unzuverlässigkeit gerade kein prognostisches Element beinhalte.
Damit verkennt der Antragsgegner, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Widerruf einer Approbation wegen Unwürdigkeit denklogisch nicht notwendigerweise die Möglichkeit des Sofortvollzugs mit sich bringen muss. Wäre dies der Fall, hätte es dem Gesetzgeber offen gestanden, für diese grundlegende Konstellation den Entfall der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes zu definieren.
Die rechtliche Konsequenz der Einschätzung als unwürdig ist die fehlende Notwendigkeit einer prognostischen Einschätzung. Dies bedingt, dass eine Gefahr für das wichtige Gemeingut der Volksgesundheit bzw. der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln im Falle der Unwürdigkeit nicht durch ein konkret drohendes Handeln eines Einzelnen bewirkt wird, sondern maßgeblich – wie vorliegend – durch den Ansehensverlust in die Integrität der Apothekerschaft im Allgemeinen. Nachdem daneben die Möglichkeit besteht, bei konkret einzelfallbezogenen Gefahren durch einen Approbationsinhaber die Berufsausübung – beispielsweise wegen Unzuverlässigkeit – unter Anordnung des Sofortvollzugs zu verhindern, erscheint der Schluss, ein sofortiger Vollzug müsse notwendigerweise grundsätzlich auch im Falle der Unwürdigkeit möglich sein, keinesfalls zwingend. Vielmehr lässt sich das Vertrauen der Öffentlichkeit gegenüber der Apothekerschaft in angemessenem Maße dadurch sicherstellen, dass die zuständige Behörde beim Vorliegen konkreter Gefahren über eine Einschätzung der Unzuverlässigkeit der sofortige Vollzug erreicht wird und im Falle der Unwürdigkeit (jedenfalls ohne Hinzutreten konkreter Gefahren) ein Vertrauen auf ein ordnungsgemäßes behördliches bzw. gerichtliches Verfahren vertraut werden kann, wenn ansonsten keine Befürchtung darüberhinausgehender Gefahren zu besorgen ist.
Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung war dabei zu berücksichtigen, dass ein Entfall der aufschiebenden Wirkung beim Antragsteller, der als angestellter Apotheker tätig ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen wird und eine anderweitige (Fest-)Anstellung des …-jährigen Antragstellers in einem dann notwendig anderen Bereich der Pharmazie zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich erscheint. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich – trotz aller Verwerflichkeit der strafbaren Handlungen des Antragstellers – um ein Verhalten handelt, das keinen direkten Berufsbezug aufweist.
Auf der anderen Seite war bei der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen, dass es sich bei der Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften um ein besonders durch die Gesellschaft missbilligtes Delikt handelt und dass – auch unter Berücksichtigung nur eines Teils der nach dem Durchsuchungs- und Ermittlungsergebnisses zu Tage getretenen Handlungen – das Amtsgericht eine Strafhöhe für angemessen erachtet hat, die keineswegs am unteren Ende des Strafrahmens anzusehen ist und daher mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten (zur Bewährung) belegt wurde, was auch unter dem Aspekt der spezialpräventiven Folgen der Verurteilung zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass zumindest durch die anwaltliche Vertretung des Antragstellers eine gewisse, diesem zurechenbare Verharmlosung erfolgt ist, wenn davon gesprochen wird, dem Delikt des § 184b Abs. 3 StGB komme nur ein „vergleichsweise geringer Unwertgehalt“ zu, der Antragsteller habe nur „Zerstreuung im Internet“ gesucht und er habe „sich diese Schriften im Internet lediglich angesehen bzw. heruntergeladen, ohne diese in irgendeiner Form zu verbreiten“. Gerade letzteres muss angesichts des Ermittlungsberichts (Bl. 52 d.A.; „Hochladen am 18. und 21.08.2018 über Tumblr“) als widerlegt angesehen werden, wenn auch später eine Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO erfolgte (BL. 230 d.A.).
Bei der Betrachtung dieser abwägungsrelevanten Gesichtspunkte durch das Gericht überwiegt damit – unter besonderer Berücksichtigung des besonderen grundrechtlichen Schutzes durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG – das private Suspensivinteresse des Antragstellers. Das Gericht sieht die vorliegend gegen ein Suspensivinteresse sprechenden Gründe vor dem Hintergrund des drohenden sofortigen Berufsverbots vor einer Klärung im Hauptsacheverfahren als nachrangig an, mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 1.5 und 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und legt den Bruttolohn des Antragstellers zugrunde (vgl. Bl. 229 d.A.).


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