Verwaltungsrecht

Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens

Aktenzeichen  AN 4 E 21.00628

Datum:
10.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17473
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 18a Abs. 4

 

Leitsatz

1. Ein Bürgerbegehren muss so formuliert sein, dass die von den Initiatoren und Unterstützern begehrte Maßnahme diejenige ist, die bei einer Beantwortung der Frage mit Ja befürwortet wird. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Begründung eines Bürgerbegehrens muss gewisse Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Richtigkeit erfüllen. Der unterzeichnende Gemeindebürger muss Bedeutung und Tragweite der Unterschriftsleistung erkennen können. Dazu gehört, dass er durch den vorgelegten Begründungstext nicht in wesentlichen Punkten in die Irre geführt wird, insbesondere, weil die maßgebliche Rechtslage unzutreffend und unvollständig dargelegt wird (vgl. VGH München, BeckRS 2016, 50127). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch.
3. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Bürgerbegehrens.
Am 17. Mai 2020 wurden in der Marktgemeinde der Beklagten zwei Bürgerentscheide durchgeführt, es wurde über folgende Fragestellungen abgestimmt:
Bürgerentscheid 1: „Bürgerbegehren „Für Fortschritt und Entwicklung in …“: Sind Sie dafür, dass der Markt … die Bebauungsplanverfahren und Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplanes und Landschaftsplanes zur Ausweisung der beiden Gebiete „Sondergebiet … West I“ und entgegen der bisherigen Beschlusslage „Gewerbegebiet … West II“, aber ansonsten entsprechend der bereits vom Marktrat mehrheitlich getroffenen Beschlüsse und Abwägungen fortsetzt?“
Bürgerentscheid 2: „Bürgerbegehren „Lebenswertes …“ (Ja zu einem chancenreichen und gewinnbringenden Gewerbegebiet): Sind Sie dafür, dass die Marktgemeinde … die Planungen für die Industriegebiete „… West I und West II“ wie folgt ändert: – Vollständiger Verzicht auf das Industriegebiet „… West I“ und – Entwicklung des Gebietes „… West II“ als Gewerbegebiet und Standort für die Ansiedlung vorwiegend ortsansässiger Betriebe, zunächst beschränkt bis zu maximal 8 Hektar?“
Beide Bürgerentscheide wurden mehrheitlich angenommen, in der Stichfrage wurde mehrheitlich für den Bürgerentscheid 1 gestimmt.
Am 7. September 2020 reichten die Antragsteller beim Antragsgegner ein Bürgerbegehren mit folgender Fragestellung ein:
„Sind Sie dafür, dass auf den geplanten gewerblichen Flächen „… West I und West II“ ein Sondergebiet Logistik oder Gebiet für Logistiknutzung ausgewiesen wird, so dass sich …, … oder andere Logistikunternehmen ansiedeln können?“
Die optisch durch Schriftgröße und Fettdruck hervorgehobene Überschrift des Bürgerbegehrens lautet:
„Bürgerbegehren „NEIN zu … und …“
Die Begründung enthält auszugsweise folgenden Inhalt:
„- Es müssen nachhaltig wirtschaftende Unternehmen angesiedelt werden. Davon würde … profitieren – im Hinblick auf Lebensqualität, Arbeitsmarkt und Einnahmen für die Gemeindekasse.
– Das ist die letzte Chance, … zu verhindern! Die Bürger sollen entscheiden, wie es mit … weitergeht.“ (Hervorhebungen im Original).
Auf die Begründung im Übrigen wird verwiesen.
