Verwaltungsrecht

Zugehörigkeit zu Minderheitenclan der Tumal als gefahrerhöhender Umstand

Aktenzeichen  20 ZB 17.31935

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 196
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

1 § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG verlangt, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder konkludent einen Rechts- oder Tatsachensatz in seiner Entscheidung aufgestellt hat, der von einem Rechts- oder Tatsachensatz in einer Entscheidung eines Obergerichts abweicht. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan (hier: der Tumal) kann abhängig von der konkreten Situation in der jeweiligen Herkunftsregion ein gefahrerhöhender Umstand sein. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Mogadischu ist die Vulnerabilität der Angehörigen eines Minderheitenclans, der nicht über eine eigene Clanmiliz verfügt, weitaus geringer. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 17.30688 2017-09-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. September 2017 ist unbegründet, da die geltend gemachte Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) von dem Urteil des Senats vom 7. April 2016 (Az. 20 B 14.30101) nicht vorliegt.
§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG verlangt, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder konkludent einen Rechts- oder Tatsachensatz in seiner Entscheidung aufgestellt hat, der von einem Rechts- oder Tatsachensatz in einer Entscheidung eines Obergerichts abweicht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 42 und 43). Dies ist hier nicht der Fall. Denn der Senat hat in seinem Urteil vom 7. April 2016 (20 B 14.30101) nicht wie im Zulassungsantrag geltend gemacht generell entschieden, dass die Zugehörigkeit zu dem somalischen Minderheitenclan der Tumal immer einen gefahrerhöhenden Umstand darstellt. Vielmehr hat der Senat nach Darstellung der allgemeinen Situation der Minderheitenclans in der somalischen Gesellschaft und der Tumal im Besonderen (Rn. 28/29 des Urteilabdrucks) ausgeführt, dass in der Heimatstadt des dortigen Klägers Buulobarde für diesen aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan im gesteigerten Maße die Gefahr bestehe, zwischen die Fronten von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Mehrheitenclans und deren Milizen zu geraten, die nach der Auskunftslage in der Heimatregion des Klägers trotz der Präsenz von Regierungstruppen stattfänden (Rn. 29 am Ende unter Verweis auf EASO, Somalia security situation, Seite 60). Daneben hat der Senat sich entscheidungserheblich darauf gestützt, dass beim Kläger ein weiteres gefahrerhöhendes Moment bestehe, nämlich dass er bereits früher in den Fokus der Al-Shabaab geraten sei (Rn. 30).
Der Entscheidung des Senats vom 7. April 2016 kann daher nur der Rechtssatz entnommen werden, dass die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan abhängig von der konkreten Situation in der jeweiligen Herkunftsregion ein gefahrerhöhender Umstand sein kann. Dass dies aber in jedem Fall so sein muss, lässt sich der Entscheidung des Senats gerade nicht entnehmen.
Einen von diesem Rechtssatz des Senats abweichenden Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht aufgestellt. Zwar kann ein Rechtssatz vom Verwaltungsgericht sowohl ausdrücklich als auch lediglich stillschweigend aufgestellt werden (vgl. hierzu Berlit in GK-AsylG, 104. EL Dezember 2015, § 78 Rn. 172, 176 ff.). Von dem stillschweigenden Aufstellen eines Rechtssatzes kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidungsgründe einen derartigen Rechtssatz ohne weitere Sachaufklärung unmittelbar und hinreichend deutlich erkennen lassen (Berlit, a.a.O., Rn. 176 m.w.N.). Vorliegend hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen lediglich knapp ausgeführt, dass gefahrerhöhende persönliche Umstände nicht ersichtlich seien. Auch im Tatbestand hat es die Clanzugehörigkeit des Klägers nicht erwähnt und sie daher nicht als entscheidungserheblich angesehen. Daher kann der Entscheidung des Verwaltungsgerichts kein Rechtssatz dergestalt entnommen werden, dass die Zugehörigkeit zu dem somalischen Minderheitenclan der Tumal im Einzelfall kein gefahrerhöhender Umstand sein kann. Denn eine derartige Aussage lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen.
Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts ist für die im Falle des vorliegenden Klägers maßgebliche Herkunftsregion Mogadischu im Übrigen nach der Auskunftslage auch schlüssig. Denn die Situation dort weicht von der in der Stadt Buulobarde in der Provinz Hiiraan signifikant ab. Insbesondere gibt es in Mogadischu nach der Auskunftslage anders als in Buulobarde keine bewaffneten Clanmilizen mehr (vgl. BFA-Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia, Stand September 2016, Seite 22). Daher ist dort die Vulnerabilität der Angehörigen eines Minderheitenclans, der nicht über eine eigene Clanmiliz verfügt, weitaus geringer.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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