Verwaltungsrecht

Zweite Juristische Staatsprüfung – (Neu-) Bewertung einer Klausur

Aktenzeichen  7 B 18.128

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17258
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
JAPO § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Chancengleichheit gebietet, dass die vom Prüfer angelegten Maßstäbe der Bewertung aller Bearbeitungen derselben Prüfungsaufgabe – auch im Rahmen einer Nachkorrektur und iRd Überdenkungsverfahrens – ohne Änderung des Bezugssystems zugrunde gelegt werden (BVerwG BeckRS 2018, 4973). Er muss sich im Rahmen einer Nachkorrektur mit der beanstandeten Einwendung auseinander setzen. (Rn. 18 und 22 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die vorgenommene Prüfungsbewertung ist nicht fehlerhaft, da die objektiven Grenzen des Prüferspielraums eingehalten sind. Es liegen weder Verfahrensfehler vor, noch wurde der allgemeingültige Bewertungsmaßstab verletzt oderoffene Rechtsfragen einer vertretbaren und folgerichtig begründeten Lösung als falsch gewertet (BVerwG). Trägt der Prüfer die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar vor und ergibt sich kein Widerspruch zu den Anforderungen rationaler Abwägung, liegt kein Beurteilungsfehler vor. (Rn. 17 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Übrigen hat der Prüfer einen gerichtlich nur eingeschränkten Bewertungsspielraum zB bei der Punkte- oder Notenvergabe, Einordnung des Schwierigkeitsgrads der Aufgabenstellung sowie der Gewichtung unterschiedlicher Aufgaben, der Qualität der Darstellung, der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie der Bedeutung eines Mangels (BVerwG BeckRS 2004, 22860). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine Befangenheit des Prüfers ist nicht gegeben, da keine Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. So hat sich der Prüfer nicht von vornherein festgelegt, seine Benotung nicht zu ändern und er hat sich mit den eigenen Fehlern mit dem ihnen objektiv gebührenden Gewicht beschäftigt und diese bereinigt (BVerwG BeckRS 1999, 30058177). (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 15.4680 2017-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid des Landesjustizprüfungsamts vom 13. Oktober 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch auf die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens durch Neubewertung der Klausur Nr. 11 (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Bewertung der Klausur Nr. 11 in der Gestalt, die sie nach Durchführung des Überdenkungsverfahrens durch den Zweitkorrektor erhalten hat, ist nicht zu beanstanden.
Die Aufhebung eines Prüfungsbescheids und die Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen, setzt voraus, dass die Bewertung fehlerhaft ist und dass dieser Fehler Einfluss auf das Gesamtergebnis hat. Prüfungsbewertungen – soweit gegen diese keine Rügen in fachlicher Hinsicht vorgetragen sind – sind wegen des den Prüfern zustehenden Bewertungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob die objektiven Grenzen des Prüferspielraums überschritten wurden. Dies ist der Fall, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen, sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder bei offenen Rechtsfragen eine vertretbare und folgerichtig begründete Lösung als falsch werten (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2004 – 6 B 25.04 – NVwZ 2004, 1375/1377). Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Prüfer ihre Bewertung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt haben, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob sie bei ihrer Bewertung den Zweck, dem die Prüfung dient, verkannt haben, ob die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und ob sie den Anforderungen rationaler Abwägung nicht widerspricht (BayVGH, B.v. 29.4.2009 – 7 ZB 08.996 – juris Rn. 21).
Prüfungsspezifische Wertungen, die keinen von den Gerichten zu kontrollierenden Verstoß erkennen lassen, bleiben der Letztentscheidungskompetenz der Prüfer überlassen. Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums sind etwa die Punktevergabe und die Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrads einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG, B.v. 13.5.2004 – 6 B 25.04 – NVwZ 2004, 1375/1377). Die Bewertungen nimmt der Prüfer anhand von Maßstäben vor, die er in Bezug auf die konkrete Prüfungsaufgabe autonom erstellt. Aus Gründen der Chancengleichheit muss der Prüfer die von ihm erarbeiteten Maßstäbe der Bewertung aller Bearbeitungen derselben Prüfungsaufgabe zugrunde legen und darf sie – auch bei einer Nachkorrektur im Rahmen des Überdenkungsverfahrens – nicht ändern (BVerwG, B.v. 5.3.2018 – 6 B 71.17 – juris Rn. 8, 10).
Gemessen daran kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf Fehler der im Rahmen des Überdenkungsverfahrens vorgenommenen Zweitkorrektur der Klausur Nr. 11 berufen.
Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung sind nur die von der Klägerin substantiiert und mit einer nachvollziehbaren Begründung vorgebrachten Einwendungen gegen bestimmte Bewertungen des Prüfers (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.1993 – 6 C 35.92 – NVwZ 1993, 681/683). Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, die ursprüngliche Bewertung der Klausur im Rahmen der Zweitkorrektur mit 3 Punkten sei nur deshalb zustande gekommen, weil Teil II irrtümlich als nicht bearbeitet gewertet worden sei, und bei Berücksichtigung dieses Teils müsse die Klausur jedenfalls mit 4 Punkten bewertet werden. Die erneute und nunmehr schlechtere Bewertung des einkommensteuerrechtlichen Teils I der Klausur beruhe auf einem Wechsel des Bewertungssystems und damit auf einem beachtlichen Bewertungsfehler. Dies trifft jedoch nicht zu. Der Prüfer hat die Grenzen seines nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Bewertungsspielraums nicht überschritten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht die Beibehaltung des Endergebnisses von 3 Punkten nach der erneuten Korrektur im Überdenkungsverfahren nicht auf einem Austausch des Bewertungssystems.
Bei einer Nachkorrektur im Rahmen eines Überdenkungsverfahrens handelt es sich um eine inhaltlich beschränkte Nachbewertung (BVerwG, B.v. 19.5.2016 – 6 B 1.16 – juris Rn. 14): Der Prüfer darf das komplexe, im Wesentlichen auf seinen Einschätzungen und Erfahrungen beruhende Bezugssystem, das er der Bewertung zugrunde gelegt hat, nicht ändern. Er hat sich auf der Grundlage dieses Bezugssystems lediglich mit den beanstandeten Einwendungen auseinanderzusetzen. Er muss entscheiden, ob er an diesen Wertungen festhält und dies begründen. Ändert er eine Einzelwertung, weil er den Einwendungen Rechnung trägt, muss er weiter entscheiden, ob dies Auswirkungen für die Benotung hat.
Dies zugrunde gelegt, ergibt sich aus der Aussage des als Zeugen befragten Zweitkorrektors, dass er sein Bewertungssystem, das er bei der erstmaligen Korrektur angewendet hat, ebenso bei der Korrektur im Überdenkungsverfahren einsetzte. Der Prüfer hat sein Bewertungssystem dahingehend erklärt, dass er zwar für die abgearbeiteten Probleme der Klausur jeweils Punkte vergeben hätte, die als Anhaltspunkte für die Bewertung der Klausur insgesamt gedient hätten. Ihm sei es jedoch maßgeblich darauf angekommen, dass der Kandidat die rechtliche Systematik verstanden habe. Nach der Gesamtaddition der für die Problembearbeitung vergebenen Punkte habe er die Güte der Gesamtarbeit reflektiert und danach die endgültige Note vergeben. Der Schwerpunkt der Klausur habe im einkommensteuerrechtlichen Teil gelegen, bei dessen Bearbeitung die Klägerin gezeigt habe, dass sie die grundlegende Problematik der Arbeit, nämlich die Methoden der Gewinnermittlung, nicht verstanden habe. Die Bearbeitung des verfahrensrechtlichen Teils II der Arbeit habe keine bessere Bewertung der Arbeit als mit 3 Punkten gerechtfertigt, zumal für Teil I der Arbeit auch eine Bewertung unter 3 Punkten angemessen gewesen wäre. Davon hätte er jedoch bei der erstmaligen Korrektur abgesehen, weil bei einem Unterschied zwischen Erst- und Zweitkorrektur von mehr als 2 Punkten ein Annäherungsverfahren zwischen den beiden Korrektoren stattzufinden habe, das er habe vermeiden wollen. Eine Änderung des Bewertungssystems ist danach nicht ersichtlich. Maßgeblich für die Bewertung war eine Gesamtwürdigung der Leistung, die auch unter Berücksichtigung der Bearbeitung des Teils II insgesamt als mit erheblichen Mängeln behaftet beurteilt wurde. Die Bearbeitung des Teils II wurde vom Zeugen als „so dürftig, dass man damit nichts habe anfangen können“ bezeichnet. Dies ergebe sich aus Umfang und Gehalt der Ausführungen.
Mit der Einwendung, die Neubewertung des Teils I und die Aufzählung von bisher nicht erwähnten Fehlern in diesem Teil lasse nur den Schluss zu, dass das Bewertungssystem abgeändert worden sei, um die ursprüngliche Bewertung halten zu können, kann die Klägerin ebenfalls keinen Wechsel im Bewertungssystem darlegen.
Der Zeuge hatte bereits in der ursprünglichen Korrekturbemerkung zu Teil I – allerdings ohne nähere Erläuterungen – festgestellt, dass die Ausführungen überwiegend an der Problematik vorbeigingen bzw. die einschlägigen Probleme nicht gesehen worden seien. Die nunmehr im Einzelnen aufgeführten Mängel lassen sich zwanglos in diese pauschale Bewertung einordnen und verändern diese in ihrem Wesensgehalt nicht. Sie sind nicht als Versuch zu bewerten, den Korrekturfehler durch die Aufzählung weiterer Fehler mit dem Ergebnis zu kompensieren, dass die ursprüngliche Note beizubehalten sei. Vielmehr handelt es sich um eine die ursprüngliche knappe Bewertung konkretisierende Begründung.
Der Zeuge führte hierzu aus, er habe die einzelnen Mängel bei der ersten Korrektur nicht im Einzelnen ausgeführt, weil seine Korrekturbemerkung zur Begründung zunächst ausreichend gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Bewertungssystems des Zeugen, das auf einer Gesamtschau der Prüfungsarbeit beruhte, kann auch die nochmalige Überprüfung des Teils I, um zu eben diesem Gesamtbild zu kommen, nicht beanstandet werden. Der Zeuge selbst erklärt die nochmalige Nachprüfung des Teils I damit, er habe die von der Klägerin gegen die Korrektur vorgebrachten Einwendungen dahingehend verstanden, dass auch diese Bewertung angegriffen worden sei. Dies erscheint unter Berücksichtigung der Begründung des Nachprüfungsantrags der Klägerin, auch im einkommensteuerrechtlichen Teil der Arbeit seien zumindest so viele positive Ansätze vorhanden, dass eine Bewertung der Arbeit mit ausreichend in Betracht komme, nicht fernliegend. Schließlich legt auch die Antwort des Zeugen, es könne auch sein, dass er Teil I der Arbeit ursprünglich mit 3 Punkten bewertet hätte, im Überdenkungsverfahren dann mit 2 Punkten und Teil II mit 1 Punkt, sodass die Gesamtarbeit auch unter Berücksichtigung des Teils II wiederum mit 3 Punkten bewertet worden sei, keinen Wechsel des Bewertungssystems nahe. Vielmehr hat der Zeuge mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er die Klausur nach dem Gesamteindruck bewertet und keine streng mathematische Berechnung nach Einzelpunkten und einer sich daraus ergebenden Gesamtnote vorgenommen hat.
Die im Rahmen des Überdenkungsverfahrens vorgenommene Korrektur ist nicht – wie die Klägerin meint – deshalb fehlerhaft, weil der sie durchführende Korrektor befangen gewesen wäre.
Die Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Erforderlich hierfür sind nachvollziehbare, tatsächlich feststellbare Umstände, die bei verständiger Würdigung den Schluss einer parteiischen oder voreingenommenen und damit sachwidrigen Amtsausübung zulassen. Die Frage, ob ein bestimmter Prüfer voreingenommen ist, hängt von der Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab. Eine Befangenheit des Prüfers kann sich aus der Art und Weise seines Umgangs mit den eigenen Fehlern bei späteren Nachkorrekturen ergeben; sie liegt nicht nur vor, wenn sich ein Prüfer von vornherein darauf festgelegt hat, seine Benotung nicht zu ändern, sondern auch dann, wenn es ihm an der Fähigkeit gebricht, eigene Fehler zu erkennen oder einzuräumen, oder auch nur, diese mit dem ihnen objektiv gebührenden Gewicht zu bereinigen (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1999 – 6 C 13.98 – NVwZ 2000, 915 LS. 2). Anhaltspunkte dafür, dass sich der Korrektor auf die von ihm vorgenommene Bewertung der Klausur festgelegt hätte, und nicht gewillt oder in der Lage gewesen wäre, den ihm unterlaufenen Korrekturfehler zu bereinigen, konnte der Senat bei dessen Befragung nicht feststellen. Der Zeuge hat schlüssig erklärt, aus welchen Gründen er die Bewertung der Klausur mit 3 Punkten auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin zu Teil II als der gezeigten Leistung angemessen hält. Der Vorwurf der Befangenheit ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil der Zeuge nach erneuter Durchsicht und Bewertung der Klausur zum selben Ergebnis gekommen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1999 – 6 C 13.98 – NVwZ 2000, 915/917). Der Vortrag der Klägerin, durch den unzulässigen Austausch des Bewertungssystems habe der Korrektor zu erkennen gegeben, dass er sich auf eine Benotung festgelegt habe, trifft schon deshalb nicht zu, weil – wie oben ausgeführt – kein Austausch des Bewertungssystems vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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