Der Antragsgegner erließ am 14. Oktober 2020, den Antragstellern am 16. Oktober 2020 gegen PZU zugestellt, einen Ablehnungsbescheid und verfügte, dass das Bürgerbegehren als unzulässig zurückgewiesen und der beantragte Bürgerentscheid nicht durchgeführt wird.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es seien zwar mehr als die erforderlichen 660 Unterschriften geleistet worden, das Bürgerbegehren entspreche jedoch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen nicht. Es fehle die inhaltliche Bestimmtheit der Kurzbezeichnung bzw. des Titels, auch sei die inhaltliche Bestimmtheit der mit Ja oder Nein zu beantwortenden Fragestellung nicht gegeben. Hier sei insbesondere eine unzulässige Koppelung der Fragestellungen zu den Gewerbegebieten „West I“ und „West II“ anzunehmen, weil für beide völlig unterschiedliche tatsächliche Rahmenbedingungen gegeben seien. Auch sei die Begründung des Bürgerbegehrens inhaltlich nicht bestimmt genug und teilweise unzutreffend. Daneben handle es sich um eine unzulässige Verhinderungsplanung und eine unzulässige Benachteiligung einzelner, bestimmter Unternehmen.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid ließen die Antragsteller am 5. November 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 14. Oktober 2020 und der Verpflichtung des Antragsgegners zur Zulassung des Bürgerbegehrens. Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 18. Februar 2021 begründet.
Der Antragsgegner veröffentlichte im Januar 2021 auf seiner Homepage (https://www. … eine Ausschreibung für die Gewerbegebiete „West I“ und „West II“ mit der Bewerbungsfrist 19. März 2021.
Mit einem am 7. April 2021 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenen Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten stellten die Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel, eine Sperrwirkung bis zur rechtskräftigen Feststellung des Bürgerbegehrens zu erreichen. Das Bürgerbegehren entspreche den gesetzlichen Anforderungen und für die Antragsteller streite ein Sicherungsgrund. Auch vor dem in Art. 18a Abs. 9 GO erfassten Zeitraum könne ein Sicherungsrecht bestehen, die Bewerbungsfrist 19. März 2021 lege nahe, dass eine Veräußerung der Grundstücke bevorstehe. In der Abwägung der Einzelfallumstände überwögen die Belange zur Absicherung des Bürgerentscheids die Belange zum Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Das Verhalten des Antragsgegners lege nahe, dass er in Kenntnis der Klage vollendete Tatsachen schaffen wolle.
Die Antragsteller beantragen,
Dem Antragsteller wird untersagt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem auf Verpflichtung zur Zulassung des Bürgerbegehrens „NEIN zu …“ gerichteten Hauptsacheverfahrens Az. AN 4 K 20.02362, die im Plangebiet „… West I“ im Eigentum des Antragsgegners befindlichen Grundstücke (Fl.Nrn. … und … der Gemarkung …), die nach dem Bürgerbegehren nicht als Sondergebiet für Logistik ausgewiesen werden sollen, an Dritte zur Ansiedlung von Logistikunternehmen oder Logistik-/Verteilerzentren größerer Unternehmen zu veräußern bzw. zu übertragen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 27. April 2021 vorgetragen, das angesprochene Vergabeverfahren sei bereits vor mehr als einem Jahr vorbereitet worden, das öffentliche Ausschreibungsverfahren am 11. Januar 2021 beschlossen worden. Der Gemeinderat des Antragsgegners habe unabhängig von der Frage der Ansiedlung konkreter Unternehmen ein transparentes, diskriminierungsfreies und offenes Vergabeverfahren beschlossen. Aus dem Vergabeverfahren seien insgesamt 18 Interessenten mit konkreten Angeboten hervorgegangen, wobei allerdings bei nur wenigen eine konkrete Flächennutzung vorhersehbar sei, weil es sich oftmals um Projektentwickler handle. Die Flächen des Gebiets West I stünden zu zwei Dritteln überwiegend im Eigentum des Kommunalunternehmens …, die Vermarktung werde daher auch überwiegend über dieses Kommunalunternehmen erfolgen.
Der Antrag nach § 123 VwGO sei bereits deshalb unzulässig, weil grundsätzlich kein vorbeugender Rechtsschutz mit dem Ziel der Einengung der Entscheidungsfreiheit der Antragsgegnerin gewährleistet sei. Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis sei hier nicht ersichtlich, vielmehr werde eine Veräußerung oder Vermarktung der Grundstücke nur unter dem Vorbehalt der Bebauungsplanung getroffen. Da das Bürgerbegehren nur auf die bauplanungsrechtliche Ausgestaltung abziele und nicht auf Verkauf oder Vermarktung an bestimmte Unternehmen, fehle es auch an der Antragsbefugnis, weil insoweit eine Rechtsverletzung ausgeschlossen sei.
Darüber hinaus fehle es an einem Anordnungsanspruch, weil das Bürgerbegehren mit hoher Wahrscheinlichkeit als unzulässig anzusehen sei, insoweit werde auf den Vortrag aus dem Klageverfahren verwiesen. Einem etwaigen Sicherungsrecht stehe zudem das Selbstverwaltungsrecht des Antragsgegners gegenüber, das hier überwiege, zumal nicht nur die Planungs-, sondern auch die Finanzhoheit betroffen sei und in die Eigentumsgarantie eingegriffen werde. Insbesondere müsste der Haushalt 2021 geändert bzw. ein Nachtragshaushalt erlassen werden. Darüber hinaus ziele das Bürgerbegehren allein auf eine bauplanerische Fragestellung ab, was auch in der Klagebegründung explizit erwähnt worden sei. Im Gegensatz dazu werde nun im Eilverfahren auf den Verkauf abgestellt, der aber nicht notwendigerweise mit der bauplanungsrechtlichen Ebene zusammenhänge.
Die Antragsteller vertieften mit weiterem Schriftsatz vom 29. April 2021 ihr Vorbringen und verwiesen mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 auf einen Pressebericht über die Ergebnisse einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung vom 3. Mai 2021.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, sowie die Verfahrensakte des Klageverfahrens (AN 4 K 20.02362), sowie auf die dort vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind die Glaubhaftmachung (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (BVerfG, B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 22.9.2015 – 6 VR 2/15 – juris Rn. 8). Der Anordnungsanspruch ist der von den Antragstellern im Hauptsacheverfahren verfolgte materielle Anspruch (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 25; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 123 Rn. 69 m.w.N.).
Der Antrag hat keinen Erfolg, da die Antragsteller die Zulässigkeit des abzusichernden Bürgerbegehrens nicht glaubhaft machen konnten und es daher bereits an einem Anordnungsanspruch fehlt. Das Bürgerbegehren leidet voraussichtlich an unheilbaren Mängeln hinsichtlich Fragestellung und Begründung.
Damit kann bereits offenbleiben, ob und inwieweit das Rechtsschutzziel der Antragsteller, die Möglichkeit der Durchführung des Bürgerbegehrens im konkreten Verfahren durch die beantragte Untersagung der Veräußerung bzw. Übertragung der Grundstücke zu sichern, überhaupt erreicht werden könnte.
1. Die Antragsteller haben bereits nicht glaubhaft gemacht, dass in der Sache mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Erfolg in der Hauptsache auszugehen ist und deshalb ein Anspruch auf Zulassung des eingereichten Bürgerbegehrens bestünde. Vielmehr entsprechen voraussichtlich weder die Fragestellung noch die Begründung des Bürgerbegehrens den gesetzlichen Anforderungen. Die Klage ist damit in der Hauptsache voraussichtlich als unbegründet anzusehen. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Oktober 2020 verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, weil sie keinen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens mit der beantragten Fragestellung haben.
a. Bereits die im Bürgerbegehren der Antragsteller genannte Fragestellung entspricht nicht den Anforderungen des Art. 18a GO, weshalb die Ablehnung durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Oktober 2020 rechtmäßig war.
Dabei fehlt es dem Bürgerbegehren schon an einer zulässigen Fragestellung. Aus der gesetzlichen Systematik des Art. 18a GO ergibt sich, dass eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung enthalten sein muss (Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO) und dass bei Stimmengleichheit die Frage als mit Nein beantwortet gilt (Art. 18a Abs. 12 Satz 2 GO). Der Bürgerentscheid hat weiterhin die Wirkung eines Beschlusses des Gemeinderats (Art. 18 Abs. 13 Satz 1 GO) und er entfällt, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt (Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO).
Hieraus ergibt sich denknotwendig, dass ein Bürgerbegehren so formuliert sein muss, dass die von den Initiatoren und Unterstützern begehrte Maßnahme zum einen diejenige ist, die bei einer Beantwortung der Frage mit Ja befürwortet wird, und zum anderen den Anforderungen an einen Beschluss des Gemeinderats entsprechen muss. Mit der Umkehrung der Fragerichtung (Nein/Ja) ist dabei keine bloße Ordnungsvorschrift betroffen, vielmehr handelt es sich um eine verbindliche Regelung des Risikos der Stimmgleichheit (Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Art. 18a Abs. 4 GO, 13.04 Abschnitt 7a), Stand: 73. Lieferung September 2020 unter Verweis auf VG Karlsruhe, U.v. 27.5.1992 – 10 K 11494/91, BeckRS 1992, 31220256, zu einer entsprechenden Umformulierung durch die Gemeinde). Daneben würde die Zulässigkeit einer solchen Fragestellung in sinnwidriger Weise dazu führen, dass der Gemeinderat der Antragsgegnerin durch Beschluss der Durchführung der mit dem Bürgerbegehren wörtlich verlangten Maßnahme für den Entfall des Bürgerentscheids sorgen könnte (Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO).
Vorliegend ist die Frage des Bürgerbegehrens („Sind Sie dafür, dass […] ausgewiesen wird […]“) so formuliert, dass bei einer Beantwortung mit Ja die bisherige Planung der Antragsgegnerin bestätigt wird. Hingegen kommt es dem Bürgerbegehren bereits offensichtlich nach der Überschrift („Bürgerbegehren „NEIN zu …“) und der Begründung („Das ist die letzte Chance, … zu verhindern! Die Bürger sollen entscheiden, wie es mit … weitergeht.“) unzweifelhaft darauf an, dass eine Beantwortung mit Nein angestrebt wird.
b. Die von den Antragstellern gewählte Formulierung kann nicht logisch so umgekehrt werden, dass hiermit eine für ein Bürgerbegehren noch zulässige Fragestellung erreicht würde. Zwar ist bei der Betrachtung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens grundsätzlich eine wohlwollende Auslegung anzunehmen (Thum, a.a.O., Abschnitt 7c), allerdings führt auch eine hypothetische logische Umkehr der Fragestellung nicht zur Zulässigkeit, weil hierdurch eine unzulässige Negativplanung und eine unzulässige Irreführung erreicht würden.
Auf die Frage, welche der logisch möglichen Umkehrungen der Fragestellung gewählt werden müsste, kommt es dabei nicht an, weil alle denkbaren Varianten jedenfalls im Zusammenspiel mit der gegebenen Begründung nicht geeignet wären, deren Zulässigkeit herbeizuführen. Deshalb stellt sich im vorliegenden Fall die Frage nicht, wie weit entfernt vom beantragten Wortlaut eine Auslegung noch erfolgen darf.
aa. Die bloße Umkehr der Fragestellung („Sind Sie NICHT dafür, dass auf den geplanten gewerblichen Flächen „… West I und West II“ ein Sondergebiet Logistik oder Gebiet für Logistiknutzung ausgewiesen wird […]“) würde einer bloßen – in der Gemeindeordnung nicht vorgesehene – Bürgerbefragung gleichkommen, weil insoweit im Hinblick auf Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO kein vollziehbarer Gehalt enthalten wäre.
bb. Ginge man zugunsten der Antragsteller davon aus, dass die logische Umkehr im Konsekutivsatz erfolgen müsste („Sind Sie dafür, dass auf den geplanten gewerblichen Flächen „… West I und West II“ ein Sondergebiet Logistik oder Gebiet für Logistiknutzung NICHT ausgewiesen wird, so dass sich … oder andere Logistikunternehmen NICHT ansiedeln können?“), könnte man dem so verstandenen Begehren zumindest einen vollziehbaren Gehalt zuerkennen, inhaltlich würde damit allerdings eine unzulässige Verhinderungsplanung bewirkt werden, weil keine positive gestalterische Absicht erkennbar ist.
Soweit nur der Bestandteil „Sind Sie dafür, dass auf den geplanten gewerblichen Flächen „… West I und West II“ ein Sondergebiet Logistik oder Gebiet für Logistiknutzung NICHT ausgewiesen wird“ betroffen ist, bestehen Zweifel zumindest an der Reichweite der hiermit entschiedenen Maßnahme, die wegen der Vorschrift des Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO wie ein Gemeinderatsbeschluss wirkt. Deswegen könnte dieser Frageteil allenfalls dann hinreichend bestimmt sein, wenn man ihn als „weder als Sondergebiet Logistik, noch als Gebiet für Logistiknutzung“ verstehen würde.
Insoweit ist aber zu beachten, dass die genannten Gebietstypen sich nicht in der BauNVO wiederfinden. Zwar erscheint dabei das „Sondergebiet Logistik“ nach § 11 Abs. 1, 2 BauNVO als zulässig, der Begriff „Gebiet für Logistiknutzung“ ist jedoch – wie auch von den Antragstellern zugestanden – kein Rechtsbegriff, dessen Inhalt sich aus der BauNVO oder anderen Vorschriften ergeben oder ansonsten konkretisieren würde.
Würde man durch die genannte hypothetische Betrachtung nur den Bedeutungsgehalt zumessen wollen, dass weder ein Sondergebiet Logistik noch ein ohnehin nicht vorgesehener Gebietstyp ausgewiesen würde, könnte das Bürgerbegehren sein Ziel schon insoweit nicht erreichen. Verstünde man das Bürgerbegehren nämlich so, dass jede Art der baulichen Nutzung unzulässig wäre, die eine Nutzung zu Logistikzwecken ermöglichen würde, käme insbesondere auch eine Ausweisung als Gewerbegebiet (vgl. § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) nicht in Betracht, da Logistikbetriebe in Gewerbe- und Industriegebieten nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 9 Abs. 2 Nr. 1 allgemein zulässig sind (BeckOK BauNVO/Köpfler, 25. Ed. 15.3.2021, BauNVO § 11 Rn. 88). Soweit nicht ausgeschlossen ist, dass durch abweichende Gebietsbeschreibungen ein Ausschluss einer Logistiknutzung erreicht werden könnte, fehlt es bereits an einem positiven Planungsbeitrag und wäre als bloße vorgeschobene Planung mit dem Ziel anzusehen, einen bestehenden Bauwunsch zu durchkreuzen (vgl. dazu BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8/90 -, Rn. 12, juris).
Nachdem aber in der Begründung des Bürgerbegehrens ausdrücklich auf die Alternativmöglichkeit der Ansiedlung anderer („nachhaltig wirtschaftende[r]“) Unternehmen und auch auf die Möglichkeit der Einnahmenerzielung durch Verkauf von Grundstücken an andere Unternehmen hingewiesen wird, muss beim Abstimmenden der Eindruck entstehen, durch die hier beabsichtigte Gebietsfestsetzung könnte erreicht werden, dass nur „große Logistikunternehmen“ wie „…“ sich hier nicht ansiedeln könnten, andere Gewerbebetriebe hingegen schon. Abgesehen davon, dass insoweit schon die Klassifizierung beider Unternehmen als Logistikunternehmen in diesem Sinne fraglich ist, entfällt schon wegen dieser irreführenden Implizierung die Möglichkeit einer so verstandenen Auslegung des Bürgerbegehrens. c. Darüber hinaus besteht auch keine Möglichkeit zur Heilung, ohne dass von einer unzulässigen Irreführung durch eine falsche oder unzutreffende Begründung ausgegangen werden müsste.
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss das Bürgerbegehren notwendigerweise eine Begründung enthalten. Die Bürger sollen so die Möglichkeit erhalten, in Grundzügen zu erfahren, wieso eine bestimmte Frage zur Abstimmung gestellt werden soll. Es soll ihnen ermöglichen, sich mit den Zielen des Bürgerbegehrens und den damit enthaltenen Problemen auseinanderzusetzen (vgl. Thum, a.a.O., Abschnitt 8a ff.).
Die Vorschrift regelt dabei nicht nur das Erfordernis einer Begründung. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass diese Begründung verfassungsrechtlich gewisse Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Richtigkeit erfüllen muss. Der unterzeichnenden Gemeindebürger muss Bedeutung und Tragweite der Unterschriftsleistung erkennen können. Dazu gehört, dass er durch den vorgelegten Begründungstext nicht in wesentlichen Punkten in die Irre geführt wird, insbesondere, weil die maßgebliche Rechtslage unzutreffend und unvollständig dargelegt wird (BayVGH, st. Rspr. z.B. U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – juris Rn. 27 f. m.w.N.). Da sich die Begründung an den unterzeichnenden Bürger richtet, ist für die Bestimmung der Frage der Irreführung auf dessen Sichtweise abzustellen.
Diesen Anforderungen wird das streitgegenständliche Bürgerbegehren in einer Auslegung, die zur erforderlichen Wahrung der Bestimmtheit erforderlich wäre (vgl. BeckOK KommunalR Bayern/Suerbaum/Retzmann, 9. Ed. 1.2.2021, GO Art. 18a Rn. 21), nicht gerecht. Vielmehr ist die Begründung des Bürgerbegehrens jedenfalls für die Annahme einer weitgehenden Auslegung irreführend. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Irreführung sich nicht in einer unzutreffenden Behauptung erschöpft, sondern vielmehr auch dann vorliegt, wenn die Begründung eine inhaltlich unzutreffende Andeutung enthält oder Umstände nur einseitig darstellt.
Nachdem die Antragsteller als Anknüpfungspunkt des Bürgerbegehrens eine bauplanerische Ausweisung der geplanten gewerblichen Flächen „… West I und West II“ gewählt haben, lässt sich – aus den oben dargestellten Gründen – mittels dieses Instrumentariums das bereits in der Fragestellung genannte Ziel („so dass sich … oder andere Logistikunternehmen NICHT ansiedeln können?“) überhaupt nicht erreichen. Eine Irreführung wird damit insbesondere vor dem Hintergrund bewirkt, dass bereits am 17. Mai 2020 zwei Bürgerentscheide mit bauplanerischem Inhalt zur Abstimmung standen, die sich (jedenfalls hinsichtlich des Beschlusstextes) nicht auf konkrete Unternehmen bezogen. Durch die hier gewählte Kombination von bauplanungsrechtlichen Fragen und der Nennung konkreter Unternehmen und erst recht dem Hinweis auf die „letzte Verhinderungsmöglichkeit“ wird ein rechtlich völlig unzutreffender Eindruck vermittelt.
Damit kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob sich das offensichtlich dahinterstehende Ziel der Antragsteller, nämlich die Verhinderung der Ansiedlung der konkreten Unternehmen, auf andere Art und Weise erreichen ließe. Insoweit stellen sich die weitergehenden aufgeworfenen Fragen, beispielsweise nach der unionsrechtlichen Zulässigkeit, bereits nicht mehr.
Diesbezüglich ist es weder die Aufgabe der Antragsgegnerin noch des Gerichts, hier eine andere, potentiell denkbare und zulässige Möglichkeit eines hypothetisch zulässigen Bürgerbegehrens bzw. einer zulässigen Formulierung mit Begründung zu finden, in die das Bürgerbegehren noch umgedeutet werden könnte.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 S. 2 VwGO.
3. Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG unter Orientierung an Ziffern 22.6 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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