Verwaltungsrecht

Zumutbare Rückkehr nach Libyen – Keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Gefahr

Aktenzeichen  W 8 K 17.33618

Datum:
3.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25576
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Es kann offen bleiben, ob derzeit in Libyen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, da jedenfalls die Gefahrendichte nicht so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in die Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es sind keine gefahrerhöhende Umstände gegeben, die eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG bedeuten würden. Vielmehr ist jedenfalls einem alleinstehenden jungen Mann zumutbar, nach Libyen zurückzukehren. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asyl. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Libyen politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Der Kläger hat im Verlauf des Behördenverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auch im Vergleich zum Vorbringen seines Freundes im Verfahren W 8 K 18.30770, welcher sich teilweise auf den gleichen Sachverhalt wie der Kläger bezieht, ungereimte und widersprüchliche sowie teils gesteigerte Angaben gemacht. Auf gerichtliche Fragen antwortete der Kläger teilweise auch ausweichend. Widersprüche und Ungereimtheiten konnte er trotz gerichtlicher Nachfragen und Vorhalte wiederholt nicht überzeugend auflösen. Demgegenüber ließ er eine zweifelsfreie, in sich stimmige Geschichte vermissen. So bleiben aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung letztlich durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens und einer darauf beruhenden tatsächlich drohenden ernsthaften Gefahr.
Auffällig ist schon, dass der Kläger – trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO, alle relevanten Tatsachen vorzutragen -, erstmals und gesteigert mit Schreiben vom 27. August 2018, also wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung, vorgebracht hat, zweimal durch Milizen inhaftiert gewesen und geschlagen worden zu sein sowie ein Dokument seiner Eltern zu haben, obwohl er es nach eigenem Bekunden schon vier Wochen vor der mündlichen Verhandlung in Händen gehabt habe. Der Einwand des Klägers, dass ein früherer Dolmetscher und Betreuer ihm gesagt habe, sie sollten keinesfalls Angaben über die Milizen in Libyen machen, weil die dort verbliebenen Eltern und Geschwister in erheblichen Gefahren gerieten und sie auch selbst, verfängt nicht. Dem Kläger wurde im Laufe des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens wiederholt deutlich gemacht, dass er mitzuwirken und alle relevanten Tatsachen, auf die er sein Asylbegehren stützt, vorzubringen hat. Darüber hinaus hat er, der Kläger, drei verschiedene Anwälte. Es ist dem Gericht überdies nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht von sich aus die Tatsachen vorbringt, auf die er sein gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geäußertes Schutzbegehren stützen will. Das neue Vorbringen, erst kurz vor bzw. in der mündlichen Verhandlung, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nach erneutem Anwaltswechsel durch den Kläger aus asyltaktischen Motiven aufgebauscht worden zu sein, um Vorteile im Asylverfahren zu erlangen.
Darüber hinaus fällt auf, dass weder der Kläger noch sein Freund, der Kläger des Verfahrens W 8 K 18.30770, mit dem er sein Verfolgungsschicksal teilweise teilt und der denselben Einwand zum Dolmetscher vorgebracht hat, die gleiche Begründung genannt haben wie im Anwaltsschriftsatz vom 27. August 2018, nämlich dass andernfalls die Eltern und Geschwister und sie selbst bei einer Rückkehr in Gefahr gerieten. Demgegenüber brachte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor, sie sollten nicht sagen, dass die Miliz gegen Terroristen kämpfe. Es wäre schlimm, wenn sie darüber redeten. Die Politiker würden es nicht glauben. Der Freund gab an, sie sollten es nicht erzählen, weil die Miliz ein Teil der Armee sei. Erst auf gerichtlichen Vorhalt räumte der Kläger auch den schriftlich vorgebrachten Grund ein. Auch im Weiteren zeigt sich das Bild bei Widersprüchen, dass der Kläger erst auf gerichtlichen Vorhalt ohne weitere Vertiefung Betreffendes einräumte, aber die Widersprüche letztlich nicht überzeugend aufzulösen vermochte.
Auch das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schriftstück auf Arabisch von den Eltern des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Schriftstück, das auf Aufforderung des Klägers bzw. dessen Bevollmächtigten von den Eltern gefertigt wurde, ist als Gefälligkeitsschreiben zu werten. Es hat keinen offiziellen Charakter. Zudem wird dort nur pauschal von den zwei Verhaftungen des Klägers sowie dem Tod seines Bruders berichtet, ohne substanziiert und in Einzelheiten auf die Vorfälle einzugehen. Auffällig ist weiterhin, dass der Vater des Klägers die angeblich eigene Verhaftung und die erlittenen Gesundheitsschäden nicht erwähnt und auch sonst dem Schreiben nicht zu entnehmen ist, dass konkret bezogen auf den Kläger bei der Rückkehr nunmehr eine Gefahr der Inhaftierung oder Zwangsrekrutierung und dergleichen konkret drohen sollte.
Abgesehen davon ist auch das neue schriftliche, wie auch mündliche, Vorbringen des Klägers in sich widersprüchlich und ungereimt, so dass erhebliche und durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben bestehen.
Dies gilt schon für die zeitlichen Angaben. Während in dem Schreiben vom 27. August 2018 ausdrücklich steht, dass die erste Verhaftung Anfang 2014 gewesen sei und die zweite Verhaftung im Juni 2014, erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, die erste Verhaftung sei Anfang 2015 gewesen und die zweite Verhaftung kurz vor der Ausreise, etwa im März. Der Freund trug im Verfahren W 8 K 18.30770 wiederum abweichend vor, der Vorfall der ersten Verhaftung sei im Jahr 2015 gewesen. Er schätze es sei drei bis vier Monate vor der Ausreise im August gewesen.
Weiterhin neu und gesteigert ist das Vorbringen zu den Anwerbeversuchen. Während diese bislang nur allgemein und pauschal vorgetragen wurden, erwähnte der Kläger in dem Schreiben vom 27. August 2018 ausdrücklich eine Inhaftierung durch eine Miliz, die IS-Anhänger gesucht habe und den Bruder seines Freundes beschuldigt habe. Der Kläger sowie sein Freund, der Kläger des Verfahrens W 8 K 18.30770, seien inhaftiert worden. Demgegenüber gab der Freund zunächst an, Grund der Verhaftung sei gewesen, dass aus den beiden Freunden nun Männer gemacht werden sollten. Erst auf Vorhalt räumte der Kläger ein, dass dies auch so gewesen sei. Beides seien die Gründe gewesen.
Des Weiteren brachte der Kläger vor, sie seien auch bei der ersten Verhaftung geschlagen worden, um herauszupressen, wo der Bruder seines Freundes sei. Demgegenüber gab der Freund in seiner Verhandlung an, zunächst sei ein Grund für die Schläge gewesen, dass er einen der Milizionäre geschubst habe. Erst auf Vorhalt räumte er ein, dass der Bruder auch ein Grund gewesen sei. Der Kläger räumte ebenfalls erst auf gerichtlichen Vorhalt ein, dass auch ein Grund gewesen sei, dass der Freund einen Milizionär wegen seiner Mutter geschubst habe.
Widersprüchlich und deshalb unglaubhaft sind des Weiteren die Angaben zu den Umständen der Freilassung nach der ersten Verhaftung. Im schriftlichen Vorbringen ließ der Kläger erklären, sie seien nur deshalb wieder freigelassen worden, weil die Milizen mittlerweile den Bruder seines Freundes festgenommen hätten. Demgegenüber erklärte sein Freund, der Bruder sei mit älteren Leuten zu den Milizionären hin und habe die Freilassung gefordert. Demgegenüber erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, ältere Leute hätten mit den Milizionären geredet. Es seien Nachbarn gewesen. Sie seien hin und hätten mit ihnen geredet, damit sie frei kämen. Die Milizionäre hätten sie dann einfach frei gelassen, weil auch der Bruder gekommen sei. Der Bruder sei einfach danach gekommen. Nachdem der Bruder gekommen sei, seien sie raus. Was der Bruder nach seiner Freilassung gemacht habe, wisse er nicht. So konnte letztlich nicht geklärt werden, ob der Bruder des Freundes sich freiwillig gestellt hat, etwa weil er zusammen mit den anderen Menschen hingegangen ist, um die Freilassung zu fordern, oder ob er zwischenzeitlich von den Milizionären festgenommen worden ist.
Weiter gab der Kläger schriftlich an, er sei erneut von den Milizen verfolgt worden. Wegen seines Namens und seiner Herkunft aus Sabri, sei ihm die IS-Mitgliedschaft unterstellt worden. Demgegenüber erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung dazu, er sei in eine Kontrolle gekommen und habe aber keine Ausweise dabei gehabt. Man habe ihm auch vorgeworfen, da er gesagt habe, er komme aus Sabri, dass er mit den Terroristen gekämpft habe.
Widersprüchlich ist weiter die Angabe im Anwaltsschreiben, dass der Bruder des Klägers bei einer gewaltsamen Kampfhandlung erschossen worden sei, während in der mündlichen Verhandlung die Rede davon war, dass er durch eine Rakete oder Mine (laut Freund) ums Leben gekommen sei.
