Verwaltungsrecht

Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31285

Datum:
30.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50483
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zuletzt auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote beschränkte Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 20. Juli 2016 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2018 teilweise zurückgenommen wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist damit nur noch der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
2. Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote.
a) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen unter Berücksichtigung der Auskunftslage nicht vor.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei seiner Abschiebung nach Afghanistan befürchten müsste, auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht. Obwohl die humanitären Verhältnisse insgesamt schlecht sind, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
Nach Auffassung des Gerichts kann im Rahmen der Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote vorliegend die vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland religiös geschlossene Ehe mit einer afghanischen Staatsangehörigen und die Anerkennung der Vaterschaft für deren noch ungeborenes Kind nicht berücksichtigt werden. Es ist bei realistischer Betrachtung nicht zu erwarten, dass der Kläger gemeinsam mit Frau und Kind nach Afghanistan abgeschoben wird, so dass er bei der Beurteilung, ob Gefahren im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr drohen, als alleinstehender Mann zu betrachten ist. Zugunsten der religiös angetrauten Ehefrau des Klägers wurde nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde (Landratsamt …) am 9. Juli 2018 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt. Sie ist derzeit im Besitz einer Fiktionsbescheinigung, nach Auskunft des Landratsamts wird sie, nachdem die Abschlussmitteilung nunmehr vorliege, demnächst eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – das Vorbringen des Klägers insoweit als wahr unterstellt – lebte der Kläger demnach mit einem in der Bundesrepublik Deutschland aufenthaltsberechtigten Familienmitglied zusammen. Die Rückkehr der Ehefrau des Klägers nach Afghanistan ist demnach weder aus rechtlicher noch aus tatsächlicher Sicht realistischer Weise zu erwarten, eine Abschiebung der Frau ist ausgeschlossen. Zudem wurde die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft auch erst im Bundesgebiet begründet, der Kläger hat seine Ehefrau erst in Deutschland kennengelernt. Der Schutz dieser im Bundesgebiet begründeten, ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft ist deshalb ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12/99 – juris Rn. 16; VGH BW, U.v. 13.12.2012 – A 2 S 1995/12 – juris Rn. 15). Es ist Sache der zuständigen Ausländerbehörde, zu prüfen, ob eine schutzwürdige familiäre Gemeinschaft i.S. des Art. 6 GG vorliegt, aus der sich ein Verbot der Trennung der Familie durch die Abschiebung eines einzelnen Familienmitglieds ergibt. Der Schutz des Familienlebens im Bundesgebiet nach Art. 8 EMRK begründet deshalb vorliegend kein Abschiebungsverbot, das im Asylverfahren berücksichtigungsfähig ist.
Es ist auch zu erwarten, dass es dem Kläger gelingen wird, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan sicher zu stellen. Der Kläger gehört zur Gruppe junger, gesunder und arbeitsfähiger Männer, von denen auch unter Berücksichtigung der schwierigen Situation für Rückkehrer, wie sie etwa von der Organisation Amnesty international im „Amnesty Report vom 15.02.2017“ (S. 5 ff) berichtet wird, bei einer Rückkehr zu erwarten ist, dass sie ihren Lebensunterhalt sicherstellen können. Zwar wird darauf verwiesen, der Zugang zu Wohnung und Arbeit hänge maßgeblich von Netzwerken vor Ort ab (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/76 f., 78); allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die große Zahl der aus den Nachbarstaaten zurückkehrenden Afghanen über solche verfügt (Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/75 spricht von über 1 Mio. Rückkehrern allein im Jahr 2016). Damit besteht die soziale Notwendigkeit, neue und von gewachsenen Strukturen unabhängige Netzwerke unter den Rückkehrern zu bilden. Dass dies dem Kläger verwehrt wäre, ist nicht ersichtlich. Der Kläger ist mit den Verhältnissen in Afghanistan vertraut und spricht eine der Landessprachen (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 13.12.2016 – 13a ZB 16.30116 – Rn. 4). Er hat bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und nach dem Tod des Vaters allein für sich gesorgt. Für seine Ausreise aus Afghanistan konnte er, wie er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hatte, 15.000 Euro aufbringen. Der Kläger kann in Afghanistan, insbesondere bei einer Rückkehr nach Kabul, auch auf familiäre Kontakte zurückgreifen. Ein Onkel des Klägers lebt in Kabul und hat den Kläger bereits bei der Beschaffung der Tazkira unterstützt. Zudem sind insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12). Hinzu kommt, dass für freiwillige Rückkehrer ein Reintegrationsprogramm besteht, das Sachleistungen im Wert von bis zu 2.000 Euro gewährt, die die Wiedereingliederung erleichtern können (Bundesamt, Auskunft an VG Augsburg v. 12.8.2016).
Auch die Sicherheitslage in Afghanistan rechtfertigt nicht die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 5, mit Verweis auf UNAMA-Daten, S. 5 mit Verweis auf UNAMA-Daten, S. 18 f; Lagebeurteilung für Afghanistan v. 28.7.2017 S. 8 ff.) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt in Afghanistan und insbesondere auch in Kabul als innerstaatlicher Fluchtalternative kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 12.9.2018 – 13a ZB 17.31922 – juris Rn. 7 ff; BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 13a ZB 17.30438 – Rn. 7; BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – Rn. 6). Ausgehend von einer Opferzahl von rund 10.500 zivilen Opfern im Jahr 2017 und einer Bevölkerungszahl in Afghanistan von mindestens 27 Mio. Menschen ist das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, landesweit noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 6 ff.: Wahrscheinlichkeit weit unter 1:800) und es besteht auch keine zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führende Gefahrenlage (st. Rspr. BayVGH, vgl. B.v. 12.9.2018 – 13a ZB 18.31922 – Rn. 7; BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 13a ZB 17.30438 – Rn. 7). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person des Klägers führen, hat dieser nicht vorgetragen.
b) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Derartige Gefahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass dem Kläger bei einer Rückkehr in eine der großen Städte Afghanistans, etwa nach Kabul, eine erhebliche Gefahr durch die Kuchi drohe, ist nach Auffassung des Gerichts ausgeschlossen. Der Kläger hat eine derartige Gefahr bereits nicht glaubhaft gemacht, sein Vorbringen hierzu war insbesondere in der mündlichen Verhandlung derart widersprüchlich und unstimmig, dass ihm nicht geglaubt werden kann. Im Übrigen liegen die Vorfälle, selbst wenn das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt wird, schon viele Jahre zurück und waren regional begrenzt. Eine nach wie vor andauernde, landesweite Gefährdung des Klägers lässt sich daraus nicht ableiten.
Damit liegen weder die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
3. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweist sich ebenfalls als rechtmäßig, das Bundesamt hat in der Befristungsentscheidung die maßgeblichen Belange in ordnungsgemäßer Weise abgewogen.
4. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Nach § 92 Abs. 3 VwGO trägt der Kläger auch die Kosten der Klage, soweit sie zurückgenommen wurde. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Nr. I des Tenors des Urteils sowie die dazu ergangene Kostenentscheidung sind unanfechtbar.
Hinsichtlich der Nrn. II und III. des Tenors des Urteils gilt im Übrigen folgende


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