Verwaltungsrecht

Widerruf des Flüchtlingsschutzes und der Feststellung von Abschiebungshindernissen bei sudanesischem Staatsangehörigen nach langjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik wegen Verdachts einer verfassungsfeindlichen Betätigung

Aktenzeichen  AN 2 K 15.30234

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AuslG aF AuslG aF § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 4
AsylG AsylG § 3, § 4, § 72 Abs. 1, § 73, § 73b, § 73c
AufenthG AufenthG § 28, § 60

 

Leitsatz

1 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylG zu widerrufen, wenn die Gefahr einer Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals bei einer Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland nicht mehr besteht, was voraussetzt, dass sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsland nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend geändert haben (BVerwG BeckRS 2011, 52920). Der für die insoweit anzustellende individuelle Verfolgungsprognose maßgebliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab (vgl. BVerwG BeckRS 2011, 52920). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Lösung von der Rechtskraftwirkung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung eines Asylbewerbers als Flüchtling bzw. zur Feststellung von Abschiebungsverboten verpflichtet, ist immer dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 45867). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Nach der aktuellen Erkenntnislage drohen einem sudanesischen Flüchtling infolge der geänderten politischen Verhältnisse aufgrund der Asylantragstellung im Ausland und seiner illegalen Ausreise im Rückkehrfalle in den Sudan derzeit und in absehbarer Zukunft nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Repressionen bzw. die Gefahr einer Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Aktuell rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass die islamistische Organisation Tablighi Jamaat (TJ) Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind (vgl. VGH München BeckRS 2013, 51521; OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2012, 54780). (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Aktuell besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass einem – unverfolgt aus dem Sudan ausgereisten – Flüchtling dort die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AsylG) oder Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG) droht. Ein sudanesischer Asylbewerber ist im Falle der Rückkehr in den Sudan als Angehöriger der Zivilbevölkerung auch nicht infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 29. Dezember 2014 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Weder ist der Widerruf der durch Bescheid des Bundesamtes vom 31. März 1995 getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG vorliegen (Ziffer 1 des Bescheidstenors), rechtlich zu beanstanden (nachfolgend I.). Noch begegnen die Feststellungen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenhG nicht vorliegen (Ziffern 2 bis 4 des Bescheidstenors), rechtlichen Bedenken (nachfolgend II.).
I.
Der Widerruf der durch Bescheid des Bundesamtes vom 31. März 1995 getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG vorliegen (Ziffer 1 des Bescheidstenors), hält einer gerichtlichen Prüfung stand.
1. Zunächst ist der Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. (entspricht heute § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 3 AsylG) in der Person des Klägers bezüglich des Sudans rechtlich nicht zu beanstanden. Abgesehen davon, dass die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erlöschen, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt, ist für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs in materieller Hinsicht § 73 AsylG in der Fassung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015 maßgeblich (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2011 – 10 C 29/10; BayVGH, U. v. 16.5.2013 – 9 B 12.30382).
Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerwG, U. v. 1.11.2005 – 1 C 21/04 m.w.N), da das Asylgrundrecht seinem Träger, anders als die Menschenrechte, keinen unveränderbaren Status verleiht. Vielmehr ist sein Bestand von der Fortdauer der das Asylrecht begründenden Umstände abhängig (vgl. BVerfG, B. v. 2.7.1980 – 1 BvR 147/80, 1 BvR 181/80, 1 BvR 182/80).
Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Ein Widerruf ist demnach zu verfügen, wenn die Gefahr einer Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals bei einer Rückkehr des Klägers in sein Herkunftsland nicht mehr besteht. Die asylrelevante Verfolgungsgefahr muss objektiv entfallen sein, d. h. die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsland müssen sich nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend geändert haben (BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10; BayVGH, U. v. 27.4.2012 – 9 B 12.30158). Dies setzt eine individuelle Verfolgungsprognose voraus. Der insoweit anzuwendende Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab (vgl. BVerwG, U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10).
Die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Januar 1995 steht der Widerrufsentscheidung nicht entgegen. Eine Lösung von der Rechtskraftwirkung eines Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung als Flüchtling bzw. zur Feststellung von Abschiebungsverboten verpflichtet, ist immer dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (vgl. BVerwG vom 22.10.2011 – 10 C 29/10 m. w. N.). Damit entsprechen die Voraussetzungen für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung weitgehend denen, die für den Widerruf einer Anerkennungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylG gelten.
Unter Anwendung vorstehender Grundsätze erweist sich der Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (a. F.) in der Person des Klägers bezüglich des Sudans als rechtmäßig, da die dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Januar 1995 sowie dem Bescheid des Bundesamtes vom 31. März 1995 zugrunde liegenden Umstände, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten, dauerhaft entfallen sind.
Die Anerkennung des Klägers erfolgte im Wesentlichen mit der Begründung, dem Kläger drohe wegen der Asylantragstellung in Deutschland bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung, Folter und unmenschlicher Behandlung. Nach der aktuellen Erkenntnislage drohen dem Kläger jedoch infolge der geänderten politischen Verhältnisse aufgrund der Asylantragstellung im Ausland und seiner illegalen Ausreise im Rückkehrfalle in den Sudan derzeit und in absehbarer Zukunft nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Repressionen bzw. die Gefahr einer Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Juli 2015), S. 16; Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Januar 2014), S. 17). Eine solche Gefahr wurde seitens des Klägers auch nicht geltend gemacht.
Der Kläger hat des Weiteren nach Überzeugung des Gerichts auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals. Zwar ist die allgemeine Sicherheitslage auch nach Beendigung des über zwanzig Jahre dauernden Bürgerkriegs zwischen dem Norden und dem Süden des Landes im Jahr 2005 nach wie vor instabil (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Juli 2015); Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Januar 2014)). Dass sich aber Gewalt- oder Verfolgungshandlungen gezielt gegen den Kläger wegen eines asylrelevanten Merkmals richten könnten, steht nicht zu befürchten, da er – soweit ersichtlich – keiner der durch Angriffe der nordsudanesischen Armee und deren verbündeten Milizen besonders gefährdeten Ethnien der Fur, Massalit und Zaghawa angehört. Eine politische Verfolgung des Klägers ist auch nicht daraus abzuleiten, dass er während seiner Zeit im Sudan Mitglied der Schülerorganisation „…“ war. Da der bloßen Behauptung einer Mitgliedschaft keine herausgehobene, nach außen erkennbare politische Betätigung entnommen werden kann und zudem das Engagement des Klägers bereits viele Jahre zurück liegt, konnte der Kläger ein nachhaltiges politisches Verfolgungsinteresse staatlicher Organe nicht nachvollziehbar darlegen. Unabhängig davon ist zwischenzeitlich aufgrund der Auskunftslage von einer Entspannung der Situation im Sudan für oppositionell Tätige auszugehen (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Juli 2015), S. 8, 11).
Die Entscheidung des Bundesamtes, die aufgrund eines früher eingeleiteten Widerrufsverfahrens gemäß § 73 Abs. 2a Satz 5 AsylG zu einer Ermessensentscheidung herabgestuft ist, begegnet auch auf der Rechtsfolgenseite keinen rechtlichen Bedenken, da alle relevanten Umstände des Falles umfassend berücksichtigt wurden. Dass dabei dem öffentlichen Interesse an einem Widerruf der nicht mehr gerechtfertigten Asylberechtigung Vorrang gegenüber den privaten Interessen des Klägers an der Beibehaltung der anerkennenden Entscheidung Vorrang eingeräumt wurde, ist insbesondere aufgrund nachfolgender Erwägungen rechtlich nicht zu beanstanden:
Zu dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass die islamistische Organisation Tablighi Jamaat (TJ) Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind; Das Gericht befindet sich insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. BayVGH, U. v. 24.4.2013 – 5 BV 11.3036; OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 7.6.2012 – OVG 5 B 5.10). Dass sich die TJ selbst nicht als politische Vereinigung, sondern als islamisch religiöse Gemeinschaft versteht, ändert nichts daran, dass sie jedenfalls als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses auch weitergehende politische, verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Gemäß dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2012 stützt sich die Missionierungsbewegung der TJ bis heute auf Schriften aus ihrer Gründerzeit, die fordern, dass alle Regeln der Scharia unverändert praktiziert werden müssen. Als unfehlbarer Kanon soll ausschließlich die Scharia das gesamte religiöse, politische, soziale und individuelle Leben sowohl der Muslime als auch das der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen regeln. „Menschengemachtes“ Recht, und damit auch Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheitsgrundsatz sowie der Schutz von Individual- und Minderheitenrechten, wird von dieser Ideologie und der auf ihr basierenden Staatsvorstellung abgelehnt. Ausweislich des Verfassungsschutzberichts des Bayerischen Staatsministeriums des Innern 2014 vertreten TJ-Anhänger unter anderem die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der Frau. Zudem weist der Verfassungsschutzbericht des Bundes 2013 auf Anhaltspunkte dafür hin, dass die TJ „jihadistischen“ Organisationen und Netzwerken als Rekrutierungspool dient. Neuere Entwicklungen, die diese Feststellungen des Gerichts in Zweifel ziehen könnten, sind ausweislich der aktuellen Verfassungsschutzberichte des Bundes und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern nicht ersichtlich.
Es liegen zudem tatsächliche Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der TJ unterstützt. In seiner Anhörung im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens am 7. August 2013 hat der Kläger eingeräumt, im Sommer 2002 Missionaren der TJ Unterkunft gewährt und ihnen die Adressen von Muslimen mitgeteilt zu haben, die diese dann in ihrem Sinn beeinflussen konnten. Der Kläger ist zudem Gründungsmitglied, ehemaliger Vorsitzender sowie derzeit weiterhin beitragszahlendes Mitglied des Islamischen Vereins … e.V. und besucht die …-Moschee, deren Träger der Verein ist, nach eigenen Angaben nach wie vor regelmäßig zweimal wöchentlich. Gemäß den Verfassungsschutzberichten des Bayerischen Staatsministeriums des Innern 2012 sowie 2014 ist die …-Moschee in … Anlaufstelle für Salafisten und Plattform für salafistische Vortragsveranstaltungen in Bayern. Diese Erkenntnisse decken sich mit der Einlassung des Klägers im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens, wonach die salafistischen Prediger Abu Hussein aus Leipzig und Abu Adam aus München häufig am Wochenende die …-Moschee besuchen, um vorzubeten. In diesem Zusammenhang erachtet es das Gericht als unglaubwürdig, wenn der Kläger vorgibt, sich nicht für die politische Ausrichtung des Vereins zu interessieren. Als Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender hatte er zweifelsfrei wesentlichen Einfluss, den er jedoch nicht erkennbar eingesetzt hat, um sich gegen die salafistische Orientierung des Vereins zu engagieren. Jedenfalls hatte der Kläger umfassenden Einblick in die Aktivitäten des Vereins und muss sich daher dessen salafistische Ausrichtung zurechnen lassen. Der Kläger hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der Bestrebungen der TJ abgewandt hat. Auch angesichts seiner Angaben im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens erscheint es nicht wahrscheinlich, dass der Kläger seine innere Einstellung verändert hat und künftig eine Unterstützung von sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Aus im Rahmen seiner Anhörung am 7. August 2013 getroffenen Äußerungen zu seinem Verständnis des Islam und dessen Verhältnis zum (deutschen) Recht ergibt sich, dass der Kläger die salafistischen und islamistischen Auffassungen verinnerlicht hat und diesen insgesamt unkritisch gegenübersteht. Seine Antworten zu Körperstrafen und Mordaufruf sowie ausweichende Antworten zum Verhältnis der Scharia zu deutschen Gesetzen lassen auf erhebliche Zweifel an einer Respektierung der demokratischen Grundordnung schließen. Durch sein Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung ohne Angabe triftiger Gründe hat der Kläger letztlich die Gelegenheit versäumt, das Gericht von seiner veränderten Einstellung persönlich zu überzeugen und damit auch bewusst in Kauf genommen, dass die dargestellten Zweifel an seiner Grundhaltung zur deutschen Verfassung fortbestehen.
