Verwaltungsrecht

Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bei palästinensischen und staatenlosen Klägern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Libyen wegen des dort herrschenden Bürgerkrieges

Aktenzeichen  AN 10 K 16.32482

Datum:
29.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9911
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 34 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 2, § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Nach aktuellen Erkenntnissen ist derzeit nicht von einer Gruppenverfolgung iSd § 3a Abs. 1 AsylG von staatenlosen Palästinensern bzw. Palästinensern in Libyen auszugehen.(Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar ist davon auszugehen, dass Palästinenser nach Libyen nicht mehr einreisen dürfen, jedoch sind auch Staatsangehörige einer Vielzahl von Ländern betroffen, sodass nichts auf eine Diskriminierung von Palästinensern hindeutet und es nahe liegt, dass die Motive für die Verweigerung der Nichteinreise wegen im Rahmen des § 3 AsylG nicht beachtlicher Sicherheitsbedenken und Versorgungsbedenken motiviert waren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts des nach wie vor bestehenden Bürgerkrieges in Libyen, bei dem sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüberstehen, es in manchen Landesteilen jedoch keine Herrschaftsmacht gibt und sich eine Vielzahl von rivalisierenden Milizen finden, ist von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts iSd § 4 Abs. 1 AsylG auszugehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. In Libyen steht zu befürchten, dass wegen des Konflikts, der zum Zusammenbruch der Sicherheit und Ordnung geführt hat, ein Klima entstanden ist, welches Bedrohungen des Lebens und der Unversehrtheit durch bewaffnete Gruppen oder die Bevölkerung allgemein, wenn nicht gegenüber allen Palästinensern zumindest im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Palästinenser begründen würde. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
5. Interner Schutz nach § 3e Abs. 1 iVm § 4 Abs. 3 AsylG ist für schutzbedürftige Palästinenser in Libyen nicht zu erlangen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nur zum Teil begründet, da die Kläger zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zwar einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 Abs. 1 AsylG) haben und die Klage daher gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO insoweit begründet ist, ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG jedoch nicht besteht.
1. Das Gericht geht hinsichtlich der Lage im Herkunftsland von folgenden Feststellungen aus:
Nachdem einige Jahre vom Auswärtigen Amt kein Lagebericht zu Libyen vorgelegt wurde, existiert nun ein Lagebericht vom 12. Februar 2018 (Geschäftszeichen 508-516.80/3) zu Libyen. Angesichts der volatilen Lage in Libyen und angesichts dessen, dass sich in Libyen keine Deutsche Botschaft befindet, basiert der Lagebericht neben den Informationen, die von Kontaktpersonen über die lokalen Verhältnisse bezogen sind, im Wesentlichen auch aus der Auswertung anderer Berichte. Der Lagebericht geht nicht speziell auf die Situation der Palästinenser in Libyen ein. Wesentliche Aussage des Lageberichts ist, dass Teile des Landes von Milizen kontrolliert werden, andere Teile praktisch unregiert sind und insgesamt keine gesamtstaatliche Kontrolle besteht. Bewaffnete Gruppen beanspruchen jeweils auf ihrem Gebiet die Ausübung staatlicher Kontrolle. Daher sei es eine der größten Gefahren für die Bevölkerung als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Weiter ist ausgeführt, dass alle bewaffneten Gruppen in Libyen mit unpräzisen Waffen, wie Mörser oder Artilleriegranaten schießen und damit letztlich häufig wahllos auf Zivilisten. Außerdem werden Minen und Sprengfallen genutzt. Weiter ist ausgeführt, dass in … bis Ende 2017 Luftangriffe auf dicht besiedelte zivile Gebiete stattfanden. Auch Autobomben seien dort benutzt worden. Außerdem wäre es zu Angriffen auf Krankenhäuser gekommen, auch in …. 2017 wäre über 371 zivile Kriegsopfer, also Tote und verwundete Zivilisten, berichtet worden. Die höchste Opferzahl wurde in … erreicht. Nach dem Lagebericht dürfte diese Zahl weit entfernt sein von der tatsächlichen Opferzahl. Weiter ist im Lagebericht ausgeführt, dass Menschenrechtsverletzungen in Libyen an der Tagesordnung seien, die vulnerabelste Gruppe sind Migranten und Flüchtlinge, die der Repression von staatlichen wie auch nicht-staatlichen Akteuren ausgesetzt seien, ohne sich wirksam schützen zu können. Zurückzuführen ist dies wohl auf Betreiben des Westens, um die Fluchtrouten aus Afrika über Libyen zu schließen. Zur allgemeinen Lage in Libyen führt weiter der aktuelle Bericht des britischen Innenministeriums zur Sicherheitslage und zur humanitären Situation im Libyen vom Januar 2018, der im Internet öffentlich abrufbar ist (https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/673747/Libya_-_Security_Situation_-_CPIN_-_v3.0.pdf), aus, dass die humanitäre Versorgungslage äußerst schlecht sei, insbesondere im Hinblick auf die medizinische Versorgung. Von den etwa 6,5 Millionen Einwohnern in Libyen wären 1,3 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen, insbesondere in …. Es gäbe etwa 200.000 Binnenflüchtlinge. Es sei im Hinblick auf diese Information zwar nicht generell davon auszugehen, dass die humanitäre Lage dergestalt ist, dass eine Rückführung dorthin eine Verletzung des Verbots der Folter bzw. der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Dies könne sich in manchen Landesteilen jedoch anders darstellen, insbesondere bei verletzlichen Personen. In dem britischen Bericht ist weiter ausgeführt, dass die Sicherheitslage derart schlecht sei, dass ungeachtet möglicher weniger Landesteile, die trotz der Abwesenheit einer Regierung relativ sicher seien, insgesamt für Libyen davon auszugehen sei, dass Zivilisten auf Grund des Bürgerkriegs dort ernsthaft individuell gefährdet seien und somit die Schwelle von Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie erreicht sei, also von einer ernsthaften individuellen Bedrohung auf Grund willkürlicher Gewalt auf Grund des bewaffneten Konflikts auszugehen sei.
Hinsichtlich der Sicherheitslage in … im Allgemeinen, zum derzeitigen Zeitpunkt, ist wenig bekannt. Wie aus dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel zu … hervorgeht, berichten internationale Medien, dass der General Haftar, der Machthaber im Osten des Landes, die letzten Widerstandsnester der vorher in … machthabenden islamistischen Miliz zum Ende des Jahres 2017 eingenommen hat. Ob die Miliz noch im Untergrund wirkt, ist nicht bekannt, solches ist jedoch nicht auszuschließen. Nach dem auf der Web-Seite der United Nations Support Mission in Libya, erschienen Human Rights Report on Civilian Casualties vom 1. März 2018 (https://unsmil.unmissions.org/human-rights-report-civilian-casualties-march-2018) hätte es im Februar 2018 146 zivile Opfer, Tote und Verwundete, des bewaffneten Konflikts gegeben. Die meisten Opfer wären auf Minen zurückzuführen. 126 der Opfer stammten aus …. Die Minen seien wohl wahrscheinlich von der vorher machthabenden Miliz zurückgelassen worden Die Lage der palästinensischen Flüchtlinge in Libyen im Speziellen würdigte zum einen das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) vom 19. Januar 2017 (abrufbar im Internet unter www…net) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einem Themenpapier vom 31. Oktober 2017, über die Internetseite der Schweizerischen Flüchtlingshilfe abrufbar (fluechtlingshilfe.ch). Bei diesen Berichten der Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen handelt es sich um die aktuellsten Berichte zu der hier interessierenden Frage. Die Quellen, andere Berichte sowie Angaben von Informanten werden ausgewiesen. Im Wesentlichen wird im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu der hier interessierenden Frage Folgendes ausgeführt: Nachdem die Palästinenser aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten nach Gründung des Israelischen Staates vertrieben worden sind und bis heute in Flüchtlingslagern in den arabischen Nachbarstaaten sich aufhalten, kamen vor allem in 1970er Jahren mehr Palästinenser zum Arbeiten nach Libyen. In Libyen sind Palästinenser generell als arabische Freunde empfangen worden. Nach einem Richtungswechsel des früheren Staatsführers Gaddafi wurde ab dem Jahr 1994 ein Großteil der Palästinenser aus Libyen herausgeschafft bzw. sie verloren ihre Arbeitsstellen und Aufenthaltsbewilligungen. Diese Politik wurde jedoch 1997 beendet und die Palästinenser wurden wieder aufgenommen. Im Jahr 2011 hätten in Libyen etwa 70.000 Palästinenser gewohnt. Nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 wären noch zunehmend weitere palästinensische Flüchtlinge aus Syrien nach Libyen gekommen. Zwischen den Neuankömmlingen und den sich schon länger in Libyen aufhaltenden Palästinenser zu unterscheiden sei kaum möglich. Die Mehrheit der Palästinenser würde in … leben. Nach Ausbruch des Konflikts in Libyen wären sie in einer prekären Lage gewesen, da sie nicht mehr in ihre früheren Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. Das Klima in Libyen ihnen gegenüber sei 2011 jedoch zunehmend schärfer geworden. Bis 2011 hätten Palästinenser ohne Visum nach Libyen einreisen können. Dies hätte sich jedoch geändert. Im Januar 2015 erließ die damalige Regierung in Dohuk im Osten des Landes eine Einreisesperre für Palästinenser, Syrer und Sudaner, da sie befürchtete, diese Personen würden islamistische Gruppierungen unterstützen. Dies gilt auch für Frauen und Kinder. Die tatsächliche Umsetzung dieser Einreisesperre ist jedoch unklar. Der im Osten des Landes machthabende Militärgeneral Haftar, der nun auch Herrschaft in … ausübt, erließ im April 2017 eine Einreisesperre für Personen aus Syrien, Sudan, Pakistan und Bangladesh. Ob dies auch für Palästinenser gilt, gerade die die schon vorher in Libyen, gerade vor 2011, gelebt hatten, ist jedoch unklar. Im Bericht würde weiter ausgeführt, dass hinsichtlich der Migranten und Flüchtlinge in Libyen diese überwiegend in Haftanstalten sich aufhalten müssen. Dort komme es zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen und Versklavungen bis hin zu Tötungen. Viele dort Inhaftierte sterben wegen Hunger, Durst oder Krankheiten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht weiter davon aus, dass es sich bei den inhaftierten Migranten hauptsächlich um solche aus der Subsahara-Region handelt. Es sei nicht davon auszugehen, dass Palästinenser im gleichen Maße wie Subsahara-Flüchtlinge systematisch verhaftet werden. Verhaftungen von Palästinensern aus Sicherheitsgründen wären inzwischen jedoch auch schon bekannt geworden, da vermutet wurde, sie würden islamistische Gruppierungen unterstützen. In einem solchen Fall gäbe es wohl keine Rechtsschutzmöglichkeiten. Verhaftungen von Palästinensern stünden wohl hauptsächlich im Zusammenhang mit einer Flucht über das Mittelmeer. Weiter ist im Bericht ausgeführt, dass sich vermehrt Palästinenser um Unterstützung bei dem UN-Flüchtlingshilfewerk bemühten. Aus … seien viele Palästinenser durch Gewalt vertrieben worden. Im ganzen Land gäbe es Check-Points, die von Behörden und Milizen kontrolliert werden. An diesen Check-Points sei mit Verhaftungen zu rechnen. Auch Palästinenser würden an derartigen Check-Points zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Gegenüber Palästinensern hätte es nach dem Jahr 2011 zunehmend Gewalt gegeben, da ihnen einerseits eine Verbindung zum damaligen Regime nachgesagt wurde, andererseits ihnen vorgeworfen wurde, nicht für das Regime zu kämpfen. Wegen Gewalt und weitere Kriminalität hätten die Palästinenser weder Zugang zu Schutz bei Stammesnetzwerken noch bei Behörden. Nach Fall des Gaddafi-Regimes wäre das Klima noch schlimmer geworden und Palästinenser wären aus ihren Wohnungen vertrieben worden, da die Grundstücke vormals von anderen Besitzern durch das ehemalige Regime konfisziert worden seien. Die Ankunft von neuen Palästinensern und Syrern hätte das Land zusätzlich belastet, da es nun zu einer erhöhten Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt und bei sozialen Dienstleistungen gekommen sei. Nachdem sich die Lage nach Ausbruch des erneuten Bürgerkriegs im Jahr 2014 weiter verschlechtert hätte, wären Palästinenser in der Gesellschaft zunehmend wegen der Verschlechterung der Lage als Sündenböcke angesehen worden. Es hätte Gerüchte gegeben, dass sie in Verbindung zu Milizen und radikalen Gruppen stehen. Dies gelte insbesondere für Palästinenser, die in … wohnen würden. Nachdem die Palästinenser vor 2011 in vielen Belangen gleich behandelt wurden wie libysche Bürger, sei zunehmend der Zugang zu Leistungen, wie dem Gesundheitssystem und zur Bildung eingeschränkt. Der letzte Bericht des UN-Flüchtlingshilfewerks vom Oktober 2015 zu Libyen bestätigt diese Aussage zur Situation der Palästinenser in Libyen und sieht daher Rückführungen nach Libyen nicht als möglich an. Das Bundesamt führt in einer aktuellen Stellungnahme vom 14. März 2018 im Verfahren AN 10 K 17.34737 zur Problematik aus, dass auf Grund des bewaffneten Konflikt und der politischen Instabilität in Libyen die humanitäre Lage prekär sei. Rund 2,44 Millionen Menschen bedürften humanitärer Unterstützung, was libysche Staatsangehörige ebenso wie Flüchtlinge beträfe. Besonders schwierig sei die Situation für Familien mit Kindern und alleinstehenden Frauen. Nach Fall des Gaddafi-Regimes seien die Palästinenser Opfer von Belästigungen und Einschüchterungen geworden, die Palästinenser wären zu Sündenböcken gemacht worden und ihnen wären Verbindungen zu Milizen und radikalen Gruppen unterstellt worden. Zusammenfassend geht das Bundesamt in der Stellungnahme davon aus, dass es Palästinensern auch in ihrer besonderen Situation nicht generell unmöglich ist, ihre Existenz in Libyen zu sichern. Es gäbe jedoch Situationen bei vulnerablen Personen, wie Familien mit kleinen Kindern, bei denen dies nicht erwartet werden könne und denen daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben werden müsse.
Weitere Sachaufklärung durch die Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes war nicht veranlasst, angesichts dessen, das Auswärtige Amt in Libyen nicht präsent ist, der aktuelle Lagebericht nicht auf die Situation der Palästinenser eingeht und angesichts dessen, dass das Gericht durch die anderen aktuellen Auskünfte, insbesondere der einschlägigen Auskunft des Schweizer Flüchtlingshilfewerks vom 31. Oktober 2017 genügend informiert ist. Diese Auskunft ist aufgrund ihres sachlichen Charakters und der Angabe der Quellen bei einzelnen Ausführungen auch hinreichend verlässlich und nachvollziehbar. Die letzte Auskunft des Auswärtigen Amtes an ein Verwaltungsgericht datiert vom 30. Juni 2017 (Geschäftszeichen 508-516.80/ 49491). Nach dieser Auskunft würden Palästinenser in Libyen nicht diskriminiert werden und sie könnten einen Aufenthaltstitel erhalten. Die Auskunft, die sich in Ergebnissätzen erschöpft und im Übrigen keine Quellen angibt, geht nicht auf die ersichtlich bekannt gewordenen zunehmenden Diskriminierungen, wie sie im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aufgeführt sind, ein und geht auch nicht darauf ein, dass zunehmend Einreisesperren verhängt werden, die möglicherweise auch gegen Palästinenser gelten. Auch angesichts dieser Schwächen war die Einholung einer neuen Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Einschätzung der Lage der Palästinenser, die sich in den letzten Monaten nicht wesentlich verändert hat, nicht veranlasst.
2. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger und der erhältlichen Erkenntnismittel ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG nicht zuzuerkennen, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen.
Nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Herkunftsland ist entweder das Land, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Da die Kläger allesamt staatenlos sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Libyen hatten, ist insoweit auf Libyen abzustellen. Nach dem Vortrag der Kläger droht ihnen in Libyen jedoch keine Verfolgungshandlung gemäß § 3 a Abs. 1 AsylG, die nach dem Gesetz gegen die Kläger individuell gerichtet sein muss. Kam es bereits zu einer Vorverfolgung, also bereits zu Verfolgungshandlungen vor Ausreise, so streitet für die Kläger eine tatsächliche Vermutung, dass sie bei Rückkehr ebenfalls wieder Verfolgung erleiden müssen, andernfalls sind stichhaltige Gründe von den Klägern darzulegen (siehe hierzu VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Ein solches wurde von den Klägern jedoch nicht vorgetragen. Sie berufen sich hauptsächlich hinsichtlich ihres Fluchtgrundes auf die allgemeine Sicherheitslage und humanitäre Lage in Libyen gerade im Hinblick auf die besondere Situation von Palästinensern. Der Kläger zu 1) berichtete lediglich in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu der Bundesamtsanhörung, es hätte einen konkreten Vorfall gegeben, bei dem, als er in … unterwegs war, Bewaffnete gekommen wären, die ihn bedroht hätten und das Auto hätten wegnehmen wollen. Dieser Vortrag, erreicht, selbst wenn man ihn als wahr unterstellt, jedoch nicht den nach § 3 a Abs. 1 AsylG erforderlichen Schweregrad. Weiteres hat der Kläger zu 1) auch auf Nachfrage, ob er noch etwas vorzutragen hätte, auch in der mündlichen Verhandlung nicht erzählt.
Nach Überzeugung des Gerichts droht den Klägern nicht allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Palästinenser eine Verfolgung in Libyen. Die Annahme einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt voraus, dass Gruppenmitglieder Rechtsschutzbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst alsbald Opfer einer solchen Verfolgungsmaßnahme zu werden. Es geht also darum, ob die Verfolgungshandlungen auf alle sich im Herkunftssaat befindlichen Gruppenmitglieder abzielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten und wiederholt um sich greifen, dass für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (BVerwG, Urteil vom 21.4.2009, 10 C 11/08). Für eine Bejahung der Gruppenverfolgung bedarf es nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer Feststellung zur Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahme, die zur Gesamtzahl der Gruppenangehörigen unter abschließender Würdigung der Gesamtumstände im Rahmen einer wertenden Betrachtung in Verhältnis gesetzt wird. Neben der Ermittlung einer erforderlichen Verfolgungsdichte kann auch dann von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, etwa wenn der Heimatstaat die betroffene Gruppe physisch vernichten oder ausrotten oder aus seinem Staatsglied vertreiben will (BVerwG, Urteil vom 5.7.1994, 9 C 158/94). Nach diesen Maßstäben ist jedoch vorliegend nicht von einer Gruppenverfolgung von staatenlosen Palästinensern bzw. Palästinensern in Libyen auszugehen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm zur Vernichtung der Palästinenser. Die in den Erkenntnismitteln berichteten einzelnen Verhaftungen sowie auch die Diskriminierungen, von denen berichtet wird, geben insgesamt nicht das Gesamtbild, dass der libysche Staat bzw. die in einzelnen Landesteilen machthabenden Parteien oder Organisationen bzw. Militärs sich zum Ziel gesetzt haben, die Palästinenser zu vernichten. Es ergeben sich auch keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass eine Vertreibung aus Libyen der Palästinenser insgesamt oder durch einzelne Verhaftungen bezweckt ist. Vielmehr ergibt sich das Bild eines zunehmend feindseligen Klimas gegenüber den Palästinensern in der Gesellschaft, vor allem wegen der schlechten Sicherheitslage und dem laufenden Konflikt sowie der angespannten Versorgungssituation. Palästinensern wird zunehmend feindselig gegenübergetreten und sie werden zunehmend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Dieses Bild wird letztlich auch von dem Vortrag der Kläger bestätigt, die sich vor allem auf die schlechte Sicherheitslage berufen sowie auf das Gefühl, vom Leben immer mehr ausgeschlossen zu sein, da alles Fremde in Libyen nicht mehr wohlgelitten ist. Diese Problematik, die also für alle Fremden in Libyen besteht, wobei wohl auch die sich schon früher in Libyen befindlichen Palästinenser als fremd angesehen werden, ergibt auch nicht den Eindruck einer gezielten Vertreibung, wie sie nach der Auskunftslage in den 90ern gegenüber den Palästinenser noch betrieben wurde. Nach alledem ist somit nicht von einem staatlichen Verfolgungsprogramm auszugehen.
Auch ansonsten ist mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht von einer Verfolgung aller Palästinenser in Libyen bzw. auch der Palästinenser in … auszugehen. Es fehlt an der Intensität und Häufigkeit von Verfolgungshandlungen gegen einzelne Gruppenmitglieder, so dass von einer Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds ausgegangen werden könne. In den Erkenntnismitteln ist von vereinzelten Verhaftungen von Palästinensern die Rede, die gegen die Situation von anderen Migranten, vor allem aus der Subsahara-Region, die reihenweise verhaftet werden und menschenrechtswidrigen Haftbedingungen ausgesetzt sind, gegenüberzustellen ist. Zudem hätten sich immer mehr Palästinenser hilfesuchend an das UN-Flüchtlingshilfewerk gewandt. Weiteres zu den Verhaftungen und einer damit verbundenen Agenda ist nicht bekannt. Die Kläger haben zudem zu diesem Punkt auch nichts vorgetragen. Das Gericht geht daher nicht davon aus, dass diese Maßnahmen die Häufigkeit erreichen, die für die Annahme einer Gruppenverfolgung nötig wäre. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die vorgetragenen Diskriminierungen. Dies gilt zum einen für die berichteten Einschränkungen beim Zugang zum Gesundheitssystem und zur Bildung. Da nach § 3 a Abs. 2 Nr. 2 AsylG auch diskriminierende Maßnahmen Verfolgungshandlungen darstellen können, und die nach § 3 a Abs. 1 AsylG erforderliche Erheblichkeitsschwelle, die für eine Verfolgungshandlung gefordert wird, auch bei der Komulation unterschiedlicher Maßnahmen bestehen kann, ist eine Verfolgung bei fehlenden bzw. verweigertem Zugang zu wichtigen Institutionen und System nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, 10 C 23/12). Angesichts dessen, dass nach der Auskunftslage, insbesondere dem Bericht des britischen Homeoffice vom Januar 2018 alle Bevölkerungsgruppen Schwierigkeiten mit dem Zugang zur Bildung und zum Gesundheitssystem haben, ist jedoch nicht hinsichtlich dieses Aspektes von einer Verfolgungshandlung auszugehen, zumal eine Verfolgung im Regelfall nur bei einer schwerwiegenden Verletzung von in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten Rechten, insbesondere dem Recht auf Leben, dem Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, dem Verbot von Sklaverei und dem Verbot von Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage vorliegt (hierzu Heusch/Haderlein/ Schönenbroicher, Das Neue Asylrecht 2016, Seite 21 m.w.N. zur Rspr.). Nach der Auskunftslage ist zudem davon auszugehen, dass Palästinenser in Libyen einer Arbeit nachgehen dürfen. Hinsichtlich der weiteren Umstände, mit denen Palästinenser in Libyen nach der Auskunftslage zu rechnen haben, entsteht für das Gericht das Bild, dass diese im Schwerpunkt nicht dem Staat, sondern der libyschen Gesellschaft zuzurechnen sind. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass Palästinenser zunehmend zu Sündenböcken gemacht werden und ihnen Verbindungen zu radikalen Gruppen unterstellt werden, die zunehmend verübte Kriminalität gegenüber Palästinensern und allgemein das feindselige Klima ihnen gegenüber. Die Maßnahmen sind daher kaum einem Verfolgungsakteur zuzurechnen, was jedoch nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG Anspruchsvoraussetzung ist. Zwar kann nach § 3 c Nr. 3 AsylG die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen wenn der Staat oder andere herrschende Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz zu gewährleisten. Angesichts der Erkenntnismittellage ist eher nicht von einer Schutzfähigkeit und einem Schutzwillen des libyschen Staates bzw. der in den jeweiligen Landesteilen herrschenden Gruppen und Organisationen auszugehen. Zudem können Palästinenser nicht auf den Schutz von Stammesstrukturen wie ansässige Libyer zurückgreifen. Andererseits geht das Gericht nach der aktuellen Erkenntnismittellage nicht davon aus, dass diese Umstände staatlich forciert werden. Die zuletzt erwähnten Umstände und Vorkommnisse können letztlich deswegen nicht bei der Prüfung der Gruppenverfolgung herangezogen werden, weil sie den bereits eingeführten asylrechtlichen Erheblichkeitsmaßstab nicht überschreiten, die Verfolgungshandlungen nicht den erforderlichen Schweregrad haben, denn eine Lebensgefährdung bzw. eine Behandlung, die einer Folter gleichkommt sowie eine Versklavung ist darin nicht zu erblicken.
Nach alledem ist nicht von einer Gruppenverfolgung in Libyen von Palästinensern auszugehen.
In Bezug auf die vorstehenden Ausführungen ist auch im Hinblick auf den individuellen Vortrag der Kläger keine Schlechterstellung im Hinblick auf den Zugang zur Bildung und Gesundheit gegenüber libyschen Staatsangehörigen festzustellen, die den asylrechtlichen Schweregrad nach § 3 a Abs. 1 AsylG erreicht. Gleiches gilt für Maßnahmen, die den Klägern möglicherweise von der libyschen Bevölkerung zugefügt werden könnten. Der Vortrag der Kläger hierzu ist auch nicht hinreichend substantiiert (zu diesem Erfordernis an den klägerischen Vortrag, BVerwG, Urteil vom 22.3.1983, 9 C 68.81).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Aussperrung oder Ausgrenzung in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne Rückkehrverweigerung eine politische Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale erfolge. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nahe, wenn eigene Staatsangehörige betroffen sind. Bei Staatenlosen liege es demgegenüber nahe, dass eine solche Maßnahme auf anderen als asylrechtlichen Gründen beruht, etwa wenn der Staat ein Interesse daran habe, die durch den Aufenthalt entstandene wirtschaftliche Belastung zu mindern oder Gefahren für die Staatssicherheit und potentielle Unruhestifter zu vermeiden (BVerwG, Urteil vom 24.10.1995, 9 C 75/95). So liegt der Fall hier. Es handelt sich bei den Klägern nicht um Staatsbürger, sondern Staatenlose. Nach der Erkenntnismittellage ist wohl eher davon auszugehen, dass Palästinenser nach Libyen nicht mehr einreisen dürfen. Betroffen sind jedoch nicht nur Palästinenser, sondern auch Staatsangehörige einer Vielzahl von Ländern. Es deutet daher nichts auf eine Diskriminierung von Palästinensern hin. Angesichts der vorgetragenen Motive, möglichst Sympathisanten von Islamisten fernzuhalten und angesichts der angespannten Versorgungslage im Land, liegt es auch nahe, dass die Motive für die Verweigerung der Nichteinreise nicht in der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung von Palästinensern liegen, sondern in Sicherheitsbedenken und Versorgungsbedenken motiviert waren. Dies ist jedoch im Rahmen des § 3 AsylG nicht beachtlich.
Nach alledem war der Antrag auf Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen und es war über den Hilfsantrag zu entscheiden.
3. Die Kläger haben einen Anspruch auf Verpflichtung zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Denn die Anspruchsvoraussetzungen liegen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) vor.
Den Klägern droht bei einer möglichen Rückkehr nach Libyen ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, in der Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit von einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Ein bewaffneter Konflikt ist dadurch gekennzeichnet, dass er die Schwelle von reinen Unruhen, Spannungen und Gewaltakten überschreitet und dass mehrere bewaffnete Gruppen aufeinander treffen (EuGH, Urteil vom 30.1.2014, C 285/12). Angesichts des nach wie vor bestehenden Bürgerkrieges in Libyen, bei dem sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüberstehen, es in manchen Landesteilen jedoch keine Herrschaftsmacht gibt und sich eine Vielzahl von rivalisierenden Milizen finden, ist von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts angesichts der Auskunftslage auszugehen (so auch VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16).
Nach der Rechtsprechung muss dieser Konflikt insbesondere in der Herkunftsregion der Kläger liegen, in die die Kläger typischerweise zurückkehren würden, wenn der Konflikt nicht landesweit besteht (BVerwG, Urteil vom 14.7.2009, 10 C 9/08). Die aktuellen Berichte, insbesondere der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes sowie auch der Bericht des britischen Homeoffice vom Januar 2018 gehen jedoch von einem landesweiten bewaffneten Konflikt aus. Insbesondere gäbe es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Milizen. Auf Grund des Konflikts zwischen einer islamistischen Miliz und dem General Haftar ist insbesondere … über die vergangenen Jahre der Schwerpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen. Nach der Auskunftslage ist … zwar von dem General Haftar eingenommen worden und nach dem Eintrag des Online-Lexikons Wikipedia, das auf internationale Presse verweist, wäre auch das letzte Widerstandsnest der Islamisten eingenommen worden. Dies soll Ende des Jahres 2017 passiert sein. Diese Ereignisse liegen angesichts der Einschätzung zur allgemeinen Lage in Libyen noch nicht lange genug zurück, um sicher davon sprechen zu können, dass auch in … kein bewaffneter Konflikt mehr besteht, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass die bisher in … machthabende Miliz oder andere Milizen noch vorhanden sind und aus dem Untergrund weiter Krieg führen oder zurückkehren. Zudem kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bei der Prüfung einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, da die Tatbestandsmerkmale aufeinander bezogen sind und letztlich entscheidend der Schutz von Zivilpersonen vor der beschriebenen Gewalt ist, entscheidend nur darauf an, ob in der Herkunftsregion tatsächlich ein derartiger Grad von Gewalt herrscht, der zu der beschriebenen ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson führt (EuGH, Urteil vom 30.1.2014, C 285/12).
Eine derartige ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt liegt jedoch hinsichtlich der Kläger, wenn man auf die Herkunftsregion … abstellt, vor.
Zugrunde zu legen ist hier der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 5/12). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert, dass eine Rechtsgutsverletzung nicht nur im Bereich des Möglichen liegt. Bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend, ob bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutsverletzung gerechtfertigt ist, müssen die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände größeres Gewicht haben als die dagegensprechenden Tatsachen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, 9 C 9/95). Damit ist auch gesagt, dass es bei dieser Gefahrenabschätzung bzw. Prognose zwar nicht auf das Individuum und somit nicht auf eine besonders ängstliche Person ankommt, aber die gefährlichen Umstände dennoch subjektivierend, aus der Perspektive eines vernünftigen besonnenen Menschen zu betrachten sind. Daher ist nicht erforderlich, dass der ernsthafte Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG bereits eingetreten ist, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr besteht. Weiter fordert die beachtliche Wahrscheinlichkeit mehr als die theoretische Möglichkeit einer solchen Schädigung, es ist aber auch nicht automatisch zu fordern, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts immer über 50 Prozent liegen muss. Ein vernünftiger besonnener Mensch wird nicht nur die Wahrscheinlichkeit allein in Betracht ziehen, sondern auch die Schwere eines befürchteten Eingriffs. Bei hinreichenden schweren Gefahren, insbesondere Todesgefahr, kann bei einer geringen mathematischen Schadens-Wahrscheinlichkeit die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, die bei einem vernünftigen besonnenen Menschen zu einer begründeten Furcht vor derartigen Folgen führt, überschritten werden (zu den Grundsätzen: BVerwG, Beschluss vom 7.2.2008, 10 C 33.07 und Berlit, ZAR 2017, 110).
Nach diesen Maßstäben liegt hinsichtlich der Kläger eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor. Eine solche kann dann zu bejahen sein, wenn der Grad an willkürlicher Gewalt so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson, die in das Land bzw. Landesteil reist, davon betroffen ist. Zur Beurteilung bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte, also Feststellungen zu den Opferzahlen, die ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gesetzt wird, sowie abschließend einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, 10 C 4.09). Auf Grund dieser wertenden Gesamtbetrachtung ist das quantitative Verhältnis zwischen der Opferzahl und der Gesamtbevölkerung nur ein Hilfsmittel bei der Gefahrabschätzung und nicht das alleinige Kriterium, da es sonst auf eine inhumane reine Knochenzählerei hinausliefe. Denn zur Einschätzung der Konfliktlage und der Gefährdung der Kläger bedarf es auch der Würdigung von deren individuellen Situation sowie hinsichtlich des Konflikts der qualitativen Beurteilung, etwa im Hinblick auf politische, strukturelle, wirtschaftliche und taktische Konfliktmerkmale. Denn in Bürgerkriegssituationen wird selten rational gehandelt (Berlit, ZAR 2017, 110). Dies gilt besonders deswegen, weil die Feststellungen zu den Opferzahlen häufig auf ungenauen Angaben basieren, die Verhältnisse im Herkunftsland auf Grund des Konflikts nicht hinreichend klar und die Zahlen daher nicht verlässlich sind (Berlit, ZAR 2017, 110). Es gibt daher keine konkrete Messzahl, ab der gesagt werden kann, dass der Grad willkürlicher Gewalt genügend hoch oder zu niedrig ist. Eine solche Aussage trifft auch das Revisionsgericht Bundesverwaltungsgericht nicht, zumal es keine Tatsacheninstanz ist. Lediglich zur Situation im Irak fand sich die Aussage, dass ein Schadensrisiko von 1:1.000 sehr weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, 10 C 13.10). Angesichts dessen, dass es immer einer wertenden Betrachtung für das konkrete Land für den konkreten Konflikt bedarf, können diese Zahlen kaum als fester Messwert angesehen werden. Im Übrigen erscheint es dem Gericht, dass hinsichtlich einer quantitativen Betrachtungsweise auch deswegen äußerste Vorsicht geboten ist, da auch in Ländern mit hohen Schutzquoten, die Gefahrendichte in einer quantitativen Betrachtung sehr gering ausfällt. Beispielsweise wird für Afghanistan, ein Land mit etwas über 30 Millionen Einwohnern, die zivile Opferzahl durch den Bürgerkrieg mit 140.000 Opfern bemessen (Berlit, ZAR 2017, 110). Gleiches gilt für Syrien, wo nach übereinstimmenden Medienberichten die zivile Opferzahl in die Hunderttausende geht, bei einer Einwohnerzahl von etwa 20 Millionen. Zudem kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts neben den bekannten Opferzahlen eine Dunkelziffer hinzugerechnet werden (BVerwG, Beschluss vom 29.11.1996, 9 B 445.96). Vorliegend berichtet die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL), im Internet frei abrufbar, zu zivilen Opfern des Konflikts in Libyen. 2016 gab es insgesamt 567 berichtete Opfer, 2017 242 berichtete Opfer bei einer Gesamtzahl von 6,5 Millionen Einwohnern in Libyen (vgl. zu dieser Berechnung auch VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). In … wurden von der Unterstützermission der UN für 2017 96 Opfer und für 2016 296 zivile Opfer berichtet (zu dieser Berechnung: VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Nachdem der Kampf um … zum Ende des Jahres 2017 offiziell beendet worden ist, hat sich die Sicherheitslage möglicherweise etwas entspannt, gleichwohl werden von der Unterstützermission für Februar 2018 122 Opfer in … berichtet. Neben den Zahlen ist für das erkennende Gericht insbesondere maßgeblich, dass der Konflikt in Libyen, wie auch vom Auswärtigen Amt im aktuellen Lagebericht dargestellt, sich so darstellt, dass es eine Vielzahl von Unruheherden gibt, gerade auch durch die vielen am Kampf beteiligten Milizen und … der absolute Schwerpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen im Osten des Landes war. Kennzeichnend ist auch, dass die Konfliktparteien zu unpräzisen Waffen wie Mörser- und Artilleriegranaten gegriffen haben und bei deren Einsatz somit bewusst in Kauf genommen haben, dass zivile Gebiete getroffen werden. Die Unterstützermission der UN berichtet, dass es zu Bombardements durch Flugzeuge von Wohngebieten gekommen ist. Weiterhin wurde Gebrauch gemacht von Kampfmitteln wie Minen und Sprengfallen. Dies sind Kampfmittel, die gerade die Zivilbevölkerung besonders betreffen und zum Ziel haben, die Sicherheit in einem bestimmten Gebiet längerfristig zu unterminieren. Es handelt sich dabei um ein Paradebeispiel von willkürlicher Gewalt, also im Rahmen des Konflikts eingesetzter Gewalt, die sich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Besonders … ist davon insbesondere betroffen, weil nach aktuellen Informationen der Unterstützermission der UN die allermeisten Opfer in … Opfer von Minen sind. Angesichts dessen, dass der akute Kampf in … erst vor kurzem beendet wurde, liegt es nahe, dass Angehörige der Zivilbevölkerung, insbesondere in …, Furcht vor Lebensgefahren bzw. Gefahren wegen körperlicher Unversehrtheit in begründetem Ausmaß haben, die auf kriegerische Handlungen zurückzuführen ist. Dies vor allem deswegen, weil nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Dunkelziffer der Opferzahl nicht nur um ein Vielfaches, sondern wohl weit über den berichteten Opferzahlen liegen dürfte. Es ist daher fraglich, ob bei der Dunkelziffer eine Vervierfachung ausreicht (so VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Entwickeln sich die Opferzahlen im Jahr 2018 weiter wie im Februar 2018, so wäre zumindest von einer berichteten Opferzahl im vierstelligen Bereich auszugehen. Selbst wenn man die Dunkelziffer mit dem Faktor 4 ansetzt und von 650.000 Einwohnern in … ausgeht, berechnet sich bei den somit geschätzten 4.000 Opfern, bezogen auf die Einwohnerzahl, ein nicht unerheblicher Faktor von etwa 6:1.000. Die Frage, ob für jede Zivilperson der verlangte Gefahrengrad vorliegt, muss jedoch letztlich entschieden werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Gefahrengrad niedriger ausfallen, wenn gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Solche Umstände sind etwa, von Berufs wegen, etwa als Arzt oder Journalist, gezwungen zu sein, nahe an den Kämpfen zu sein. Weiter zählen dazu auch solche persönlichen Umstände, auf Grund derer die Kläger als Zivilpersonen zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte, etwa wegen der religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit, ausgesetzt sind (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, 10 C 4/09). Das Bundesverwaltungsgericht bezieht daher nicht nur die für Bürgerkriege bzw. bewaffnete Konflikte typischen Gefahren, durch Kollateralschäden gefährdet zu sein, in den Schutz des § 4 Abs. 1 AsylG mit ein. Nach dem Verständnis des erkennenden Gerichtes geht es vom Sinn und Zweck her wegen des Einbezuges von Teilen der Zivilbevölkerung mit besonderen Merkmalen auch darum, davor zu schützen, dass im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes der Zusammenbruch der Ordnung ausgenutzt wird, um Personen, gegenüber denen Feindseligkeiten bestehen, bewusst zu schädigen. Das erkennende Gericht deutet dies so, dass § 4 Abs. 1 AsylG nicht nur vor bewussten Schädigungen durch die Konfliktparteien schützen will, da ein solcher Schutz im Regelfall bereits über § 3 Abs. 1 AsylG gewährleistet ist und dass es Gewaltphänomene gegenüber gefährdeten Gruppen gibt, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten gerade diesen drohen wie etwa Aggressionen durch die Gesellschaft, die angesichts des Zusammenbruchs der Ordnung und der kriegsbedingten schlechten Versorgungs- und Sicherheitslage nicht verhütet werden und denen diese Bevölkerung schutzlos ausgeliefert ist. Dies dient letztlich auch der Schließung von Schutzlücken.
Nach der so verstandenen Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bestehen ernsthafte individuelle Bedrohungen von Leben oder der Unversehrtheit, wenn nicht für die Palästinenser in … allgemein durch den dort herrschenden Konflikt, zumindest für die Kläger. Wie bereits ausgeführt, besteht für Palästinenser in … ein erhebliches Klima der Feindseligkeit der Gewalt und Kriminalität. Auf Grund der zunehmend schlechten Lage werden die Palästinenser, die nunmehr als Fremde angesehen werden, zu Sündenböcken gemacht, und gegen sie richten sich Aggressionen, gegen die kein staatlicher Schutz zu erlangen ist. Zudem wird Palästinensern nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von den Konfliktparteien unterstellt, die jeweils andere Seite zu unterstützen bzw. Terroristen oder Islamisten zu sein. Es steht daher zu befürchten, dass wegen des Konflikts, der zum Zusammenbruch der Sicherheit und Ordnung geführt hat, ein Klima entstanden ist, welches Bedrohungen des Lebens und der Unversehrtheit durch bewaffnete Gruppen oder die Bevölkerung allgemein in … wenn nicht gegenüber allen Palästinensern zumindest im Hinblick auf die Kläger bestehen würde. Die Kläger sind auf Grund ihrer individuellen Umstände besonders schutzbedürftig. Als Familie mit kleinen Kindern, insbesondere einem Neugeborenen (Verfahren AN 10 K 18.30213), sind sie besonders verwundbar. Die Familie der Klägerin zu 2), die sich wohl noch in … aufhält, ist selbst nach dem Vortrag der Kläger konkreten Bedrohungen wie Bombenanschlägen schon noch ausgesetzt gewesen und deswegen selbst gefährdet. Eine Unterstützung von dieser Seite dürfte daher eingeschränkt sein. Zudem dürfte der Kläger zu 1) besonders als Fremder wahrgenommen und erkannt werden. Denn er stammt ursprünglich aus Syrien und ist dort auch geboren, was nach seinen glaubhaften Angaben in den libyschen Reisepapieren auch vermerkt ist. Zudem ist der Kläger zu 1), wie manche Palästinenser in der Levante, deutlich hellhäutig und hat eine blonde Haarfarbe. Da die meisten nordafrikanischen Araber eher dunkelhäutig sind und dunkles Haar tragen, ist der Kläger zu 1) daher deutlich auffällig und als Fremder erkennbar. Auf die besondere Situation von Palästinensern geht die bisherige einschlägige erstinstanzliche Rechtsprechung (statt aller VG Dresden, U. v. 22.9.2017, 12 K 2300/16.A) bei der Prüfung des § 4 AsylG nicht genügend ein.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hinsichtlich der Kläger vor.
Interner Schutz nach § 3 e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG ist für die Kläger auf Grund des landesweiten bewaffneten Konfliktes, des landesweit feindseligen Klimas gegenüber Palästinensern und vor allem hinsichtlich der vielen im Land sich befindlichen Check-Points, die auch von Milizen betrieben werden, nicht zu erlangen. Bei einer möglichen Einreise in das Land bzw. einer Weiterreise in andere Landesteile ist daher zu erwarten, dass die Kläger, insbesondere wegen des auffälligen Aussehens des Klägers zu 1), als Fremde bzw. Palästinenser erkannt werden und ihnen die beschriebenen Gefährdungen dann drohen.
4. Über den weiteren Hilfsantrag war daher nicht mehr zu entscheiden. Angesichts der nach der Auskunftslage in Libyen bestehenden allgemeinen desolaten humanitären Situation, die nach der Stellungnahme des Bundesamts gerade bei vulnerablen Personengruppen beachtlich ist, wäre die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG für die Kläger angesichts der beschriebenen persönlichen Merkmale, insbesondere der Tatsache, dass es sich um eine Familie mit kleinen Kindern handelt, nahegelegen.
5. Die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG war daher obsolet und aufzuheben. Dies gilt auch für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes in § 11 Abs. 2 AufenthG.
6. Die Kosten des nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens waren gemäß § 155 Abs. 1 VwGO gegeneinander aufzuheben, da der Flüchtlingsschutz, hinsichtlich dessen die Kläger unterlegen sind, wertmäßig die Hälfte gegenüber den übrigen Streitgegenständen ausmacht.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben