Aktenzeichen 8 CS 18.21
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
BZRG § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a
GG Art. 12 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 1, S. 6, § 152 Abs. 1
StGB § 267 Abs. 1
StPO § 154 Abs. 1
Leitsatz
1 Straftaten bieten generell hinreichenden Anlass dazu, die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit infrage zu stellen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass die Straftaten bzw. Verfehlungen im Zusammenhang mit der Sicherheit des Luftverkehrs stehen oder einen sonstigen unmittelbaren luftsicherheitsrechtlichen Bezug aufweisen (vgl. BayVGH BeckRS 2005, 16847). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 § 7 LuftSiG ist verfassungsgemäß. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Beurteilung der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit ist es unerheblich, ob die abgeurteilte Straftat in ein Führungszeugnis aufzunehmen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 24 S 17.3938 2017-11-23 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Widerruf des Bescheids über seine Zuverlässigkeit nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG).
Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2001 am Flughafen M. bei der F. M. GmbH beschäftigt und seit dem 1. Januar 2011 unter Abstellung an die A. GmbH im Sicherheitsbereich als Teamleiter im Innendienst verantwortlich für die reibungslose Gebäckabfertigung. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 19. September 2016 verhängte das Amtsgericht Freising gegen den Antragsteller wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen. Ein weiteres Verfahren wegen des Verdachts einer Urkundenfälschung wurde nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.
Die Regierung von Oberbayern, Luftamt Südbayern, widerrief mit Bescheid vom 27. Juli 2017 unter gleichzeitiger Anordnung des Sofortvollzugs (Ziffer 3), die mit Bescheid vom 1. Oktober 2015 getroffene Feststellung der persönlichen Zuverlässigkeit (Ziffer 1) und entzog dem Antragsteller die Zutrittsberechtigung zum Sicherheitsbereich des Flughafens M. (Ziffer 2).
Das Verwaltungsgericht München hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 23. November 2017 abgelehnt. Zur Begründung stellte es im Wesentlichen darauf ab, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formellen Anforderungen genüge und das öffentliche Interesse gegenüber dem Suspensivinteresse überwiege.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde. Zur Begründung führt der Antragsteller unter anderem aus, dass der Antragsgegner sich mit der 60-Tagessatz-Regelvermutung auf eine durchaus beachtliche, aber nicht zwingende Überlegung des Gesetzgebers berufe. Bereits das Gesetz selbst sei verfassungswidrig. Die abgeurteilte Tat schaffe angesichts der ansonsten nachweislich einwandfreien und vorbildlichen Lebensführung des Antragstellers keine Grundlage für den Eingriff in das Grundrecht auf Beibehaltung des seit 16 Jahren vorbildlich ausgeübten Berufs. Die angefochtene Behördenentscheidung sei unnütz, realitätsfern, maßlos und verstoße von daher gegen das Übermaßverbot. Der Antragsteller beantragt,
1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 23. November 2017 wird aufgehoben.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Regierung von Oberbayern, Luftamt Süd, vom 27. Juli 2017 wird einstweilen wiederhergestellt.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Antragsteller mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung das Gericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Klage gegen den Bescheid vom 27. Juli 2017 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, erweist sich auch in Ansehung der vom Antragsteller innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als zutreffend.
Das Verwaltungsgericht hat die von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO geforderte eigene gerichtliche Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners in materieller Hinsicht daran orientiert, dass die in der Hauptsache erhobene Klage zwar zulässig sei, in der Sache aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte und auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG beruhende Widerruf der den Antragsteller begünstigenden Feststellung seiner Zuverlässigkeit vom 1. Oktober 2015 sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das Luftamt sei aufgrund der nach der letzten Feststellung der Zuverlässigkeit am 19. September 2016 erfolgten strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers zu 90 Tagessätzen wegen Urkundenfälschung berechtigt gewesen, eine Feststellung der Zuverlässigkeit des Antragstellers abzulehnen.
Der Antragsteller trägt mit seiner Beschwerde nichts vor, was eine andere Bewertung begründen könnte.
Soweit der Antragsteller geltend macht, dass die Behörde und das Erstgericht materiell-inhaltlich nichts eigenständig gegen ihn vorgebracht und sich allein auf die durchaus beachtliche, aber gesetzlich nicht zwingende 60-Tagessatz-Regelvermutung des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG berufen hätten, greift die Beschwerde nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich und zutreffend mit der Frage, ob Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bestehen, auseinandergesetzt. Dabei hat es nicht allein auf die erfolgte Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen abgestellt, sondern hat darüber hinaus das Vorliegen sowohl eines atypischen Strafbestandes als auch eines atypischen strafrechtlich abgeurteilten Sachverhalts geprüft. Darüber hinaus begründet das Verwaltungsgericht nachvollziehbar, warum das mit der strafrechtlichen Verurteilung geahndete Verhalten auf einen Charaktermangel des Antragstellers hinweist. Insofern ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der nach § 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG geforderten Gesamtwürdigung des Einzelfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt. Die Richtigkeit dieser Beurteilung der Sach- und Rechtslage im angefochtenen Beschluss wird durch die Ausführungen im Beschwerdeverfahren nicht infrage gestellt. Für das Vorliegen eines Sonderfalls ist vom Antragsteller weder etwas substantiiert vorgetragen worden noch sind hierfür sprechende Anhaltspunkte ersichtlich. Auch den weiteren Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts setzt das Beschwerdevorbringen substantiiert nichts Tragfähiges entgegen. Im Übrigen bieten Straftaten generell hinreichenden Anlass dazu, die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit infrage zu stellen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass die Straftaten bzw. Verfehlungen im Zusammenhang mit der Sicherheit des Luftverkehrs stehen oder einen sonstigen unmittelbaren luftsicherheitsrechtlichen Bezug aufweisen (BayVGH, B.v. 12.7.2005 – 20 CS 05.1674 – juris Rn. 9).
Die vom Antragsteller geäußerte Kritik bezieht sich vor allem auf die behauptete Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Der Senat hat zu § 7 LuftSiG bereits entschieden, dass diese Vorschrift behördliche Entscheidungsbefugnisse enthält, die nach dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG auf der Ebene der Zulassungsregelungen wirken (BayVGH, B.v. 6.4.2016 – 8 ZB 15.2236 – juris Rn. 5). Selbst berufsrechtliche Zulassungsregelungen objektiver Art sind aber zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG, B.v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80 – BVerfGE 63, 266/286). Die Regelung des § 7 LuftSiG genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im engeren Sinne (BVerfG, B.v. 4.8.2009 – 1 BvR 1726/09 – juris Rn. 11). Das Luftsicherheitsgesetz dient nach dessen § 1 dem Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs und damit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Passagiere und der im Luftverkehrsbereich Beschäftigten. Das sind unstreitig besonders wichtige Gemeinschaftsgüter im obigen Sinne. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise durfte der Gesetzgeber des § 7 LuftSiG dabei das dem Luftverkehr immanente erhöhte abstrakte Gefährdungspotenzial von im Luftverkehrsbereich Beschäftigten, die wegen strafbarer Handlungen von einiger Erheblichkeit zu strafrechtlichen Sanktionen verurteilt wurden, mit hohem Gewicht in die Zuverlässigkeitsüberprüfung einstellen (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2016 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). An dieser Beurteilung hat sich aufgrund der durch das Erste Gesetz zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes vom 23. Februar 2017 (BGBl. I S. 298) erfolgten Aufnahme eines Katalogs von Regelvermutungen in das LuftSiG nichts geändert. Ausweislich der Gesetzbegründung wurde durch den neuen Absatz 1a im Interesse einer Erleichterung der Rechtsanwendung anhand von Regelbeispielen allein eine Orientierung für die Konkretisierung des Begriffs der Unzuverlässigkeit gegeben (BT-Drs. 18/99752 S. 53). Soweit § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG sich unter anderem auf eine strafrechtliche (Erst-) Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen bezieht, stellt dies ein geeigneter und angemessener Anknüpfungspunkt dar. Denn die vorsätzliche Begehung einer Straftat erfordert einen bewussten und gewollten Rechtsverstoß und belegt damit eine mangelhafte Einstellung des Täters gegenüber der Rechtsordnung. Zudem ist es bei einer wegen einer Straftat verhängten Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen mit Rücksicht auf die nach dem Strafgesetzbuch eröffneten Möglichkeiten, bestimmte Straftaten auch mit deutlich geringeren bzw. milderen Sanktionen strafrechtlich zu ahnden, für gewöhnlich ausgeschlossen, dass es sich bei einer entsprechend sanktionierten Straftat um ein Bagatelldelikt handelt (OVG NRW, B.v. 1.3.2018 – 20 B 1340/17 – juris Rn. 41).
Ebenso wenig entlastet es den Antragsteller im hier maßgeblichen luftsicherheitsrechtlichen Zusammenhang, dass die abgeurteilte Straftat nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen ist. Sofern der Antragsteller vorbringt, dass der 60-Tagessatz-Regelvermutung eine viel bedeutendere und in sich schlüssige Regelung des allgemeinen Strafrechts entgegen stehe, wonach derjenige, der zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen verurteilt worden sei, sich als nicht vorbestraft bezeichnen dürfe und ihm dies auch niemand nachsagen dürfe, ist dieser Einwand als unbegründet zu werten. In diesem Zusammenhang ist zum einen darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Überprüfung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr handelt und strafrechtliche Regelungen und solche, die der Gefahrenabwehr dienen, bereits grundsätzlich unterschiedliche Zielrichtungen innehaben. Zum anderen steht es dem Gesetzgeber im Bereich der Gefahrenabwehr zu, unabhängig von der vom Antragsteller zitierten Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG eine spezielle Regelung zu schaffen, um den unbestimmten Begriff der Zuverlässigkeit zu konkretisieren. Entsprechend den allgemeinen Regeln des Rechts der Gefahrenabwehr können umso strengere Anforderungen an die Zuverlässigkeit gestellt werden, je schutzwürdiger die Rechtsgüter sind, die gefährdet werden können, und je höher der mögliche Schaden ist. Wenn, wie bei Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, hochrangige Güter wie das Leben und die Gesundheit zahlreicher Menschen gefährdet werden, kann bereits die geringe Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Schadens ausreichen (so bereits BVerwG, U.v. 15.7.2004 – 3 C 33.03 – BVerwGE 121, 257, 263 zur früheren, durch § 7 LuftSiG ersetzten Regelung des § 29d LuftVG). Daher ist im Rahmen der Prüfung nach § 7 Abs. 1 LuftSiG ein strenger Maßstab anzulegen und die Zuverlässigkeit schon bei relativ geringen Zweifeln zu verneinen (BayVGH, B.v.14.7.2015 – 8 ZB 13.1666 – juris Rn. 8; B.v. 12.7.2005 – 20 CS 05.1674 – juris Rn. 8 m.w.N.; B.v. 10.8.2010 – 8 CS 10.1566 – juris Rn. 18 m.w.N.)
Soweit der Antragsteller geltend macht, dass die abgeurteilte Tat angesichts der ansonsten nachweislich einwandfreien und vorbildlichen Lebensführung des Antragstellers keine Grundlage schaffe für den Eingriff in das Grundrecht auf Beibehaltung des seit 16 Jahren vorbildlich ausgeübten Berufs, ist auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu verweisen, wonach das Gesetz einen „Bonus“ für bereits in der Vergangenheit überprüfte Personen im Hinblick auf den zugrunde zu legenden Maßstab nicht vorsehe (vgl. Bl. 15 des VG-Beschlusses).
Gleiches gilt im Hinblick darauf, dass infolge des Widerrufs der Zuverlässigkeitsfeststellung die berufliche Existenz des Antragstellers gefährdet bzw. beeinträchtigt ist. Die möglichen Folgen des Widerrufs einer Zuverlässigkeitsfeststellung sind in Bezug auf die Zuverlässigkeit des Betroffenen ohne Aussagekraft. Um die bestehenden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers auszuräumen, genügt es nicht allein, dass er ansonsten strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten sein mag (OVG NRW, B.1.3.2018 a.a.O. Rn. 30).
Die übrigen Rechtsentscheidungen der Behörde greift der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht mehr an (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Ziffer 26.5 i.V.m. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).