Verwaltungsrecht

Widerruf einer Beschäftigungserlaubnis für geduldeten Ausländer

Aktenzeichen  M 24 S 20.6224

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12498
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4a Abs. 4, § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2
BeschV § 32
BayVwVfG Art. 49

 

Leitsatz

Eine auf Grundlage von § 4a Abs. 4 AufenthG iVm § 32 BeschV erteilte Beschäftigungserlaubnis kann widerrufen werden, wenn zumutbare Anstrengungen zur Erlangung eines Passes trotz entsprechender Aufforderung durch die Ausländerbehörde nicht unternommen werden und nunmehr die Aufenthaltsbeendigung nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG aus Gründen, die der Antragsteller zu vertreten hat, unmöglich ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Klage und ihrem Antrag gegen den Widerruf ihrer Beschäftigungserlaubnis.
1. Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehöriger, geboren am … … … Sie reiste am 16. April 2018 von Frankreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. Mai 2018 einen Asylantrag. Am 8. Juni 2018 erklärten die französischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Antragstellerin. Daraufhin lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag mit Bescheid vom 20. Juli 2018 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Bl. 34 der vorgelegten Behördenakte – BA). Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde vom Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 13. August 2018 unanfechtbar abgelehnt (Bl. 66 BA). Nachdem eine Überstellung nach Frankreich bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht erfolgte, wurde das Asylverfahren der Antragstellerin in das nationale Verfahren übernommen (Bl. 80 BA). Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 11. April 2019 wurde das ursprüngliche Gerichtsverfahren nach Aufhebung des ablehnenden Bescheids des BAMF eingestellt (Bl. 98, 106 BA). Da die Antragstellerin bereits in Frankreich erfolglos ein Asylverfahren betrieben hatte, wertete das BAMF den Asylantrag als Zweitantrag nach § 71a Asylgesetz (AsylG). Der Aufenthalt der Antragstellerin galt danach zunächst gemäß § 71a Abs. 3 AsylG als geduldet (Bl. 99 BA). Die Aufenthaltsgestattung wurde eingezogen. Der Asylantrag wurde mit weiterem Bescheid des BAMF vom 24. Juli 2019 als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verlassen. Anderenfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria oder einen anderen Staat, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Blatt 115, 144 BA). Das Verwaltungsgericht lehnte einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 20. Mai 2020 unanfechtbar ab (Bl. 157 BA). Seit dem 4. Juni 2020 ist die Abschiebungsandrohung vollziehbar (Blatt 170 BA). Das Klageverfahren in der Hauptsache ist noch anhängig.
Die Antragstellerin wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … März 2019, rechtskräftig seit 11. Mai 2019, wegen zwei tateinheitlichen Fällen der Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt (Bl. 107 BA).
Seit dem … Oktober 2019 war die Antragstellerin in Besitz einer Beschäftigungserlaubnis als …hilfe, befristet bis zum 31. Dezember 2021 (Blatt 150 BA).
Mit Bescheid vom 5. Juni 2020 (Blatt 171 BA) forderte die Ausländerbehörde die Antragstellerin u.a. auf, bis zum 25. Juni 2020 einen gültigen Reisepass oder Passersatz, einen unterschriebenen Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren, einschließlich vier biometrische Lichtbilder, zumindest aber eine schriftliche Antragsbestätigung der nigerianischen Auslandsvertretung über die Einleitung eines Verfahrens zur Ausstellung eines Reisepasses oder Passersatzes bei der Ausländerbehörde vorzulegen. Für den Fall der Nichterfüllung bzw. nicht fristgerechten Erfüllung dieser Aufforderung wurde der Antragstellerin die Entziehung ihrer Beschäftigungserlaubnis angedroht. Auf den Bescheid und die Begründung wird Bezug genommen.
In einer Stellungnahme ihres Bevollmächtigten vom … Juni 2020 (Bl. 188 BA) teilte die Antragstellerin mit, dass eine freiwillige Ausreise nicht in Betracht käme, am Verfahren der Beschaffung eines Reisepasses werde sie selbstverständlich mitwirken. Daraufhin forderte die Ausländerbehörde die Antragstellerin am 3. Juli 2020 erneut auf, einen gültigen Reisepass und die Antragsformulare für das Passersatzbeschaffungsverfahren abzugeben (Bl. 191 BA). Nachdem die Antragstellerin vorgetragen hatte, dass die nigerianische Botschaft geschlossen und eine Reisepassbeschaffung daher nicht möglich sei (Bl. 193 BA), erklärte die Ausländerbehörde mit weiterem Schreiben vom 3. August 2020, dass die Passbeantragung online weiterhin möglich sei (Bl. 194 BA). Am … August 2020 teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit, dass gegen den als unzulässig abgewiesenen Asylzweitantrag Klage und Eilantrag eingereicht worden sei es bestehe somit keine Verpflichtung an der Mitwirkung bei der Beschaffung eines Reisepasses (Bl. 195 BA). Am gleichen Tag wurde beim Verwaltungsgericht München ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO gestellt, der mit Gerichtsbeschluss vom 4. Dezember 2020 unanfechtbar abgelehnt wurde (Bl. 233 BA).
