Aktenzeichen IX ZB 268/08
Leitsatz
Im Gesamtvollsteckungsverfahren kann eine Nachtragsverteilung auch dann angeordnet werden, wenn sie bei der Einstellung des Verfahrens für einen damals noch nicht verwerteten Vermögensgegenstand vorbehalten worden ist .
Verfahrensgang
vorgehend LG Chemnitz, 15. Oktober 2008, Az: 3 T 204/08, Beschlussvorgehend AG Chemnitz, 15. Februar 2008, Az: N 50/91
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 15. Oktober 2008 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 124.936,19 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Über das Vermögen der Schuldnerin, einer sogenannten Zwischengenossenschaftlichen Bauorganisation (ZBO) nach dem früheren Gesetz der DDR über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, wurde am 8. November 1991 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. In seinem Schlussbericht teilte der Gesamtvollstreckungsverwalter mit, dass hinsichtlich der Forderung der Schuldnerin gegen die ebenfalls im Gesamtvollstreckungsverfahren befindliche Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) “R. S.” noch mit einer Quotenzahlung zu rechnen sei. Nach Vollzug der Schlussverteilung stellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Oktober 1997 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin ein und bestimmte, dass die Forderung gegen die Gesamtvollstreckungsmasse LPG “R. S.” einer Nachtragsverteilung vorbehalten bleibe.
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Mit Beschluss vom 15. Februar 2008 hat das Amtsgericht die Nachtragsverteilung im Hinblick auf die nun erfolgte Quotenzuteilung aus dem Gesamtvollstreckungsverfahren der LPG “R. S.” in Höhe von 124.936,19 € angeordnet. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag weiter, die Anordnung der Nachtragsverteilung aufzuheben.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
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1. Das Landgericht hat die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde der Schuldnerin ohne nähere Prüfung bejaht und angenommen, das Rechtsmittel sei nicht begründet, weil die Anordnung der Nachtragsverteilung rechtmäßig sei. Zur Bestimmung der Einzelheiten der Nachtragsverteilung nach der Vorschrift des § 12 Abs. 3 GesO könne auf die Regelung des § 166 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 KO zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift erfasse auch die Nachtragsverteilung hinsichtlich solcher Massegegenstände, welche zunächst nicht verwertet worden seien. So liege der Fall hier, weil die der Masse zustehende Quote aus dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der LPG “R. S.” bei der Einstellung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin noch nicht festgestanden habe und daher bei der Schlussverteilung nicht habe berücksichtigt werden können.
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2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dabei kann die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde offen bleiben, weil das Rechtsmittel jedenfalls unbegründet ist.
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a) Grundsätzlich ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels vor dessen Begründetheit zu prüfen. Im Beschwerdeverfahren gilt dieser Grundsatz jedoch nicht ausnahmslos. Über eine sofortige Beschwerde, welche jedenfalls unbegründet ist, kann unabhängig von deren Zulässigkeit eine Sachentscheidung ergehen, wenn die Zurückweisung der Beschwerde keine weitergehenden Folgen hat als deren Verwerfung und auch im Übrigen keine Interessen der Parteien entgegenstehen (BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – IX ZB 171/04, WM 2006, 1409 Rn. 4).
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Die Verwerfung einer sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung als unzulässig und deren Zurückweisung als unbegründet unterscheiden sich in den Wirkungen nicht (vgl. zur sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss BGH, Beschluss vom 30. März 2006, aaO, Rn. 5). Es kann daher offen bleiben, ob der Schuldnerin das Rechtsschutzbedürfnis zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ermangelt hat, weil die Schuldnerin den streitigen Mittelzufluss auch im genossenschaftlichen Liquidationsverfahren nach § 90 Abs. 1 GenG, § 42 Abs. 1 Satz 1, § 69 Abs. 3 Satz 4 LwAnpG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I, S. 2312) vollständig zur Befriedigung der Gläubiger verwenden müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 1994 – BLw 103/93, WM 1994, 1765; Urteil vom 2. Juli 1996 – IX ZR 157/95, WM 1996, 1681, 1682; Urteil vom 17. Mai 1999 – II ZR 76/98, BGHZ 141, 372, 374 ff).
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b) Das Rechtsmittel der Schuldnerin ist jedenfalls unbegründet. Die Anordnung der Nachtragsverteilung ist rechtmäßig erfolgt.
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Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 GesO sieht die nachträgliche Verteilung solcher Geldbeträge vor, welche zur Deckung weiterer Verwaltungsausgaben oder zur Erfüllung bestrittener Ansprüche zurückbehalten worden sind. Diese Bestimmung ist erweiternd dahingehend auszulegen, dass eine Nachtragsverteilung auch dann stattfinden kann, wenn ein Massebestandteil zum Zeitpunkt der Schlussverteilung noch nicht verwertet worden ist und deshalb insoweit noch kein verteilungsfähiger Barerlös vorgelegen hat.
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aa) Nach den Vorschriften der § 166 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 KO, § 203 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann eine Nachtragsverteilung angeordnet werden, wenn von der Masse zurückbehaltene Beträge erst nach der Schlussverteilung (Konkursordnung) beziehungsweise nach dem Schlusstermin (Insolvenzordnung) für diese frei werden. Unter den Begriff der zurückbehaltenen Beträge fallen dabei nicht allein solche Vermögenswerte, welche zum Zeitpunkt der Schlussverteilung beziehungsweise des Schlusstermins bereits als Barmittel in der Masse vorhanden sind, sondern auch Forderungen und andere Gegenstände, deren Verwertungserlös erst später für die Masse realisiert werden kann (OLG Celle, KTS 1972, 265, 266; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl., § 161 Rn. 3, § 166 Rn. 2; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 166 KO Bem. 1 a; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rn. 8; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 203 Rn. 9; HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier, 3. Aufl., § 203 Rn. 7; BK-InsO/Breutigam, § 203 Rn. 10; vgl. auch MünchKomm-InsO/Hintzen, 2. Aufl., § 203 Rn. 13; HK-InsO/Depré, 5. Aufl., § 196 Rn. 1).
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bb) Für die Auslegung der Vorschrift des § 12 Abs. 3 GesO gilt nichts anderes. Kann das Gesamtvollstreckungsverfahren mit Ausnahme eines Massegegenstands, welcher noch nicht verwertet werden konnte oder noch in einem Aktivprozess der Masse befangen ist, abgeschlossen werden, so bestehen keine Bedenken, das Verfahren mit dem Vollzug der Schlussverteilung abzuschließen und im Hinblick auf den noch zu erwartenden weiteren Mittelzufluss die Nachtragsverteilung anzuordnen. Bestünde diese Möglichkeit nicht, so wäre die praktische Konsequenz, dass die Schlussverteilung bis zum Abschluss der Verwertung des noch offenen Vermögenswerts aufgeschoben werden müsste, um diesen Gegenstand noch in das Verfahren einbeziehen zu können, wodurch das Gesamtvollstreckungsverfahren unnötig in die Länge gezogen würde. Es entspricht daher allgemeiner Auffassung, dass über den engen Wortlaut der Vorschrift des § 12 Abs. 3 GesO hinaus auch im Gesamtvollstreckungsverfahren grundsätzlich eine Nachtragsverteilung entsprechend der Regelung der Konkursordnung stattfinden kann (LG Frankfurt/Oder, ZinsO 2005, 555, 556; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 4. Aufl., § 12 Rn. 57 und § 18 Rn. 38; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 4. Aufl., § 18 Rn. 80 ff; Kilger/K. Schmidt, aaO, § 18 GesO Anm. 2 f).
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Wie das Beschwerdegericht mit Recht angenommen hat, stellt sich die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage vorliegend nicht, ob im Wege einer über den Wortlaut des § 12 Abs. 3 GesO hinausgehenden Anwendung dieser Vorschrift auch eine erstmalige Beschlagnahme von Vermögenswerten des Schuldners nach Einstellung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erfolgen kann. Werden Vermögenswerte der Masse zurückbehalten und einer nachträglichen Verteilung vorbehalten, so dauert der Konkursbeschlag diesbezüglich trotz Aufhebung des Konkursverfahrens fort (BGH, Urteil vom 22. Februar 1973 – VI ZR 165/71, WM 1973, 642, 644; vom 10. Februar 1982 – VIII ZR 158/80, BGHZ 83, 102, 103). Da vorliegend die Nachtragsverteilung im Hinblick auf die Quote aus dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der LPG “R. S.” mit Einstellung des hier gegenständlichen Verfahrens vorbehalten wurde, blieb der Gesamtvollstreckungsbeschlag im Hinblick auf diese Forderung erhalten. Ein Fall, in welchem die Beschlagnahme eines zur Nachtragsverteilung vorgesehenen Gegenstands erst mit Anordnung der Nachtragsverteilung erfolgt, beispielsweise weil dieser Gegenstand erst später entdeckt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1973, aaO; Beschluss vom 6. Dezember 2007 – IX ZB 229/06, WM 2008, 305 Rn. 7), liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht vor.
Kayser Raebel Lohmann
Grupp Möhring