Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 12 K 17.49650

Datum:
6.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28954
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3c, § 3d, § 3e, § 14a, § 34 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel ergibt sich nicht, dass in Nigeria die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte bezüglich der Bezichtigung von Kindern als Hexenkind gegeben ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation in Nigeria verbundenen Gefahren handelt es sich im Sinne der Rechtsprechung des EGMR um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK begründen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO.
II.
Die Klage ist unbegründet. Verfahrensgegenstand ist, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Oktober 2017 in seinen Nr. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus oder Feststellung von Abschiebungsverboten hat (vgl. die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge).
Der angegriffene Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie die Verneinung des Vorliegens von Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 27. Oktober 2017 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1. Der Kläger hat auch unter Berücksichtigung des Vortrags in der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.
Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre.
Auch wenn keine individuelle Verfolgung geltend gemacht wird, kommt eine Schutzgewährung in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen.
Hierfür ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (zu allem: BVerwG vom 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht für den Kläger kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine gezielte Verfolgung wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Grundes droht. Auch die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung liegen nicht vor.
1.1. Hinsichtlich des Vortrags, dass Kindern in Nigeria als Hexen angesehen werden mit der Folge der sozialen Ächtung und dem Ausschluss aus der Gesellschaft, ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein solches Schicksal droht. Auch eine Gruppenverfolgung liegt nicht vor. Jedenfalls ist der Kläger insoweit auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen.
1.1.1. In Nigeria, insbesondere im südlichen Teil und hier vornehmlich im Südosten und den Bundesstaaten Edo und Akwa Ibom, ist der Glaube an Kinderhexen verbreitet. Dieser führt zu zum Teil schwersten Menschenrechtsverletzungen an Kindern (Ausgrenzung, Aussetzung, grausamste Exerzitien, Mord), insbesondere an Kindern mit Behinderung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018 [Stand: Oktober 2018], II. 1.7 – im Folgenden: Lagebericht). Bezichtigungen werden vornehmlich durch Pastoren der Pfingstbewegung vorgenommen, eine weitere Hauptgruppe sind Eltern, die nicht für ihre Kinder sorgen können. Auch die nähere Familie bezichtigt Kinder häufig als Hexen. Eine erhöhte Gefahr der Bezichtigung als Hexe besteht bei Kindern, die beide Elternteile verloren haben und bei anderen Verwandten leben, ein Elternteil verloren haben und der andere Elternteil erneut geheiratet hat, sowie bei Kindern, die physische Auffälligkeiten oder Behinderungen, physische oder psychische Erkrankungen (z.B. Epilepsie oder Autismus, auch stottern) haben oder hochbegabt sind oder ein Verhalten (z.B. Aggressivität, Sturheit) zeigen, dass in einem bestimmten Kontext als ungewöhnlich oder abnormal angesehen werden kann (EASO Country of origin information [COI] report – Targeting of individuals vom 26.11.2018, S. 107, 108).
Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Bezichtigung als Hexenkind. Er ist weder ein (Halb-)Waise, noch hat er – abgesehen eines vorgetragenen, aber nicht nachgewiesenen Juckreizes nach dem Waschen – keine Erkrankungen, die ihn besonders für eine Bezichtigung als Hexenkind vulnerabel machen würde. Auch ist kein übersteigertes Verhalten erkennbar gewesen oder vorgetragen worden, dass die Gefahr einer solchen Bezichtigung erhöhen würde. Ausgehend vom Vortrag der Mutter in der mündlichen Verhandlung glaubt diese auch nicht an Hexenkinder und will den Kläger vor diesem Schicksal schützen, so dass auch eine Bezichtigung jedenfalls durch die nähere Familie unwahrscheinlich ist.
1.1.2. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung sind bezüglich der Bezichtigung als Hexenkind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit ist schon fraglich, ob sich die Verfolgungshandlungen gegen alle Kinder in den oben aufgeführten Gebieten Nigerias richten oder nur gegen die besonders vulnerablen Gruppen. Aber auch wenn man annimmt, dass allen Kindern eine solche Verfolgung grundsätzlich droht, ist die erforderliche Verfolgungsdichte nicht erreicht. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erfolgt, dass die erforderliche Verfolgungsdichte gegeben ist. Zwar sind insofern keine verlässlichen Zahlen zu finden. Schätzungen zufolge sind aber etwa im Bundesstaat Akwa Ibom ca. 15.000 Kinder der Hexerei bezichtigt worden (EASO COI report a.a.O.). In diesem Bundesstaat leben ca. 5,5 Mio. Menschen, bei einem durchschnittlichen Anteil von Kindern unter 15 Jahren von 41% der Gesamtbevölkerung Nigerias (vgl. Demographic statistics bulletin May 2018, National bureau of statistics Nigeria S. 7 und 12, abrufbar unter https://nigerianstat.gov.ng/download/775, zuletzt abgerufen am 18. November 2019) leben schätzungsweise etwa 2,25 Mio. Kinder in diesem Bundesstaat. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass für den Kläger nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
1.1.3. Unabhängig davon ist der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen.
Nach § 3e AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiären Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann dass es sich dort niederlässt. Bestehen zum Zeitpunkt der Ausreise und zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung unverändert innerstaatliche Fluchtalternative fort, führt dies auch unter Geltung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.2011) zur Versagung der Anerkennung (BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 52/07 – juris Rn. 29). Insoweit zählt es zur Darlegungslast des Asylsuchenden, die landesweite Gefahr einer Verfolgung bzw. einen landesweit drohenden ernsthaften Schaden glaubhaft zu machen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger einer angenommenen Verfolgung als Hexenkind durch Umzug innerhalb des Landes entgehen kann.
Der Glaube an Hexenkinder ist insbesondere im südöstlichen Teil Nigerias verbreitet. Die Familie des Klägers kann sich nach Überzeugung des Gerichts im Westen des Landes, etwa in der Millionenstadt Lagos, niederlassen. Diese ist über einen internationalen Flughafen gefahrlos erreichbar. Die Eltern des Klägers sind jung, gesund und arbeitsfähig. Der Vater hat 12 Jahre die Schule besucht und Erfahrung im Reisanbau, die Mutter hat vor der Ausreise im Straßenverkauf gearbeitet. Zudem sind in Nigeria noch Familienangehörige vorhanden. Es ist daher zu erwarten, dass es der Familie gelingt, sich auch in einem anderen Landesteil eine wenigstens existenzsichernde Lebensgrundlage aufzubauen. Zudem kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria sogar eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenzielle Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Gesamtaktualisierung am 7.8.2017 – im Folgenden: Länderinformation 2017, S. 65). Somit ist anzunehmen, dass ein intakter und folglich allein überlebensfähiger Familienverband auch an einem anderen Ort abseits seines Heimatortes in Nigeria den Lebensunterhalt bestreiten kann.
1.2. Auch soweit pauschal vorgetragen wurde, Kindern drohe in Nigeria Entführung und Verkauf in die Kinderarbeit, besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung. Eine individuelle Verfolgung des Klägers durch bestimmte Gruppen ist insoweit nicht vorgetragen worden. Auch die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung liegen nicht vor.
Kinderarbeit und Zwangsarbeit ist in Nigeria weit verbreitet. Nach Schätzungen arbeiten mehr als 15 Millionen Kinder, davon 2,3 Millionen in gefährlichen Bereichen. Die Gefahr, Opfer von Menschenhändlern zu werden, besteht insbesondere für Straßenkinder (Länderinformation 2017, S. 54). Aktuelle, verlässliche Zahlen zum Ausmaß des Menschenhandels mit Kindern innerhalb Nigerias existieren nicht. Festzuhalten ist, dass 2014 ca. 28% der – weltweit – verschleppten Personen Kinder waren, insgesamt ca. 17.640. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch. Die Zahlen der nach Europa verschleppten minderjährigen nigerianischen Staatsangehörigen steigen kontinuierlich; ca. 59% der unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden in Italien sind Nigerianer. 2014 waren 64% der in Subsaharaafrika festgestellten Entführungsopfer Kinder, bei den Jungen – die ca. 8% der insgesamt entführten Personen ausmachen (Mädchen hingegen ca. 20%) – wurden 86% zur Zwangsarbeit entführt. (EASO COI report a.a.O, S. 139 f.). Kinder und junge Erwachsene bis 25 Jahre bilden auch nach den Angaben des nigerianischen National bureau of statistics die Hauptgruppe der Entführungsopfer, wobei die Zahl der registrierten Entführungen unter den Sechs- bis 15-Jährigen fast 14 mal so hoch ist wie bei den Null- bis Fünfjährigen (vgl. Demographic statistics bulletin a.a.O S. 14).
Ausgehend von diesen Erkenntnissen geht das Gericht nicht von einer hinreichenden Verfolgungsdichte aus. Nigeria hat ca. 200 Mio. Einwohner, entsprechend leben gut 82 Mio. Kinder im Land. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Entführung zu werden, mag insgesamt zwar im Vergleich mit anderen Staaten hoch sein. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein der Altersgruppe null bis fünf angehörender Junge Opfer einer Entführung wird, aber aus Sicht des Gerichts nicht derartig hoch, dass die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte vorliegt.
2. Hinsichtlich des subsidiären Schutz nach § 4 AsylG schließt sich das Gericht vollumfänglich den zutreffenden Ausführungen des Bundesamts an und sieht von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 77 Abs. 2 AsylG. Es weist lediglich darauf hin, dass der Kläger auch wegen Bestehens internen Schutzes (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG – vgl. oben) keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
3.1. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat der Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären bzw. dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehen würde, sind nicht ersichtlich. Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen. Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017, 3 A 140/16 – juris Rn. 53 m.w.N.). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 – 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Dezember 2018 (Stand: Oktober 2018), S. 21). Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich im Sinne der Rechtsprechung des EGMR jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
3.2. Die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria stellt grundsätzlich keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Die Bevölkerung ist dem allgemein ausgesetzt, ein genereller Abschiebestopp nach § 60 Abs. 7 Satz 5 i.V.m. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wurde nicht erlassen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die Versorgungslage, kann ein Ausländer nur dann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen, also mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod, ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – juris Rn. 16).
Für den Kläger kann auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Bei einer Gesamtschau der Lebensverhältnisse des Klägers ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen, daher die Befürchtung nicht gerechtfertigt, der Kläger könnte sich im Fall der Rückkehr nach Nigeria keine zumindest auf niedrigem Niveau existenzsichernde Lebensgrundlage schaffen und wären deshalb, wie es für die Annahme eines Abschiebungsverbots erforderlich wäre, im Fall der Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald einer extremen Gefahrenlage oder existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt (ebenso in vergleichbaren Fällen: VG Augsburg, B.v. 13.6.2017 – Au 7 S 17.33192 – juris Rn. 30; B.v. 8.6.2017 – Au 7 S 17.32413 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, B.v. 4.4.2017 – B 4 S 17.30876 – juris Rn. 34; VG Aachen, B.v. 20.3.2017 – 2 L 103/17.A – juris Rn. 32 ff.; VG Minden, U.v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – juris Rn. 34 ff.; hinsichtlich Familien vgl. VG Augsburg, U.v. 23.3.2017 – Au 7 K 16.30983 – juris Rn. 48; VG München, U.v. 11.3.2015 – M 21 K 13.30899 – UA S. 38 ff.).
3.3. Soweit die Mutter des Klägers weiter vorträgt, der Kläger habe nach dem Waschen einen Juckreiz, ist dieser weder durch Atteste nachgewiesen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60 a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG), noch stellt dieser eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung dar, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
4. Die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Androhung der Abschiebung nach Nigeria stützt sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, die festgesetzte Ausreisefrist auf § 38 Abs. 1 AsylG. Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG auf 30 Monate nicht rechtmäßig ist, liegen nicht vor. Insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 27. Oktober 2017 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 a.F. regelmäßig auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2019 – 10 C 18.1821 – juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 25ff.; a.a.O., B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72; a.a.O., U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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