Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Konvertiten zum Christentum

Aktenzeichen  B 6 K 17.33551

Datum:
30.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 52170
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 3d Abs. 2 S. 1, § 3e
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Änderung von Ziffer 1 und Aufhebung der Ziffern 3, 4, 5 und 6 des Bescheides vom 29.11.2017 dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist begründet, weil die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, gegen die der Kläger mit seinem Hauptantrag vorgeht, zum Zeitpunkt der gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Deshalb ist die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den beantragten Flüchtlingsstatus zuzuerkennen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die entgegenstehenden Regelungen im Bescheid vom 29.11.2017 sind aufzuheben.
1. a) Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, das sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AsylG). Verfolgungshandlungen sind u. a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (§ 3a Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AsylG).
Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe ist u.a. zu berücksichtigen, dass unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen ist, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt. Dabei ist es unerheblich, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Für die Bewertung der Frage, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschreiben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz davor muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG bzw. d.h. insbesondere wirksam und nicht nur vorübergehend (§ 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG), Schutz vor Verfolgung bzw. vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Verfolgung muss dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U. v. 04.09.2012 – 10 C 13/11 – BVerwGE 144, 127Rn.28 = NVwZ-RR 2013, 431/435; st. Rspr.). Für diese Prognose ist auf die Verhältnisse am tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen, in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167/1168 jew. Rn.13). Die Verhältnisse im übrigen Teil des Herkunftslandes sind eine Frage des internen Schutzes.
Gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung greift nur dann ein, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Vorverfolgung und der befürchteten künftigen Verfolgung besteht (BVerwG, U. v. 27.04.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 Rn. 27, 31 = NVwZ 2011, 56/59).
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die danach gebotene Überzeugungsgewissheit muss in dem Sinne bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals sowie von der Richtigkeit der Prognose, dem Kläger drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden, erlangt hat. Da unmittelbare Beweise im Herkunftsland in der Regel nicht erhoben werden können, kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109/84 – BVerwGE 71,180/181f. = NVwZ 1985, 658/659f.). Der Schutzsuchende muss sein Schicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Lauf des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (st. Rspr.; zusammenfassend VGH Mannheim, U. v. 27.08.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn.35).
b) Das Gericht ist zwar zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht in seinem Herkunftsland verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war. Denn fluchtauslösend war nicht der Raketenangriff auf sein Elternhaus in Afghanistan im Jahr 2009, der seine Eltern veranlasst hat, zusammen mit dem Kläger, der damals noch ein Kind war, Zuflucht in Waramin (Islamische Republik Iran) zu suchen, sondern die drohenden Schwierigkeiten im Iran, weil er dort damit begonnen hatte, sich dem Christentum zuzuwenden.
c) Der Kläger befindet sich jedoch aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, weil er in Deutschland zum Christentum konvertiert ist und ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i.S. v. § 3a Abs. 1 AsylG droht und ihm in Afghanistan eine interne Schutzmöglichkeit i.S. v. § 3e AsylG nicht zur Verfügung steht.
aa) Als Verfolgungshandlung i.S. v. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gilt eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte. Wie sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG ergibt, ist das Recht auf Religionsfreiheit ein solches grundlegendes Menschenrecht.
In die Religionsfreiheit wird eingegriffen, wenn der Ausländer, weil er seine Religionsfreiheit ausübt, tatsächlich Gefahr läuft, durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure an Leib und Leben oder an seiner physischen Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden. Gleiches gilt, wenn sich der Ausländer, weil er befürchtet, ansonsten verfolgt zu werden, gezwungen sieht, darauf zu verzichten, seinen Glauben zu betätigen. Eine reelle Gefahr ist anzunehmen, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
Schwerwiegend verletzt wird das Grundrecht, wenn gravierend in die Freiheit eingegriffen wird, den Glauben öffentlich zu leben, oder auch ihn im privaten Bereich zu praktizieren. Ob der Eingriff schwer genug ist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung zu erfüllen, hängt von objektiven und subjektiven Gesichtspunkten ab. Die erforderliche Schwere ist objektiv insbesondere erreicht, wenn dem Ausländer, wenn er seine Religion ausübt, droht in anderen Rechtsgütern z.B. an Leib und Leben verletzt zu werden oder er Gefahr läuft, dass ein strafrechtliches Verbot an ihm tatsächlich durchgesetzt wird. Was die subjektive Seite angeht, ist darauf abzustellen, ob für den Ausländer die verfolgungsträchtige Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Die religiöse Praxis ist für ihn allerdings nicht erst dann besonders wichtig, wenn der Ausländer, müsste er darauf verzichten, innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde. Umgekehrt reicht es aber nicht aus, wenn der Asylbewerber mit seinem Glauben eng verbunden ist, wenn er den Glauben jedenfalls im Bundesgebiet nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde (BVerwG, U. v. 20.02.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 = InfAuslR 2013, 300 jew. Rn. 23-30).
Dass er die unter drückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Ausländer zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen. Die innere Tatsache seiner religiösen Identität hat das Gericht aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung aus dem Vorbringen des Asylbewerbers und im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Ausländers festzustellen. Dabei ist zunächst zu ermitteln, ob der Ausländer in Deutschland seinen Glauben in einer Weise praktiziert, die ihn im Herkunftsland an der Verfolgung aussetzen würde. Wenn dies der Fall ist, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger besonders wichtig ist, um seine religiöse Identität zu wahren oder ob sie nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen (BVerwG, BVerwGE 146, 67. = InfAuslR 2013, 300 jew. Rn.30f.).
Bei seiner Prüfung hat das Gericht das als staatliche Stelle über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund einer Konversion zum Christentum zu entscheiden hat, zwar die durch die Taufe bewirkte Kirchenmitgliedschaft, von Missbrauchsfällen abgesehen, nicht in Frage zu stellen, wenn sie von einer Religionsgemeinschaft bestätigt wurde. Es hat dann aber, sofern eine Verfolgung in einem Land nicht ausschließlich an die Kirchenzugehörigkeit anknüpft, darüber hinaus eigenständig zu würdigen, ob eine bestimmte Glaubenspraxis ein zentrales Element der religiösen Identität des einzelnen Asylbewerbers bildet. Ein Verstoß gegen die Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität liegt darin nicht, weil sich das Gericht dabei weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinandersetzt noch sie bewertet oder eigene Standpunkte in Glaubensdingen formuliert (BVerwG, B. v. 25.08.2015 – 1 B 40.5 – InfAuslR 2015, 457/458 = NVwZ 2015, 1678/1679 jew. Rn.11f.).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen besteht beim Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr einer objektiv und subjektiv schweren Verletzung seiner Religionsfreiheit. Ihm droht deshalb aufgrund eines subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrelevanter Verfolgung i.S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 1 und § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
aaa) Objektiv betrachtet sind nach Überzeugung des Gerichts zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, weil andernfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können und Schutz vor solchen Übergriffen derzeit auch nur in bestimmten Landesteilen nicht zu erreichen ist Muslime in Afghanistan, wo der Islam Staatsreligion ist (Art. 2 Abs. 1 Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan) können sich nicht auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen und zum Christentum übertreten. Denn Art. 2 Abs. 2 der Verfassung gewährt zwar denjenigen, die keine Anhänger des Islam sind, ihrem Glauben zu folgen und ihre religiösen Zeremonien im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, als Muslim vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Lagebericht Auswärtiges Amt v. 19.10.2016, S.10f.).
Eine Konversion genießt aber nicht nur keinen verfassungsrechtlichen Schutz, sondern wird nach afghanischem Rechtsverständnis auch als Abfall von der „heiligen Religion des Islam“ und damit als Apostasie angesehen. Die Apostasie ist zwar im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt, wird aber nach dem afghanischen Rechtsverständnis aber als „ungeheuerliche Straftat“ eingestuft. Sofern der Konvertit nicht binnen drei Tagen nach entsprechender Aufforderung seinen Glaubenswechsel widerruft, hat er deshalb sein Leben verwirkt (UNHCR-Richtlinien v. 19.04.2016, S.61). Die Todesstrafe durch Steinigung wurde allerdings noch nie vollstreckt (Lagebericht S.12). Außerdem riskieren Konvertiten die Annullierung ihrer Ehe, eine Enteignung ihres gesamten Eigentums und den Verlust ihrer Arbeit (UNHCR-Richtlinien v. 19.04.2016, S. 61).
Darüber hinaus steht die Mehrheit der Bevölkerung Konvertiten offen feindselig gegenüber. Das gilt insbesondere im ländlichen Bereich, wo Konvertiten mit massivem Druck und Diskriminierung bis hin zu gewaltsamen Übergriffen durch Familienangehörige, Freunde oder der Dorfgemeinschaft zu rechnen haben. Schließlich bedrohen die Taliban jeden mit dem Tod, der sich zum Christentum bekehrt (OVG Lüneburg, U. v. 07.09.2015 – 9 LB 98/13 – juris Rn. 32).
Deshalb sind die zum Christentum konvertierten ehemaligen Muslime in Afghanistan gezwungen, entweder ihren Glauben zu verheimlichen bzw. sind, wenn sie ihn nicht verleugnen wollen, Gottesdienste allenfalls in privaten Häusern abzuhalten oder sehen sich der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (VG Würzburg, U. v. 09.01.2018 – W 1 K 16.32453 – juris Rn. 24; VG Lüneburg, U. v. 27.02.2018 – 3 A 152/17 – juris Rn. 20).
bbb) Auch die erforderliche subjektive Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit liegt nach voller Überzeugung des Gerichts vor.
Nicht ausreichend dafür ist allerdings sein formaler Glaubenswechsel durch seine Taufe am 19.03.2017 in der Christuskirche in B. Denn die durch die Taufe bewirkte Mitgliedschaft in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde ist nicht allein entscheidungserheblich, weil die Verfolgung in Afghanistan nicht ausschließlich an der Kirchenmitgliedschaft anknüpft (VG Würzburg, a.a.O., juris Rn. 26 m. w. N.). Erforderlich ist deshalb vielmehr zusätzlich, dass der Glaubenswechsel nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Ausländers prägt (BayVGH, B. v. 20.04.2015 – 14 ZB 13.30257 – juris Rn. 4).
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung, in der das Gericht die Glaubhaftigkeit seines Vortrages zur Konversion mit Hilfe des von Praktikern der Verwaltungsgerichtsbarkeit dafür erarbeiteten Kriterienkataloges geprüft hat (Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität. Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281/284 – 288) in Übereinstimmung und Vertiefung seines Vortrages vor dem Bundesamt die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels dem Gericht glaubhaft machen können. Dabei war der Eindruck zu gewinnen, dass er sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis zum islamischen Glauben gelöst und sich in einem längeren Wandlungsprozess dem Christentum zugewandt hat.
Der Kläger ist nach seiner eigenen glaubhaften Darstellung erstmals im Jahr 2015 noch im Iran über einen iranischen Christen mit dem der christlichen Religion und mit Gläubigen, die sich heimlich zu Gottesdiensten trafen, in Berührung gekommen. Solange er sich im Iran aufhielt, wusste er am Islam bereits zu kritisieren, dass diese Weltreligion Religion, die Gewaltausübung im Namen und im Dienst des Glaubens Religion keineswegs strikt ablehnt, zog eine Konversion allerdings noch nicht in Betracht. Immerhin gibt er aber an, er habe auf Geheiß seiner Eltern den Iran verlassen, weil er befürchtet habe, der Geheimdienst habe seine Treffen mit den Christen im Park überwacht.
Vom Islam endgültig losgesagt hat er sich jedoch erst in Deutschland. Als Motiv dafür hat er beim Bundesamt und ergänzend und vertiefend auch bei Gericht nachvollziehbar dargelegt, es sei für ihn nicht länger zu ertragen gewesen, dass im Islam alles vorgegeben werde, insbesondere wann und wie oft zu beten und zu fasten sei. Darüber hinaus stieß ihn insbesondere die islamische theologische Vorstellung ab, dass beim Jüngsten Gericht die Taten der Auferstandenen gewogen werden und nur die Gerechten die Brücke über den Abgrund der Hölle ins Paradies passieren dürfen (Elger/Stolleis, Kleines Islam-Lexikon, 5. Aufl, 2008 Stichwort „Jüngstes Gericht“).
Weiter hat er überzeugend dargelegt, dass er sich auf tiefer innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt hat. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass er über eine Frau, die er in einem Friseursalon getroffen habe, zu den Christen der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde gestoßen sei. Für seinen Entschluss, zum Christentum zu konvertieren, mag zwar auch mitbestimmend gewesen sein, dass er als (damals) minderjähriger, unbegleiteter, in einem Vorort von B. untergebrachter Asylbewerber von den engagierten Christen der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in der Stadt B.bereitwillig und freundschaftlich aufgenommen wurde. Zudem vermittelte der Kläger den Eindruck, dass ihm vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte, die von dem von ihm als „Zwangsreligion“ empfundenen Islam, bis heute „die Freiheit eines Christenmenschen“ ganz besonders wichtig ist. Wesentliche Gründe für seine Zuwendung zum Christentum waren aber darüber hinausgehend und tiefgründiger die Vorstellung, Jesus sei für die Sünden des Menschen gestorben, was er gegenüber dem islamischen Konzept vom jenseitigen Lohn für gute Taten im Diesseits als befreiend empfand. Außerdem imponierte ihm auch der persönliche Zugang zu Gott im Gebet, wie ihn das Christentum lehrt, zum Glaubenswechsel.
