Verwaltungsrecht

Zuerkennung subsidiären Schutzes an senegalesischen Asylbewerber wegen Diskriminierung von Homosexuellen

Aktenzeichen  M 16 K 16.30750

Datum:
5.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9365
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3d, § 3e, § 4, § 29a
AufentG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Homosexualität begründet die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSv § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (wie VG Augsburg BeckRS 2016, 46485). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Es bestehen stichhaltige Gründe für die Annahme, dass Homosexuellen im Senegal ein ernsthafter Schaden, nämlich eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende unmenschliche Behandlung droht, der Staat keinen wirksamen Schutz iSv § 4 Abs. 3, § 3d AsylG bietet und interner Schutz in anderen Teilen Senegals nicht erlangt werden kann. Homosexuelle werden im Senegal durch nichtstaatliche Akteure diskriminiert und Fortschritte auf diesem Gebiet von religiösen Führern blockiert. (Rn. 16 – 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Nach aktuellen Erkenntnismitteln nimmt der senegalesische Staat die Diskriminierung von LGBTTI Personen und Gewalt gegen Frauen und Kinder durch Dritte billigend in Kauf. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 31. März 2016 wir in den Nrn. 3 bis 7 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je die Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2018 entschieden werden, obwohl ein Vertreter der Beklagten hierzu nicht erschienen ist. Die Beklagte hat durch allgemeine Prozesserklärung auf förmliche Zustellung der Ladung und Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet. In der Ladung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Der Kläger hat weder Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG liegen schon deshalb nicht vor, weil er nach seinen eigenen Angaben von Spanien auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Da die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben ist (vgl. § 26a Abs. 2 AsylG i. V. m. Anlage I zu § 26a AsylG), ist die Asylanerkennung bei einer Einreise über den Landweg gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 26a Abs. 1 AsylG ausgeschlossen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Rechtsgrundlage hierfür ist § 3 Abs. 4 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG, weil er nicht aus einem der in § 3b AsylG aufgezählten Gründe verfolgt worden ist. Zwar begründet Homosexualität die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (vgl. VG Augsburg, U.v. 27.4.2016 – Au 1 K 16.30296 – juris Rn.15). Der Kläger hat aber explizit vorgetragen, nicht homosexuell zu sein. Dass Gericht ist auch nicht zur Überzeugung gelangt, dass ihm dieses Merkmal der sexuellen Orientierung von etwaigen Verfolgern im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschrieben wird. Auch wenn der Kläger in dem vorgelegten Video an der Seite eines homosexuellen Freundes zu sehen ist, ist nicht glaubhaft, dass ihn sein Vater oder sonstige Dritte allein aufgrund seiner Mitwirkung in diesem Video für homosexuell halten. Die Erklärungen des Klägers hierzu blieben vage und sind nicht nachvollziehbar.
Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes i.S.d. von § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2, Abs. 3 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylG. Er hat glaubhaft stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm im Senegal ein ernsthafter Schaden, nämlich eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende unmenschliche Behandlung droht, der Staat keinen wirksamen Schutz im Sinne von § 4 Abs. 3, § 3d AsylG bietet und der Kläger auch nicht in einem anderen Teil Senegals (internen) Schutz vor Verfolgung erlangen kann (§ 4 Abs. 3, § 3e AsylG).
Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist zu entnehmen, dass Homosexuelle im Senegal durch nichtstaatliche Akteure diskriminiert und Fortschritte auf diesem Gebiet vor allem von religiösen Führern blockiert werden. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sowie die Demonstration von Homosexualität in der Öffentlichkeit sind strafbar. Der Einfluss muslimischer Führer sowie ein breiter gesellschaftlicher Konsens verhindern einen gesellschaftlichen Diskurs über die Abschaffung dieses Gesetzes. Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure findet in der Öffentlichkeit sowie im familiären Raum statt (vgl. Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 14. Oktober 2016, Stand: August 2016, S. 12). Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag des Klägers glaubhaft, dass er im Auftrag seines streng religiösen Vaters verschleppt und gefoltert wurde, weil er Umgang mit Homosexuellen gepflegt hat und diese Nähe zu Homosexuellen durch den Video-Clip auch Dritten bekannt geworden ist. Auch wenn das Gericht nicht davon überzeugt werden konnte, dass der Vater dem Kläger selbst zuschreibt, ebenfalls homosexuell zu sein, ist zumindest nachvollziehbar und glaubhaft, dass der vom Kläger als in der muslimischen Gemeinde engagiert und einflussreich geschilderte Vater, der für seinen Sohn eine Ausbildung zum lmam vorgesehen hatte, durch die Mitwirkung des Klägers in einem allgemein zugänglichen Musik-Video-Clip, der ihn zusammen mit einem Homosexuellen zeigt, die Ehre der Familie als zerstört ansieht und dem Kläger nach dem Leben trachtet. Die Ausführungen des Klägers waren insoweit flüssig und widerspruchsfrei und deckten sich mit der bereits vor dem Bundesamt vorgetragenen Verfolgungsgeschichte. Für die Glaubwürdigkeit des Klägers und die Glaubhaftigkeit seiner Abgaben spricht insbesondere der persönliche Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte.
Auch die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes wegen einer Gefährdung durch nichtstaatliche Akteure sind erfüllt. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nimmt der senegalesische Staat Diskriminierung von LGBTTI Personen und Gewalt gegen Frauen und Kinder durch Dritte billigend in Kauf (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 14. Oktober 2016, Stand: August 2016, S. 12). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Kläger gegen Gewaltmaßnahmen seines Vaters wirksamen Schutz durch staatliche Behörden erlangen kann.
Unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände kann der Kläger auch nicht auf internen Schutz im Sinne des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e AsylVfG verwiesen werden. Der Kläger ist vor seiner Ausreise einer Tätigkeit als Hotelsänger nachgegangen. Der Beruf des Sängers bzw. Musikers ist aber per se darauf gerichtet, in der Öffentlichkeit zu stehen und Bekanntheit zu erlangen. Dem Kläger ist es auch nicht zuzumuten, diesen Beruf nicht mehr auszuüben. Es ist daher davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland alsbald von seinem ihm nach dem Leben trachtenden Vater wieder aufgespürt wird, zumal der Kläger plausibel vorgetragen hat, dass sein Vater über ein entsprechendes Netzwerk von Zuträgern verfügt.
Da die Beklagte zur Zuerkennung subsidiären Schutzes verpflichtet ist, ist über den nur hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufentG nicht mehr zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.


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