Verwaltungsrecht

Zum Anspruch auf Terminsverlegung im Asylverfahren

Aktenzeichen  11 ZB 18.30839

Datum:
20.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8634
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die auf einer Verwechslung von Parallelverfahren oder unzureichenden Sprachkenntnissen beruhende irrtümliche Annahme einer Verlegung der mündliche Verhandlung hat der Klägers selbst zu vertreten. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Prozessordnung sieht auch im Asylrechtsstreit keinen generellen Anspruch des anwaltlich vertretenen Klägers auf eine persönliche Anhörung vor. Allerdings kann das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt (Anschluss an BVerwG BeckRS 2007, 26367). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Folgt das Verwaltungsgericht Anregungen zur Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung nicht, kommt eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs nur in Betracht, soweit das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung wegen Grundsatzbedeutung grundsätzlich nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 17.34042 2018-03-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da ein Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 AsylG nicht gegeben bzw. nicht hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Die Verhandlung und Entscheidung über die Klage in Abwesenheit des Klägers, der über seinen Prozessbevollmächtigten form- und fristgerecht unter Hinweis gemäß § 102 Abs. 2 VwGO zum Termin geladen worden ist, hat seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Denn er hat keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung glaubhaft gemacht.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen (BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8/13 – juris; B.v. 28.4.2008 – 4 B 47/07 – juris jeweils m.w.N.). Aus § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO ergibt sich, dass ein Grund immer dann erheblich ist, wenn der betroffene Beteiligte ihn nicht zu vertreten hat (Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand 1.3.2018, § 227 Rn. 6). Die irrtümliche Annahme des Klägers, dass die mündliche Verhandlung verlegt worden sei, ist von ihm zu vertreten. Er musste wissen, dass er beim Verwaltungsgericht Augsburg zwei Klageverfahren anhängig gemacht hatte. Auch waren die gerichtlichen Ladungsschreiben mit unterschiedlichen Aktenzeichen gekennzeichnet. Hat der Kläger dies übersehen und eine weitere Ladung als Terminsänderung interpretiert, hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB außer Acht gelassen und damit fahrlässig und schuldhaft gehandelt. Hat er – wie vorgetragen – die Ladungsschreiben nicht verstanden, liegt sein Verschulden darin, dass er es unterlassen hat, bei seinem Prozessbevollmächtigten oder bei Gericht Rücksprache zu nehmen und sich deren Inhalt erläutern zu lassen, bevor er den Schluss daraus zog, ein vorhergehendes Ladungsschreiben ignorieren zu können. Wie er selbst vorträgt, hat er den Termin „aus Unachtsamkeit verpasst“.
Zudem war der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten. Auch im Asylprozess ist ein erheblicher Grund für eine Vertagung nicht bereits dann – quasi automatisch – anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falles zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsaufhebung bzw. -verlegung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern; das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt (BVerwG, B.v. 4.2.2002 – 1 B 313/01, 1 PKH 40/01 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31 = juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 17; B.v. 25.11.2015 – 15 ZB 15.30229 – juris Rn. 3; B.v. 15.11.2006 – 1 ZB 06.30992 – juris Rn. 4; Geiger in Eyermann‚ VwGO‚ 14. Aufl. 2014, § 102 Rn. 6). Die Prozessordnung sieht auch im Asylrechtsstreit keinen generellen Anspruch des anwaltlich vertretenen Klägers auf eine persönliche Anhörung vor (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2007 – 10 B 74/07 – juris Rn. 8 m.w.N.). Allerdings kann das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt (BVerwG, a.a.O.). Derartige Umstände liegen indes nicht vor. Das Verwaltungsgericht hatte das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und seinen Vortrag, auch wenn es ihn für unglaubhaft hielt, als wahr bzw. hilfsweise als wahr unterstellt (vgl. Seite 11 und 16 der Urteilsgründe). Die Klage wurde wegen Fehlens einer politischen Verfolgung bzw. eines asylrelevanten Anknüpfungsmerkmals im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und wegen Bestehens einer inländischen Fluchtalternative abgewiesen, weil dem Kläger nach Einschätzung des Gerichts die geltend gemachte Bedrohung durch Kriminelle nicht landesweit drohte.
Die Rüge eines Verfahrensfehlers, weil das Verwaltungsgericht den schriftsätzlich gestellten Anträgen auf Einvernahme von zwei Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass sich unbekannte Männer am vormaligen Wohnort und in Kiew nach dem Kläger erkundigt hätten, nicht nachgegangen sei, ist bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Bei den gestellten Anträgen handelt es sich um die Ankündigung von Beweisanträgen im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO und damit um eine bloße Anregung, im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entsprechend zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60/13 – juris Rn. 7; Geiger in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 26). Folgt das Verwaltungsgericht solchen Anregungen zur Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung nicht, kommt eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nur in Betracht, soweit das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, a.a.O.). Dies ist nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat sich in den Urteilsgründen mit den Beweisanregungen auseinandergesetzt und dargelegt, dass es nach seinem rechtlichen Standpunkt auf die unter Beweis gestellten Behauptungen nicht ankam, da es die behaupteten Nachfragen nach dem Kläger an seinem vormaligen Wohnort und in Kiew nicht als hinreichenden Anhaltspunkt für landesweite kriminelle Nachstellungen erachte. Dies ist in Anbetracht der völlig unsubstantiierten Beweisbehauptungen nicht willkürlich. Nachdem das Gericht den Klägervortrag im Rahmen dieser Hilfsbegründung als wahr unterstellt hat, kam es auch nicht darauf an, ob die beantragte Einvernahme der beiden Zeugen „den Vortrag des Klägers insgesamt untermauert und glaubhafter und nachvollziehbarer macht“ bzw. hätte machen können.
Schließlich zeigt der Zulassungsantrag mit der aufgeworfenen Frage, ob der Kläger trotz erheblicher Korruption in der Ukraine ausreichend staatlichen Schutz vor Übergriffen seiner kriminellen Verfolger in einem anderen Landesteil finden könne, auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG auf.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit, in GK-AsylG, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 139 f.). Es genügt also nicht, die gerichtlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (OVG NW, B.v. 14.3.2018 – 13 A 341/18.A – juris Rn. 5 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 20 ZB 17.30393 – juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 – 2 LA 1784/17 – juris Rn. 4). Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 609).
Ungeachtet dessen, dass der Kläger keine Erkenntnisse für seine abweichende Einschätzung der Lage angeführt hat, hat er bereits keine fallübergreifende Tatsachenfrage formuliert, sondern verfolgt die Klärung seines individuellen Einzelfalls. Im Übrigen handelt es sich bei dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf die Inanspruchnahme innerstaatlichen Schutzes um eine nicht entscheidungserhebliche Hilfsbegründung, da es die Klage in erster Linie wegen fehlender Glaubhaftigkeit des Klagevortrags und hilfsweise wegen Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewiesen hat. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Kläger nicht landesweit von kriminellen Nachstellungen bedroht ist und daher auch keinen staatlichen Schutz benötigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben