Verwaltungsrecht

Zulassung der Berufung gegen Ausweisung abgelehnt

Aktenzeichen  10 ZB 16.804

Datum:
22.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50746
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 5
AufenthG § 53 Abs. 1, 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Eine dem Schutzbereich des Art. 6 GG bzw. des Art. 8 EMRK unterfallende Vater-Tochter-Beziehung wird nicht durch einen Briefkontakt begründet. Diese lose Form des Kontakts kann auch vom Ausland aufrechterhalten werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 15.1488 2016-02-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 19. März 2015 und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und seinen Antrag vom 15. März 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt. Zudem beantragt der Kläger, ihm für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die vom Kläger angeführten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 1.), der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; 2.) und des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 3.) sind schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 4.). Daher kann auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren keinen Erfolg haben (5.).
1. Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B. v. 20.5.2016 – 10 ZB 16.29 – juris Rn. 22 m. w. N.). Eine solche Fragestellung lässt sich dem gesamten Zulassungsvorbringen nicht entnehmen.
2. Die Divergenzrüge i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO führt nur dann zur Zulassung der Berufung, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung eines Divergenzgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Darzulegen ist vom Kläger insoweit, welche bestimmte und verallgemeinerungsfähige Rechtsauffassung das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und inwiefern diese mit einem konkreten Rechtssatz in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte nicht übereinstimmt. Die divergierenden Rechtssätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (st. Rspr.; vgl. BayVGH, B. v. 24.5.2016 – 10 ZB 14.2877 – juris Rn. 4 m. w. N.). Auch diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Der Kläger führt zwei Gerichtsentscheidungen an, nämlich den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 (2 BvR 231/00) und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. September 1992 (11 S 1704/92). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg betrifft u. a. die Ausübung des Versagungsermessens bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Es ist aus dem Zulassungsvorbringen jedoch nicht erkennbar, inwieweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München von der genannten Entscheidung abweichen könnte. Der Kläger hat bereits deshalb keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, weil er nach Auffassung des Verwaltungsgerichts die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht erfüllt, so dass es auf die rechtmäßige Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht mehr entscheidungserheblich ankommt. Auch bezüglich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 2002 ist nicht dargelegt, von welchem Rechtssatz dieses Beschlusses das Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollte.
3. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist ebenfalls nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Der Kläger bringt vor, das Gericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es die gebotene Zeugeneinvernahme unterlassen habe. Die Rüge eines Verfahrensmangels setzt jedoch voraus, dass der angebliche Verfahrensmangel in den ihn vermeintlich begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert und schlüssig dargetan wird. Es muss ferner aufgezeigt werden, dass der behauptete Verfahrensmangel bereits in der ersten Instanz gerügt worden ist. Zudem sind die Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, warum die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. BayVGH, B. v. 20.5.2016 – 10 ZB 16.29 – juris Rn. 19). Hierzu bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass keine Stellungnahmen der JVA Bernau, der Kindesmutter, des Stadtjugendamtes und der Großmutter bezüglich seiner Beziehung zu seiner Tochter eingeholt worden seien. Auch die zuständigen Lehrer und Jugendsachbearbeiter seien nicht befragt worden. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO liegt jedoch nur dann vor, wenn sich dem Gericht die weitere Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur umfänglichen Aufklärung des Sachverhalts insbesondere dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht förmlich beantragt hat. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat der Kläger bzw. sein in der mündlichen Verhandlung anwesender Bevollmächtigter entsprechende Beweisanträge nicht gestellt (vgl. BayVGH, B. v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.609 – juris Rn. 23 m. w. N.).
Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und inwiefern weiterer Vortrag entscheidungserheblich gewesen wäre. Ausführungen hierzu enthält die Begründung des Zulassungsantrags nicht. Der Hinweis darauf, dass bestimmte Personen oder Organisationen zum Verhältnis des Klägers zu seiner Tochter hätten Auskunft geben können, reicht insoweit jedenfalls nicht aus.
4. Dem Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag ist auch nicht zu entnehmen, dass die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) zuzulassen wäre. Ernstliche Zweifel bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Daran fehlt es hier jedoch. Soweit der Kläger Einwendungen gegen die Ausübung bzw. Überprüfung des Ermessens der Beklagten bei der Ausweisungsentscheidung erhebt, geht dies ins Leere. Bei der Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung v. 27.7.2015 BGBl I S. 1386) handelt es sich um eine gerichtlich voll überprüfbare Entscheidung, bei der das öffentliche Interesse an der Ausreise des Ausländers mit seinen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet abgewogen wird und die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt (st. Rspr.; vgl. BayVGH U. v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 29 m. w. N.). Insoweit ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen dem Kläger und seiner Tochter keine dem Schutzbereich des Art. 6 GG bzw. des Art. 8 EMRK unterfallende Vater-Tochter-Beziehung besteht. Der Kläger lebte nach der Geburt der Tochter im Jahr 2008 nur für kurze Zeit mit seiner damaligen Ehefrau in Deutschland in familiärer Lebensgemeinschaft. Dann reiste er nach Italien aus, wo er nach seinen eigenen Angaben ca. drei Jahren in Sizilien wegen Drogenhandelns inhaftiert war. Er reiste erst am 6. März 2013 wieder ins Bundesgebiet ein. Seit der Einreise fand nur einmal, am 9. April 2014, für zwei Stunden ein Besuchskontakt mit der Tochter unter Aufsicht des Jugendamtes statt. Ein weiterer Umgang des Klägers mit seiner Tochter wurde durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 13. Mai 2015 bis zum 31. Dezember 2015 ausgeschlossen. Ihm wurde lediglich das Recht gewährt, seiner Tochter einmal im Monat einen Brief zu schreiben. Diese lose Form des Kontakts kann auch vom Ausland aufrechterhalten werden. Nicht mit entscheidungserheblichem Gewicht in die Abwägungsentscheidung einzustellen war der Wunsch des Klägers, künftig zu seiner Tochter eine tragfähige Beziehung aufbauen zu wollen. Zu berücksichtigen sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bereits bestehende persönliche Bindungen im Bundesgebiet. Es bestand im Übrigen auch keine Verpflichtung der Beklagten bzw. der Bundesrepublik Deutschland, dem Kläger nach seiner Einreise und Inhaftierung im Bundesgebiet den gewünschten Aufbau einer persönlichen Beziehung zu seiner Tochter zu ermöglichen, zumal eine Intensivierung des Kontaktes nach Auffassung der Fachbehörden dem Wohl des Kindes widersprochen hätte (vgl. die im Beschluss des OLG München vom 3.12.2015 genannten Stellungnahmen des Jugendamtes der Beklagten).
Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass unabhängig vom Vorliegen eines Ausweisungsinteresses (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) alleine deshalb kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besteht, weil der Kläger nicht personensorgeberechtigt ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG scheitert daran, dass der Kläger mit seiner Tochter nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Auf die Möglichkeit, von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzuweichen, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil die Voraussetzungen nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bot zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (vgl. BayVGH, B. v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn. 3) aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren ist entbehrlich. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO)
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht.


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