Verwaltungsrecht

Zulassung der Berufung abgelehnt – Einzelfall

Aktenzeichen  10 ZB 21.1242

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16390
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 173 S. 1
ZPO § 512
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Macht ein Rechtsmittelführer geltend, sein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden, kann er damit die Zulassung der Berufung nach dieser Bestimmung grundsätzlich nicht erreichen, denn ein derartiger Verfahrensmangel unterliegt nicht der Beurteilung durch das Berufungsgericht.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 K 20.1583 2020-12-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine gegen die Ausweisungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 9. März 2020 gerichtete Anfechtungsklage weiterverfolgt, ist unbegründet. Die Berufung ist weder wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 1.) noch wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 2.) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht wegen des vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehlers zuzulassen.
Dieser trägt hierzu vor, sein Ablehnungsantrag gegen die an der Entscheidung beteiligten Richterinnen sei unter Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter zu Unrecht zurückgewiesen worden. Beide Richterinnen hätten den Eindruck erweckt, sie würden „auf Bestellung“ der Beklagten terminieren.
Jedoch stellt nur die Mitwirkung eines nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41, § 45 ZPO ausgeschlossenen oder erfolgreich abgelehnten Richters einen Verfahrensmangel dar, der nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO die Zulassung der Berufung (sowie der Revision, § 138 Nr. 2 VwGO) begründen kann. Macht ein Rechtsmittelführer dagegen geltend, sein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden, kann er damit die Zulassung der Berufung nach dieser Bestimmung grundsätzlich nicht erreichen, denn ein derartiger Verfahrensmangel unterliegt nicht der Beurteilung durch das Berufungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 512 ZPO); Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen sind nämlich nach der ausdrücklichen Regelung in § 146 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Eine Ausnahme besteht insoweit nur dann, wenn die Entscheidung über die Ablehnung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt; dies ist jedoch nicht schon bei jeder fehlerhaften Rechtsanwendung der Fall, sondern nur dann, wenn die Entscheidung objektiv willkürlich ist. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 10 ZB 17.87 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 1 ZB 19.1575 – juris Rn. 4jew. m.w.N.; vgl. auch BVerfG, B.v. 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07 – juris Rn. 10 f.; BVerwG, B.v. 15.5.2008 – 2 B 77/07 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 9.11.2001 – 6 B 59/01 – juris Rn. 8; Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 54 Rn. 128 ff.; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 54 Rn. 28; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juli 2020, § 124 Rn. 59).
Gemessen daran ist ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel weder dargelegt noch liegt ein solcher vor. Das Ablehnungsgesuch des Klägers wurde mit Beschluss vom 18. Dezember 2020 der für die Entscheidung über dieses Gesuch zuständigen Kammer ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterinnen vom 18. Dezember 2020 mit eingehender und nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Dass der Kläger nach wie vor eine andere Rechtsauffassung hinsichtlich der Motive bzw. Beweggründe der Ansetzung des Termins zur mündlichen Verhandlung vertritt, ist nicht ausreichend, um eine Besorgnis der Befangenheit und objektiv willkürliche Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch zu begründen.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Soweit sich der Kläger geltend macht, seine Ausweisung sei unverhältnismäßig, weil er faktischer Inländer ohne familiäre Bindungen zu Jordanien sei und die dortige Landessprache nicht fließend spreche, bei ihm seien noch enorme Nachreifungsprozesse im Gange und er benötige nach seiner Haftentlassung ein stabiles Umfeld, vermag er damit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen.
Das Verwaltungsgericht hat bei der gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorzunehmenden Gesamtabwägung die Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewogen. Dabei hat es den Umstand, dass der 20-jährige Kläger hier geboren und aufgewachsen und seit Dezember 2016 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, ebenso angemessen gewürdigt wie seine Bindungen zu seinen hier lebenden Familienangehörigen (Mutter und Geschwister). Gleichwohl ist es aber zu der rechtlich nicht zu beanstandenden Bewertung gelangt, dem Kläger sei sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht eine Integration im Land seiner Staatsangehörigkeit (Jordanien) zumutbar, weil er jedenfalls über grundlegende und ausbaufähige Kenntnisse der arabischen Sprache verfüge, dieses Land zumindest von Besuchsaufenthalten (bei seiner inzwischen verstorbenen Oma) kenne und durch seine erst 1998 nach Deutschland gekommenen Eltern in einem jordanisch-stämmigen Haushalt geprägt und sozialisiert worden sei. Auch mit dem Vorbringen, in Jordanien würden der für seine weitere Entwicklung erforderliche feste Rahmen und die nötige Struktur fehlen, hat sich das Erstgericht ohne Rechtsfehler auseinandergesetzt, aber insbesondere mit Blick auf den Ausweisungszweck (Ausweisung infolge wiederholter erheblicher Gewaltstraftaten aus spezial- und generalspräventiven Gründen) festgestellt, aufgrund der Schwere seiner Straftaten (u.a. gefährliche Körperverletzung, gemeinschaftlicher besonders schwerer Raub, gemeinschaftliche Freiheitsberaubung), der Bedeutung der auch künftig bedrohten Rechtsgüter und der auch mittelfristig schlechten Legalprognose überwiege beim Kläger unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK das Ausweisungsinteresse.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben