Verwaltungsrecht

Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 20.10021

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14711
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV aF § 53

 

Leitsatz

1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht. Anhaltspunkte, dass die Kapazitätsberechnung nicht kapazitätserschöpfend ist und sich über die in der Zulassungszahlsatzung festgesetzte Anzahl hinaus noch mindestens ein weiterer freier Studienplatz errechnen lässt liegen nicht vor.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermittlung der Schwundquote (§ 53 HZV a.F.) müssen sich die verwendeten Bestandszahlen auf einen ausreichend langen Zeitraum beziehen, so wie vorliegend auf die fünf vorhergehenden Semester. Außerdem müssen die Bestandszahl an einheitlichen und für die statistische Erhebung geeigneten Stichtagen erhoben werden und für die Berechnung ein mathematisch geeignetes Modell, z.B. das sog. Hamburger Modell, zugrunde gelegt werden (BeckRS 2009, 37159). Die vor oder nach dem Stichtag liegenden zahlenmäßigen Veränderungen können unberücksichtigt bleiben (BVerfG BeckRS 2011, 32938) (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein einklagbares Recht auf Schaffung von neuen, zusätzlichen Studienplätzen besteht grds. nur bei eklatanten Verstößen bei der Sicherstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten (VGH München BeckRS 1999, 30050666) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. „Überbuchungen“ von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren sind grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung (VGH München BeckRS 2018, 535).  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 E 19.10092 2020-02-19 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2019/2020, hilfsweise beschränkt auf den ersten Studienabschnitt. Er macht geltend, dass mit der in der Satzung der FAU über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die im Studienjahr 2019/2020 als Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie in höhere Fachsemester aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber (Zulassungszahlsatzung) vom 5. Juli 2019 festgesetzten Zahl von 174 Studienanfängerinnen und Studienanfängern die vorhandene Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft sei.
Das Verwaltungsgericht Ansbach hat den Antrag mit Beschluss vom 19. Februar 2020 abgelehnt. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass an der FAU über die kapazitätsdeckend vergebenen 177 Studienplätze hinaus noch weitere Studienplätze im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) zur Verfügung stünden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde. Der Bevollmächtigte trägt im Wesentlichen vor, die Erfassung des Stands der Studierenden knapp drei Wochen nach Vorlesungsbeginn sei zu früh. Der von der FAU angegebene Schwundausgleichsfaktor von nahezu 1, nämlich 0,9888, gebe die aktuelle Wirklichkeit nicht wieder. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung betrage die Abbrecherquote an Universitäten 32% und die Mehrheit dieser Studenten verlasse die Universität bereits in den ersten beiden Semestern. Bei der Schwundfaktorberechnung sei ein Schwundstabilitätsfaktor zu garantieren, bei dem nach dem „Hamburger Modell“ die Studierendenzahlen der vorangegangenen vier bzw. sechs Semester zu Grunde zu legen seien. Bei einer aktuellen Neufeststellung des Bestands der Studierenden der Humanmedizin könnten kapazitätserschöpfend weitere Studienplätze vergeben werden. Unter Berücksichtigung des Ärztemangels sei unverständlich, warum keine weiteren Studienplätze im Studienfach Humanmedizin geschaffen würden, sondern im Gegenteil ein Drittel der Studienplätze in den letzten 15 Jahren abgebaut worden sei. So führe auch ein exzessiver Anstieg des Dienstleistungsexports vorliegend zu einer Kapazitätsvernichtung der Vorklinischen Medizin. Im Vergleich zum Vorjahr 2018/2019 sei ein Anstieg um 3,5 SWS zu verzeichnen, was eine Vernichtung von ca. 4 Studienplätzen zur Folge habe. Der Dienstleistungsexport in Fächer wie Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, Medical Process Management, Medizintechnik sowie Life Science Engineering sei mangels Bezug zur Humanmedizin unverständlich. Zudem sei die vorgenommene Überbuchung dem Antragsteller gegenüber insoweit nicht als kapazitätswirksam anzuerkennen, als die zusätzlichen Immatrikulationen darauf beruhten, dass der Antragsgegner mit den Zulassungen mehr Studienplätze habe besetzen wollen, als in der Satzung festgesetzt worden seien. Nach der Rechtsprechung sei das nicht zulässig.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht.
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die FAU ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Verwaltungsgerichtshof folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
