Verwaltungsrecht

Zu den Voraussetzungen der Ersatzzustellung und einer Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist (hier verneint)

Aktenzeichen  M 10 K 15.3017

Datum:
2.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 60 Abs. 1, 2, § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 1, Abs. 2
AO AO § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 3 Abs. 2, § 122
VwZG VwZG § 3
ZPO ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 180, § 182

 

Leitsatz

1 Soweit sich der Betroffene für das sogenannte fakultative Widerspruchsverfahren entscheidet, finden die Vorschriften über das Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO) Anwendung. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dass der zum Haus gehörende Briefkasten über einen so großen Schlitz verfügt, dass aus diesem händisch Post hätte entnommen werden kann, und im Briefkasten auch regelmäßig jede Menge Werbepost eingeworfen wird, spricht gerade nicht gegen die wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten. (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird ein Bescheid möglicherweise mit im Briefkasten befindlicher Werbepost ohne genaue Durchsicht weggeworfen, ist dies dem Adressaten zuzurechnen. Dieser muss innerhalb seiner Rechtssphäre beziehungsweise innerhalb seines Einflussbereiches, wozu auch der Briefkasten zählt, sicherstellen, dass an ihn gerichtete Post gerade nicht weggeworfen oder sonst wie beseitigt oder vernichtet wird, egal, ob dies mit einer größeren Zahl von Werbezusendungen oder durch sonstige Unachtsamkeit geschieht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht entscheidet gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.
2. Die Klage ist bereits unzulässig, da das fakultative Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Der Widerspruch des Klägers wurde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO erhoben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist war nicht zu gewähren. Damit ist der angegriffene Haftungsbescheid bestandskräftig geworden.
2.1 Nach § 68 Abs. 1 VwGO ist bei Erhebung der Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGVwGO kann der Betroffene gegen einen an ihn gerichteten Verwaltungsakt im Bereich des Kommunalabgabenrechtes entweder Widerspruch einlegen oder unmittelbar Klage erheben. Der Erlass eines Gewerbesteuerhaftungsbescheides ist dem kommunalen Abgabenrecht zugeordnet. Soweit sich der Betroffene für das sog. fakultative Widerspruchsverfahren entscheidet, finden die Vorschriften der VwGO für das Widerspruchsverfahren (§ 68 ff. VwGO) Anwendung.
2.2 Nach § 70 Abs. 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat; die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid erlassen hat, gewahrt.
Vorliegend erfolgte die Bekanntgabe durch Zustellung nach § 122 Abs. 1, Abs. 5 Abgabenordnung (AO) i. V. m. dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG). § 122 AO ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 AO i. V. m. § 3 Abs. 2 AO im Gewerbesteuerverfahren auch beim Erlass von Haftungsbescheiden unmittelbar anwendbar. Nach § 3 VwZG gelten die Vorschriften der §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Nach § 180 ZPO kann das zuzustellende Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist, soweit eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht möglich war.
Die bei den Behördenakten befindliche Zustellungsurkunde wurde nach § 182 ZPO ordnungsgemäß ausgefüllt. Der Haftungsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2010 wurde ausweislich des Zustellungsnachweises (Zustellungsurkunde) dem Kläger am 16. Januar 2010 zugestellt. Nach den Angaben in der Postzustellungsurkunde war es dem Postbediensteten nicht möglich, das zuzustellende Schriftstück dem Kläger in der Wohnung oder in dem Geschäftsraum zu übergeben. Deshalb hat der Postbedienstete das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt.
Der Vortrag des Klägers im Wiedereinsetzungsgesuch zur versäumten Widerspruchsfrist begründet gerade keine Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung durch Einlegung des Schriftstückes im Briefkasten. Dass der zum Haus gehörende Briefkasten über einen so großen Schlitz verfügt, dass aus diesem händisch Post hätte entnommen werden können, und im Briefkasten auch regelmäßig jede Menge Werbepost eingeworfen werde, spricht gerade nicht gegen die wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten. Hierzu wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Regierung … vom 15. Juni 2015 Bezug genommen. Der Kläger bestreitet gerade nicht, dass der zur Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörende Briefkasten grundsätzlich zur sicheren Einlegung des zuzustellenden Schriftstückes geeignet ist.
Bei Zustellung des Haftungsbescheides am 16. Januar 2010 war danach die Monatsfrist des § 70 VwGO bis zum Eingang des Widerspruches der Bevollmächtigten des Klägers vom 17. November 2010 bei der Beklagten am 19. November 2010 längst verstrichen.
2.3 Die Regierung … hat auch zu Recht eine Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist gemäß § 70 Abs. 2 i. V. m. § 60 VwGO abgelehnt.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist, wie hier die Widerspruchsfrist, einzuhalten. Hierzu führt die Regierung … im Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2015 zu Recht aus, dass die Versäumung der Frist durch den Kläger zumindest fahrlässig verschuldet war. Sollte der Haftungsbescheid tatsächlich – was so schon nicht ausdrücklich vorgetragen wurde – durch einen Dritten nachträglich wieder aus dem Briefkasten des Klägers herausgefischt worden sein, wofür es aber keine Anhaltspunkte gibt, wäre dem Kläger zuzurechnen, dass er nicht einen üblichen Briefkasten verwendet hatte, der ein Eingreifen in aller Regel gerade verhindern soll.
Sollte der Haftungsbescheid möglicherweise mit auch im Briefkasten befindlicher Werbepost ohne genaue Durchsicht weggeworfen worden sein, wäre dies ebenfalls dem Kläger zuzurechnen. Er muss innerhalb seiner Rechtssphäre bzw. innerhalb seines Einflussbereiches, wozu auch der Briefkasten zählt, sicherstellen, dass an ihn gerichtete Post gerade nicht weggeworfen oder sonst wie beseitigt oder vernichtet wird, egal, ob dies mit einer größeren Zahl von Werbezusendungen oder durch sonstige Unachtsamkeit geschehen sein sollte. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen, denen sich das Gericht anschließt.
3. Die unzulässige Klage ist damit mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 84 und 124a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen diesen Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist der angefochtene Gerichtsbescheid zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Gerichtsbescheids sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Anstelle der Zulassung der Berufung können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten mündliche Verhandlung beantragen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 17.901,65 festgesetzt
(§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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