Abgesehen davon ist selbst bei einer Wahrunterstellung nicht zwingend, dass dem Kläger bei einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung oder Inhaftierung droht. Zum einen hat sein Freund in der mündlichen Verhandlung des Verfahrens W 8 K 18.30770 selbst ausgesagt, wenn man daheim bleibe und sich ruhig verhalte, passiere nichts. Darüber hinaus sind sowohl Verwandte des Freundes als auch die Familie bzw. die Großfamilie des Klägers noch in Libyen vor Ort, ohne dass der Kläger berichtet hätte, dass – abgesehen von dem einen Bruder – weiteren Familienmitgliedern die Gefahr der Zwangsrekrutierung gedroht habe. Darüber ist auch in dem vorgelegten Schreiben der Eltern des Klägers nichts enthalten. Dem Gericht erscheint es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb, gegebenenfalls weitere konkreten Erkundigungen in dieser Richtung eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende ernsthafte Gefahr für ihn hindeuten. Gerade, wenn jemand eine Verfolgung oder ernsthafte Gefahren befürchtet – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet -, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Gefahr zu besorgen und gegebenenfalls auch entsprechende aussagekräftige Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen.
Im Übrigen haben die Umstände der zweiten Verhaftung und die Freilassung bei der zweiten Verhaftung gezeigt, dass der Kläger bzw. sein Vater über Einflussmöglichkeiten verfügen, um auf die Milizen einzuwirken und dort ebenso, wie beim Vater, klarzustellen, dass sie nicht Mitglieder oder Sympathisanten einer gegnerischen Miliz sind.
Nach alledem fehlt es an einem glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, das Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr oder sonst einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben sein könnte.
Nach der Auskunftslage ist das Gericht auch sonst nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr Verfolgung oder sonst ein ernsthafter Schaden droht (vgl. § 4 Abs. 1 AsylG).
Zwar ist zusammengefasst nach der Erkenntnislage von folgender Situation in Libyen auszugehen:
Nach dem Auswärtigen Amt (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018) befindet sich Libyen Mitte 2018 im siebten Jahr nach dem Tod des Diktators Gaddafi weiterhin im politischen Umbruch. Landesweite Sicherheit bleibt die größte und wichtigste Herausforderung des seit Dezember 2015 bestehenden Präsidialrats. Große Teile des Landes und der Gesellschaft werden von Milizen kontrolliert, andere Teile sind praktisch unregiert. Bewaffnete Gruppen beanspruchen jeweils auf ihrem Gebiet die Ausübung einer Art staatlicher Kontrolle. Eine der größten Gefahren für die Bevölkerung ist es, als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Menschenrechtsverletzungen in Libyen sind an der Tagesordnung. Die vulnerabelste Gruppe sind Migranten und Flüchtlinge. Aber auch Libyer sind Menschenrechtsverletzungen durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, ohne sich dagegen wirksam schützen zu können. Ein einheitliches funktionierendes Rechtssystem steht nicht zur Verfügung. Besonders betroffen sind Minderheiten. Die Sicherheitslage in Libyen ist instabil. Dem Präsidialrat gegenüber loyalen Milizen aus der westlibyschen Stadt Misrata gelang es den sogenannten IS im Dezember 2016 aus seiner Hochburg in der zentrallibyschen Küstenstadt Sirte zu vertreiben. Er ist weiterhin in Libyen aktiv und hat auch 2017 bis 2018 Anschläge verübt. In Ostlibyen geht General Haftar gegen islamistische und dschihadistische Gruppen mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Auch Tripolis ist faktisch im Einflussbereich von vier Milizen. Eine davon ist die salafistische Rada-Miliz. Diese Miliz übt inzwischen die vollständige Kontrolle über den einzigen funktionstüchtigen Flughafen (M.) von Tripolis und das dort gelegene größte Gefängnis Westlibyens aus. Einer Vielzahl von Milizen werden Folter und standrechtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Auch die im Osten vorherrschende LNA ist kein einheitliches Gebilde, vielmehr eine Klammer für einzelne Milizen, die auch eigene Interessen verfolgen und denen ihrerseits Menschenrechtsverletzungen sowie die Hinnahme ziviler Opfer nachgesagt werden.
Alle Konfliktparteien verübten wahllose sowie gezielte Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete, die zum Tod von Zivilpersonen und der rechtswidrigen Tötungen führten. Tausende Menschen wurden von bewaffneten Gruppen verschleppt, willkürlich festgenommen und zeitlich unbegrenzt inhaftiert. In den Gefängnissen waren Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung. Menschen wurden aufgrund ihrer Überzeugung, ihrer Herkunft, ihrer vermuteten politischen Zugehörigkeit und ihres mutmaßlichen Reichtums von bewaffneten Gruppen und Milizen verschleppt und rechtswidrig inhaftiert (Amnesty International, Report Libyen 2017/2018).
Die Lage im ganzen Land ist extrem unübersichtlich und unsicher. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. In großen Teilen des Landes herrschen bewaffnete Milizen oder sonstige bewaffnete Kräfte. In Abwesenheit staatlicher Kontrolle über das gesamte Territorium setzen sich Dutzende rivalisierende Milizen und militärischen Streitkräfte mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Allianzen straffrei über internationales Recht hinweg. Rivalisierende Milizen und militärische Streitkräfte entführen Personen und lassen diese verschwinden, foltern, inhaftieren willkürlich und führen ungesetzliche Tötungen durch (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017).
Das Gericht geht gleichwohl davon aus, dass dem Kläger kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Ergebnis kann offen bleiben, ob derzeit in Libyen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht (vgl. bejahend VG Dresden, U.v. 22.9.2017 – 12 K 1598/16.A – Asylmagazin 4/2018, S. 123 [auszugsweise] – juris; VG Ansbach, U.v. 29.3.2018 – AN 10 K 16.32482 – juris; offengelassen VG Chemnitz, U.v. 31.5.2018 – 7 K 2166/16.A – juris; U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; U.v. 2.1.2018 – 7 K 692/16.A – juris; jeweils mit weiteren Nachweisen). Denn selbst wenn, ist die Gefahrendichte jedenfalls nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in die Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198).
Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt ist, reichen grundsätzlich nicht, eine individuelle Bedrohung zu begründen. Es ist auch nichts von einer Gefahrendichte ersichtlich, dass hier für jedermann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben besteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen festgestellt, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 1:1.000 in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 und 10 C 11.10 – juris Rn. 20). Ein solcher Gefährdungsgrad ist bei weitem nicht ersichtlich. Dem Gericht fehlen gegenteilige Erkenntnisse. Auch die Klägerseite hat Entsprechendes nicht substanziiert vorgebracht.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar. Die bloße Aufforderung, durch andere, sich ebenfalls einer Miliz oder sonstigen Gruppierung anzuschließen, rechtfertigt bei weitem nicht die Annahme einer politischen Verfolgung oder eines drohenden ernsthaften Schadens (so VG Bayreuth, U.v. 5.7.2017 – B 4 K 16.31506 – juris). Sonstige gefahrerhöhende Umstände, die eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG bedeuten würden, sind nicht gegeben. Vielmehr ist jedenfalls einem alleinstehenden jungen Mann zumutbar, nach Libyen zurückzukehren (so im Ergebnis auch VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris).
Dem Kläger droht insbesondere auch kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG infolge Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Zwar hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht angegeben (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 15), es ist davon auszugehen, dass zurückkehrende Libyer, insbesondere dann, wenn sie durch ausländische Polizei begleitet werden, Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Misstrauen erwecken und bei der Einreise strengen Kontrollen unterzogen werden. Eine anschließende Inhaftierung ist insbesondere am Flughafen M., der von der salafistischen Rada-Miliz kontrolliert wird, nicht auszuschließen. Es gibt Berichte von Menschenrechtsverletzungen in diesem Gefängnis. Es ist davon auszugehen, dass die salafistische Rada-Miliz, die den Flughafen M. und das dort befindliche Gefängnis kontrolliert, Listen von gesuchten Libyern einsehen kann und bei der Einreisekontrolle strenge Maßstäbe anlegt. Auch die anderen libyschen Flughäfen werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert, die meist ihre eigenen Kriterien für Einreise, Befragung und Festnahme setzen. Einzelfalluntersuchungen des Risikos für Abzuschiebende werden in diesem Licht durchzuführen zu sein.
Insofern ist jedoch festzuhalten, dass bei dem Kläger auch insoweit individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen. Darüber hinaus kann sich der Kläger nicht darauf berufen, im Falle einer Abschiebung wegen einer möglichen Polizeibegleitung erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein, weil ihm eine freiwillige Rückkehr zumutbar ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BverwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführliche dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert und die Grundversorgung in Libyen gewährleistet ist (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 14 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017, S. 14 f.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt für sich durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Libyen noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Insofern ist die Lage nicht anders als bei zahlreichen Landsleuten in vergleichbarer Lage (ebenso VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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