1. Gegen die Ermittlung der Schwundquote (§ 53 HZV vom 18.6.2007 [GVBl S. 401, BayRS 2210-8-2-1-1-K], in der hier einschlägigen Fassung der Verordnung vom 28.4.2018 [GVBl S. 277] – HZV a.F.) bestehen keine Bedenken. Bei der Ermittlung ist zu berücksichtigen, dass die verwendeten Bestandszahlen sich auf einen ausreichend langen Zeitraum beziehen, dass sie an einheitlichen und für die statistische Erhebung geeigneten Stichtagen erhoben werden und dass der Berechnung ein mathematisch geeignetes Modell, z.B. das sog. Hamburger Modell, zugrunde liegt (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2006 – 7 CE 06.10197 – juris Rn. 20). Ausweislich der Unterlagen zur Kapazitätsberechnung wurde bei der Berechnung der Schwundquote das Schwundverhalten ab dem Wintersemester 2016/2017 einschließlich des Wintersemesters 2018/2019 berücksichtigt, was einen Erhebungszeitraum von fünf Semestern beinhaltet. Nicht durchdringen kann der Antragsteller mit der Forderung, es sei eine aktuelle Neufeststellung des Bestands der Studierenden anhand der Abgänge durch Exmatrikulation, durch Rücktritte von der Immatrikulation und durch Höherstufungen vorzunehmen, um freie Studienplätze zu ermitteln. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Universität nach einem Stichtagssystem verfährt und die vor oder nach dem Stichtag liegenden zahlenmäßigen Veränderungen unberücksichtigt lässt (BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 7 CE 11.10004 u.a. – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 7 CE 16.16.10280 – Rn. 8). Gemäß § 53 HZV a.F. ist die Studienanfängerzahl zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge. Bei der insoweit anzustellenden Prognose widerspräche es dem System der auf Stichtagen beruhenden Schwundberechnung, jeweils auf die für den Schwund kapazitätsgünstigste Studentenzahl eines Semesters – gleich zu welchem Zeitpunkt – abzustellen; dies würde die Schwundberechnung eher verfälschen (BayVGH, B.v. 16.5.2000 – 7 ZE 00.10008 – juris Rn. 9). Die vom Antragsteller vorgelegten Berechnungen der Schwundquote der Universität Mainz bzw. Frankfurt sind ohne Relevanz für das im Rahmen der Schwundquote zu prognostizierende Studierverhalten der Studierenden der FAU. Unabhängig davon teilte der Antragsgegner nachvollziehbar mit, dass Studienabbrüche in der Vorklinik – wie sich aufgrund der Schwundquote ergebe – selten vorkommen und die vom Antragsteller genannte Zahl von 32% „Abbrechern“ nicht für die medizinischen Studienfächer gilt.
Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen einklagbaren Individualanspruch auf Schaffung von neuen, zusätzlichen Studienplätzen nur bei einer evidenten Verletzung des Verfassungsauftrags zur Schaffung ausreichender Ausbildungskapazitäten geben kann (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 – Rn. 20, zur Veröffentlichung vorgesehen, unter Bezugnahme auf BVerfG, U.v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – BVerfGE 33, 303/333 Rn. 62; B.v. 10.3.1999 – 1 BvL 27/97 – NVwZ-RR 1999, 481 Rn. 17). Auch im modernen Sozialstaat bleibt es der nicht einklagbaren Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, ob und inwieweit er im Rahmen der darreichenden Verwaltung Teilhaberechte gewähren will (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – BVerfGE 33, 303/331 Rn. 62; B.v. 10.3.1999 – 1 BvL 27/97 – NVwZ-RR 1999, 481 Rn. 17; U.v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 u.a. – BVerfGE 147, 253 Rn. 105).
2. Soweit der Antragsteller vorbringt, der Anstieg des Dienstleistungsexports in Fächer wie Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, Medical Process Management, Medizintechnik sowie Life Science Engineering sei mangels Bezug zur Humanmedizin unverständlich, hat er den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die FAU habe trotz der Zunahme der nicht zugeordneten Studiengänge die Auswirkungen auf die Vorklinische Medizin in Grenzen gehalten, da die Werte für den Dienstleistungsbedarf in den letzten Studienjahren nahezu gleich geblieben seien, und der tendenzielle leichte Anstieg des Dienstleistungsbedarfs zu dem aktuellen Wert primär auf einen allgemeinen Anstieg der Studierendenzahlen zurückzuführen sei, nichts Substantielles entgegengesetzt. Ungeachtet dessen ergibt sich aus den Kapazitätsberechnungsunterlagen und insbesondere aus den Regelungen der einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen (zugänglich unter der jeweiligen Homepage des Studiengangs) nachvollziehbar eine ausreichende sachliche Berechtigung für den Dienstleistungsexport (vgl. hierzu ausführlich im Einzelnen BayVGH, B.v. 2.4.2020 – 7 CE 19.10045 – juris Rn. 8ff.).
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind über die festgesetzten Zulassungszahlen hinausgehende „Überbuchungen“ von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen. Sie beruhen auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 3 Satz 6, § 10 Abs. 1 Satz 4 BayHZV und bezwecken, die knappen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen möglichst zeitnah auszuschöpfen. Maßgeblich hierfür ist das von der Hochschule prognostizierte Annahmeverhalten anhand der Erfahrungswerte der letzten Jahre. Die im Wege von Überbuchungen ordnungsgemäß vergebenen Studienplätze sind nicht mehr frei und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 7 CE 17.10225 – juris Rn. 8). Eine Überbuchung verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, ob es sich um eine unzulässige Überbuchung handelt. Denn es wurden schon keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Kapazitätsberechnung der FAU nicht kapazitätserschöpfend ist und sich über die in der Zulassungszahlsatzung festgesetzte Anzahl von 174 Studienplätzen hinaus noch mindestens ein weiterer freier Studienplatz errechnen lässt, den der Antragsteller für sich beanspruchen könnte. Nur unter dieser Voraussetzung wäre zu prüfen, ob die Überbuchung zulässig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Eyermann, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.


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