An der Schilderung seines Wandlungsprozesses wurde außerdem für das Gericht deutlich, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung und nicht von asyltaktischen Erwägungen geleitet ist. In diesem Zusammenhang ist auch zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits ab Oktober 2016 den Bibelkurs und ab Februar 2017 den Taufkurs besuchte, sich also bereits auf den Glaubensübertritt vorbereitete, als sein Asylantrag zwar schon gestellt war, er aber noch nicht dazu angehört worden war und das Bundesamt noch nicht (negativ) darüber entschieden hatte.
Der glaubwürdige, ernsthafte und authentische Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, wird bekräftigt durch den in der mündlichen Verhandlung anwesenden Pastor der Gemeinde, der glaubhaft versichert hat, in seiner Gemeinde prüfe die Versammlung der gesamten Gemeinde, gerade auch bei Ausländern, vor der Taufe genau, ob zu erkennen sei, dass der Glaube des Katechumenen, der seinen Glauben auch öffentlich bekennen müsse, für die Taufe ausreiche. Der Kläger habe den gestellten Anforderungen genügt und sich auch seither seiner Einschätzung nach als tiefgläubiger Christ, der seinen Glauben lebe, erwiesen.
Der Kläger verfügt auch über ein seinem Bildungsstand – er hat in Deutschland den Mittelschulabschluss erworben – und seinen Deutschkenntnissen entsprechendes Wissen von den zentralen Inhalten des christlichen Glaubens. Dies wurde für das Gericht daran deutlich, dass er in der mündlichen Verhandlung mit einfachen Worten die Bedeutung der Taufe beschrieben hat und erklären konnte, welcher Glaubensinhalt hinter dem Pfingstfest steckt.
Nach außen hin wird das Bekenntnis des Klägers zum christlichen Glauben daran deutlich, dass er an jedem Sonntag am Gottesdienst teilnimmt, altersgerecht in den Jugendkreis seiner Gemeinde integriert ist, sich mit der Bibel soweit es seine Zeit zulässt, auch durch eigene Lektüre beschäftigt, in schwierigen Situationen als Stoßgebet das Vaterunser zum Himmel sendet und für seine Kirchengemeinde immer eine helfende Hand hat.
Auf Nachfrage des Gerichts versicherte der Kläger schließlich, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsse, werde er nicht wieder schiitischer Muslim werden. Vielmehr werde er und sei es auch heimlich und unter Gefahren, an seinem christlichen Glauben festhalten.
Aus alledem hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der christliche Glaube, den er in B. im Rahmen seiner Gemeinde eifrig praktiziert, zu einem unverzichtbaren Element der religiösen Identität geworden ist. Deshalb geht das Gericht auch davon aus, dass es nicht dem religiösen Überschwang eines jugendlichen Konvertiten geschuldet ist, wenn er beteuert hat, er werde auch bei einer erzwungen Rückkehr nach Afghanistan nicht zum Islam zurückkehren und seinen christlichen Glauben verheimlichen, verleugnen oder gar von ihm abschwören. Steht damit fest, dass er nicht anders könnte, als auch in Afghanistan seine christliche Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis ausüben, wäre er der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr.1 und 3 AsylG ausgesetzt.
cc) Bei einer Rückkehr stünde dem Kläger schließlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.v. § 3e AsylG zur Verfügung. Zwar dürften Konvertiten im ländlichen Umfeld eher bedroht sein als in städtischen Bereichen, wo die Anonymität größer ist (OVG Lüneburg, U. v. 07.09.2015 – 9 LB 98/13 – juris Rn. 32). Doch selbst in Großstädten wie Kabul würde ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich schon deshalb auffallen, wenn er nicht bereit ist, entgegen seiner inneren Überzeugung an islamischen religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (VG Würzburg, U. v. 09.01.2018 – W 1 K 16.324543 – juris Rn. 33 m.w.N.). Dem Kläger ist es aber nicht zumutbar, weil es, wie sich in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat, seine religiöse Identität verletzen würde, wenn er wegen der drohenden Verfolgungsgefahr selbst im privaten Umfeld nicht nur darauf verzichten müsste, seinen christlichen Glauben und sei es auch nur in einer privaten Umgebung zu praktizieren, sondern sich darüber hinaus gezwungen sähe, an den islamischen religiösen Zeremonien teilzunehmen, um keinen Verdacht zu erregen.
2. Die Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG (Ziff. 5 des Bescheides) ist aufzuheben, weil dafür nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Rechtsgrundlage entfallen ist (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Fehlt es an den Voraussetzungen für eine Abschiebung des Klägers, ist die Befristung ihrer Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ebenfalls aufzuheben.
3. Als unterliegender Teil trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.


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