Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 1 K 18.30630

Datum:
19.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25610
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4,
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 1

 

Leitsatz

Allein die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Schiiten führt in Afghanistan nicht zur asylrechtlich relevanten Gruppenverfolgung, da es an der erforderlichen Verfolgungsintensität und -dichte fehlt. (Rn. 16 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch unbegründet. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Dezember 2016 ist – soweit er noch Gegenstand dieser Klage ist – rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zunächst wird auf die Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. Dezember 2016 verwiesen. Das Gericht folgt dieser Begründung, § 77 Abs. 2 AsylG. Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
I.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorlie-gend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als Schiiten droht.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als Schiiten durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG droht. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Schiiten in Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen, zumal 19% der afghanischen Bevölkerung schiitische Religionszugehörige sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 9 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 14.9.2017, S. 25 f.; UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.; ebenso st.Rspr., z.B. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 27; U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 24; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris; B.v. 19.12.2016 – 13a ZB 16.30581 – juris; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris: keine Gruppenverfolgung von Hazara).
Auch durch den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes und sonstige einschlägige Erkenntnismittel wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass die Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der Hazara grundsätzlich verbessert. Sie gehörten überwiegend der schiitischen Konfession an. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsbelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Auf schiitische religiöse Einrichtungen seien seit Anfang 2016 mehrere Anschläge in Kabul und anderen Städten des Landes verübt worden, zu welchen sich mehrheitlich der IS bekannt habe. Damit seien Hazara und Schiiten zunehmend Opfer von Anschlägen des IS geworden. Am 9. März 2018 sei ein Selbstmordanschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul verübt worden, bei der neun Menschen ums Leben gekommen seien. Am 25. März sei es zu einem Angriff auf eine schiitische Moschee in Herat gekommen, bei dem ein Mensch getötet und 14 verletzt worden seien. Bei einem weiteren Anschlag am 22. April 2018 seien bei einem weiteren Anschlag in einem schiitisch geprägten Stadtteil mindestens 60 Menschen zu Tode gekommen und 129 verletzt worden. Aus Angst vor derartigen Übergriffen sei eine verstärkte Ausgrenzung von Schiiten im gesellschaftlichen Bereich beobachtet worden (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 9 ff., 20). UNAMA berichtet für das Jahr 2017 über acht religiös motivierte Angriffe gegen schiitische Moscheen und Gläubige mit insgesamt 418 zivilen Opfern (161 Tote und 257 Verletzte), hiervon sechs Angriffe durch den IS, zwei durch die Taliban. Der IS übernahm darüber hinaus die Verantwortung für zwei weitere Anschläge gegen schiitische Moslems abseits von religiösen Einrichtungen mit insgesamt 133 zivilen Opfern (46 Tote und 87 Verletzte) (vgl. UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.). Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnismittel verfügen die Verfolgungshandlungen, denen Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die dargestellte für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte, auch unter Berücksichtigung des Anteils von Schiiten an der Gesamtbevölkerung Afghanistans (ca. 19% Schiiten von 34,6 Mio. Millionen Einwohnern (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/afghanistan/204676) und dass überdies nicht ersichtlich ist, dass insbesondere der IS für seine Attentate auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen kann (so im Ergebnis auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris).
Darüber hinaus haben die Kläger auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, in Afghanistan wegen ihrer Religionszugehörigkeit individuell bedroht worden zu sein. Im Rückkehrfalle haben die Kläger ebenfalls nicht mit einer Verfolgung i.S.d. § 3a AsylG aufgrund ihrer schiitischen Religionszugehörigkeit zu rechnen.
2. Darüber hinaus ist es den Klägern nicht gelungen, eine Vorverfolgung in Afghanistan glaubhaft zu machen. Soweit der Kläger zu 1) vor dem Bundesamt erklärt hat, dass die Taliban, nachdem diese an die Macht gekommen seien, ihn zur Erlangung von Informationen ins Gesicht geschlagen und mit Stromschlägen an den Fußzehen gefoltert hätten, so ist dieser Vortrag bereits nicht glaubhaft. Das diesbezügliche Vorbringen ist in jeder Hinsicht unsubstantiiert, vage und detailarm. Eine nähere zeitliche und örtliche Einordnung, wie man es bei einem derartig schwerwiegenden Erlebnis erwarten würde, erfolgte in keiner Weise. Der Kläger hat zudem auch nicht die Möglichkeit genutzt, seinen Fluchtvortrag in der mündlichen Verhandlung näher zu erläutern, da er – ebenso wie die Klägerin zu 2) – dieser ohne Angabe von Gründen ferngeblieben ist. Es erscheint auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grunde die Taliban ausgerechnet den Kläger danach fragen – und deswegen sogar foltern – sollten, wer im Dorf reich sei und wer Waffen zu Hause habe, nachdem der Kläger nicht vorgetragen hat, dass er insoweit eine besondere Stellung, etwa als Dorfältester, in seinem Heimatdorf eingenommen oder anderweitig über besondere Kenntnisse hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung verfügt habe. Etwaige Erkrankungen und Verletzungen des Klägers können hierbei eine Vielzahl von Gründen haben, sodass dem Auslöser dieser Beschwerden nicht – auch nicht angesichts des sehr pauschalen und offensichtlich allein auf den Angaben des Klägers beruhenden ärztlichen Attests vom 9. Januar 2017 – näher nachzugehen war. Unabhängig davon hat die Klägerin zu 2) in diesem Zusammenhang beim Bundesamt angegeben, dass dieser Vorfall etwa vor 20 Jahren, also ca. im Jahre 1996, stattgefunden habe. Selbst bei Wahrunterstellung wäre dieses Ereignis damit nicht kausal für das Verlassen des Heimatlandes im Jahre 2009/2010 gewesen. Ein Zeitraum von mindestens 13 Jahren zwischen dem geschilderten Ereignis und der Ausreise, ohne dass es erneut zu einer derartigen Verfolgung gekommen ist, ist eindeutig nicht geeignet, die erforderliche Kausalität zwischen dem geschilderten angeblichen Verfolgungsvorfall und dem Verlassen des Heimatlandes zu vermitteln (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.3.1992 – 9 C 34/90 – juris). Dies bestätigt der Kläger überdies letztlich selbst, indem er beim Bundesamt angegeben hat, dass sie das Land verlassen hätten, da die Taliban nachts immer zu ihnen gekommen seien und sie Angst vor einer Vergewaltigung ihrer Töchter gehabt hätten sowie, dass sie die Taliban hätten ernähren müssen.
Auch diese beiden letztgenannten Gründe sind nicht geeignet, eine relevante Vorverfolgung im Heimatland zu begründen. Denn die – allgemeine – Angst vor einer etwaigen Vergewaltigung der Töchter stellt keine Vorverfolgung des Klägers dar; es ist vielmehr erforderlich, dass Verfolgungsgründe in der eigenen Person des Klägers vorliegen, was diesbezüglich ersichtlich nicht der Fall ist. Zudem ist auch dieser Vortrag in erheblicher Weise pauschal und unsubstantiiert geblieben. Was den vorgetragenen Zwang der Taliban zur Herausgabe von Geld und Nahrungsmitteln angeht (der Kläger spricht insoweit im Gegensatz zu seiner Ehefrau nicht auch von Geld und Gold, sondern nur von Nahrungsmitteln), so ist nicht ersichtlich, dass diese Vorfälle, selbst wenn sie sich tatsächlich zugetragen haben sollten, die erforderliche Intensität nach § 3a AsylG erreicht haben. Dem Kläger ist dadurch nämlich – abgesehen davon, dass dies auch nicht glaubhaft erschiene – offensichtlich nicht die komplette wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen worden, nachdem die Klägerin zu 2) bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt erklärt hat, dass die wirtschaftliche Lage nach dem Krieg mit den Taliban durchschnittlich gewesen sei, was bei einer der Armutsquote in Afghanistan von 39% durchaus noch beachtlich erscheint.
Die Ausführungen im Hinblick auf die erzwungene Herausgabe von Geld und Verpflegung an die Taliban sowie die Angst um die gemeinsamen Töchter gelten in gleicher Weise für den diesbezüglichen Fluchtvortrag der Klägerin zu 2). Darüber hinaus hat sie selbst keine weiteren eigenen Verfolgungshandlungen geltend gemacht. Soweit sie davon berichtet, dass die Ehemänner ihrer Tochter von Taliban entführt bzw. getötet worden seien und Familienmitglieder darüber hinaus Opfer von gewaltsamen Angriffen in Afghanistan geworden seien, so lässt sich auch daraus keine individuelle Verfolgung gerade der Klägerin zu 2) ableiten. Überdies werden diese Vorfälle von den Klägern und ihrem Sohn (vgl. Verfahren Az. W 1 K 18.30629) auch nicht einheitlich geschildert und erscheinen somit nicht glaubhaft. Schließlich wurden auch die Hintergründe der Taten nicht ansatzweise dargestellt. Falls diese entgegen vorstehender Ausführungen tatsächlich vorgefallen sein sollten, so kann es sich hierbei auch um flüchtlingsrechtlich nicht relevante allgemeine Kriminalität handeln.
3. Überdies liegt hinsichtlich des gesamten Verfolgungsvortrages der beiden Kläger kein Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG vor. Aus dem Vorbringen wird nicht ansatzweise erkennbar, dass die geschilderten Handlungen der Taliban auf einem der in dieser Vorschrift abschließend genannten Verfolgungsgründe beruhen.
Nach alledem sind die Kläger nicht vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist und es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie bei ihrer Rückkehr dorthin begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG haben müssten.
II.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Den Klägern droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihnen ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist bereits nicht dargelegt und glaubhaft gemacht worden. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden.
2. Den Klägern droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in ihrer Herkunftsregion, der Provinz Herat. In der Westregion, zu der die Provinz Herat gehört, wurden im Jahre 2017 998 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2017 Afghanistan, Februar 2018, S. 7). Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag damit für die Westregion im Jahr 2017 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris; BayVGH, B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 31.5.2018) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Damit ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte. Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zu mehreren Anschlägen auf (Hazara und) Schiiten in Afghanistan gekommen ist – wie oben beschrieben -, so hat sich die Gefahr für die Kläger nach Überzeugung des Gerichts mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in einer Weise verdichtet, dass sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit bereits eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müssten (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris). Weitere gefahrerhöhende Umstände in der Person der Kläger sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau Friederike Stahlmann (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris).
Den im hiesigen Verfahren vorgetragenen Erkrankungen der Kläger wurde mit der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG durch das Bundesamt abschließend Rechnung getragen. Diese rechtfertigen weder die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus noch der Flüchtlingseigenschaft.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben