Verwaltungsrecht

Zweitantrag auf Asyl

Aktenzeichen  M 32 K 16.35711

Datum:
2.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55701
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71a, § 26a, § 25, § 76 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2016 wird aufgehoben
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, wenn – wie hier – Streit darüber besteht, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylG für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig vorliegen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 12 ff).
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, stellt sich die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der – materiell-rechtlich unverändert geregelte – Fall, dass im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Sie verschlechtert die Rechtsstellung des Klägers, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt. Ferner erlischt mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Die Anfechtungsklage ist dabei nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das vom Kläger endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Die Klage ist auch fristgerecht erhoben worden. Zwar wurde in der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bundesamts eine Frist von zwei Wochen für die Klageerhebung genannt, obwohl gesetzlich nach § 74 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nur eine Wochenfrist vorgesehen ist. Ausführungen zu den Folgen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung:können allerdings unterbleiben, weil die Klage ohnehin innerhalb der Wochenfrist und daher jedenfalls rechtzeitig erhoben wurde.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 6. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Durchführung eines Asylerstverfahrens. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Zweitantrags i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Die Annahme eines erfolglosen Abschlusses des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Wenn das (Erst-)verfahren noch wiedereröffnet werden kann, ist eine Einstellung nicht in diesem Sinne endgültig. Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff; VG M, U.v. 28.3.2018 – M 1 K 17.43568 – juris Rn. 11). Der vorangegangene endgültige erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat muss entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Beklagten durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren für den Asylbewerber endgültig erfolglos abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Das Bundesamt muss damit Kenntnis von der verfahrensbeendenden Entscheidung und deren Unanfechtbarkeit bzw. Unrevidierbarkeit haben (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 33; VG M, U.v. 30.8.2017 – M 1 K 16.35575 – juris Rn. 11f).
Nach diesen Maßstäben durfte das Bundesamt nicht vom Vorliegen eines im Drittstaat erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens ausgehen. Hinreichend sichere Erkenntnisse zu einem Asylverfahren in Ungarn, insbesondere zu einer negativen Sachentscheidung oder einer endgültigen Entscheidung, liegen nicht vor. Der Kläger, der gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylG zur Frage früherer Asylverfahren angabepflichtig ist, bestreitet eine Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedstaat, insbesondere in Ungarn. In der vorgelegten Behördenakte ist kein EURODAC-Treffer dokumentiert. Es gibt auch keinerlei Hinweise dafür, dass der Kläger in Ungarn einen Asylantrag gestellt und ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Die diesbezügliche Feststellung des Bundesamts ist daher nicht nachvollziehbar. Dies geht zu Lasten der Beklagten, die die Feststellungslast hierfür trägt (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41; siehe auch Bruns in Hofmann, Ausländerrecht 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.).
Der Anwendungsbereich des § 71a AsylG ist somit nicht eröffnet. Da die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts auch auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes nicht aufrechterhalten werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 21 und 41), ist die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nr. 1 des Bescheids) aufzuheben. Dies hat zur Folge, das auch die auf § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG und § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung (Nr. 2 des Bescheids) nicht ergehen durfte und deshalb aufzuheben war. Gleiches gilt für die Feststellung, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, da sie jedenfalls verfrüht ergangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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