Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag nach Entzug des Freizügigkeitsrechtes

Aktenzeichen  10 ZB 19.826

Datum:
14.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13871
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Bei der Entscheidung über den Verlust des Freizügigkeitsrechts ist zu prüfen, ob vom Ausländer eine gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Bereich der anzustellenden Gefahrenprognose kommt es auf strafrechtlich nicht geahndete Rückfälle und die gesetzliche Unschuldsvermutung nicht an. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 18.862 2019-03-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 23. April 2018 weiter, mit dem diese das Nichtbestehen eines Daueraufenthaltsrechts sowie den Verlust seines Rechts auf Freizügigkeit festgestellt, die Wirkungen der Verlustfeststellung auf vier Jahre ab Ausreise befristet und seine Abschiebung nach Italien angeordnet bzw. angedroht hat. Der Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1VwGO ergeben (1.).
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist daher mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung ebenfalls abzulehnen (2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU als rechtmäßig angesehen. Eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, liege vor. Der heroinabhängige Kläger sei zuletzt mit Urteil des Landgerichts H. vom 9. Juni 2017 wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden. Bereits im Alter von 17 bzw. 18 Jahren habe er erstmals Kontakt mit Heroin gehabt und 2006 mit dem täglichen Konsum dieses Rauschgifts begonnen. Obwohl er sich seit dem 20. Juli 2017 im Rahmen des Maßregelvollzugs in stationärer therapeutischer Behandlung im Bezirkskrankenhaus B. befinde, habe bei ihm von den behandelnden Ärzten eine positive Legal- und Suchtprognose nicht gestellt werden können, weshalb die Maßnahme ausweislich des Schreibens des Bezirkskrankenhauses vom 11. März 2019 auch beendet worden sei. Beim Kläger bestehe ein hohes Risiko für einen raschen Rückfall in sein Suchtverhalten und erneute Beschaffungskriminalität. Selbst wenn es ihm gelänge, die Therapie in einer anderen Einrichtung fortzusetzen, könnte dies die Wiederholungsgefahr nicht verringern; vielmehr bedürfte es dafür des erfolgreichen Abschlusses der Therapie. Davon sei der Kläger gegenwärtig aber weit entfernt. Die Beklagte habe ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und die Verlustfeststellung sei auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen.
Mit seinem Zulassungsantrag rügt der Kläger, die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr dürfe nicht allein mit der Art und Schwere der begangenen Straftaten begründet werden. Vermeintliche, nicht strafrechtlich geahndete Rechtsverstöße bzw. Rückfälle könnten schon im Hinblick auf die gesetzliche Unschuldsvermutung nicht in die Beurteilung bei der Gefahrenprognose mit einbezogen werden. Bei ihm bestehe weiterhin Therapiebereitschaft. Schon die Absolvierung einer Therapiemaßnahme stehe der Annahme der Wiederholungsgefahr entgegen. Zudem sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass bei ihm die Therapie nicht fortgesetzt werde, unzutreffend, weil er nunmehr die Möglichkeit einer Suchtmitteltherapie bei einer Einrichtung in Berlin habe; diese Therapieeinrichtung habe schriftlich bestätigt, dass sie bereit und in der Lage sei, ihn jederzeit in Abstimmung mit den zuständigen Stellen weiter zu therapieren.
Damit wird die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bezüglich der Rechtmäßigkeit der Verlustfeststellung und der prognostischen Annahme einer Wiederholungsgefahr jedoch nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 6.6.2019 – 10 C 19.1081 -; B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7 jew. m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass es dem seit langer Zeit heroinabhängigen Kläger bis heute nicht gelungen ist, von seiner Drogenabhängigkeit loszukommen, und auch die zuletzt im Rahmen des Maßregelvollzugs in stationärer Behandlung durchgeführte Therapie erfolglos abgebrochen wurde. Es hat weiter zutreffend festgestellt, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts selbst eine angenommene Fortsetzung der Therapie in einer anderen Einrichtung die Wiederholungsgefahr nicht entscheidend verringern könne, da beim Kläger ein erfolgreicher Abschluss der Therapie nicht absehbar sei. Der Verweis des Klägers auf strafrechtlich nicht geahndete Rückfälle und die gesetzliche Unschuldsvermutung ist bei der hier anzustellenden Gefahrenprognose im Übrigen schon im Ansatz verfehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
2. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil der Zulassungsantrag aus den oben dargelegten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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