Verwaltungsrecht

Widerruf der Fahrlehrerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit, Erteilung von Fahrunterricht ohne Fahrschulerlaubnis außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses, Nichterteilung des erforderlichen Unterrichts, verfassungsrechtliche Maßgaben für die Anordnung der sofortigen Vollziehung

Aktenzeichen  11 CS 21.2961

Datum:
14.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3131
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FahrlG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
FahrlG § 14 Abs. 2 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 5 S 211.1755 2021-11-11 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. In Abänderung der Ziffer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. November 2021 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13. August 2021 hinsichtlich der Nummern 1 und 2 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nummer 4 angeordnet.
II. In Abänderung der Ziffer II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. November 2021 trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm am 1. Dezember 1986 erteilten Fahrlehrerlaubnis.
Mit seit 9. Februar 2019 vollziehbarem Bescheid vom 11. Januar 2016 widerrief das Landratsamt Schwandorf die dem Antragsteller am 18. November 2009 erteilte Fahrschulerlaubnis samt später erteilter Zweigstellenerlaubnisse.
Seitdem wurde dem Landratsamt bekannt, dass der Antragsteller auch noch nach dem 8. Februar 2019 ohne Fahrschulerlaubnis bzw. Beschäftigungsverhältnis mit dem Inhaber einer Fahrschule theoretischen und praktischen Fahrunterricht erteilte und Ausbildungsbescheinigungen verfälschte, damit nach dem 8. Februar 2019 erteilte Fahrstunden anerkannt würden. Am 26. März 2020 unterzeichnete er einen Ausbildungsnachweis, wonach er seinem Neffen vom 22. Januar bis 16. März 2020 16 Doppelstunden theoretischen und 22 Stunden praktischen Farbschulunterricht erteilte. Nach Wechsel zu einer anderen Fahrschule bestand dieser am 29. April 2021 die Prüfung für die Fahrerlaubnisklasse A1. In einem Strafverfahren müssen sich der Antragsteller und seine Ehefrau vor dem Amtsgericht Schwandorf wegen Leistungsbetrugs zum Nachteil von Fahrschülern in 31 Fällen verantworten. Weiter wurde bekannt, dass der Antragsteller in mindestens sechs Fällen Fahrschülern die für die Mofaprüfbescheinigung verpflichtenden praktischen Doppelstunden nicht erteilt hatte.
Mit Bescheid vom 13. August 2021 widerrief das Landratsamt die Fahrlehrerlaubnis des Antragstellers und gab ihm unter Androhung eines Zwangsgelds auf, innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung des Bescheids den Fahrlehrerschein zurückzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Hiergegen ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 3. September 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben und im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, deren aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. November 2021 ab. Hinsichtlich der Gebührenfestsetzung sei der Antrag bereits unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO nicht vorlägen. Zudem sei die Gebührenfestsetzung rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell ordnungsgemäß erfolgt und auch materiell rechtmäßig. Der Widerruf der Fahrlehrerlaubnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 FahrlG sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Recht erfolgt, da hinreichende Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit des Antragstellers im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FahrlG bestünden. Die Interessenabwägung gebiete es, trotz des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG den Antragsteller sofort von der Ausbildung von Fahrschülern auszuschließen. Ausweislich der polizeilichen Ermittlungsakten habe er in gravierender Weise gegen § 5 FeV verstoßen, indem er die verpflichtenden praktischen Doppelstunden für die Mofaprüfbescheinigung in mindestens sechs Fällen nicht durchgeführt habe. Weiter habe er gröblich und wiederholt gegen § 1 Abs. 4 Satz 1 FahrlG verstoßen, indem er – ohne Inhaber einer Fahrschulerlaubnis zu sein und außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Inhaber einer Fahrschule – Fahrschulunterricht erteilt habe. Es sei nicht entscheidend, ob er bei der Ausbildung seines Neffen von einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis mit einer weiteren Fahrschule ausgegangen sei. Denn aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass er in weiteren Fällen unberechtigt Fahrschulunterricht erteilt habe. Die fehlende Berechtigung habe ihm aufgrund seiner Ausbildung bekannt sein müssen. Auch habe der Antragsgegner ihn mehrmals hierauf hingewiesen. Insbesondere im Jahr 2019 habe kein Beschäftigungsverhältnis mit einer Fahrschule bestanden. Im Jahr 2020 habe sich der Antragsteller ohne Erfolg darum bemüht und hätte daher seinen Neffen nicht ausbilden dürfen. Die Ausbildungsnachweise trügen seine Unterschrift und stammten laut Adressfeld von einer Fahrschule seines Namens. Die Ausbildung einer nicht unerheblichen Anzahl von Fahrschülern in den Jahren 2019 und 2020 nach Widerruf der Fahrschulerlaubnis und ohne Beschäftigungsverhältnis mit einer Fahrschule stehe zur Überzeugung des Gerichts fest. Die Ermittlungsakten, insbesondere die sich darin befindlichen Aussagen der Fahrschüler und WhatsApp-Chatverläufe ebenso wie vom Antragsteller unterzeichnete bzw. ausgestellte Ausbildungsnachweise und Rechnungen/Quittungen ließen keinen anderen Schluss zu. Entgegen seiner Behauptung handle es sich nicht nur um Verstöße im Zeitraum zwischen dem 9. und 28. Februar 2019, als die widerrufene Fahrschulerlaubnis noch nicht an das Landratsamt zurückgegeben gewesen sei. Insbesondere ab Mai 2019 habe er in mehreren Fällen theoretischen und praktischen Unterricht erteilt bzw. Ausbildungsverträge abgeschlossen, Zahlungen entgegengenommen und Rechnungen und Nachweise ausgestellt. Er habe die Ausbildungsverträge in dem Wissen abgeschlossen, die Ausbildung dieser Schüler nicht mehr ordnungsgemäß durchführen zu können. Es könne ihm nicht zugutekommen, dass Verstöße zuletzt im Jahr 2020 dokumentiert seien, als polizeiliche Ermittlungen ihn davon abgebracht hätten, weiterhin Unterricht zu geben. Vielmehr sei bedenklich, dass er trotz der Ermittlungen bei der Ausbildung seines Neffen in Erscheinung getreten sei. Weiter habe der Antragsteller seinen Fahrschülern und den Behörden gegenüber unwahre Angaben gemacht bzw. Tatsachen verschwiegen sowie Schüler immer wieder hingehalten und sie so im zeitlichen Ablauf des Führerscheinerwerbs beeinträchtigt. Ihm sei insbesondere vorzuwerfen, dass er in dem Bewusstsein, dass die von ihm ausgestellten Ausbildungsnachweise ggf. nicht anerkannt würden, Unterricht erteilt habe. Besonders gravierend sei, dass er jedenfalls in einem Fall einen Fahrschüler dazu angehalten habe, rückdatierte Rechnungen und Nachweise zur Erlangung der Fahrerlaubnis zu verwenden. Beim Umgang mit jungen Menschen sei es angesichts der Vorbildfunktion des Lehrers besonders wichtig, Rechtstreue, Ehrlichkeit und Integrität an diese weiterzugeben. In einer Gesamtschau sei zu befürchten, dass der Antragsteller auch künftig kein gutes Vorbild für seine Fahrschüler sein könne. Er habe außerdem deren Vermögensinteressen zumindest gefährdet und das in ihn gesetzte Vertrauen gröblich verletzt. Dem Antragsteller fehle es nach Aktenlage offenbar an Einsehen bezüglich eigenen Fehlverhaltens, wenn er die Verantwortlichkeit für die Vorgänge der Vergangenheit bei anderen Akteuren wie seinem früheren steuerlichen Berater, dem Finanzamt oder dem zuständigen Sachbearbeiter des Landratsamts sehe. Auch wenn der sofort vollziehbare Widerruf der Fahrlehrerlaubnis für ihn in seinem vorgerückten Lebensalter existenzbedrohend sei, würden die Gründe des öffentlichen Interesses am Ausschluss von der Tätigkeit als Fahrlehrer sein privates Aussetzungsinteresse überwiegen. Sein Verhalten zeige, dass er nicht bereit oder in der Lage sei, sich an die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben zu halten. Er habe eine beachtliche charakterliche Fehlhaltung gezeigt, die ihn als für den Fahrlehrerberuf unzuverlässig erscheinen lasse. Dem Widerruf könne nicht entgegengehalten werden, dass er nicht strafrechtlich verurteilt sei. Sofern strafgerichtlich nicht festgestellte Rechtsverstöße zur Überzeugung des Gerichts feststünden, könnten diese herangezogen werden. Das Gericht dürfe sich aus den Akten selbst eine Überzeugung bilden. Eine dem § 3 Abs. 4 StVG vergleichbare Vorschrift gebe es im Fahrlehrergesetz nicht. Hierin liege auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, die nur im Bereich des Straf-, Ordnungswidrigkeiten- oder des Disziplinarrechts gelte. Darüber hinaus falle auch eine von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängige Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lasse Art. 12 Abs. 1 GG einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter zu. Mit der sofort vollziehbaren Anordnung werde sichergestellt, dass es zu keiner Gefährdung Dritter durch die weitere Tätigkeit des Antragstellers als Fahrlehrer komme. Es möge zwar zu seinen Gunsten sprechen, dass er als angestellter Fahrlehrer viele der Verstöße nicht wiederholen könne. Insbesondere vor dem Hintergrund der Ausbildung seines Neffen könnten weitere Verstöße gegen das Fahrlehrergesetz oder hierauf beruhende Vorschriften jedoch nicht ausgeschlossen werden. Nachdem er sogar nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als Fahrlehrer tätig geworden sei, könne eine Wiederholung nicht ausgeschlossen werden. Im Ergebnis sei nicht auszuschließen, dass er weiter die Vermögensinteressen Dritter beeinträchtigen könnte und einen negativen Einfluss auf junge Menschen haben werde. Auch ein Fahrschulinhaber, der den Antragsteller anstelle, könne ihn nicht umfassend kontrollieren. Ferner rechtfertige das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im Straßenverkehr den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis. In mindestens sechs Fällen habe der Antragsteller die praktische Ausbildung der Schüler für die Mofaprüfbescheinigung nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Auch ein Einfluss einer nachlässigen Einstellung zur Rechtsordnung, die Schülern ggf. vermittelt werde, sei geeignet, Gefahren im Straßenverkehr zu begründen. Es sei ihm daher vorübergehend zuzumuten, den ihm auferlegten Anordnungen nachzukommen, auch wenn sich im Klageverfahren entgegen der aktuellen Bewertung seine Zuverlässigkeit herausstellen sollte.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller die materielle Rechtswidrigkeit der Vollzugsanordnung geltend. Das Verwaltungsgericht habe sein Aussetzungsinteresse nicht hinreichend berücksichtigt. Sofern der Antragsteller die praktischen Doppelstunden mit Fahrschülern für die Mofaprüfbescheinigung in mindestens sechs Fällen nicht durchgeführt haben solle, könne dies ohne Beweisaufnahme nicht als gravierender Verstoß gewertet werden. Zu seinen Gunsten sei auch zu berücksichtigen, dass er die Fahrschüler theoretisch und praktisch im Wesentlichen gewissenhaft und ordnungsgemäß ausgebildet habe. Hinsichtlich des Vorwurfs, gegen § 1 Abs. 4 Satz 1 FahrlG verstoßen zu haben, sei einschränkend zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bis zum 28. Februar 2019 der Auffassung gewesen sei, Unterricht erteilen zu dürfen, weil er noch im Besitz der Fahrschulerlaubnis gewesen sei. Er habe zwar auch ab Mai 2019 bis etwa Anfang Juli 2019 weiter Unterricht erteilt. Die Ausbildung seines Neffen könne dem Antragsteller jedoch nicht als schuldhafter Verstoß gegen seine Pflichten als Fahrlehrer angelastet werden, da sie in Absprache mit dem Inhaber einer anderen Fahrschule bzw. im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses mit diesem erfolgt sei. Es gebe keinen Grund, dem Inhaber der Fahrschule, der von dieser Absprache nun nichts mehr wissen wolle, ohne Beweisaufnahme mehr Glauben zu schenken als dem Antragsteller. Immerhin habe jener den Neffen des Antragstellers als Fahrschüler übernommen und die Prüfung absolvieren lassen, obwohl er gewusst habe, dass der Antragsteller über keine Fahrschulerlaubnis verfüge. An der Glaubhaftigkeit seiner Angaben bestünden insoweit erhebliche Zweifel. Gröbliche Verstöße gegen § 1 Abs. 4 Satz 1 FahrlG lägen nicht vor. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass der ab Mai 2019 erteilte Fahrunterricht zum Zeitpunkt des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis bereits zwei Jahre zurückgelegen habe. In dieser Zeit habe der Antragsteller keinen Verstoß mehr begangen. Die Ausbildung seines Neffen könne ihm nicht als solcher angelastet werden. Hätte das Landratsamt die von März bis Juli 2019 begangenen Verstöße gegen das Fahrlehrergesetz für die Unzuverlässigkeit begründend erachtet, hätte es bereits im Juli 2019 die Fahrlehrerlaubnis widerrufen müssen. Es habe im Juli 2020 aber die „Fahrlehrerlaubnis“ [gemeint wohl „Fahrerlaubnis“] für die Klassen C, CE, D und DE sogar verlängert. Mit dem Antrag auf Verlängerung der Fahrerlaubnis sei auch die Fahrlehrerlaubnis verlängert worden, weil seit der Änderung des Fahrlehrergesetzes im Jahr 2019 auch eine ärztliche Untersuchung gefordert werde, die der Antragsteller vorgelegt habe. Der Widerruf sei erst im Juli 2021 erfolgt, als das Landratsamt erfahren habe, dass der Antragsteller gemeinsam mit H. eine Fahrschulerlaubnis beantragen wolle. Somit sei die Ausbildung seines Neffen Auslöser für den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis gewesen. Mit dem Antrag auf Erteilung einer Fahrschulerlaubnis habe der Antragsteller gezeigt, dass er seine Tätigkeit künftig ordnungsgemäß als angestellter Fahrlehrer ausüben wolle. Leider habe sich der Inhaber der Fahrschule, bei dem der Neffe des Antragstellers die Prüfung absolviert habe, nicht an seine Beschäftigungszusage gehalten. Im Hinblick darauf, dass der Widerruf der Fahrlehrerlaubnis sich für den Antragsteller auch in Anbetracht seines Alters als existenzvernichtend darstelle, überwiege sein privates Interesse am Erhalt der Fahrlehrerlaubnis das Vollzugsinteresse. Der Antragsteller wisse, dass er seine Tätigkeit als Fahrlehrer künftig nur im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausüben könne. Es sei nicht mehr zu befürchten, dass Unterricht außerhalb des Rahmens einer bestehenden Fahrschulerlaubnis erteilt werde. Ferner habe das Verwaltungsgericht aufgrund einer Gesamtbetrachtung zu Unrecht eine negative Zukunftsprognose erstellt und eine beachtliche charakterliche Fehlhaltung festgestellt, dabei jedoch die zeitliche Dimension außer Acht gelassen. Es habe zwar die schwierige Situation zugestanden, in der sich der Antragsteller seit dem Jahr 2019 befinde, und anerkannt, dass er damals gehofft habe, zeitnah wieder eine Fahrschulerlaubnis zu erhalten. Deshalb habe er seine Tätigkeit Ende Februar 2019 nicht abrupt eingestellt. Das Gericht habe aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Fehlverhalten von Februar bis Anfang Juli 2019 bereits zwei Jahre zurückgelegen und der Antragsteller keine weiteren Verstöße begangen habe, sondern sich im Jahr 2020 um ein Beschäftigungsverhältnis bemüht und insoweit auch mit einem Fahrschulinhaber abgesprochen habe, dass er im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses seinen Neffen ausbilden könne. Den von Februar bis Anfang Juli 2019 unterrichteten Fahrschülern sei kein größerer materieller Schaden entstanden, da sie in erster Linie die Unterrichtsmaterialien bezahlt hätten, die sie im Rahmen ihrer weiteren Ausbildung hätten weiterverwenden können. Die Bemühungen zur Gründung einer Fahrschul GmbH zeigten, dass der Antragsteller seine Fahrlehrertätigkeit nur noch im Rahmen einer Fahrschule habe ausüben wollen. Aus diesen Gründen vermindere sich das Gewicht seines Fehlverhaltens im Jahr 2019 ganz erheblich. In den Jahren 2020 und 2021 habe er gezeigt, dass er aus seinem Fehlverhalten gelernt habe, und alles Erforderliche getan, um seine Tätigkeit als Fahrlehrer wieder ordnungsgemäß ausüben zu können. Er habe auch seine Steuerverbindlichkeiten beim Finanzamt im Jahr 2020 vollständig beglichen. Dem Antragsteller mangele es auch nicht an Einsehen in das eigene Fehlverhalten, auch wenn er das seines Erachtens vorhandene Fehlverhalten seines früheren steuerlichen Beraters, des Finanzamts sowie des zuständigen Sachbearbeiters des Landratsamts zur Sprache gebracht habe. In Anbetracht der Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz und der aufgrund des Alters fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten überwiege sein Aussetzungsinteresse. Auch eine vom Erfolg der Klage unabhängige Interessenabwägung falle zu seinen Gunsten aus. Die Voraussetzungen für eine Präventivmaßnahme vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens, die nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nur ausnahmsweise vorlägen, seien entgegen der Auffassung des Gerichts nicht erfüllt. Zugunsten des Antragstellers spreche, dass er als angestellter Fahrlehrer viele der Verstöße nicht wiederholen könne. Soweit das Gericht eine Wiederholungsgefahr aus der Ausbildung seines Neffen herleite, handle sich hierbei um einen Sonderfall, weil die Ausbildung nach Absprache mit dem Fahrschulinhaber im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses habe erfolgen sollen. Die sofortige Vollziehung sei auch nicht erforderlich, um sicherzustellen, dass es zu keiner Gefährdung Dritter durch die weitere Fahrlehrertätigkeit komme. Der Antragsteller habe seinen Unterricht ordnungsgemäß erteilt und hierdurch weder seine Schüler noch Dritte gefährdet oder geschädigt. Nachdem alle ihm vorgeworfenen Verstöße darauf beruhten, dass er nicht im Besitz einer Fahrschulerlaubnis gewesen sei, sei nicht ersichtlich, inwieweit Dritte durch die künftige Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gefährdet bzw. überwiegende öffentliche Belange des Gemeinwohls hierdurch beeinträchtigt werden könnten. Bei der sofort vollziehbaren Anordnung handle es sich somit nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme, die im Interesse des allgemeinen Wohls geboten wäre. Aufgrund der mit dem Widerruf einhergehenden wirtschaftlichen Existenzvernichtung sei es dem Antragsteller vor einer Hauptsacheentscheidung aufgrund einer Beweisaufnahme nicht zuzumuten, seinen Fahrlehrerschein herauszugeben. Sollte sich im Klageverfahren seine Zuverlässigkeit herausstellen, wäre der für ihn entstandene wirtschaftliche Schaden ungleich höher zu bewerten, als die Gefahr der Beeinträchtigung öffentlicher Belange.
Mit Schreiben vom 2. Februar 2022 legte der Antragsteller eine Fahrschulerlaubnis vor, die das Landratsamt dem Dritten A.H. am 10. Januar 2022 für eine unter dem Namen des Antragstellers firmierende Gesellschaft mit beschränkter Haftung erteilt hatte, und erklärte dazu, Geschäftsführer seien er und seine Ehefrau. Sie seien auch zu 51% bzw. 49% Gesellschafter der GmbH. Für den Antragsteller als Geschäftsführer würden grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen verlangt wie für den verantwortlichen Leiter oder Inhaber der Fahrschule. Dies bedeute, dass der Antragsteller ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis benötigt habe, die steuerliche Zuverlässigkeit für die GmbH und sich selbst habe nachweisen müssen und darüber hinaus keine sonstigen der Erlaubniserteilung entgegenstehenden Umstände hätten bekannt sein dürfen. Offenbar sei das Landratsamt davon ausgegangen, dass er die Voraussetzungen erfülle und die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Daher sei nicht nachvollziehbar, dass es ihm die Fahrlehrerlaubnis entziehen wolle. Ohne diese Erlaubnis könne der Antragsteller auch nicht in der Fahrschule als Fahrlehrer tätig werden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass der angefochtene Beschluss zu ändern ist.
Da die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis den Maßstäben nicht gerecht wird, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung an einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gestellt hat, der faktisch ein vorläufiges Berufsverbot bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren bewirkt, kann der Senat offenlassen, ob die Voraussetzungen für den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen (Fahrlehrergesetz – FahrlG) vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2162), berichtigt durch Mitteilung vom 15. November 2017 (BGBl I S. 3784) und im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung geändert durch Gesetz vom 15. August 2019 (BGBl I S. 1307), i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FahrlG (Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Fahrlehrer) gegeben sind.
Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, B.v. 2.3.1977 – 1 BvR 124/76 – BVerfGE 44, 105 = juris Rn. 29 ff.; B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 -NJW 1991, 1530 = juris Rn. 12; B.v. 12.3.2004 – 1 BvR 540/04 – NVwZ-RR 2004, 545 = juris Rn. 13 f.; B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 – BVerfGK 2, 89 = juris Rn. 14 ff.; B.v. 28.8.2007 – 1 BvR 2157/07 – DVBl 2008, 336 = juris Rn. 26 f.; B.v. 19.12.2007 – 1 BvR 2157/07 – NJW 2008, 1369 = juris Rn. 20 ff.; B.v. 8.4.2010 – 1 BvR 2709/09 – NJW 2010, 2268 = juris Rn. 12; B.v. 8.11.2010 – 1 BvR 722/10 – BVerfGK 18, 180 = juris Rn. 11 ff.; B.v. 24.8.2011 – 1 BvR 1611/11 – NVwZ 2012, 104 = juris Rn. 13 ff.; B.v. 2.7.2020 – 1 BvR 1627/19 – juris Rn. 19 ff. zu § 132a StPO) genügt für eine Anordnung des Sofortvollzugs nicht schon die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum gleichen Ergebnis führen wird. Auch die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts begründet per se noch nicht das besondere Dringlichkeitsinteresse, das den sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts rechtfertigt (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 80 Rn. 387; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 157). Vielmehr müssen Gründe vorliegen, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschließen (BVerfG, B.v. 4.3.1997 – 1 BvR 327/97 – Pharma Recht 1997, 298 = juris Rn. 10; B.v. 24.10.2003 a.a.O. Rn. 15; B.v. 8.11.2010 a.a.O. Rn. 13). Gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot setzt eine Vollzugsanordnung, die de facto ein vorläufiges Berufsverbot bewirkt, die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände getroffene zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2003 a.a.O. Rn. 16; B.v. 8.11.2010 a.a.O. Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.5.2011 – 11 CS 11.982 – juris Rn. 27; B.v. 19.10.2021 – 11 CS 21.1967 – BeckRS 2021, 33551 Rn. 21 und BVerwG, U.v. 10.9.2020 – 3 C 13.19 – BVerwGE 169, 245 = juris Rn. 20 ff. zum vorläufigen Ruhen der ärztlichen Approbation). Dabei ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, dass einem Rechtsbehelf gegen den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 1 VwGO). Wenn schon der Verfahrensdruck zu einer Verhaltensänderung jedenfalls für die Dauer des Hauptsacheverfahrens führt, ist ein Sofortvollzug nicht erforderlich und muss unterbleiben (BVerfG, B.v. 28.8.2007 a.a.O. Rn. 27; B.v. 19.12.2007 a.a.O. Rn. 26).
Im Rahmen seiner am Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache orientierten Interessenabwägung ist das Verwaltungsgericht zwar zutreffend davon ausgegangen, dass wegen des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG besondere Maßstäbe an die Entscheidung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anzulegen sind. Es hat dann aber die Entscheidung auf die angenommene Rechtmäßigkeit des Widerrufs gestützt, ohne festzustellen, welches wichtige Gemeinschaftsgut durch die Tätigkeit des Antragstellers als Fahrlehrer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bzw. dem in § 80b VwGO bezeichneten Zeitpunkt konkret gefährdet wird. Im Einzelnen wurde offengelassen, ob bereits die sechs Verstöße gegen die Pflicht zur praktischen Ausbildung der Mofaprüflinge ausreichten, um die Annahme fehlender Zuverlässigkeit als Fahrlehrer zu rechtfertigen, da dies jedenfalls wegen der Verstöße gegen das Gebot, nur im Rahmen einer Fahrschulerlaubnis oder eines Beschäftigungsverhältnisses tätig zu werden, der Fall sei. Darüber hinaus ergebe sich die tätigkeitsbezogene Unzuverlässigkeit daraus, dass der Antragsteller seiner Vorbildfunktion nicht gerecht worden sei. Die hier erforderliche gesonderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit, in deren Rahmen die voraussichtlich irreparablen beruflichen Folgen der sofortigen Vollziehung des Widerrufs mit dem ihnen von Verfassungs wegen zukommenden Gewicht gegen das öffentliche Interesse abgewogen werden (vgl. BVerfG, B.v. 8.11.2010 a.a.O. Rn. 13 ff.; B.v. 24.10.2003 a.a.O. Rn. 16 f.; BVerwG, U.v. 10.9.2020 a.a.O. Rn. 20 f.), hat das Verwaltungsgericht an dieser Stelle nicht vorgenommen, sondern erst im Rahmen seiner offenbar hilfsweisen („Darüber hinaus …“) erfolgsunabhängigen Interessenabwägung.
Hier hat das Verwaltungsgericht eine existenzbedrohende Wirkung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs anerkannt, den Sofortvollzug aber für erforderlich erachtet, um sicherzustellen, dass es zu keiner Gefährdung Dritter komme. Dabei hat es durchaus gesehen, dass der Antragsteller die Rechtsverstöße, die maßgeblich zur Annahme seiner beruflichen Unzuverlässigkeit geführt haben, im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht wiederholen kann. Wenn sodann die Anordnung des Sofortvollzugs damit gerechtfertigt wird, dass eine weitere Beeinträchtigung der Vermögensinteressen Dritter und ein negativer Einfluss auf junge Menschen nicht auszuschließen seien, läuft das in Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben letztlich darauf hinaus, dass für den Sofortvollzug die Unzuverlässigkeit als Fahrlehrer und eine daraus abgeleitete abstrakte Gefahr ausreichen sollen. Es wurde in diesem Zusammenhang nicht erwogen, dass sich die Lehrtätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses unter anderen Bedingungen abspielt, der Antragsteller insbesondere seine Lehrtätigkeit nicht mehr wie in der Zeit nach dem Widerruf der Fahrschulerlaubnis verbergen muss, und der Inhaber der Fahrschule zu gewährleisten hat, dass die Fahrschüler den für die Prüfungen erforderlichen Unterricht auch tatsächlich erhalten. Auch wurde nicht in Betracht gezogen, dass der Druck des anhängigen Verfahrens für die Dauer des Hauptsacheverfahrens ausreichen könnte, den Antragsteller zur Einhaltung der Vorschriften des Fahrlehrergesetzes zu veranlassen. Eine konkrete Gefahr für Gemeinschaftsgüter während der Dauer des Hauptsacheverfahrens ist damit nicht nachvollziehbar begründet.
Ferner ist auch die Abwägung der gegenläufigen Interessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unzureichend. Das Bundesverfassungsgericht hat die mögliche Gefährdung von Vermögensinteressen im Allgemeinen nicht für ausreichend gewichtig erachtet, um ein vorläufiges faktisches Berufsverbot zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2003, B.v. 8.11.2010 und B.v. 2.7.2020 jeweils a.a.O.). Hierfür genügt auch nicht jede Gefährdung höherrangiger Rechtsgüter (vgl. BVerfG, B.v. 28.8.2007, B.v. 19.12.2007 und B.v. 8.4.2010 jeweils a.a.O. betreffend Gesundheitsgefährdungen), die das Verwaltungsgericht hier darin gesehen hat, dass durch Unterlassen einer vorgeschriebenen Unterrichtung der Straßenverkehr gefährdet werden könnte. Diese Gefahr erscheint aus den genannten Gründen jedoch nicht besonders dringend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 54.3.3 analog des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 30.5.2011 – 11 CS 11.982 – juris Rn. 35).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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