Zivil- und Zivilprozessrecht

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG durch unberechtigte Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuchs – hier: Äußerung eines Richters im Verhandlungstermin, “ihn interessiere die Wahrheit nicht”, grob unsachlich und zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit offensichtlich geeignet

Aktenzeichen  2 BvR 1750/12

Datum:
12.12.2012
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Stattgebender Kammerbeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20121212.2bvr175012
Normen:
Art 101 Abs 1 S 2 GG
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG
§ 38 Abs 1 DRiG
§ 46 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
2. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Dresden, 24. Juli 2012, Az: 3 W 562/12, Beschlussvorgehend OLG Dresden, 28. Juni 2012, Az: 3 W 0562/12, Beschlussvorgehend LG Chemnitz, 15. Mai 2012, Az: 3 Ri AR 4/12, Beschlussvorgehend LG Chemnitz, 18. April 2012, Az: 3 Ri AR 4/12, Beschluss

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 18. April 2012 – 3 Ri AR 4/12/3 Ri AR 32/11 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 28. Juni 2012 – 3 W 0562/12 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Chemnitz zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Juli 2012 – 3 W 562/12 – wird damit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Befangenheitsantrags im Zusammenhang mit Äußerungen eines Zivilrichters
während des Verhandlungstermins.

I.
2
1. Die Beschwerdeführerin ist Beklagte eines vor dem Landgericht anhängigen Zivilrechtsstreits. Klägerin des Ausgangsrechtsstreits
ist eine in der Schweiz ansässige Aktiengesellschaft.

3
a) Am 3. November 2011 fand im Rahmen des Ausgangsverfahrens ein Termin zur Güteverhandlung und Verhandlung über die Hauptsache
statt. Nach Erörterung des Sach- und Streitstands äußerte der Prozessvertreter der Beschwerdeführerin, es sei seiner Auffassung
nach geboten, einen in der Schweiz wohnhaften Zeugen zu laden. Der zuständige Einzelrichter der 2. Zivilkammer des Landgerichts
weigerte sich jedoch, einen entsprechenden Beweisantrag in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufzunehmen. Der Prozessbevollmächtigte
der Beschwerdeführerin regte im weiteren Verlauf des Termins an, das Verfahren nach § 149 ZPO auszusetzen, und ergänzte sein
tatsächliches Vorbringen; auch insoweit verweigerte der Richter die Protokollierung. Als der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin
ihm daraufhin vorhielt, es sei auch seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen, entgegnete der Richter: “Die Wahrheit interessiert
mich nicht.” Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Am 11. November 2011
gab der abgelehnte Richter eine dienstliche Stellungnahme ab, in der er bestätigte, sich wie beanstandet geäußert und die
Protokollierungen verweigert zu haben.

4
b) Mit Beschluss vom 18. April 2012 erklärte die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Zivilkammer des Landgerichts
dieses für unbegründet. Die Erklärung des abgelehnten Richters – die Wahrheit interessiere ihn nicht – sei zwar zu monieren,
begründe indes keine Richterablehnung, da durch sie sowohl die Klägerin als auch die Beklagte beschwert würden. Dass der abgelehnte
Richter den Beweisantrag weder ins Protokoll aufgenommen noch verbeschieden habe, begründe ebenfalls nicht die Besorgnis der
Befangenheit, denn dies stehe in seinem Ermessen. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung könnten nur dann die Besorgnis
der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie sich derart weit von dem geübten Verfahren entfernten, dass sich der Eindruck einer
willkürlichen, sachwidrigen und auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge, wofür es hier keinerlei Anhaltspunkte
gebe.

5
c) Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde ein, der das Landgericht mit Beschluss vom 15.
Mai 2012 nicht abhalf. Mit Beschluss vom 28. Juni 2012, dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugegangen am 6. Juli
2012, wies das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde zurück. Der abgelehnte Richter habe nicht seinem Amtseid zuwiderhandeln
wollen, es sei vielmehr der Beklagtenvertreter gewesen, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel dafür eingesetzt
habe, um den abgelehnten Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Mit der gerügten Äußerung habe sich der abgelehnte Richter
dieser sachwidrigen Beeinflussung erwehrt. Auch im Übrigen seien die geltend gemachten Gründe nicht dazu geeignet, das Ablehnungsgesuch
für begründet zu erklären.

6
d) Mit Beschluss vom 24. Juli 2012 wies das Oberlandesgericht die gegen den Beschluss vom 28. Juni 2012 erhobene Anhörungsrüge
der Beschwerdeführerin zurück.

7
2. Mit ihrer am 3. August 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die im Rubrum
genannten Entscheidungen und Maßnahmen. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 19 Abs. 4,
Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4,
Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 13 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK.

8
Sie habe einen Anspruch darauf, dass ihr Rechtsstreit von einem Richter bearbeitet, verhandelt und entschieden werde, der
sich an seinen Amtseid gebunden fühle und nicht ankündige, diesem vorsätzlich zuwider handeln zu wollen. Den abgelehnten Richter
interessierten nach seiner Aussage weder Wahrheit noch Gerechtigkeit; es sei ihr nicht zumutbar, sich in dessen Willkür zu
begeben. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hätten die Tragweite der Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend
verkannt. Dies verletze zugleich ihr Grundrecht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20
Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und sei willkürlich. Durch die vom Landgericht und Oberlandesgericht vorgenommene
Auslegung des § 46 Abs. 2 ZPO werde ihr das Recht auf wirksame Beschwerde genommen. Dies verletze das Grundrecht auf effektiven
Rechtsschutz sowie die Rechte auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK), auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren (Art.
6 Abs. 1 EMRK). Sie werde zudem gehindert, sich effektiv gegen die Klageforderung zu verteidigen, was gegen Art. 1 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verstoße.

II.
9
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat mitgeteilt, von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde
werde abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

III.
10
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem im Tenor bezeichneten Umfang statt, weil
dies zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe
b BVerfGG. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht
bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde insoweit zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in
Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

11
Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG durch die Beschlüsse vom 18. April 2012 und vom 28. Juni 2012 rügt, zulässig und offensichtlich begründet.
Auf die Frage, ob die Anhörungsrüge geeignet war, die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten, kommt
es nicht an, da die Frist auch dann gewahrt ist, wenn sie mit dem Zugang des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 28. Juni
2012 zu laufen begann.

12
1. a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür
von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter (vgl. BVerfGE 22, 254 ). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt
und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert
werden (vgl. BVerfGE 95, 322 ). Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter
steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten
bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 ; 21, 139 ; 30, 149 ; 40, 268 ; 82, 286 ; 89, 28 ).

13
b) Zwar kann eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln
und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden;
andernfalls wäre jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich ein Verfassungsverstoß (vgl. BVerfGE 82, 286 ;
BVerfGK 5, 269 ; 12, 139 ; 13, 72 ). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten,
wenn die Auslegung einer Verfahrensnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind
oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend
verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 m.w.N.; BVerfGK 5, 269 ; 12, 139 ; zuletzt BVerfG, Beschluss der 3. Kammer
des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012 – 2 BvR 615/11 -, juris, Rn. 12). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf grober Missachtung
oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 ; 82, 159 ; BVerfGK 5, 269 ; 12, 139 <143
f.>; 13, 72 ) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG grundlegend verkannt hat, kann nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269
; 12, 139 ; 13, 72 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012, a.a.O.).

14
c) Eine Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände
Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 ). Tatsächliche Befangenheit oder
Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der “böse Schein”, also der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität
(vgl. BVerfGE 46, 34 ). Entscheidend ist demnach, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten
Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGK 5, 269 ; 13, 72 ;
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012, a.a.O., Rn. 13).

15
2. Nach diesen Maßstäben wurde im vorliegenden Fall der grundrechtliche Anspruch auf den gesetzlichen Richter nicht gewahrt.

