Verwaltungsrecht

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis nach Verurteilung wegen Sachbeschädigung

Aktenzeichen  M 7 K 15.2066

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 Nr. 1a, § 10 Abs. 1, § 45 Abs. 2, § 46 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist zwingend zu widerrufen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr gegeben sind, unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG dann, wenn die Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers im Sinne von § 5 WaffG entfallen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. (redaktioneller Leitsatz)
3. Wer eine Ziegelsteinplatte auf dem Kamin seiner Nachbarin platziert, um so eine von ihm empfundene Belästigung durch Rauch abzuwenden, was infolge des blockierten Rauchabzugs bei der Nachbarin zu überaus starker Rauch- und Rußentwicklung führt, und hierfür wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt wird, hat eine Verfehlung begangen, die weder in ihrer Begehungsweise noch bezüglich der Tatumstände einen Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG begründet. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Behörde darf bei der Anwendung der Regelvermutung nach § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 170480). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger über seinen Bevollmächtigten per Postzustellungsurkunde vom 19. März 2016 ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom … April 2015 war – bis auf die mit Bescheid vom … Juli 2015 zurückgenommene Zwangsgeldandrohung in Nummer 5a des Bescheids – im für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung (st. Rspr. des BVerwG, vgl. B. v. 21.12.2006 – 6 B 99/06 – juris Rn. 4) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat die Zwangsgeldandrohung zurückgenommen, da die Handlungspflichten des § 46 Absatz 2 Satz 1 WaffG nicht mit Hilfe des Verwaltungszwangs nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder durchgesetzt werden können, sondern die Behörde befugt ist, die Waffen durch hoheitlichen Zugriff sicherzustellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG, vgl. BVerwG, U. v. 30.4.1985 – 1 C 12/83 – juris Rn. 61 ff.). Da der Kläger auf die Änderung nicht reagiert hat, wird seine Klage dahingehend ausgelegt (§ 88 VwGO), dass er sich gegen den geänderten Bescheid – in der Fassung ohne die ursprünglich in Nummer 5a enthaltene Zwangsgeldandrohung – wendet.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG sind waffenrechtliche Erlaubnisse, wie hier die Waffenbesitzkarte (§ 10 Abs. 1 WaffG), zwingend zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist zu versagen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht (mehr) gegeben sind, unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG dann, wenn die Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers im Sinne von § 5 WaffG entfallen ist. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, wenn sie wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind und seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind.
Die Voraussetzungen der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG sind vorliegend erfüllt. Der Kläger wurde mit Urteil vom … Juli 2013, rechtskräftig seit 11. Juli 2013, wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Die abgeurteilte Tat stellt eine vorsätzliche Straftat im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG dar, seit dem Eintritt der Rechtskraft sind noch keine fünf Jahre verstrichen. Die Behörde darf bei der Anwendung des Regeltatbestandes grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen (BayVGH, B. v. 25.11.2008 – 21 CS 08.2753 – juris Rn. 6 m. w. N.; BVerwG, U. v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – juris Rn. 30). Etwas anderes gilt allenfalls in Sonderfällen, etwa wenn für die Behörde ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (st. Rspr. des BVerwG, B. v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 9 m. w. N.). Die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG ist nicht widerlegt. Nach den Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung kommt ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (BVerwG, B. v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5; BayVGH, B. v. 18.4.2011 – 21 CS 11.373 – juris Rn. 6). Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (BVerwG, B. v. 21. 7.2008, a. a. O.). Bei Verurteilungen bestimmt sich die Frage, wann die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit eingreift, vorrangig nach der Höhe der verhängten Strafe und nicht mehr nach der Art der begangenen Straftat, etwa danach, ob sie einen Waffenbezug hatte oder nicht (BT-Drs. 14/7758 S. 128; BVerwG, B. v. 21.7.2008, a. a. O. Rn. 5; BayVGH, B. v. 18. April 2011 – 21 CS 11.373 – juris Rn. 7). Das nach Sinn und Zweck des Waffengesetzes mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko soll möglichst gering gehalten werden und ist nur bei Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, dass sie mit der Waffe stets und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BayVGH, B. v. 10.10.2011 – 21 ZB 11.1703 – juris Rn. 9).
Der Verurteilung des Klägers liegt eine Verfehlung zugrunde, die weder in ihrer Begehungsweise noch bezüglich der Tatumstände einen Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG begründet. Aus den Tatumständen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger begangene Straftat aufgrund von Besonderheiten in einem besonders milden Licht erscheint. Die Tathandlung, nämlich Blockade eines Kamins durch einen Stein mit der Folge der Verrußung der Wohnräume der Nachbarin, um auf nachbarschaftliche Probleme zu reagieren, stellt ein aggressives Verhalten dar. Die Urteilsbegründung enthält in der Strafzumessung zudem den Hinweis, dass auch die Gefahr größerer Sachschäden und gesundheitlicher Schäden je nach Zeitpunkt des Anzündens des Kamins bestanden hätte. Daher kann nicht lediglich eine Bagatelle in der vorgeworfenen Tat gesehen werden, was sich ferner dadurch zeigt, dass die Staatsanwaltschaft ungeachtet des Strafantrages das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat. Auch die Tatsache, dass es sich um einen Nachbarschaftsstreit gehandelt hat, in welcher sich der Kläger selbst als Opfer sieht, kann einen Ausnahmefall nicht begründen. Diese Tatsache hat das Strafgericht bereits bei der Strafzumessung zugunsten des Klägers berücksichtigt. Der Kläger hat sich mit seinem Verhalten deutlich über die Rechtsordnung hinweggesetzt und wollte Selbstjustiz üben. Unerheblich ist seine Einlassung betreffend seinen langjährigen verantwortungsbewussten Umgang mit den Waffen und der Erlaubnis und seine frühere Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter, da nach § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG bereits eine einzige Verurteilung wegen einer Vorsatztat die Regelvermutung begründet, wenn eine nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht unerhebliche Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verhängt worden ist. Darüber hinaus setzt die Annahme der Regelvermutung weder besondere charakterliche Mängel, sonstige Eignungsmängel oder ein Gefährdungspotential für Dritte voraus.
Nachdem der Beklagte im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zu Recht vom Vorliegen der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen ist, war er nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG verpflichtet, die Waffenbesitzkarte zu widerrufen, ohne dass ihm insoweit ein Entschließungsermessen zukam. Das Gesetz sieht bei diesem Stand des Verfahrens kein weniger einschneidendes Mittel vor. Angesichts der von Schusswaffen ausgehenden erhöhten Gefahr für die Allgemeinheit, hat der Kläger auch die damit verbundene Einschränkung seiner Grundrechte hinzunehmen (vgl. BVerwG, U. v. 14.11.2007 – 6 C 1/07 – NVwZ 2008, 906/909 f. und U. v. 16.10.1995 – 1 C 32/94 – juris Rn. 17 ff.).
Rechtsgrundlage für die Verfügung, die in seinem Besitz befindlichen Waffen und Munition innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und dies nachzuweisen, ist § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Die Verpflichtung, seine Waffenbesitzkarten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzugeben, stützt sich auf § 46 Abs. 1 WaffG. Gegen die Zwangsgeldandrohung bestehen – nach Rücknahme derjenigen in Nummer 5a des Bescheids – keine rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 5 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 8.000,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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