Verwaltungsrecht

Zweckwechsel von familienbezogenem Aufenthalt zu Aufenthalt zu Erwerbszwecken, Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, „Aufenthaltserlaubnis“ im Sinne von § 9 BeschV mit Arbeitsmarktzulassung

Aktenzeichen  19 ZB 21.1143

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22535
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeschV § 9

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 5 K 19.1753 2021-02-26 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung richtet sich gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 26. Februar 2021, mit dem die Klage der Klägerin auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abgewiesen worden ist.
Die am … 1958 geborene Klägerin, brasilianische Staatsangehörige, ist nach Voraufenthalten im Bundesgebiet (23.8.2001 bis 11/2002, 4/2003 bis 5/2003) mit ihren zwischenzeitlich volljährigen Kindern deutscher Staatsangehörigkeit (geboren 23.8.1985 und 29.5.1997, der deutsche Ehemann verblieb in Brasilien, Scheidung 2008) am 23. September 2004 ins Bundesgebiet eingereist und hat die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu den deutschen Kindern beantragt. Am 19. Juni 2006 wurde der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt, die zuletzt bis zum 25. April 2017 verlängert wurde. Am 4. Juni 2017 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung, der 1997 geborene Sohn lebe mit ihr in einem Haushalt und arbeite hier. Die Beklagte ordnete die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG an. Mit Bescheid vom 30. August 2019 lehnte die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. I), forderte die Klägerin bis spätestens 30. September 2019 zur Ausreise auf (Nr. II), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Brasilien an (Nr. III) und ordnete für den Fall einer Abschiebung ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Nr. IV). Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Volljährigkeit der Kinder scheide eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aus. Mangels Nachweises einer Ausbildung des Sohnes und mangels Sicherung des Lebensunterhalts komme auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht in Betracht. Die Beschäftigung als Reinigungshelferin sowie als Produktionshelferin sei nicht zustimmungsfrei nach der Beschäftigungsverordnung. Zudem sei für eine Beschäftigung in Arbeitnehmerüberlassung die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ausgeschlossen. Ein humanitärer Aufenthaltstitel komme nicht in Betracht; die Ausreise der Klägerin sei insbesondere nicht nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung unmöglich. Das Jobcenter N. habe mit Schreiben vom 11. Juni 2018 bzw. vom 26. Oktober 2020 einen seit Januar 2005 durchgehenden Bezug von Leistungen nach SGB II bestätigt.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Februar 2021 mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nach Volljährigkeit des Sohnes keinen Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Ein Anspruch nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG scheide mangels Ausbildung des Sohnes aus. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG scheitere bereits daran, dass die Klägerin keinen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet bezwecke. Die Ausreise sei nicht im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Die Erteilung zum Zwecke der Ausübung einer (unqualifizierten) Beschäftigung (§§ 18, 19c Abs. 1 AufenthG) im Hinblick auf eine zuletzt ausgeübte und künftig beabsichtigte Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsfirma setze voraus, dass die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung eine Zulassung des Ausländers zu dieser Beschäftigung bestimme. Ein Ausländer könne nach der Beschäftigungsverordnung (BeschV) zur Ausübung einer Beschäftigung zugelassen werden, wenn entweder die Beschäftigungsverordnung kein Zustimmungserfordernis der Bundesagentur für Arbeit begründe oder die Erteilung einer solchen Zustimmung im konkreten Fall nicht ausgeschlossen sei. Die Zustimmungsfreiheit nach § 9 BeschV scheitere daran, dass es sich bei den der Klägerin zuletzt erteilten Aufenthaltstiteln nicht um solche im Sinne dieser Vorschrift handle. Hierfür genüge nicht der Besitz eines Aufenthaltstitels, der kraft Gesetz zur Ausübung einer Beschäftigung berechtige, sondern es sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift eine Aufenthaltserlaubnis „mit einer Arbeitsmarktzulassung“ im Sinne von §§ 18 ff. AufenthG erforderlich (unter Verweis auf BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 22/17 – juris Rn. 19 ff.). Da die Klägerin nicht durch einen behördlichen Zulassungsakt zum Arbeitsmarkt zugelassen worden sei, verfüge sie nicht über den für die Zustimmungsfreiheit nach § 9 BeschV erforderlichen Aufenthaltstitel. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG scheitere am fehlenden Duldungsstatus der Klägerin. Auf das Vorliegen der sonstigen besonderen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen komme es nicht weiter an.
Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung. Zur Begründung des Zulassungsantrags wird vorgebracht, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da nicht ersichtlich sei, dass § 9 Abs. 1 BeschV nur für Personen gelte, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG hätten. Dies habe der Gesetzgeber so nicht geregelt. Die Annahme, dass die Norm nur für Personen gelten solle, die eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 18 ff. AufenthG hätten, erscheine willkürlich. Die Klägerin sei seit 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, sie habe daher einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer langen Aufenthaltszeit in Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Gemäß § 9 BeschV werde der Besitz einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis verlangt, ohne näher zu konkretisieren, ob damit jedweder Besitz einer Aufenthaltserlaubnis dem Besitz einer Blauen Karte EU gleichstehe oder ob die Privilegierung jedenfalls nicht für Personen gelte, die weder im Besitz einer Blauen Karte EU noch einer Aufenthaltserlaubnis mit ausdrücklicher Arbeitsmarktzulassung (mit oder ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit) seien. Der Begriff der Aufenthaltserlaubnis bedürfe in diesem Kontext der Norm der Auslegung. Damit habe sich das Verwaltungsgericht nicht näher auseinandergesetzt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin habe zuletzt „nur“ über eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs verfügt, aber nicht über eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Arbeitsmarktzulassung, entspreche nicht dem Wortlaut nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV. Die langjährige Aufenthaltsdauer der Klägerin, die sich seit mehr als 16 Jahren im Bundesgebiet befinde, sei in der gerichtlichen Entscheidung überhaupt nicht berücksichtigt worden. Soweit das Gericht weiter § 25b AufenthG mangels Duldungsgründen ablehne, stehe dem entgegen, dass bei der Klägerin dringende humanitäre und persönliche Gründe ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten. Die Klägerin lebe seit 16 Jahren in Deutschland mit ihren hier lebenden deutschen Kindern und habe in ihrem Heimatland Brasilien keine Existenzgrundlage. Die Klägerin habe mit Attest vom 8. November 2019 nachgewiesen, dass sie auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen sei und ambulante ärztliche Betreuung benötige. Eine entsprechende medizinische Versorgung sei in ihrem Heimatland nicht gewährleistet, so dass dringende humanitäre Gründe die weitere Anwesenheit der Klägerin in Deutschland erforderten. Dabei sei auch die anhaltende Corona-Krise mit den drastischen Auswirkungen auf die medizinische Versorgung in Brasilien zu berücksichtigen. Eine Rückkehr nach Brasilien sei für eine 63-jährige Frau nicht ungefährlich. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Reisewarnung dürfe die Klägerin derzeit nicht abgeschoben werden. Eine Würdigung dieses Sachverhaltes finde sich in der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht. Soweit von Beklagtenseite vor einer Ausreise die Möglichkeit einer Impfung eingeräumt werde, sei dem entgegenzuhalten, dass eine Impfpflicht nicht bestehe und nicht von der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht umfasst sei.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das der rechtlichen Prüfung des Senats ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung der Rechtsmittelführer vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7) liegt nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9). Eine Berufungszulassung scheidet aus, wenn sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 10).
1. Das Zulassungsvorbringen stellt die tragende Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach § 18 Abs. 2 i.V.m. § 19c Abs. 1 AufenthG mangels Zustimmungsfreiheit nach § 39 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 1 BeschV abzulehnen ist, nicht in Frage.
Nach § 19c Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung setzt gemäß § 18 Abs. 2 AufenthG voraus, dass die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG zugestimmt hat; dies gilt nicht, wenn durch Gesetz, zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch die Beschäftigungsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Gemäß § 39 Abs. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit voraus, es sei denn, die Zustimmung ist kraft Gesetzes, auf Grund der Beschäftigungsverordnung oder Bestimmung in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung nicht erforderlich.
Nach § 9 Abs. 1 BeschV bedarf die Ausübung einer Beschäftigung keiner Zustimmung bei Ausländerinnen und Ausländern, die eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und die zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt haben (Nr. 1) oder sich seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten (Nr. 2). Soweit § 9 Abs. 1 BeschV den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Zustimmungsfreiheit jedenfalls nicht für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt, wie vorliegend die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem Deutschen (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 22/17 – BVerwGE 163, 1-16).
§ 9 BeschV verlangt den „Besitz einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis“, ohne näher zu konkretisieren, ob damit jedweder Besitz einer Aufenthaltserlaubnis dem Besitz einer Blauen Karte EU gleichsteht oder ob die Privilegierung jedenfalls nicht für Personen gilt, die weder im Besitz einer Blauen Karte EU noch einer Aufenthaltserlaubnis sind, bei der die Ausländerbehörde die Ausübung einer Beschäftigung – mit oder ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit – ausdrücklich zugelassen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sprechen maßgeblich die Entstehungsgeschichte, der Wille des Verordnungsgebers und auch systematische Gründe für eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 9 BeschV (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018, a.a.O., Rn. 24 ff. unter Verweis auf BR-Drs. 182/13 S. 31). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verdeutlicht die systematische Einordnung der Norm im Kapitel über die Zuwanderung von Fachkräften zusammen mit der Verordnungsbegründung, dass es bei § 9 BeschV um die Verfestigung eines durch behördliche Zulassung eröffneten Arbeitsmarktzugangs geht. Eine Ausländerin, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, darf zwar jeder Beschäftigung nachgehen. Sie hält sich aufenthaltsrechtlich aber nicht zum Zweck der Beschäftigung, sondern aus anderen Gründen und unabhängig von der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet auf. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt beruht nicht auf einer behördlichen Zulassung, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und ist untrennbar mit einem anderen Aufenthaltszweck verknüpft. Solange dieser (andere) Aufenthaltszweck andauert, bedarf der Ausländer keiner Arbeitsmarktzulassung durch die Ausländerbehörde (mit oder ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit). Damit kann sie sich, wenn sie – wie hier – nach Wegfall des bisherigen Aufenthaltszwecks im Wege eines sog. „Spurwechsels“ die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung begehrt, schon nicht auf einen ihr durch Zulassung eröffneten Arbeitsmarktzugang berufen (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018, a.a.O., Rn. 24). Für eine Zustimmungsfreiheit nach § 9 BeschV ist somit allein der Besitz eines kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels nicht ausreichend, sondern es bedarf für den Verzicht auf eine (nochmalige) Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit und Prüfung der (beschäftigungsrechtlichen) Zulassungsvoraussetzungen zumindest des Besitzes eines Aufenthaltstitels mit einer Arbeitsmarktzulassung.
Da die Klägerin vorliegend lediglich über familienbezogene Aufenthaltstitel verfügt hat, hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 9 BeschV – unabhängig von der Dauer der Voraufenthaltszeit der Klägerin – und die Tatbestandsvoraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken nach § 18 Abs. 2 verneint. Mit dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf das das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander, sondern verweist lediglich auf den Wortlaut von § 9 BeschV. Dass der Wortlaut allein eine beschränkende Auslegung des Begriffs „Aufenthaltserlaubnis“ in § 9 Abs. 1 BeschV nicht nahelegt bzw. sich aus dem Wortlaut kein Hinweis auf eine bestimmte Zweckbindung ergibt, hat das Bundesverwaltungsgericht gewürdigt, ist jedoch gleichwohl in historischer, teleologischer und systematischer Auslegung zum Ergebnis gelangt, dass es bei § 9 BeschV um die Verfestigung eines durch behördliche Zulassung eröffneten Arbeitsmarktzugangs geht und mithin für eine Zustimmungsfreiheit nach § 9 BeschV allein der Besitz eines kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels – wie vorliegend der Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 AufenthG – nicht ausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018, a.a.O., Rn. 20 ff.). Mangels eines Aufenthaltstitels mit (behördlicher) Arbeitsmarktzulassung kann sich die Klägerin mithin nicht auf § 9 BeschV berufen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 1. März 2020 (BGBl. 2019 I 1307) hat mit seiner Intention einer gesteuerten Zuwanderung von Fachkräften (vgl. BT-Drs. 19/8285 S. 1) unter Vermeidung von Migrations-Fehlanreizen, insbesondere unter Beibehaltung einer Unterbindung von Zuwanderung in Leiharbeit hieran nichts maßgeblich geändert (vgl. OVG Sachsen, B.v. 3.3.2021 – 3 B 20/21 – juris Rn. 12; a.A. Breidenbach in Kluth/Heusch, Beck-OK AuslR, Stand: 7/2020, § 9 BeschV Rn. 2-4). Abgesehen davon hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass für eine Beschäftigung als Leiharbeitnehmer einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit der Versagungsgrund nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehen würde.
2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen auch nicht im Hinblick auf die Ablehnung eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG.
Gemäß § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich – was die Vorschrift im Weiteren definiert – nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Durch diese Regelung sollte eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geschaffen werden, um damit eine gesetzliche Lücke für sonstige Ausländer mit anerkennenswerten Integrationsleistungen, die nicht als qualifizierte Geduldete von § 18a AufenthG oder als Jugendliche oder Heranwachsende von § 25a AufenthG begünstigt werden, zu schließen (vgl. BT-Drs. 17/13424, S. 1 ff., 9 ff.; BT-Drs. 18/4097, S. 42 ff., vgl. auch BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 38, wonach der Gesetzgeber nicht ausschließlich dem Problem der Kettenduldungen begegnen wollte). Ein Ausländer ist im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung gleich welcher Art erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019, a.a.O., juris LS 2). Eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland setzt nach § 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG regelmäßig voraus, dass sich der Ausländer seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Klägerin ungeachtet der Dauer ihrer Voraufenthaltszeit die Tatbestandsvoraussetzung eines geduldeten Ausländers nicht erfüllt.
Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens, wonach die Klägerin seit 16 Jahren mit ihren Kindern im Bundesgebiet lebt und in ihrem Heimatland über keine Existenzgrundlage verfügt, erweist sich die Abschiebung der Klägerin nicht nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen als unmöglich. Ein zwingendes Abschiebehindernis ergibt sich weder im Hinblick auf die vorliegenden familiären Beziehungen aus Art. 6 Abs. 1 GG noch wegen einer Verwurzelung im Bundesgebiet und Entwurzelung aus dem Heimatland nach Art. 8 EMRK noch wegen einer geltend gemachten Erkrankung.
2.1. Die nach Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 28 AufenthG schützt die Familie in erster Linie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Die Lebensgemeinschaft kann dadurch zur bloßen Haus- bzw. Begegnungsgemeinschaft werden, die Gemeinsamkeiten des Zusammenwohnens wahrt, jedem Mitglied der Familie im Übrigen aber die unabhängige Gestaltung seines Lebens überlässt (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – juris). Volljährige Kinder lösen sich in der Regel mehr oder minder rasch aus dem elterlichen Haushalt. Sie leben häufig mit den Eltern nur dann noch eine gewisse Zeit zusammen, wenn sie auf diese aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen angewiesen sind. Maßgebend für die Schutzwürdigkeit des Zusammenlebens von erwachsenen Familienangehörigen in einem Haushalt ist vor allem das Maß des Angewiesenseins auf die Lebenshilfe, die durch die Familie ihrer Funktion gemäß gewährt wird (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1982 – 1 C 29/81 – NJW 1982, 1958; BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – NJW 1989, 2195). Bei einer Hausgemeinschaft zwischen erwachsenen Familienangehörigen ergeben sich daher nur dann weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG, wenn ein Familienmitglied auf wesentliche Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe im Sinne einer besonderen Beistandsgemeinschaft tatsächlich regelmäßig erbringt (vgl. BVerfG, B.v. 25.10.1995 – 2 BvR 901/95 -, juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 17.5.2021 – 11 S 800/19 – juris Rn. 165; OVG Berlin-Bbg., U.v. 21.5.2012 – OVG 2 B 8.11 – juris Rn. 29; BVerfG, B.v. 14.12.1989 – 2 BvR 377/88 -, InfAuslR 1990, 74, 75). Erwachsene Kinder und Eltern sind in aller Regel nicht in besonderer Weise auf gegenseitigen Beistand angewiesen (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 19 ZB 15.558 – juris Rn. 20). Die Tatsache allein, dass die erwachsenen Familienmitglieder in einer Hausgemeinschaft leben, begründet für sich genommen noch keinen ausreichenden Grad der Abhängigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben ist eine besondere Beistandsgemeinschaft der Klägerin mit ihren im Bundesgebiet lebenden, erwachsenen Kindern nicht ersichtlich.
2.2. Ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 8 EMRK im Hinblick auf eine geltend gemachte Verwurzelung ist nicht ersichtlich.
Der Schutzbereich des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe aller familiären, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts ihrer zentralen Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (BVerfG, B.v. 21.2.2011 – 2 BvR 1392/10 – NVwZ-RR 2011, 420). Dabei sind einerseits die Verwurzelung des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland, andererseits sein Bezug zum Staat seiner Staatsangehörigkeit in den Blick zu nehmen. Die Tatsache, dass sich der Ausländer bereits eine gewisse Zeit in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK verletzt ist. Eine den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8.96 – NVwZ 1999, 303; BayVGH, B.v. 27.5.2021 – 19 ZB 20.1976 – juris Rn. 41; VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359.10 – juris). Allerdings ist ein langfristiger Aufenthalt im Gastland allein grundsätzlich noch kein den Schutzbereich eröffnendes Kriterium. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, eine nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schützenswerte Verwurzelung eines Ausländers komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3.08, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09, B.v. 1.3.2011 – 1 B 2.11 – jeweils juris, ebenso BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 – U.v. 21.12.2011 – 10 B 11.182 – jeweils juris).
Das Ausmaß der „Verwurzelung“ bzw. die für den Ausländer mit einer „Entwurzelung“ verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Von erheblichem Gewicht sind dabei die Dauer des Aufenthalts, wo der Ausländer die Schulzeit verbracht hat und geprägt wurde, sowie der Schulabschluss und die Deutschkenntnisse, die er erworben hat. Von Bedeutung ist auch die Legitimität des bisherigen Aufenthalts. Was die berufliche Verwurzelung in Deutschland betrifft, ist zu prüfen, ob der Ausländer berufstätig und dadurch in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauerhaft zu sichern, und ob er über längere Zeit öffentliche Sozialleistungen bezogen hat. Ferner ist von Bedeutung, ob der Betreffende eine Berufsausbildung absolviert hat und ihn diese Ausbildung gegebenenfalls für eine Berufstätigkeit qualifiziert, die nur oder bevorzugt in Deutschland ausgeübt werden kann. Bei der sozialen Integration ist das Ausmaß sozialer Bindungen bzw. Kontakte des Ausländers außerhalb der Kernfamilie von Belang. Auch strafrechtliche Verurteilungen sind in die Betrachtung einzustellen. Alle diese Umstände sind im Wege einer Gesamtbewertung zu gewichten (vgl. OVG LSA, B.v. 27.11.2014 – 2 B 98/14 – juris Rn. 27).
Nach diesen Maßgaben ist vorliegend zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin zwar zwischen 2006 und 2017 in rechtmäßiger Weise mit einem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat. Den Großteil ihres Lebens hat die Klägerin, die erst im Alter von 46 Jahren eingereist ist, jedoch in ihrem Heimatland verbracht. Trotz der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet verfügt die Klägerin nur über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache. Eine berufliche Integration ist der Klägerin nicht gelungen, vielmehr stand sie seit 2005 durchgehend im Sozialleistungsbezug. Auch unter Berücksichtigung einer möglicherweise aktuell bestehenden Erwerbstätigkeit erscheint angesichts der geringen Beiträge zur Rentenversicherung eine nachhaltige Lebensunterhaltssicherung der 62-jährigen Klägerin prognostisch als ungünstig. In Anbetracht dessen ist der Klägerin eine Rückkehr in das Heimatland, in dem sie aufgewachsen ist und den Großteil ihres Lebens verbracht hat, nicht wegen „Entwurzelung“ unzumutbar.
2.3. Ein Abschiebungshindernis wegen Erkrankung der Klägerin oder der Covid-19-Pandemie ist nicht ersichtlich.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist; ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 17; B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953, B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; VGH BW, B.v. 1.6.2017 – 11 S 658/17 – juris Rn. 3).
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Legt der Ausländer ärztliche Fachberichte vor, sind diese zum Beweis für ein Abschiebungshindernis nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben, wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – 11 S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zu den prognostizierten Folgerungen kommt und welche Tatsachen dieser Einschätzung zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7).
Ungeachtet der Aktualität des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Attests vom 29. November 2019 und der Frage, ob dieses Attest den Anforderungen nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügt, ergibt sich daraus ein Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht, zumal die Klägerin ausweislich des Arztbriefes „die zur Aufnahme führenden Beschwerden sehr inkonstant“ angegeben habe. Ausweislich des Attestes befand sich die Klägerin vom 4. bis 8. November 2019 in stationärer Behandlung wegen Pelzigkeitsgefühl im rechten Bein. Als Vordiagnosen werden beginnende Cox-Arthrose rechts, cerebrale Mikroangiopathie, Makroangiopathie sowie als kardiovaskuläres Risikoprofil artieller Hypertonus und Hypercholesterinämie genannt. Die Anamnese zeige sich bei bestehender Sprachbarriere als erschwert. In Zusammenschau der Befunde habe eine sicher ätiologische Einordnung der zur Aufnahme führenden Beschwerden erfolgen können. Empfohlen werden regelmäßige Blutdruckkontrollen sowie sonsographische Verlaufskontrollen der A. carotis communis-Stenose linksseitig. Der Arztbrief vom 8. November 2019 verhält sich zur Frage einer Reisefähigkeit nicht; aus ihm ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, dass bei einer Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten wäre.
Anhaltspunkte für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG ergeben sich hieraus – ungeachtet des Beteiligungserfordernisses nach § 72 Abs. 2 AufenthG – ebenfalls nicht. Die behauptete unzureichende medizinische Versorgung in Brasilien wird nicht näher substantiiert. Abgesehen davon ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gefahren, wie die aus der weltweit grassierenden Covid-19-Pandemie resultierenden, denen die Bevölkerung, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, sind nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und führen nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Reisen nach Brasilien stellt keine Anordnung im Sinne von § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar. Schließlich ist die Beklagte der Klägerin insofern entgegengekommen, ihr vor der Ausreise eine Möglichkeit zur Covid-Impfung einzuräumen. Eine dahingehende aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflicht besteht nicht. Sofern die Klägerin von der eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch machen möchte, ist sie gehalten, sich auf andere Weise vor einer möglichen Infektion zu schützen. Auch ohne Impfung ergeben sich selbst unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin aufgrund der Corona-Pandemie weder Anhaltspunkte für eine extreme Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG noch ist eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschiebevorgang nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu befürchten.
Soweit die Klägerin eine Ermessensduldung wegen dringender humanitärer oder persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG geltend machen will, fehlt es insoweit schon an einer intendierten vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Sinn dieser Regelung ist es, vollziehbar ausreisepflichtigen Personen im Ermessenswege einen vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60a Rn. 41). Um dringende persönliche Gründe in diesem Sinn handelt es sich etwa bei dem notwendigen Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung, der notwendigen gesundheitlichen Behandlung oder der Betreuung eines nahen Angehörigen, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass sie vorübergehender Natur sind (vgl. SächsOVG, B.v. 21.11.2016 – 3 B 254/16 – juris Rn. 7).
Derlei vorübergehende Aussetzungsgründe sind im Falle der Klägerin, die einen weiteren dauerhaften Aufenthalt erstrebt, nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben