Verwaltungsrecht

Zwangsvollstreckung eines Unterlassungsanspruchs wegen Zweckentfremdung von Wohnraum

Aktenzeichen  M 9 K 17.2674

Datum:
18.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art. 1 S. 3 Nr. 3
InsO InsO § 35, § 38, § 148

 

Leitsatz

1. Die Anordnung, ein rechtswidriges Nutzungskonzept bezüglich einer Wohnung (hier Fremdenbeherbung) aufzugeben, statuiert eine höchstpersönliche Unterlassungspflicht, wobei solche Anordnungen nicht auf eine aus dem Schuldnervermögen beitreibbare Leistung gerichtet und unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin ausschließlich vom Mieter persönlich zu erfüllen sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angedrohte Zwangsgelder, die zu einem Zahlungsanspruch des Staates führen würden (wenn sie nicht uneinbringlich wären), ändern nichts daran, dass ein durchzusetzender Unterlassungsanspruch den Vollstreckungsverboten nicht unterfällt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Insolvenzverwalterin tritt – zumindest vor einer etwaigen Freigabeerklärung – bestenfalls in eine Zustandsstörerhaftung ein, nicht aber in eine Verhaltensverantwortlichkeit. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2017 entschieden werden, obwohl der Kläger nicht – auch nachdem eine Viertelstunde zugewartet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2017 – 20 ZB 17.30303 – juris) und nach nochmaligem Aufruf der Sache – erschienen ist, da in der per Postzustellungsurkunde zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist die Behördenentscheidung.
Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Sobald der Kläger als Mieter bekannt wurde – aufgrund von Aussagen der angetroffenen Nutzer –, wurde er unter dem 15. März 2016 nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört (Bl. 111f. d. BA).
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 1 Satz 3 Nr. 3 ZwEWG a.F. i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS ist unzweifelhaft erfüllt, wie aus den Ermittlungen der Beklagten hervorgeht (Ortsermittlungen vom 26. Oktober 2016, Bl. 81 d. BA, vom 6. Februar 2017, Bl. 106 d. BA, vom 24. März 2017, Bl. 116 d. BA und vom 15. September 2017, Bl. 158 d. BA).
Die Störereigenschaft des Klägers, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG, steht ebenfalls außer Frage. Der Kläger ist ungekündigter Mieter der WE (vgl. Mietvertrag vom 28. März 2016, Bl. 97ff. d. BA) und überschreitet als unmittelbarer Störer selbst fortgesetzt die Gefahrenschwelle. Die Endnutzer wurden als weitere potentielle Störer im Bescheid behandelt und zu Recht als Adressaten ausgeschieden. Im Hinblick auf den Verfügungsberechtigten Hr. M. S. J. wurden weitere Prüfungen angekündigt, ein Einschreiten werde sich vorbehalten. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Die Störung geht in jedem Fall unmittelbar vom Kläger aus, er steht ihr am nächsten.
Im Hinblick auf die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung gegen den Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 30. August 2017 ändert sich an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids nichts; dieser hat sich auch nicht erledigt und der Kläger ist auch nach wie vor prozessführungsbefugt. Dies ergibt sich – ungeachtet dessen, dass die Anordnungen nach § 21 InsO nur vorläufiger Natur sind – aus Folgendem:
Die Nutzungsuntersagung – jeweils Ziff. 1 der Grundbescheide –, mithin die Anordnung, das rechtswidrige Nutzungskonzept aufzugeben, statuiert eine höchstpersönliche Unterlassungspflicht (vgl. z.B. VG München, B.v. 26.4.2016 – M 9 S. 16.1449 – Entscheidungsabdruck; nunmehr auch deutlich: BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 12 C 17.1553 – Entscheidungsabdruck). Derlei Anordnungen sind nicht auf eine aus dem Schuldnervermögen beitreibbare Leistung gerichtet und unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin ausschließlich vom Kläger persönlich zu erfüllen (vgl. Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 31. EL Januar 2017, § 38 Rn. 8f.).
Zwangsmaßnahmen zu ihrer Durchsetzung wie die Ersatzzwangshaft begegnen auch künftig keinerlei Bedenken, auch nicht in Ansehung der gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO ausgesprochenen einstweiligen Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Kläger (nach Eröffnung: § 89 Abs. 1 InsO). Es geht nicht um die Zwangsvollstreckung eines Zahlungsanspruchs, sondern um die Zwangsvollstreckung eines Unterlassungsanspruchs. Die angedrohten Zwangsgelder, die zu einem Zahlungsanspruch des Staates führen würden (wenn sie nicht uneinbringlich wären), ändern nichts daran, dass der durchzusetzende Unterlassungsanspruch den Vollstreckungsverboten nicht unterfällt (KG, B.v. 17.12.1999 – 5 W 5591/99 – NZI 2000, 228; Uhlenbruck, InsO, Stand: 14. Aufl. 2015, § 38 Rn. 12).
Die jeweils in Ziff. 2 der Grundbescheide angeordnete Pflicht, die Wohneinheiten unverzüglich wieder Wohnzwecken zuzuführen (Wiederbelegungsanordnung), hat die Beklagte auf Hinweis des Gerichts, der im Anschluss an die Bedenken des BayVGH (B.v. 10.10.2017 – 12 C 17.1553 – Entscheidungsabdruck) erteilt wurde, mit einer entsprechenden Erklärung zu Protokoll ausgesetzt. Damit ist der Kläger durch diese Verpflichtungen gegenwärtig nicht beschwert.
Unabhängig davon geht das Gericht diesbezüglich von Folgendem aus: Zwar mögen die Anordnungen Aufforderungen zu vertretbaren und damit (auch) von der Insolvenzverwalterin erfüllbaren Handlungen darstellen, nämlich die Wohneinheiten wieder dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen (was nicht an einer fehlenden Zugriffsmöglichkeit scheitern wird). Weiter könnten sie, eventuell nach Umrechnung, § 45 InsO (Kosten der Ersatzvornahme, Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 31. EL Januar 2017, § 38 Rn. 5 und 11), als Insolvenzforderungen angesehen werden, § 38 InsO, da sie aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stammen und damit keine Masseverbindlichkeiten sind. Die Insolvenzverwalterin aber hat – davon abgesehen, dass sie nur vorläufige Insolvenzverwalterin ist – diesbezüglich dem Gericht gegenüber bis dato keinerlei Erklärungen (z.B. nach § 35 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO) abgegeben. Auch eine Übernahme der Insolvenzmasse nach § 148 Abs. 1 InsO wurde nicht angezeigt und ist wohl auch nicht erfolgt. Danach ist gegenwärtig an sich ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger prozessführungsbefugt ist, dass die Wiederbelegungsanordnungen als Annextatbestände zu den Nutzungsuntersagungen nicht nur ursprünglich, sondern auch weiterhin zu Recht an ihn als Handlungsstörer gerichtet sind (in diesem Sinne wohl auch BayVGH, B.v. 29.8.2017 – 12 C 17.1544 – juris) und dass er sie auch zu erfüllen hat. Dies gilt bereits deshalb, weil die Insolvenzverwalterin – zumindest vor einer etwaigen Freigabeerklärung – „ohne Weiteres“ bestenfalls in eine Zustandsstörerhaftung eintritt (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2004 – 7 C 22.03 – juris; OVG LSA, U.v. 19.7.2012 − 1 L 67/11 – juris), nicht aber in eine Verhaltensverantwortlichkeit. Die Zweckentfremdung als Handlung aber geht vorliegend nicht von den Wohneinheiten als solchen aus (im Sinne eines rechtswidrigen Zustands), sondern von den Zuwiderhandlungen des Klägers und – im Hinblick auf die Wiederbelegungsanordnungen – von seiner Untätigkeit (zur Handlungsstörereigenschaft bei Unterlassen z.B. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 9 CS 16.191 – juris). Die Insolvenzverwalterin ist daher nicht als (neue) Verhaltensstörerin an seiner statt in Anspruch zu nehmen.
Auch eine Vollstreckung dürfte nicht unzulässig sein: Sinn und Zweck des auf § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO gestützten Vollstreckungsverbots (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens: § 89 Abs. 1 InsO) ist die Sicherung und der Erhalt des schuldnerischen Vermögens für die künftige Insolvenzmasse. Die Zwangsgeldandrohungen als solche dürfen deshalb als bloße „Vorbereitung“ der Beitreibung ohne Weiteres ausgesprochen werden. Zu einer Vollstreckung im Sinne von (Fälligstellung und) Beitreibung wird es angesichts der Anordnungen nach § 21 InsO und der zu erwartenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht kommen, die Zwangsgelder sind damit als uneinbringlich anzusehen (vgl. dazu, dass dies als Nachweis ausreicht: BayVGH München, B.v. 20.8.1997 – 8 C 96.4230 – NVwZ-RR 1998, 310; Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: 41. Aktualisierung, März 2017, Art. 33 Rn. 8; Engelhardt, VwVG/VwZG, Stand: 9. Auflage 2011, § 16 VwVG Rn. 2). Davon abgesehen würden die Zwangsgeldforderungen ohnehin nur nachrangig bedient, § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine etwaige Ersatzzwangshaft nimmt das schuldnerische Vermögen von vorn herein nicht in Anspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 57.600 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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