16
Die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters, nach der er “wohl etwas ungehalten” reagiert habe, gibt keine Veranlassung,
der Frage nachzugehen, unter welchen Voraussetzungen Unmutsbekundungen eines Richters, die sich auf das Verhalten von Prozessparteien
oder Zeugen beziehen, bereits als solche geeignet sind, den Eindruck der Voreingenommenheit zu wecken (vgl. BVerfG, Beschluss
der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 – 2 BvR 247/09 -, juris, Rn. 12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2012
– 14 W 2/12 – NJW-RR 2012, S. 960 ; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 10 W 42/11 (Abl.) -, juris, Rn.
28; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 42 Rn. 17; Gehrlein, in: Münchener Kommentar
zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 42 Rn. 24 m.w.N.). Mit der Äußerung, auf die sich der Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin
bezog, hat der Richter nicht nur Unmut über ein Verhalten ihres Bevollmächtigten zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich bekundet,
dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz
macht es zwar zur Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen, und
beschränkt insoweit die Aufgabe des Richters, den Sachverhalt zu erforschen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2008 – IX
ZB 137/07 -, NZI 2008, S. 240 ). Er bedeutet aber ebenso wenig wie andere Beschränkungen der Pflicht zur Ermittlung und
Berücksichtigung von Tatsachen – wie sie, etwa im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, auch im Ansatz vom Amtsermittlungsgrundsatz
geprägte Verfahrensordnungen kennen -, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der
Zivilrichter ist nach Maßgabe der anwendbaren Verfahrensordnung, seinem Amtseid gemäß, verpflichtet, der Wahrheit zu dienen
(§ 38 Abs. 1 DRiG).

17
Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Umstände (vgl. BVerfGE 82, 30 ; zur zivilprozessualen Rechtslage Schneider, Befangenheitsablehnung
im Zivilprozess, 3. Aufl. 2008, Rn. 378; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Oktober 1992 – 11 W 76/92 -, OLG-Report 1992, S.
343; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23. September 1997 – 6 W 140/97 -, NJW-RR 1998, S. 858 ; OLG Schleswig, Beschluss
vom 30. September 2004 – 16 W 126/04 -, OLG-Report 2004, S. 561 ) kann eine Besorgnis der Befangenheit nicht verneint
werden. Nachdem der Richter sich geweigert hatte, einen Beweisantrag und weitere Äußerungen des Prozessbevollmächtigten der
Beschwerdeführerin in das Protokoll aufzunehmen, und dieser deshalb dem Richter vorgehalten hatte, es sei seine Aufgabe, die
Wahrheit zu erforschen, stellte die daraufhin an den Bevollmächtigten gerichtete Äußerung des Richters, die Wahrheit interessiere
ihn nicht, keinen bloßen Hinweis auf die zivilprozessrechtlichen Grenzen der richterlichen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung
dar. Unter diesen Umständen war die Annahme des Landgerichts, die Äußerung begründe keine Ablehnung, weil sie beide Parteien
gleichermaßen beschwere, unvertretbar. Die grob unsachliche Äußerung des Richters war eindeutig als zurückweisende Reaktion
auf ein vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vorgebrachtes Anliegen erfolgt und daher offensichtlich geeignet, den
Eindruck einer Voreingenommenheit gerade nach dieser Seite hin zu erzeugen. Erst recht ist die Annahme des Oberlandesgerichts
nicht tragfähig, die Äußerung sei hinzunehmen als Reaktion auf eine sachwidrige Beeinflussung durch den Beklagtenvertreter,
der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt habe, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Weshalb
in dem Hinweis auf eine bestehende Amtspflicht eine sachwidrige Druckausübung liegen soll, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar.
Selbst wenn der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit seinem Hinweis auf die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts
die Reichweite dieser Pflicht unter den gegebenen Umständen verkannt haben sollte, kann darin eine die Besorgnis der Befangenheit
ausschließende Rechtfertigung für die anschließende Äußerung des Richters schon deshalb nicht liegen, weil in einem rechtsstaatlichen
Verfahren die Pflicht des Richters zur Erfüllung seiner Amtspflichten und zu sachlichem Umgang mit dem Parteivorbringen nicht
davon abhängt, dass dieses Vorbringen auf zutreffenden rechtlichen Einschätzungen beruht.

IV.
18
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. BVerfGE 90, 22 ). Von einer weiteren
Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

V.
19
1. Der Beschluss des Landgerichts vom 18. April 2012 und der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Juni 2012 beruhen auf
dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG sind sie daher
aufzuheben und das Verfahren ist an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts
vom 24. Juli 2012 wird damit gegenstandslos.

20
2. Die vollständige Erstattung der Auslagen ist gemäß § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG anzuordnen, weil die Beschwerdeführerin
ihr wesentliches Rechtsschutzziel erreicht hat.


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