Aktenzeichen 20 CS 20.2729
VwGO § 80 Abs. 5, § 123, § 146 Abs. 4 S. 6
8. BayIfSMV § 5, § 7
Leitsatz
Das Verbot der Durchführung eines Landesparteitags mit 751 Teilnehmern ist im Rahmen der Folgenabwägung nicht zu beanstanden, da angesichts der deutlich überdurchschnittlich hohen 7-Tages-Inzidenz in Bayern bei summarischer Betrachtung eine hinreichend konkrete Gefahr besteht, dass es allein aufgrund der hohen Teilnehmerzahl, der räumlichen Verhältnisse und der Modalitäten der beabsichtigten Versammlung ungeachtet der vorgesehenen Hygienemaßnahmen zu einer nicht nur unerheblichen Zahl von Infektionen kommen kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 18 S 20.2484 2020-11-19 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit der Beschwerde verfolgt der in der Vorinstanz unterlegene Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter, den für den 21. November 2020 geplanten Landesparteitag mit bis zu 751 Teilnehmern in geschlossenen Räumlichkeiten durchführen zu können. Die dem Antragsteller auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV erteilte Ausnahmegenehmigung vom 15. September 2020 wurde durch Bescheid vom 16. November 2020 für ungültig erklärt (Ziff. 1), hilfsweise aufgehoben (Ziff. 2) und zugleich der Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auf der Grundlage von § 5 Satz 2 8. BayIfSMV abgelehnt (Ziff. 3).
Das Verwaltungsgericht hat den als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Ziff. 2 des Bescheids ausgelegten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 19. November 2020 abgelehnt und zur Begründung darauf abgestellt, dass bei den gegebenen offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfalle.
Zur Begründung seiner mit Schriftsatz vom 19. November 2020 eingelegten Beschwerde trägt der Antragsteller im wesentlichen vor, die Entscheidung, den Parteitag des Antragstellers nicht zu genehmigen, beruhe auf Abwägungsdefiziten. Insbesondere sei eine virtuelle Durchführung des Parteitags derzeit schon aufgrund der Landessatzung nicht möglich. Die verfassungsmäßigen Rechte des Antragstellers, insbesondere aus Art. 21 GG, seien nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
II.
Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
1. Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Erfolgsaussichten der gegen den angegriffenen Bescheid vom 16. November 2020 gerichteten Klage in der Hauptsache als offen anzusehen sind. Einerseits bedarf es einer eingehenden Prüfung, ob die maßgeblichen Regelungen der 8. BayIfSMV vollumfänglich den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 8 Abs. 1 GG gerecht werden. Das gilt etwa für die pauschale Beschränkung der Teilnehmerzahl für Versammlungen in geschlossenen Räumen – ohne Berücksichtigung der jeweiligen Raumgröße – nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 8. BayIfSMV und für die Frage, ob den Behörden bei der Entscheidung über Ausnahmen nach § 5 Satz 2 8. BayIfSMV ein Ermessen zustehen kann, wenn über die Zulassung einer Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG zu entscheiden ist. Andererseits erscheint angesichts der im Rahmen einer summarischen Prüfung erkennbaren Erwägungen des Landratsamtes nicht ausgeschlossen, dass selbst bei verfassungskonformer Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen ein Anspruch des Antragstellers auf Durchführung der geplanten Versammlung ausscheiden würde.
2. Die bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache gebotene Interessenabwägung geht zum Nachteil des Antragstellers aus.
Wenn der Antrag abgelehnt würde, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist, wäre der Antragsteller zumindest in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, möglicherweise auch in seinen Rechten aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt. Im Hinblick auf den hohen Rang der betroffenen Schutzgüter wäre die Grundrechtsverletzung von erheblichem Gewicht. Würde dem Begehren des Antragstellers demgegenüber entsprochen und würde sich später herausstellen, dass der Bescheid ganz oder teilweise rechtmäßig ist, wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter von erheblichem Gewicht betroffen.
Bei der gebotenen Abwägung der jeweils berührten Interessen treten die Belange des Antragstellers zurück. Bei einer Durchführung der geplanten Versammlung des Antragstellers mit bis zu 751 Teilnehmern in den vorgesehenen Räumlichkeiten wäre nach den insoweit nachvollziehbaren Ausführungen der Kreisverwaltungsbehörde mit einem hohen Infektionsrisiko und nachfolgend einer räumlichen Verbreitung von Infektionen im gesamten Gebiet des Freistaats zu rechnen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Lagebeurteilung des Robert-Koch-Instituts vom 19. November 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-19-de.pdf? blob=publicationFile) und der deutlich überdurch-schnittlich hohen 7-Tages-Inzidenz in Bayern besteht bei summarischer Betrachtung eine hinreichend konkrete Gefahr, dass es allein aufgrund der hohen Teilnehmerzahl, der räumlichen Verhältnisse und der Modalitäten der beabsichtigten Versammlung ungeachtet der vorgesehenen Hygienemaßnahmen zu einer nicht nur unerheblichen Zahl von Infektionen kommen kann. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben durch eine in ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen auch weiterhin nicht zuverlässig einzuschätzende Pandemie, vor der zu schützen der Staat nach Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen des Antragstellers zurücktreten (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn. 25), zumal die Durchführung von Versammlungen auch nach § 7 8. BayIfSMV im Grundsatz zulässig bleibt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).