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 hörte die Ausländerbehörde die Antragstellerin gemäß Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) zur beabsichtigten Entziehung der Beschäftigungserlaubnis an (Bl. 206 BA). Mit Schreiben vom … Oktober 2020 erklärte hierzu der Bevollmächtigte der Antragstellerin nochmal, dass das Asylverfahren noch nicht beendet sei und eine Untersagung der Erwerbstätigkeit daher ausscheide. Unterlagen im Hinblick auf das Passbeschaffungsverfahren oder Nachweise zur Beschaffung eines Reisepasses wurden nicht vorgelegt.
2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26. Oktober 2020 (Bl. 209 BA), der Antragstellerin zugestellt am 28. Oktober 2020 (Bl. 215 BA), widerrief die Ausländerbehörde des Landratsamts Berchtesgadener Land die Erlaubnis zu einer Beschäftigung als …hilfe vom 16. Juni 2020 (Nummer 1 des Bescheids). Weiter wurde angekündigt, dass die Genehmigung zur Aufnahme einer Beschäftigung frühestens dann wieder erteilt werde, wenn die Antragstellerin die wirksame Beantragung eines nigerianischen Reisepasses in der von den nigerianischen Behörden geforderten Form und die der Antragstellerin bereits überlassenen Unterlagen für die behördliche Passersatzbeschaffung einschließlich biometrischer Passbilder bei der Ausländerbehörde des Landkreises Berchtesgadener Land vorgelegt habe (Nummer 2 des Bescheids). Auf den gesetzlichen Sofortvollzug nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nummer 3 AufenthG wurde hingewiesen (Nummer 3 des Bescheids). Die Ausländerbehörde stützte den Widerruf in Nummer 1 des Bescheids auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 BayVwVfG. Auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids wird verwiesen.
3. Mit Schriftsatz vom … November 2020, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben (Az. M 24 K 20.6221). Zudem beantragt sie im vorliegenden Verfahren
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen.
und Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragstellerin befinde sich im Asylverfahren und verstoße nicht gegen Mitwirkungsverpflichtungen. Zur Beschaffung eines Reisepasses sei sie nicht verpflichtet, solange das Asylverfahren noch anhängig sei. Auf § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG werde verwiesen. Auch sei nicht erkennbar, dass seitens der Ausländerbehörde bereits eine Passersatzbeschaffung unternommen wurde und diese an einer fehlenden Mitwirkung der Antragstellerin gescheitert sei. Überdies sei die nigerianische Botschaft derzeit geschlossen und Vorsprachen zur Beantragung eines Reisepasses derzeit nicht möglich. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Klage- und Antragsschrift verwiesen.
Mit Schriftsätzen vom 18. Dezember 2020 erwiderte das Landratsamt Berchtesgadener Land, Ausländerbehörde, für den Antragsgegner. Der Antragsgegner beantragt
den Antrag abzulehnen.
Auf den Inhalt der Klage- und Antragserwiderung wird verwiesen.
Mit Beschluss der Kammer vom 7. Januar 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO).
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 24 K 20.6221, sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Zuständig für die Entscheidung ist nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 7. Januar 2021 vorliegend der Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO).
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO statthaft, denn die Klage der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde über den Widerruf ihrer Beschäftigungserlaubnis hat nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG keine aufschiebende Wirkung.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
2.2. Dies zu Grunde gelegt bleibt der Antrag vorliegend ohne Erfolg, weil sich der Widerruf der Beschäftigungserlaubnis im streitgegenständlichen Bescheid vom 26. Oktober 2020 als rechtmäßig erweist. Das Gericht verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Gerichtsbescheid in der Sache M 24 K 20.6221 vom heutigen Tage und sieht von weiteren Ausführungen ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 des Streitwertkatalogs.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114ff. ZPO war abzulehnen, weil das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht die erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten besitzt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Bleibt der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Erfolg, so war auch der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt … … abzulehnen (§ 121 ZPO).
Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei.


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