Verwaltungsrecht

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Zugehörigkeit zur sog. “Reichsbürgerbewegung”

Aktenzeichen  21 CS 18.2523

Datum:
21.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31418
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a lit. b, lit. c, § 45 Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Personen, die der sog. “Reichsbürgerbewegung” zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erforderliche Zuverlässigkeit (Bestätigung von VGH München BeckRS 2017, 128941 Rn. 17 mwN; siehe auch OVG Lüneburg BeckRS 2017, 117959). (Rn. 13 und 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 S 18.1346 2018-11-12 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. In Abänderung von Nr. III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. November 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge jeweils auf 2.875,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis und die dazu ergangenen Nebenentscheidungen.
Das Landratsamt … erteilte dem Antragsteller am 14. Dezember 2016 die Waffenbesitzkarte Nr. …, in die ein Revolver, Kaliber .357 Magnum und eine halbautomatische Pistole, Kaliber 9 mm eingetragen sind, sowie eine Waffenbesitzkarte für Sportschützen, Nr. …, die keinen Eintrag aufweist.
Am 20. November 2017 stellte der am … … … geborene Antragsteller Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, wobei er als „Geburtsstaat“ und „Wohnsitzstaat“ jeweils „Königreich Bayern“ angab. Neben der deutschen Staatsangehörigkeit besitze er noch seit Geburt diejenige des Königreichs Bayern, die er durch Abstammung gem. § 4 Abs. 1 RuStaG, Stand 1913, erworben habe. Seit seiner Geburt halte er sich in …, Königreich Bayern, auf. Entsprechende Angaben machte er zu seinen Vorfahren in den jeweiligen Anlagen zum Antrag.
Im Rahmen einer Befragung durch das Polizeipräsidium … erklärte der Antragsteller am 2. Januar 2018, dass er den Staatsangehörigkeitsausweis beantragt habe, weil er mit seinem Personalausweis wegen der dortigen Namensgroßschreibung keine Rechte habe. Außerdem sei die Angabe „Deutsch“ kein Hinweis auf die Staatsangehörigkeit.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2018 teilte das Polizeipräsidium dem Landratsamt mit, dass nach seiner Einschätzung beim Antragsteller eine eindeutige ideologische Ausrichtung und Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung zu erkennen sei.
Nachdem der Antragsteller angehört worden war, widerrief das Landratsamt mit Bescheid vom 25. Juli 2018 die für den Antragsteller ausgestellten Waffenbesitzkarten Nrn. … und … (Nr. 1), erließ dazugehörige Nebenentscheidungen (Nrn. 2, 3, 4, 5) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nebenentscheidungen an (Nr. 6).
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 21. August 2018 Klage.
Seinen zugleich gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. November 2018 ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
II.
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder abzuändern. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.
1.1. Nach § 45 Abs. 2 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
1.1.1 Das Verwaltungsgericht ist bei Anwendung dieser Vorschrift zutreffend davon ausgegangen, dass solche Personen die für eine waffenrechtliche Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, weil in diesem Fall Tatsachen die Annahme nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder sie Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c – vgl. Beschluss des Senats v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300 – juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundes (S. 90) definiert „Reichsbürger“ als eine organisatorisch wie ideologisch äußerst heterogene Szene, der jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung gemein ist. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2017 (S. 170 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein (Verfassungsschutzbericht Bayern 2017, S. 172).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.1997 – 1 B 9/97 – juris), muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17; VG Minden, U.v. 29.11.2016 – 8 K 1965/16; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 – VG 3 K 305/16; VG München, B.v. 8.6.2017 – M 7 S 17.933; einschränkend VG Gera, U.v. 16.9.2015 – 2 K 525/14 Ge – jeweils juris).
1.1.2 Durch die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in der Fassung von 1913 und unter Angabe, sowohl er als auch sein Vater seien im „Königreich Bayern“ geboren bzw. durch die Zuordnung seiner Wohnorte zum „Königreich Bayern“, hat der Antragsteller ein für „Reichsbürger“ typisches Verhalten gezeigt. Dieser Eindruck wird durch seine persönlichen Äußerungen gegenüber der Polizei verstärkt, er habe mit seinem Personalausweis wegen der dortigen Namensgroßschreibung keine Rechte und die Angabe „Deutsch“ sei kein Hinweis auf die Staatsangehörigkeit.
Diese Tatsachen legen nahe, dass der Antragsteller der Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ folgend die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt und damit nicht die Gewähr bietet, sich strikt an die Rechtsordnung der Bundesrepublik einschließlich der Regelungen des Waffengesetzes zu halten. Dem muss im Beschwerdeverfahren jedoch aus nachfolgenden Gründen nicht weiter nachgegangen werden.
1.2 Das Verwaltungsgericht kommt unter Zugrundelegung offener Erfolgsaussichten zum Ergebnis, dass die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt, was auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden ist.
1.2.1 § 45 Abs. 5 WaffG (angefügt durch Gesetz zur Änderung des WaffG und weiterer Vorschriften v. 26.3.2008, BGBl. I 426) beseitigt von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt. In derartigen Fällen sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft (u.U. mehrere Monate oder Jahre) überhaupt nicht zu erkennen. Den berechtigten Belangen der Betroffenen könnte in Ausnahmefällen durch eine abweichende (Eil-) Anordnung der Verwaltungsgerichte Rechnung getragen werden (BT-Drs. 16/7717, S. 33).
In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nrn. 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.).
1.2.2 Dass der Antragsteller, wie im Beschwerdeverfahren vorgetragen, straffrei und ohne Auffälligkeiten sein Leben geführt hat, reicht nicht aus, das öffentliche Interesse an sofortiger Vollziehung zurücktreten zu lassen, weil allein aus dieser Straffreiheit nicht der Rückschluss gezogen werden kann, der Antragsteller werde auch in Zukunft die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Regelungen des Waffengesetzes einhalten. Durch die in seinem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises enthaltenen für „Reichsbürger“ typischen Angaben und durch seine Äußerungen bei der Polizei hat der Antragsteller neue Tatsachen geschaffen, die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen waren.
Der Antragsteller kann auch aus der Verfahrensdauer zwischen dem Bekanntwerden der zugrundeliegenden Tatsachen bei der Behörde und dem Erlass des Bescheides nichts für sich ableiten. Vorliegend hat das Landratsamt die sofortige Vollziehung fünf Monate nach Mitteilung der den Verdacht der Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerszene“ begründenden Umstände durch das Polizeipräsidium in dem den Widerruf der Waffenbesitzkarten aussprechenden Bescheid angeordnet. Hierin liegt, zumal der Antragsteller in diesem Zeitraum auch noch angehört wurde, weder ein besonders langes Verfahren, noch wurde beim Antragsteller ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand geschaffen, die Behörde werde die sofortige Vollziehung nicht anordnen, der Einfluss auf die Ermessensentscheidung haben könnte.
1.3 Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) besteht aus Gründen der Gefahrenabwehr regelmäßig auch für die mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die ausgestellten Erlaubnisurkunden zurückzugeben (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG, Art. 52 BayVwVfG) und vorhandene Waffen und Munition an einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG). Denn diese Folgeentscheidungen stellen sicher, dass der kraft Gesetzes (§ 45 Abs. 5 WaffG) sofort vollziehbare Widerruf der Waffenbesitzkarte tatsächlich umgesetzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 17).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Bei der Festsetzung des Streitwerts (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG) sind unter Berücksichtigung der Nrn. 50.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. v. 18. Juli 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. zu § 164 Rn. 14 – Streitwertkatalog 2013) unabhängig von der Anzahl der im Streit befindlichen Waffenbesitzkarten einmalig 5.000,00 Euro für eine Waffenbesitzkarte einschließlich einer Waffe anzusetzen. Für jede weitere in den Waffenbesitzkarten eingetragene Waffe ist ein Betrag von 750,00 Euro hinzuzurechnen. Dies führt für den Widerruf der Waffenbesitzkarten des Antragstellers zu einem Wert von 5.750,00 Euro. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert zu halbieren. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war dementsprechend von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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