Verwaltungsrecht

Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens für Familienangehörige

Aktenzeichen  10 C 19.1849

Datum:
24.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27508
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 2, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 4, Abs. 5, § 30, § 32
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (Rn. 7). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.465 2019-08-26 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich die Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. August 2019 wenden, ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 oder 5 AufenthG voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
1. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt der 10. Juli 2019, zudem die Kläger nach Vorlage der Behördenakten und Eingang der Stellungnahme des Beklagten beim Verwaltungsgericht (28.5.2019) die Gewährung von Prozesskosthilfe beantragt haben.
2. Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es hat dabei keineswegs, wie die Kläger meinen, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannt und im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits eine abschließende und präjudizierende Beurteilung der Zumutbarkeit der Ausreise der Kläger zur Nachholung des Visumverfahrens vorgenommen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten erfordert eine zumindest summarische und vorläufige Prüfung, ob zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der Klägerseite besteht; insofern kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass vor Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Erfolgsaussichten offen seien. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass sich bereits bei dieser summarischen und vorläufigen Prüfung ergibt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat; schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen stellen sich im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung und Würdigung des Beschwerdevorbringens nicht.
2.1. Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG fehlt es bereits an der Voraussetzung des zeitlich begrenzten und nicht auf einen längerfristigen Aufenthalt ausgerichteten Aufenthaltszwecks (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2013 – 10 CS 13.1449 u.a. – juris Rn. 25; B.v. 19.8.2009 – 19 CS 09.1702 u.a. – juris Rn. 3 m.w.N.), weil die Kläger einen Daueraufenthalt anstreben.
2.2. Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Zunächst ist fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 ZB 18.1780 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 24.1.2019 – 10 CE 18.1871 u.a. – juris Rn. 24; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – ZAR 2018, 176).
Jedenfalls ist die Ausreise der Kläger nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG unmöglich. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise lässt sich insbesondere nicht aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK ableiten. Insofern verweisen der Beklagte und das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Bedeutung des Visumverfahrens für eine wirksame Steuerung der Zuwanderung und darauf, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG vereinbar ist, einen Ausländer auf die Nachholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11; B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 27). Vorliegend kommt hinzu, dass es die Kläger durch die Gestaltung ihrer Ausreise selbst in der Hand haben, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer ihrer Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem sie bspw. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholen (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 u.a. – juris Rn. 5; B.v. 8.2.2019 – 10 C 18.1641 – juris Rn. 6) und ggf. eine Überprüfung der Personenstandsurkunden veranlassen (s. hierzu: BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – Rn. 5 zur Veröffentlichung vorgesehen). Es liegt demnach, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht abgestellt hat, im Verantwortungsbereich der Kläger, die Nachholung des Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Eine maßgebliche, geschweige denn unverhältnismäßig lange zeitliche Ausdehnung einer etwaigen Trennung der Kläger von der Ehepartnerin bzw. Mutter steht nicht zu erwarten (zur Dauer des Visumverfahrens bei der Deutschen Botschaft in Lagos/Nigeria im Falle einer bereits erteilten Vorabzustimmung siehe: BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 4 und 10). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die mittlerweile acht und neun Jahre alten Kläger zu 2 und 3 nicht auf sich alleine gestellt wären, sondern von einem Elternteil, nämlich ihrem Vater, dem Kläger zu 1, begleitet werden würden (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.3.2019 – OVG 11 S 14.19 – juris Rn. 13).
Soweit im Beschwerdeverfahren vortragen wird, dass den Klägern zu 2 und 3 wegen ihrer Schulpflicht und ihrer sonstigen sozialen Kontakte eine Ausreise unmöglich sei, verfängt dies ebenfalls nicht. Dabei kann offen bleiben, ob der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich nur dann eröffnet ist, wenn eine schützenswerte Verwurzelung eines Ausländers auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines berechtigten Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3.08 – juris Rn. 20; U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09 – juris Rn. 14; B.v. 1.3.2011 – 1 B 2.11 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 – juris -Ls-; B.v. 29.6.2015 – 19 ZB 15.558 – juris Rn. 15; B.v. 2.4.2015 – 10 C 13.948 – juris Rn. 6; a.A. VGH BW, B.v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 – juris Rn. 32). Jedenfalls ist bei den Klägern angesichts ihres erst kurzen Aufenthalts von gerade einmal zwei Jahren schon keine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Lebensverhältnisse („Verwurzelung“) bei gleichzeitiger Entwurzelung vom Herkunftsstaat anzunehmen (vgl. EGMR, U.v. 27.10.2005 – Keles, Nr. 32231/02 – juris Rn. 57 f.; U.v. 4.12.2012 – Butt, Nr. 47017/09 – Rn. 70, abrufbar in der Entscheidungsdatenbank des EGMR HUDOC; BayVGH, B.v. 2.4.2015 – 10 C 13.948 – juris Rn. 6; B.v. 5.11.2014 – 19 C 13.1473 – juris Rn. 27 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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