Verwaltungsrecht

Zum Klärungsbedürfnis für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative

Aktenzeichen  20 ZB 17.30213

Datum:
9.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 105496
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3a, § 3b, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Die Frage, ob lang zurückliegende Verfolgungen im Zusammenhang mit späteren Verfolgungshandlungen zu sehen sind, ist nicht entscheidungsrelevant, wenn der Vortrag als unglaubhaft angesehen wird und eine inländische Fluchtalternative besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Bejahung einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss für den jeweiligen Kläger unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände das Existenzminimum gewährleistet sein. Das ist in der Rechtsprechung grundsätzlich geklärt; nicht klärungsbedürftig ist dagegen die einzelfallbezogene Anwendung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31316 2015-12-22 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 22. Dezember 2016 ist wohl zulässig, auch wenn angesichts äußerst knapper Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und zur über den Einzelfall hinaus bestehenden Bedeutung der gestellten Rechtsfragen an der ordnungsgemäßen Darlegung im Sinne vom § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (vgl. zum Umfang der Darlegungspflicht Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72) Zweifel bestehen. Jedenfalls ist der Antrag aber unbegründet, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hinsichtlich keiner der als grundsätzlich klärungsbedürftig formulierten Rechtsfragen vorliegt.
Soweit die Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob auch lange zurückliegende Verfolgungen durch weit später eintretende Verfolgungshandlungen im Zusammenhang zu sehen sind,
ist diese Frage nicht entscheidungserheblich. Im Zulassungsverfahren ist dies in der Regel nur eine Frage, die auch für die Vorinstanz entscheidungserheblich war (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 37). Dies ist insoweit nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat sein Urteil gerade nicht darauf gestützt, dass zwischen der von der Klägerin beim Bundesamt genannten Entführung im Jahr 2004 und den vor ihrer Ausreise angeblich erfolgten Drohanrufen bzw. einer etwaigen Verfolgung bei einer Rückkehr in den Irak ein zeitlicher Zusammenhang nicht bestehe. Vielmehr hat es die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in der Person der Klägerin deshalb abgelehnt, da es den Vortrag der Klägerin als unglaubwürdig eingeschätzt hat, soweit sie eine begründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne von § 3a AsylG geltend gemacht hat. Darüber hinaus hat es ausgeführt, dass eine etwaige Verfolgung jedenfalls nicht an ein relevantes Merkmal im Sinne von § 3b AsylG anknüpfe und dass überdies (ohne dass es hierauf ankäme) für die Klägerin eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen des Zentral-Iraks bzw. im West-Irak bestünde. Die formulierte Frage ist daher nicht für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich.
Soweit die Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
wie weit Angehörige von politisch verfolgten Personen selbst alleine aufgrund der familiären Nähe verfolgt werden,
ist auch diese Frage nicht entscheidungserheblich. Dies folgte aus der Sicht des Verwaltungsgerichts daraus, dass einerseits jedenfalls bei der von der Klägerin geltend gemachten Verfolgung eine Anknüpfung an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal im Sinne des § 3a AsylG nicht bestehe und andererseits deren Vortrag nicht als glaubwürdig eingestuft wurde.
Schließlich kann auch die Frage,
inwieweit eine Prognose zu erwartender menschenwürdiger Existenz für die Verweisung auf inländische Fluchtalternativen zu prüfen sind
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht begründen. Insoweit fehlt es nämlich an der Klärungsbedürftigkeit. Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind oder nicht bereits durch die Rechtsprechung des EuGH, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Berufungsgerichts geklärt sind (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 38 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. Mai 2008 (10 C 11/07 – NVwZ 2008, 1246, 1249, Rn. 35; siehe auch U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20) ausgeführt, dass für die Bejahung einer innerstaatlichen Fluchtalternative unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten sowie der persönlichen Umstände des jeweiligen Klägers dort jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet sein müsse (ebenso Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 3e AsylG, Rn. 3 m.w.N.; Beck-OK, Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 3e AsylG, Rn. 3). Die Frage ist daher grundsätzlich bereits geklärt. Nicht klärungsbedürftig ist jedoch die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem. Die behauptete bloße Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung gibt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 38).
Zu einer anderen Einschätzung führt auch nicht der Umstand, dass dem Bruder der Klägerin mit Bescheid vom 16. Januar 2017 der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 AsylG zuerkannt wurde. Denn im Asylrecht stellen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach der eindeutigen Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG keinen Grund für die Zulassung der Berufung dar.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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