Verwaltungsrecht

Zur Klageart bei einem Begehren auf Ersetzung bzw. Abänderung einer Dauerabgabeverwaltungsakts

Aktenzeichen  4 BV 20.1775

Datum:
8.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 806
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 12 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Das Begehren auf Ersetzung oder Änderung eines sog. Dauerabgabe- oder Fortgeltungsverwaltungsakts nach Art. 12 KAG ist im Wege der Verpflichtungsklage geltend zu machen. (Rn. 15)
Sind die Bemessungsvorschriften einer Zweitwohnungssteuersatzung verfassungswidrig, tritt die Nichtigkeit der Satzung erst mit dem zeitlichen Ablauf der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts ein.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 20.460 2020-05-28 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger, der Inhaber einer Wohnung im Gemeindegebiet des Beklagten ist, wendet sich gegen seine Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2009 zog der Beklagte den Kläger für die Veranlagungsjahre ab 2009 zu einer jährlichen Zweitwohnungsteuer in Höhe von 520 Euro heran. Als Rechtsgrundlage war die Satzung des Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 29. Oktober 2004 genannt, die durch Änderungssatzung vom 19. Dezember 2008 geändert wurde (im Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung – ZwStS 2004/2008). Der Bescheid wurde in der Folgezeit nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2015 beantragte der Kläger zunächst die Aufhebung des Zweitwohnungsteuerbescheids; sodann teilte er mit Schreiben vom 4. Februar 2016 mit, dass sein Schreiben als Widerspruch gegen den Bescheid angesehen werden solle. Mit Schreiben seines nunmehrigen Bevollmächtigten vom 5. März 2016 gab der Kläger an, dass er keinen Widerspruch eingelegt habe, sondern einen Antrag auf Aufhebung des Steuerbescheids nach Art. 12 Abs. 2 KAG gestellt habe. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 wegen des darin vorgesehenen degressiven Steuersatzes verfassungswidrig sei. Den Aufhebungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27. April 2018 ab, weil die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 KAG nicht erfüllt seien. Das Landratsamt wies den hiergegen erhobenen, auf die Veranlagungsjahre 2016 und 2017 bezogenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2018 zurück.
Am 18. Juni 2018 erließ der Beklagte eine neue Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (im Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung – ZwStS 2018), die laut ihrem § 12 rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft trat; gleichzeitig trat die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 außer Kraft. Am 28. September 2018 erließ der Beklagte aufgrund der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid für die Veranlagungsjahre ab 2018.
Die gegen den Ablehnungsbescheid vom 27. April 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2018 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Mai 2020 ab. Der Beklagte habe den Antrag auf Aufhebung des Zweitwohnungsteuerbescheids für die Jahre 2016 und 2017 zu Recht abgelehnt. Der Kläger könne sich für die Aufhebung nicht auf Art. 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG berufen, weil ein Fall der Änderung der Berechnungsgrundlagen für die Jahre 2016 und 2017 als den jeweils neuen Zeitabschnitten nicht vorliege. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse sei nicht eingetreten, weil der mit der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 neu festgelegte Steuertarif erst ab dem 1. Januar 2018 in Kraft gesetzt worden sei. Auch die dem Bescheid zugrunde gelegte Rechtsgrundlage habe sich nicht geändert, weil für die Veranlagungszeiträume 2016 und 2017 noch die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 in Kraft gewesen sei. Der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht diese Satzung mit Beschluss vom 18. Juli 2019 (1 BvR 807/12) für verfassungswidrig erklärt habe, ändere daran nichts, weil die in diesem Beschluss angeordnete Fortgeltung der Satzung für das Verwaltungsgericht bindend sei. Die Fortgeltungsanordnung sei trotz des zwischenzeitlichen Ablaufs der Fortgeltungsfrist am 31. März 2020 weiterhin beachtlich, weil die Satzung auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Steuertatbestände weiterhin anzuwenden sei. Auch ein Anspruch auf Aufhebung des Bescheids nach Art. 12 Abs. 2 Nr. 2 KAG oder aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 KAG i.V.m. § 130 AO scheide aus.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Er trägt vor, der Beklagte verfüge über keine wirksame Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer Zweitwohnungsteuer, weil sowohl die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 als auch die Zweitwohnungsteuersatzung 2018 nichtig seien. Eine wirksame Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Kalenderjahre 2009 und folgende fehle auch deswegen, weil die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2018 außer Kraft getreten sei und damit bei Erlass des Widerspruchsbescheids am 3. Dezember 2018 sowie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr in Kraft gewesen sei. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 18. Juni 2019 berufen, weil der Beklagte bereits zuvor – mit § 12 Abs. 2 ZwStS 2018 – die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 außer Kraft gesetzt habe. Der Kläger habe demnach gemäß Art. 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG einen Rechtsanspruch auf Aufhebung des Zweitwohnungsteuerbescheids vom 27. Januar 2009, weil wegen der Nichtigkeit der Satzungen eine Änderung der Berechnungsgrundlagen eingetreten sei; zumindest ergebe sich wegen einer Ermessensreduzierung auf Null ein Aufhebungsanspruch nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. B KAG i.V.m. § 130 Abs. 1 AO.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27. April 2018 über die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Zweitwohnungsteuerbescheids vom 27. Januar 2009 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 3. Dezember 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 27. Januar 2009 gemäß dem Antrag des Klägers vom 12. Dezember 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Über die Berufung kann durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat sie gemäß § 130a VwGO einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden hierzu gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört.
2. Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 27. Januar 2009 für die Veranlagungsjahre 2016 und 2017 durch einen neuen Bescheid ersetzt oder abändert (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Für das Veranlagungsjahr 2018 und folgende Jahre hat der Beklagte einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid vom 28. September 2018 erlassen, sodass der streitgegenständliche Bescheid für die Veranlagungsjahre ab 2018 keinerlei Wirkung mehr entfaltet.
a) Der Kläger macht sein Begehren zutreffend im Wege der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO geltend. Mit dem Zweitwohnungsteuerbescheid vom 27. Januar 2009 hat der Beklagte von der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 KAG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, in Bescheiden über abschnittsweise erhobene Abgaben zu bestimmen, dass diese Bescheide auch für die folgenden Zeitabschnitte gelten (sogenannte Dauerabgabe- oder Fortgeltungsverwaltungsakte, vgl. Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 14 Rn. 8). Als Ausgleich für die darin liegende Verwaltungsvereinfachung und zur Vermeidung von Rechtsschutzdefiziten sieht Art. 12 Abs. 2 KAG vor, dass derartige Bescheide von Amts wegen oder auf Antrag durch einen neuen Bescheid zu ersetzen sind, wenn sich die Berechnungsgrundlagen ändern (Nr. 1), bzw. dass sie auf Antrag des Schuldners für die nach der Antragstellung beginnenden neuen Zeitabschnitte zu ändern sind, wenn sie sachlich unrichtig sind (Nr. 2). Ein derartiges Begehren ist, wenn entsprechende Anträge des Schuldners – wie hier – mit förmlichem Bescheid abgelehnt worden sind, im Wege der Verpflichtungsklage auf Ersetzung bzw. Abänderung des Abgabebescheids geltend zu machen (vgl. bereits BayVGH, U.v. 27.6.1984 – 4 B 83 A.113 – BayVBl 1984, 625).
b) Die Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 KAG sind nicht erfüllt. Hierbei kann dahinstehen, ob die allein als Abänderungs- bzw. Ersetzungsgrund in Betracht kommende Mangelhaftigkeit der zugrundeliegenden Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 als Änderung der Berechnungsgrundlage im Sinn der Nr. 1 oder als sachliche Unrichtigkeit nach Nr. 2 angesehen werden kann. Denn diese Satzung, die für den Veranlagungszeitraum bis 31. Dezember 2017 ungeachtet der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 weiterhin Gültigkeit beansprucht (dazu aa), gilt trotz ihrer Verfassungswidrigkeit kraft der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts für den maßgeblichen Zeitraum fort (dazu bb).
aa) Rechtsgrundlage für den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 27. Januar 2009 ist die Satzung des Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 29. Oktober 2004 in der Fassung vom 19. Dezember 2008. Nur diese Satzung ist für die Veranlagungsjahre 2016/2017 einschlägig; eine andere Zweitwohnungsteuersatzung für den betreffenden Veranlagungszeitraum existiert nicht. Die Satzung des Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 12. Juni 2018, die rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft trat, ist für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum nicht maßgeblich. Bei der Abgabenerhebung kommt es immer auf das für den Veranlagungszeitraum geltende Abgabenrecht an. Dies hat entgegen der Berufungsbegründung nichts damit zu tun, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer – unter Umständen längst außer Kraft getretenen – Satzung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2020 – 4 ZB 19.1643 – ZKF 2020, 119 = juris Rn. 15). Da die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 lediglich mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 durch die Zweitwohnungsteuersatzung 2018 aufgehoben wurde, beansprucht sie für die Erhebungszeiträume bis zum 31. Dezember 2017 weiterhin Wirksamkeit.
bb) Die Bemessungsvorschriften der Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 bis 4, § 5 Abs. 1 Satz 1) sind zwar, wie das Verwaltungsgericht entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2019 (1 BvR 807/12 – ZKF 2020, 16) dargelegt hat, in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Gleichwohl sind diese Bestimmungen und damit die Satzung insgesamt – ausnahmsweise – nicht nichtig, sondern wirksam; denn das Bundesverfassungsgericht hat im Entscheidungstenor ausgesprochen, dass die Nichtigkeit dieser Vorschriften erst eintritt, wenn sie nicht bis zum 31. März 2020 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung ersetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat daher dem Beklagten eine Übergangsfrist für die weitere Anwendung dieser Satzung eingeräumt (a.a.O. Rn. 73). Diese sog. Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts gilt für den gesamten Zeitraum, in dem diese Satzung in Kraft war, also auch für die Veranlagungsjahre 2016/2017. Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Fortgeltungsanordnung bedurft hätte (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 4 CS 19.2271 – BayVBl 2020, 443 Rn. 14), ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG für alle Gerichte bindend. Dass der Beklagte selbst diese Satzung – bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – mit Wirkung zum 1. Januar 2018 außer Kraft gesetzt hat und daher die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts ab diesem Zeitraum ins Leere geht, weil sie nicht für eine – zum Teil denselben Mangel aufweisende – Nachfolgesatzung gilt (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 13), ändert daran nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat es für gerechtfertigt gehalten, die Zweitwohnungsinhaber im Gebiet des Beklagten nach dem Maßstab der Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 zu einer Zweitwohnungsteuer heranzuziehen, und daher auch den dort ergangenen Zweitwohnungsteuerbescheid nicht aufgehoben (vgl. zum Ganzen bereits BayVGH, B.v. 8.10.2020 – 4 ZB 20.1216 – juris Rn. 3 ff.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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