Verwaltungsrecht

Zurückstellung von einer Beförderung: Erledigung eines Verwaltungsakts durch eine neue Sachlage; Verfahrensweise bei schwer wiegenden Leistungsmängeln

Aktenzeichen  M 5 K 17.4346

Datum:
6.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46544
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 S. 2
BefRPolVS Nr. 2.3.1 Abs. 1
LlbG Art. 56 Abs. 4 S. 1
GG Art. 34 S. 1
BGB § 276 Abs. 2, § 839 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Hat die Beamtin (hier: Polizeikommissarin) mit einer dienstlichen Beurteilung im Gesamturteil nur noch 6 Punkte erhalten, hat sich ein Bescheid und dessen Widerspruchsbescheid zur vorläufigen Zurückstellung von einer Beförderung zur Polizeioberkommissarin (Besoldungsgruppe A 10) erledigt, wenn mit der Beurteilung eine Beförderung zu Polizeioberkommissarin ausgeschlossen ist, weil nach Abschnitt II Nummer 4.5.5 Beförderungsrichtlinien für die Beamten und Beamtinnen der Bayerischen Polizei und des Landesamts für Verfassungsschutz (BefRPolVS) hierfür eine dienstliche Beurteilung mindestens 9 Punkten erforderlich ist. Durch diese geänderte Sachlage sind die oben genannten Bescheide überholt und haben ihre – zeitlich begrenzte – Regelungswirkung verloren. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im vorliegenden Verfahren kann offenbleiben, ob eine Zurückstellung von einer Beförderung nach Abschnitt I Nummer 2.3.1 Abs. 1 BefRPolVS wegen schwer wiegender Leistungsmängel als vom weiten Beförderungsermessen des Dienstherrn umfasst anzusehen ist, um Einzelfällen extremen Leistungsabfalls seit der letzten dienstlichen Beurteilung Rechnung tragen zu können. Es begegnet im Hinblick auf Art. 56 Abs. 4 LlbG durchaus rechtlichen Bedenken, die einem Beamten von seinem zuständigen Beurteiler erteilte dienstliche periodische Beurteilung im Hinblick auf eine anstehende Beförderungsentscheidung durch eine bloße Stellungnahme eines zeitweiligen unmittelbaren Vorgesetzten im Wege eines dienstlichen Vermerks (Leistungsbild) zu entwerten. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zuletzt erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist bereits unzulässig, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung hat.
1. Soweit ein Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
a) Erledigung eines Verwaltungsakts bedeutet Wegfall der mit der Anfechtungsklage bekämpften beschwerenden Regelung, wobei sich der Eintritt des Wegfalls objektiv nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes und nicht etwa vom Klägerinteresse her beurteilt. Eine Erledigung kann unter anderem durch Zeitablauf oder eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Ungunsten des Klägers eintreten (Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 100 ff.).
Vorliegend haben sich der Bescheid des Polizeipräsidiums vom … Februar 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom … August 2017 zur vorläufigen Zurückstellung der Klägerin von einer Beförderung zur Polizeioberkommissarin (Besoldungsgruppe A 10) mit Ablauf des … September 2017 erledigt. Denn am … Oktober 2017 trat der einheitliche Verwendungsbeginn im Sinne des Art. 56 Abs. 4 Satz 1 Gesetz über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) der dienstlichen Beurteilung 2017 zum Beurteilungsstichtag … Mai 2017 in Kraft. Mit dieser dienstlichen Beurteilung hatte die Klägerin im Gesamturteil nur noch 6 Punkte erhalten. Damit war – und ist bis heute – eine Beförderung der Klägerin zu Polizeioberkommissarin ausgeschlossen, weil nach Abschnitt II Nummer 4.5.5 Beförderungsrichtlinien für die Beamten und Beamtinnen der Bayerischen Polizei und des Landesamts für Verfassungsschutz (BefRPolVS) hierfür eine dienstliche Beurteilung mindestens 9 Punkten erforderlich ist. Durch diese geänderte Sachlage sind die oben genannten Bescheide überholt und haben ihre – zeitlich begrenzte – Regelungswirkung verloren.
b) Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wird unter anderem im Falle eines sogenannten Präjudizinteresses angenommen. Dieses erfordert für den Fall der Erledigung eines Verwaltungsakts nach Klageerhebung die ernsthafte Absicht, einen nicht offensichtlich aussichtslosen zivilgerichtlichen Schadensersatzprozess führen zu wollen.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung genügt die ernstliche Absicht, einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung, einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch oder sonstige Haftungs- bzw. Schadensersatzansprüche bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage in dieser Konstellation sprechen die allgemeinen, dieses Institut rechtfertigenden Gründe sowie Gründe der Prozessökonomie, weil die Zivilgerichte an die Entscheidung der sachnäheren Verwaltungsgerichte gebunden sind. Dementsprechend ist kein Präjudizinteresse gegeben, wenn bereits ein Schadensersatzprozess vor den Verwaltungsgerichten betrieben wird oder wenn künftig allein ein Schadensersatzanspruch im Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden soll. In diesen Fällen gibt es keinen Unterschied in der Sachnähe und Sachkunde der konkurrierenden Verwaltungsgerichte (Schübel-Pfister, a.a.O., § 113 Rn. 114).
Die Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 6. November 2019 lediglich allgemein von einem Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen der unterbliebenen Beförderung zum *. Februar 2017 gesprochen, ohne sich schon endgültig festzulegen, ob dieser wegen einer Amtspflichtverletzung vor den ordentlichen Gerichten oder aus dem Beamtenverhältnis heraus vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht werden soll. In dieser Hinsicht kann der Klägerin also ein Präjudizinteresse noch nicht abgesprochen werden.
bb) Auch die Absicht, einen Amtshaftungsprozess zu führen, begründet jedoch kein Feststellungsinteresse, wenn dieser offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt nur vor, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und sich dies ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Schübel-Pfister, a.a.O., § 113 Rn. 116).
(1) Da ein Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung ein Verschulden voraussetzt, ist ein Amtshaftungsprozess dann offensichtlich aussichtslos, wenn ein dem Dienstherrn zurechenbares Verschulden des handelnden Bediensteten ausscheidet. Die zwar objektiv unrichtige, aber nach sorgfältiger Prüfung vorgenommene Anwendung einer Vorschrift, deren Inhalt zweifelhaft sein kann und höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, begründet kein Verschulden des Amtsträgers (Schübel-Pfister, a.a.O., § 113 Rn. 117).
Dies ist vorliegend, auch unter Anlegung des oben genannten strengen Maßstabes, der Fall. Die Rechtswidrigkeit der Zurückstellung der Klägerin von der anstehenden Beförderung unterstellt, ist jedenfalls kein Verschulden eines für ihren Dienstherrn handelnden Bediensteten zu erkennen.
Eine Haftung des Dienstherrn auf Schadensersatz bei Amtspflichtverletzung nach Art. 34 Satz 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz – GG) i.V.m. § 839 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) setzt vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des verantwortlichen Beamten voraus.
Vorsatz bedeutet „Wissen und Wollen“ einer Amtspflichtverletzung (BGH, U.v. 8.2.1965 – III ZR 170/63 – juris Rn. 25), was vorliegend nicht gegeben ist.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Nach diesem objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab ist auf die Anforderungen abzustellen, deren Beachtung von den verantwortlichen Beamten generell erwartet werden kann. Jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes muss die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Mittel gewissenhaft prüfen und sich aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsauffassung bilden (VG München, U.v. 30.7.2013 – M 5 K 12.6336 – juris Rn. 31 [zum Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten aus dem allgemeinen Beamtenverhältnis]). Dem wurde vorliegend Genüge getan.
Das Polizeipräsidium hat die Klägerin von der eigentlich anstehenden Beförderung nach eingehender Prüfung mit Bescheid vom … Februar 2017 zurückgestellt, weil es bei ihr im Sinne des Abschnitt I Nummer 2.3.1 Abs. 1 BefRPolVS schwer wiegende Leistungsmängel angenommen hat, die seit der letzten dienstlichen Beurteilung aufgetreten oder bekannt geworden sind. Diese Annahme hat es auf das vom zwischenzeitlichen unmittelbaren Vorgesetzten der Klägerin, Kriminaldirektor W., gefertigte „Leistungsbild“ vom … Februar 2017 gestützt. Die Einholung eines Leistungsbildes sieht das Polizeipräsidium nach Aussagen seiner Vertreter in der mündlichen Verhandlung am 6. November 2019 als zulässige und im Hinblick auf den Leistungsgrundsatz sogar gebotene Vorgehensweise vor anstehenden Beförderungsentscheidungen an. Da die jeweils letzte Beurteilung nicht geändert, sondern nur massive Leistungsmängel festgestellt würden, sei die Vorgehensweise vom Beförderungsermessen des Dienstherrn umfasst. Dieses Verfahren werde im Polizeipräsidium seit Jahren so praktiziert. Es gebe zwar in Einzelfällen zurückgestellter Beförderungen Diskussionen mit der Personalvertretung. Diese habe jedoch gegen die Vorgehensweise als solche bislang keine Einwände erhoben. Auch von Seiten des zuständigen Staatsministeriums ist diese Vorgehensweise bislang nicht beanstandet worden.
Zudem hatte sich das Polizeipräsidium mit den Einwänden der Klägerin gegen den Bescheid vom … Februar 2017 unter Einbeziehung der Stellungnahme der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen vom … Juli 2017 eingehend befasst und am *. August 2017 einen ausführlich begründeten Widerspruchsbescheid erlassen.
Hinzu kommt, dass es zu der Frage, wie schwer wiegende Leistungsmängel im Sinne des Abschnitt I Nummer 2.3.1 Abs. 1 BefRPolVS festzustellen sind, soweit ersichtlich bislang explizite Rechtsauffassungen weder in der Kommentarliteratur noch in der Rechtsprechung gibt (vgl. für den Fall teilweise ungültiger Beförderungsrichtlinien: VG München, U.v. 30.7.2013 – M 5 K 12.6336 – juris; BayVGH, U.v. 24.4.2015 – 3 BV 13.2043 – juris).
(2) Auf die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Zurückstellung der Klägerin kommt es also nicht mehr an. Hierzu sei jedoch folgendes angemerkt:
Im vorliegenden Verfahren kann offenbleiben, ob eine Zurückstellung von einer Beförderung nach Abschnitt I Nummer 2.3.1 Abs. 1 BefRPolVS wegen schwer wiegender Leistungsmängel als vom weiten Beförderungsermessen des Dienstherrn umfasst anzusehen ist, um Einzelfällen extremen Leistungsabfalls seit der letzten dienstlichen Beurteilung Rechnung tragen zu können. Denn Beförderungsrichtlinien sind keine Rechtsnormen, sondern Verwaltungsvorschriften, durch die sich der Dienstherr selbst bindet, um – soweit ihm ein Ermessensspielraum zukommt – entsprechend der Zielsetzung der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften eine gleichmäßige Ermessensausübung gegenüber den Betroffenen sicherzustellen (BayVGH, U.v. 24.4.2015 – 3 BV 13.2043 – juris Rn. 30).
Fraglich ist dabei, dass die Verfahrensweise, die Art der Entscheidung und insbesondere auch die Zuständigkeit für die Feststellung schwer wiegender Leistungsmängel in der Beförderungsrichtlinie nicht geregelt sind. Es begegnet im Hinblick auf Art. 56 Abs. 4 LlbG durchaus rechtlichen Bedenken, die einem Beamten von seinem zuständigen Beurteiler erteilte dienstliche periodische Beurteilung im Hinblick auf eine anstehende Beförderungsentscheidung durch eine bloße Stellungnahme eines zeitweiligen unmittelbaren Vorgesetzten im Wege eines dienstlichen Vermerks (Leistungsbild) zu entwerten. Es wird etwa die Auffassung vertreten, dass ein solches Leistungsbild, auch wenn es nicht als eine Sonderform der Beurteilung anzusehen sei, vom Beurteiler zu erstellen ist (Eck in: Hüllmantel/Eck/Hoffmeyer/Luber/Weißgerber, Leistungslaufbahngesetz, 1. Auflage 2011, Art. 54 Rn. 19).
2. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Feststellung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, erübrigt sich daher.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.


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