Verwaltungsrecht

Zugehörigkeit des Klägers zum Clan Ashraf in Verbindung mit der Verfolgung wegen Blutrache vermittelt keine Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal

Aktenzeichen  M 11 K 14.30281

Datum:
2.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1

 

Leitsatz

Entscheidend für den Ausschluss der Anknüpfung an das asylerhebliche Merkmal der “bestimmten sozialen Gruppe” kann der Umstand sein, dass einem Asylsuchenden die Abwendung der Vollstreckung der Blutrache durch die Leistung einer Entschädigungszahlung möglich war. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Gericht kann entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (vgl. § 102 Abs. 1 VwGO).
Die auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gerichtete Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihm Flüchtlingsschutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 29. Januar 2014 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort insbesondere auf Seite 2 unter 2. bis Seite 3, vorletzter Absatz und ergänzend noch das Folgende ausgeführt:
Das Vorbringen des Klägers knüpft nicht an ein asylerhebliches Merkmal i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3 b Abs. 1 AsylG an. Die geltend gemachte und allein in Betracht kommende Zugehörigkeit des Klägers zum Clan Ashraf als bestimmte soziale Gruppe in Verbindung mit der behaupteten drohenden Verfolgung des Klägers wegen der Blutrache aufgrund des Unfalls vermittelt keine Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
Dabei geht das Gericht von der Zugehörigkeit des Klägers zum Clan der Ashraf aus. Zwar weichen die Angaben des Klägers zu seinen Clanzugehörigkeiten bei der Anhörung im Verwaltungsverfahren einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits etwas voneinander ab. Durch die weiteren Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung konnten aber Zweifel daran, dass seine Angaben insofern zutreffen, ausgeräumt werden.
Jedoch liegt im geltend gemachten Geschehen in der Sache keine Anknüpfung an das asylerhebliche Merkmal der „bestimmten sozialen Gruppe“ vor. Grundsätzlich ist in Somalia jeder von Blutrache bedroht, wenn er durch sein Verhalten zu einer Blutrache Anlass gibt. Darin besteht zwischen dem Bundesamt und der Klägerseite auch Einverständnis. Insofern fehlt es hinsichtlich Somalia grundsätzlich an der Asylerheblichkeit eines Blutrachevorbringens, weil dieses unterschiedslos jeden treffen kann, und nicht nur Angehörige bestimmter Gruppen.
Ob nun von diesem Grundsatz unter Zugrundelegung der Argumentation der Klägerbevollmächtigten eine Ausnahme zu machen ist, wenn ein von einer Blutrache bedrohter Somali wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan von der üblichen Verfahrensweise bei einer Blutrache, die als Alternative zur körperlichen Vollstreckung der Blutrache bis hin zur Tötung eine Entschädigungszahlung vorsieht, ausgeschlossen ist, kann letztlich offen bleiben. Denn eine solche Konstellation liegt unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers hier nicht vor.
Voraussetzung dafür wäre nämlich jedenfalls, dass der Fall tatsächlich so liegt, wie in der Klagebegründung beschrieben, und zwar, dass die Angehörigen des Unfallopfers als Mitglieder eines der „großen“ somalischen Clans die Entschädigungszahlung im Falle der Blutrache gegen den Kläger als Angehörigen eines Minderheitenclans ohne Rücksicht auf die übliche Verfahrensweise bei der Behandlung der Blutrache abgelehnt hätten. Das trifft aber schon nicht zu. Während der Kläger noch in seiner Anhörung im Verwaltungsverfahren angegeben hat (Bl. 61 der Bundesamtsakten), dass eine Entschädigungszahlung von der Familie des Opfers komplett abgelehnt worden sei, hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben (S. 4 des Sitzungsprotokolls), dass die Familie des getöteten Kindes sehr wohl als Alternative zur Auslieferung und anschließenden Tötung des Klägers eine Entschädigung in Sachmitteln („100 Kamele“) akzeptiert hätte, die die Familie bzw. der Clan des Klägers lediglich nicht habe aufbringen können. Diese uneinheitliche Darstellung weckt zwar für das Gericht keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers generell oder auch an der Glaubhaftigkeit der entsprechenden Angaben. Denn der Widerspruch kann ohne weiteres damit erklärt werden, dass die Detaillierung und die Durchdringung des klägerischen Vortrags durch das Gericht zumindest in diesem Teil des geschilderten Geschehens deutlich stärker erfolgt ist als diejenige seitens des Bundesamts in der Anhörung, das sich insofern mit einer pauschalen Angabe des Klägers begnügt hat, ohne nachzufragen und dem Kläger Gelegenheit zu geben, das Geschehen näher und zutreffender zu erläutern. Die Darstellung in der mündlichen Verhandlung, welche das Gericht nicht nur mehr überzeugt, sondern die außerdem unter Berücksichtigung der Verhältnisse in Somalia wesentlich plausibler ist, führt aber zu der Annahme, dass der Kläger der drohenden Vollstreckung der Blutrache schon hätte entgehen können, wenn sein Unterclan nur eine ausreichende Entschädigungszahlung geleistet hätte. Das ist deswegen wesentlicher plausibler, weil es unter Berücksichtigung der somalischen Verhältnisse schon ein sehr singulärer und extrem außergewöhnlicher Vorgang wäre, wenn auch eine möglicherweise höhere Entschädigungszahlung kategorisch abgelehnt, sondern alternativlos auf der Vollstreckung der Blutrache bestanden würde, zumal sich ein solches Vorgehen bei dem geschilderten reinen Unfallgeschehen alles andere als aufdrängt. Mit der bekannten Auskunftslage ließe sich ein solcher Vorgang auch nicht vereinbaren. Daher ist das Gericht insgesamt davon überzeugt, dass eine Entschädigungszahlung entsprechend der insofern in Somalia üblichen Handhabungen bei Blutrachefällen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern durchaus möglich gewesen wäre. Damit fehlt es aber, weil damit die Prämisse des kategorischen Ausschlusses einer Abwendung der Vollstreckung der Blutrache wegfällt, an der Anknüpfung des Geschehens an ein asylerhebliches Merkmal. Der Umstand, dass der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zu den Ashraf möglicherweise mehr an Entschädigung hätte leisten müssen bzw. die Modalitäten bei der Zugehörigkeit zum selben Clan wie das Opfer günstiger gewesen wären – was ohnehin auf der Hand liegt -, vermag dagegen ebenso wenig die Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal zu begründen, wie der Umstand, dass der Unterclan des Klägers die geforderte Entschädigungszahlung konkret nicht aufbringen konnte. Entscheidend für den Ausschluss der Anknüpfung an das asylerhebliche Merkmal der bestimmten sozialen Gruppe ist nämlich der Umstand, dass auch dem Kläger als Angehörigen der Ashraf die Abwendung der Vollstreckung der Blutrache durch die Leistung einer Entschädigungszahlung möglich war.
Vielmehr liegt es nahe, dass der Kläger, wie es auch seinen Angaben in der Anhörung beim Bundesamt entspricht (vgl. Bl. 61 der Bundesamtsakten, dort letzter Absatz), Somalia nicht primär wegen der aufgrund des Unfalls drohenden Blutrache, sondern wegen der allgemein schlechten Verhältnisse im Land verlassen hat und der Unfall seinen Entschluss, Somalia zu verlassen, „nur beschleunigt hat“.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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