Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Lebensmittelmarkt

Aktenzeichen  15 ZB 17.1171

Datum:
13.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133254
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 6

 

Leitsatz

Eine Baugebietsfestsetzung kann im Einzelfall den Zweck verfolgen, Eigentümern von Grundstücken, die außerhalb des Plangebiets liegen, einen Anspruch auf Gebietserhaltung zu geben (baugebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.1268 2017-05-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger (Wohnungseigentümergemeinschaft) wenden sich gegen eine der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung (Bescheid vom 10.8.2016 über „Neubau eines EDEKA-Lebensmittel- und Getränkemarktes mit Außenanlagen und fünf Wohnungen“).
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die auf Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids gerichtete Klage mit Urteil vom 4. Mai 2017 abgewiesen. Die Baugenehmigung verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 verstoße insbesondere nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung machen die Kläger im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Rechtssache weise außerdem besondere rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht habe die Möglichkeit eines „baugebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruchs verkannt“. Die im (durch Bebauungsplan festgesetzten) Allgemeinen Wohngebiet ansässigen Kläger hätten „begründetes Vertrauen“ darin, dass im unmittelbar angrenzenden (durch denselben Bebauungsplan festgesetzten) Mischgebiet, in welchem sich das streitgegenständliche Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 befindet, allenfalls „unwesentlich störende Einzelhandelsbetriebe“ zulässig seien. Ein besonderes „Spannungsverhältnis“ der unmittelbar angrenzenden Baugebiete zueinander, welches den besonderen Schutz der Bewohner des Allgemeinen Wohngebietes gebiete, ergebe sich ferner daraus, dass das Mischgebiet zu einem Gewerbegebiet umzukippen drohe. Im Übrigen sei der dem Bauvorhaben zu Grunde liegende Bebauungsplan wegen der „Verdichtung“ der umliegenden Wohnungsbebauung offensichtlich unwirksam. Das Bauvorhaben verstoße schließlich unter Berücksichtigung des Straßenverkehrs wegen der zu erwartenden Lärmimmissionen, der „Andienung und Belieferung des künftigen Lebensmittelmarktes“ sowie der Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffoxide gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Kläger vom 10. Juli 2017 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Kläger werden durch die Genehmigung des Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1 nicht in ihren Rechten verletzt. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Lediglich ergänzend ist zu bemerken:
a) Der Einwand der Kläger, das Verwaltungsgericht habe die Möglichkeit eines „baugebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruchs verkannt“, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat in seiner angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass den Klägern kein Abwehranspruch gegen das Bauvorhaben in Form eines Gebietserhaltungsanspruchs zusteht. Es hat sich dabei auch mit der Möglichkeit befasst, dass eine Baugebietsfestsetzung im Einzelfall den Zweck verfolgen kann, Eigentümern von Grundstücken, die außerhalb des Plangebiets liegen, einen Anspruch auf Gebietserhaltung zu geben (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 2.5.2016 – 9 ZB 13.2048 u.a. – juris Rn. 14 m.w.N.). Es hat im vorliegenden Fall jedoch – unter Heranziehung der amtlichen Begründung des Bebauungsplans und der sonstigen Unterlagen der Planaufstellungs- und Planänderungsverfahren sowie auch unter Berücksichtigung des von den Klägern geltend gemachten Umstands, dass auf dem klägerischen Wohngrundstück ursprünglich ein „Sondergebiet“ für den Bau einer Kirche festgesetzt war – hierfür keinerlei Anhaltspunkte gesehen (vgl. Rn. 28 des Urteils) und es deshalb nicht für entscheidungserheblich gehalten, ob mit dem streitgegenständlichen Bauvorhaben das in einem Mischgebiet gebotene Mischungsverhältnis von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung eingehalten wird oder das Mischgebiet zu einem Gewerbegebiet „kippt“. Die Kläger haben im Zulassungsverfahren diese Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
b) Das Verwaltungsgericht hat außerdem entschieden, dass es für die gerichtliche Entscheidung unerheblich ist, ob der dem Bauvorhaben zu Grunde liegende Bebauungsplan wirksam ist oder nicht, weil sich die Umgebungsbebauung, die durch Wohnnutzung und gewerbliche Nutzung geprägt ist, tatsächlich als Mischgebiet darstellt (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO) und das danach planungsrechtlich allgemein zulässige Bauvorhaben die Kläger in ihren Rechten nicht beeinträchtigt. Die Kläger haben die genannten Bewertungen und zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ebenfalls nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
c) Das Verwaltungsgericht geht ferner zu Recht davon aus, dass das Bauvorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Die hiergegen erhobenen Einwände der Kläger sind unbegründet.
Die in der Baugenehmigung enthaltenen immissionsschutzrechtlichen Auflagen sichern den aus fachlicher Sicht gebotenen Schutz der Kläger vor unzumutbaren Lärm (im Allgemeinen Wohngebiet). Zweifel, dass die danach geltenden Lärmwerte eingehalten werden können, bestehen nicht und sind von den Klägern im Zulassungsverfahren auch nicht substantiiert vorgetragen worden. Dies gilt auch für die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die „zu erwartenden Immissionen aufgrund des Anlieferverkehrs mit Lkw“ bei der schalltechnischen Verträglichkeitsuntersuchung des Bauvorhabens zutreffend berücksichtigt worden sind und auch „aus der geplanten Form der Belieferung und Andienung des künftigen Lebensmittelmarktes“ keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme folgt.
Die ebenso nicht näher substantiierten Annahmen der Kläger, aus einer von ihnen vorgelegten Verkehrsuntersuchung ergebe sich eine „deutliche Überschreitung der einschlägigen Beurteilungspegel“ und das Verwaltungsgericht habe eine Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffoxide „eingeräumt“, finden im Übrigen weder in der von den Klägern vorgelegten Verkehrsuntersuchung noch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eine Stütze.
2. Die Rechtssache weist nach alledem keine der von den Klägern geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Kläger tragen billigerweise die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, weil diese das gerichtliche Verfahren gefördert hat. Die Beigeladene zu 2, die sich im Zulassungsverfahren nicht beteiligt hat, trägt hingegen ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren. Die von der Beigeladenen zu 1 im Zulassungsverfahren angeregte Erhöhung des Streitwerts ist vorliegend nicht geboten.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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