Die persönlichen Belange des Klägers an einer Beibehaltung der anerkennenden Flüchtlingseigenschaft, insbesondere seinen langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik, seine Erwerbstätigkeit sowie die besonders zu berücksichtigende soziale bzw. familiäre Bindung des Klägers, hat das Bundesamt ausreichend gewürdigt und zu Recht als hinter das öffentliche Interesse an einem Widerruf zurücktretend eingestuft.
2. Der im Bescheid des Bundesamtes vom 29. Dezember 2014 erfolgte Widerruf (auch) der Feststellung zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG a. F. (entspricht heute im Wesentlichen § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG) ist – gestützt auf § 73b AsylG bzw. § 73c AsylG – ebenfalls rechtmäßig.
Die Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 AuslG (a. F.) vorliegt, ist gemäß § 73b AsylG zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des Abschiebungshindernisses geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Die Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG (a. F.) ist gemäß § 73c AsylG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Dies ist vorliegend der Fall.
Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem – unverfolgt aus dem Sudan ausgereisten – Kläger dort die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG) oder Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) droht. Der Kläger ist im Falle der Rückkehr in den Sudan als Angehöriger der Zivilbevölkerung auch nicht infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung dauert zwar nach der Auskunftslage der 2003 ausgebrochene bewaffnete Konflikt in den fünf Provinzen der westsudanesischen Region Darfur, wenngleich mit verminderter Intensität, noch immer an. Darüber hinaus haben Stammesfehden 2013 zu neuen Gewalt- und Flüchtlingswellen geführt und sind im Jahr 2011 noch immer andauernde Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und dem bewaffneten Arm der SPLM-Nord, der SPLA in Südkordofan ausgebrochen. Im selben Jahr haben sich die Kämpfe zwischen SAF und SPLA (Nord) in Südkordofan auf den Bundesstaat Blauer Nil ausgeweitet. Außerdem finden regional begrenzte Kampfhandlungen im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan statt (vgl. zu allem zuletzt Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Juli 2015)). Durch diese Konflikte droht dem Kläger jedoch keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben, da sie regional begrenzt sind und der Kläger aufgrund seiner fehlenden Verwurzelung infolge des langjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit hat, die genannten, örtlich begrenzten Konfliktgebiete zu meiden.
II.
Zutreffend hat das Bundesamt ferner festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffern 2 bis 4 des Bescheidstenors).
1. Die in Ziffer 2 des Bundesamtsbescheides vom 29. Dezember 2014 enthaltene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (i. V. m. § 3 AsylG) nicht vorliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Feststellung hat ohnehin keinen selbstständigen Regelungscharakter, denn das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 3 AsylG ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des in Ziffer 1 des Bescheides ausgesprochenen Widerrufs und bereits in diesem Zusammenhang zu prüfen (vgl. OVG NRW, U. v. 26.3.2013 – 9 A 670/08.A).
2. Aus eben genanntem Grund kann sich der Kläger auch nicht auf ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG berufen.
3. Für den Kläger greift schließlich kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insbesondere sind in der Person des Klägers keine besonderen Umstände vorgetragen oder sonst aus den Akten ersichtlich, die diesen als besonders schutzwürdig erscheinen lassen. Zwar ist die medizinische Versorgung im Sudan außerhalb der Hauptstadt Khartum allenfalls auf einem geringen Niveau gewährleistet (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan (Stand: Juli 2015), S. 16). Jedoch hat der Kläger nicht geltend gemacht, an einer schweren, im Sudan nicht adäquat behandelbaren Erkrankung zu leiden, die sich im Falle der Rückkehr in sein Heimatland alsbald lebensbedrohlich verschlechtern würde.
III.
Nach alledem war die Klage mit der auf § 154 Abs. 1 VwGO beruhenden Kostenfolge abzuweisen. Gemäß § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.


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