Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Konversion zum christlichen Glauben

Aktenzeichen  W 1 K 18.30184

Datum:
16.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25592
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 3e
GRCh Art. 10 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Konvertierte ehemalige Moslems sind in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit liegt vor, wenn es nach Überzeugung des Gerichts ein unverzichtbarer Bestandteil der religiösen Identität des Klägers ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn offen auszuüben, insbesondere an christlichen Gottesdiensten teilzunehmen, sich im Gemeindeleben einzubringen und auch anderen Menschen in seinem Umfeld vom Christentum zu berichten und diese ebenfalls von seiner neuen Religion zu überzeugen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Afghanistan ist es nicht der Fall, dass bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan ausscheidet aus, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2017 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 15. Februar 2017 ist daher, soweit er noch Gegenstand der Klage ist und der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab 6. August 2016 geltenden, durch Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939 ff.) geschaffenen Fassung anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG. Für den Kläger besteht auch keine Möglichkeit des internen Schutzes im Sinne des § 3e AsylG.
Eine Verfolgung i.S.d. Art. 9 Abs. 1a QRL, der durch § 3a Abs. 1 AsylG um-gesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C – 71/11 und C – 99/11 – BayVBl 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21 ff.; VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 23 ff.) auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, a.a.O., Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in dem Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – 1 C 9/03 – BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH, a.a.O. Rn. 62 f.; BVerwG, a.a.O., Rn. 24 ff.; VGH Baden-Württemberg a.a.O. Rn. 43; OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folge für den Betroffenen (EuGH, a.a.O., Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG, a.a.O., Rn. 28 ff.; VG Baden-Württemberg, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Dieser Rechtsprechung hat sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. VG Würzburg, U.v. 24.2.2017 – W 1 K 17.30673 – juris; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris).
Das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta umfasst auch die sogenannte negative Religionsfreiheit, d.h. die Freiheit, eine bestimmte religiöse Überzeugung nicht zu teilen bzw. nicht an religiösen Handlungen teilzunehmen (Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl. 2013, Art. 10 Rn. 10; Bernsdorff in Meyer, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2014, Art. 10 Rn. 12), weshalb insoweit dieselben o.g. Maßstäbe gelten wie bei der Beurteilung eines Eingriffs in die positive Religionsfreiheit.
Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C – 71/11 und C – 99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 ff.). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere – aber nicht nur – dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 m.w.N.). Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 29; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 48; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit er-fasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a.a.O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a.a.O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a.a.O.; VGH BW a.a.O. Rn. 49).
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse (Nicht-)Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris Rn. 13; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30; B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, B.v. 11.10.2013 – 13 A 2041/13.A – juris Rn. 7; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 13). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG, B.v. 25.8.2015, a.a.O. Rn. 14; U.v. 20.2.2013, a.a.O. Rn. 31; VGH Baden Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 50).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers die erforderliche objektive (1.) und subjektive (2.) Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor. Ihm droht deshalb aufgrund eines anzuerkennenden subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
1. Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (OVG NRW, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886/05.A – juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U.v. 23.4.2018 – W 1 K 18.30052; U.v. 21.2.2018 – W 1 K 16.32723; U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 27.8.2013 – W 1 K 12.30200 – juris Rn. 25; U.v. 24.9.2012 – W 2 K 11.30303 – UA S. 11 ff.; U.v. 16.2.2012 – W 2 K 11.30264 – UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – Au 6 K 13.30004 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 9.6.2010 – Au 6 K 10.30098 – juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U.v. 21.3.2012 – 5 K 1037/10 – juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar ist die Religionsfreiheit in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Scharia-Vorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auf die freie Religionswahl beinhaltet, gilt daher de facto in Afghanistan nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind in jüngerer Zeit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, wobei diese selbst dort aus Sicherheitsgründen meist nicht eingeladen werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. M. D., Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. M. D. a.a.O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. M. D. a.a.O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a.a.O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. M. D. a.a.O., S. 1 f., 3 ff.). Dieses Ergebnis wird auch durch die aktuellen Erkenntnismittel bestätigt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 10 f.; UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 53 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, S. 26; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal and legal norms. Dezember 2017, S. 23 ff.).
2. Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit vor, weil es nach Überzeugung des Gerichts ein unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn offen auszuüben, insbesondere an christlichen Gottesdiensten teilzunehmen, sich im Gemeindeleben einzubringen und auch anderen Menschen in seinem Umfeld vom Christentum zu berichten und diese ebenfalls von seiner neuen Religion zu überzeugen. Überdies ist es zentraler Glaubensbestandteil für den Kläger, täglich in der Bibel zu lesen.
Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 1. April 2018 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (BayVGH, B.v. 20.4.2015 – 14 ZB 13.30257 – juris Rn. 4; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 7; HessVGH, U.v. 26.7.2007 – 8 UE 3140/05.A – juris Rn. 20 ff.; B.v. 26.6.2007 – 8 ZU 1463/06.A – juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z.B. HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels – unter Berücksichtigung seines geringen Bildungsstandes – zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Das Gericht hat hierbei den Eindruck gewonnen, dass der Kläger sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis zum islamischen Glauben gelöst und in einem langjährigen Wandlungsprozess dem Christentum zugewandt hat. So hat der Kläger zu seinem diesbezüglichen Werdegang nachvollziehbar dargelegt, dass er mangels anderweitiger Kenntnisse und Alternativen in seinem Heimatland zunächst als Moslem aufgewachsen sei. In Deutschland habe er dann in K … einen anderen afghanischen Asylbewerber zum Freund gehabt, an dem er festgestellt habe, dass dieser sich durch die Annahme der christlichen Religion sehr stark positiv verändert habe. Aufgrund dessen sei er dann mit diesem auch zur Kirche in die Gemeinde Bauhaus gegangen. Dort sei für das Land Afghanistan und die Afghanen gebetet worden und er habe sich gefragt, woher diese große Liebe der Christen zu ihnen unbekannten Menschen komme. Dies habe ihn neugierig gemacht und er habe sich daher entschieden, dass er mehr Informationen über diese Religion bekommen wolle. Es sei dann so gewesen, dass andere Afghanen in seinem Umfeld über Christen geschimpft hätten, was er aufgrund seiner ersten Erfahrungen als nicht richtig empfunden habe. Er habe sich aus diesem Anlass entschieden, nunmehr regelmäßig sonntags zur Kirche zu gehen. Dies habe er vier Monate lang in der Gemeinde Bauhaus getan, bevor er dann nach S … umverteilt worden sei. Von dort aus sei es sehr weit bis in die Gemeinde Bauhaus gewesen und er habe daher einen anderen Afghanen gefragt, was er diesbezüglich tun könne. Dieser habe ihm angeboten, er könne mit ihm zum Glaubensunterricht in der Abtei M … gehen, was er dann auch getan habe. Auch habe er dort regelmäßig die Gottesdienste besucht. Der afghanische Freund habe ihn auch gebeten, ihm aus der Bibel vorzulesen, da dieser selbst Analphabet sei. Das Lesen in der Bibel habe in ihm selbst viel bewirkt, insbesondere habe er immer wieder die Nächstenliebe für sich als zentral und besonders bedeutsam wahrgenommen und in sich aufgenommen. Er habe dann ca. ein Jahr lang den Taufvorbereitungsunterricht in der Abtei M … besucht und sei schließlich an Ostern 2018 getauft worden. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auch glaubhaft dargelegt, wie er trotz der Sprachbarriere die christlichen Glaubensinhalte hat aufnehmen können. Zum einen habe es bei den christlichen Gottesdiensten und Veranstaltungen in der Gemeinde Bauhaus einen Dolmetscher für die Übersetzung gegeben und vom Taufunterricht in M … habe er schon einen guten Teil auf Deutsch verstehen können. Auch seien dort andere Afghanen gewesen, so dass man sich gegenseitig gedolmetscht habe. Schließlich habe er in M … zahlreiche christliche Bücher erhalten, welche auf Farsi geschrieben gewesen seien, so dass er sie habe verstehen können.
Der Kläger hat darüber hinaus überzeugend darlegen können, dass er sich aus tiefer innerer Überzeugung dem Christentum zugewendet hat. Er hat hierzu ausgeführt, dass es kein spezielles Schlüsselereignis für seine Konversionsentscheidung gegeben habe, sondern dass dies ein längerer Wandlungsprozess gewesen sei. Insbesondere die allgegenwärtige Liebe, die das Christentum durchziehe, habe ihn beeindruckt. Geprägt habe ihn auch das Lesen in der Bibel, so z.B. die Geschichte von der Fußwaschung, die für ihn auch ein gutes Symbol für die Nächstenliebe und die Gleichheit aller Menschen sei, wobei sich sogar Gott auf die gleiche Stufe mit den Menschen gestellt habe. Andererseits habe ihm am Islam missfallen, dass man dort stets Rache üben müsse und vor dem dortigen Gott stets Angst habe, während im Gegensatz hierzu im Christentum die Vergebung ein zentrales Element sei und Jesus als liebender Gott im Mittelpunkt stehe. Nachdem in der Bibel geschrieben stehe, dass es nur einen Gott gebe und der Kläger sich zu diesem habe begeben und nach ihm habe leben wollen, habe er sich zur Taufe entschlossen. Aufgrund der klägerischen Ausführungen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser im Laufe seines Aufenthalts in Deutschland einen bewussten Prozess des inneren religiösen Einstellungswandels vollzogen hat, der in nachvollziehbarer Weise durch eine Vielzahl neuer Eindrücke, Erfahrungen und Lernprozesse sowie durch die Reflexion seines eigenen lebensgeschichtlichen Hintergrundes unterstützt und gefestigt wurde.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch nichts von seinem Abfall vom islamischen Glauben und der Hinwendung zum Christentum berichtet hat. Hierauf angesprochen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und überzeugend versichert, dass er sich zum Zeitpunkt der Anhörung – dem 5. Dezember 2016 – noch keine Gedanken zu diesem Thema gemacht habe. Die beschriebene Entwicklung habe erst danach eingesetzt. Vor etwa einem Jahr und vier Monaten sei er erstmals mit dem christlichen Glauben in K … in Kontakt gekommen; vor etwa einem Jahr sei dann der Umzug nach S … erfolgt. Dies deckt sich mit den anderweitigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung, wonach er vier Monate lang regelmäßig die Gottesdienste in der Gemeinde B … besucht habe, bevor er umverteilt worden sei. Der Einzug in der neuen Unterkunft in S … ist nach Mitteilung der Regierung von Unterfranken am 24. August 2017 erfolgt, was mit der Aussage des Klägers zum Umzug übereinstimmt.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen längerfristigen Wandlungsprozess der inneren Umkehr glaubhaft geschildert und hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung und nicht von asyltaktischen Erwägungen geleitet ist. Dies zeigt sich augenscheinlich auch daran, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert hat, dass er seiner Schwester von der Konversion berichtet habe, welche dann die gesamte Familie eingeweiht habe. Denn der Kläger musste damit rechnen, dass sich seine Familie aufgrund dieser als sehr schwerwiegende Ehrverletzung einzustufenden Handlung dauerhaft von ihm abwendet, gegebenenfalls sogar an ihm Rache nehmen könnte. Daran, dass der Kläger sich seiner Familie gleichwohl offenbart hat, wird deutlich, dass der Glaube für den Kläger offensichtlich von sehr großer Bedeutung ist, da er sich ansonsten nicht den genannten Gefahren aussetzen würde und er seiner Familie eine etwaige rein asyltaktische Konversion sicherlich verheimlicht hätte. Tatsächlich sei seine Familie zunächst schockiert und traurig über den Abfall vom Islam gewesen; mit der Zeit werde das Verhältnis nun aber langsam wieder besser. Die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags wird auch dadurch bestärkt, dass dieser sich für seinen neuen Glauben der Gefahr aussetzt, wegen seines Abfalls vom Islam in Deutschland durch streng gläubige Moslems angefeindet oder gar körperlich angegriffen zu werden, wie sich aus der überzeugenden Stellungnahme des Bruders A… … vom 21. Juni 2018 sowie auch dem Bericht des Klägers über die Haltung anderer Afghanen in seinem Umfeld zum Christentum eindrücklich entnehmen lässt.
Der Kläger machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen sehr ehrlichen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Seine Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger in seinen Aussagen inhaltlich übertrieben, sondern stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet hat. Der Kläger erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig.
Der Kläger hat darüber hinaus auch glaubhaft machen können, mit zentralen Inhalten des christlichen Glaubens vertraut zu sein, indem er eine ganze Reihe christlicher Feste im Jahreslauf benennen und deren Bedeutung korrekt erläutern konnte.
Der Kläger konnte schließlich auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben in Deutschland praktiziert und dies auch in Afghanistan würde tun wollen. Er hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass er sonntags regelmäßig den Gottesdienst besuche und sich dort, wo er gebraucht werde, ins Gemeindeleben einbringe. Jeden Abend lese er überdies einige Seiten in der Bibel. Darüber hinaus hat der Kläger auch mit zwei anderen afghanischen Flüchtlingen in seiner jetzigen Unterkunft über den christlichen Glauben gesprochen und versucht, diese hiervon ebenfalls zu überzeugen. Dass der Kläger den christlichen Glauben regelmäßig und ernsthaft praktiziert, lässt sich zudem dem überzeugenden Bestätigungsschreiben des Bruders A… … vom 21. Juni 2018 entnehmen, worin u.a. darauf hingewiesen wird, dass der Kläger neben der Taufe auch die christlichen Sakramente der Firmung und der Erstkommunion empfangen hat. Der Kläger hat schließlich sehr klar und deutlich bekräftigt, dass er auch in Afghanistan – selbst im Bewusstsein der ihm drohenden Schwierigkeiten und Gefahren – seinen christlichen Glauben würde beibehalten wollen. Nach den islamischen Glaubensregeln erneut zu leben, könne er sich nicht vorstellen, denn ein Christ müsse wie ein Licht sein und er könne sich nicht vorstellen, dieses christliche Licht und seinen Glauben zu verstecken. Er würde vielmehr auch in seinem Heimatland über seinen Glauben berichten wollen. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 1 und 3 AsylG ausgesetzt zu sein.
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die oben geschilderten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime und Konvertiten drohen in Afghanistan landesweit, auch in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten seien. Selbst dort würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen und selbst im privaten, familiären Umfeld bedroht sein (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 13.5.2012 im Verfahren W 2 K 11.30269). Schutz vor Übergriffen ist jedoch in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 19; IGFM, a.a.O., S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z.B. OVG Nord-rhein-Westfalen, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886705.A – InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris Rn. 36 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – AU 6 K 13.30004 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 18.1.2011 – AU 6 K 10.30647 – juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U.v. 22.6.2012 – AU 6 K 11.30345 – juris Rn. 20 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 12.4.2013 – 13 A 2819/11.A – juris Rn. 26). Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersichtlich, in Bezug auf Konvertiten offen gelassen (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2013 – 13a ZB 12.30297 – juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan ausscheidet, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (vgl. VG Würzburg, U.v. 23.4.2018 – W 1 K 18.30052; U.v. 21.2.2018 – W 1 K 16.32723U.v. 31.1.2018 – W 1 K 16.32648; U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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