Aktenzeichen M 26 K 17.3045
GG GG Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2
RBStV RBStV § 4 Abs. 6 S. 1
RGebStV RGebStV § 6 Abs. 3
RStV RStV § 11
RDGEG RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
1. Anknüpfungspunkt für eine Härtefallbefreiung von der Rundfunkbeitragspflicht ist eine atypische, vom Normgeber versehentlich nicht berücksichtigte Situation. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 4 Abs. 6 S. 1 RBStV ist nicht auf soziale Härtefälle beschränkt, sodass die Vorschrift auch solche Wohnungsinhaber begünstigen kann, denen die Beitragsentrichtung deshalb unzumutbar ist, weil ihnen der Rundfunkempfang in ihrer Wohnung objektiv unmöglich ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine atypische, vom Normgeber nicht berücksichtigte Sondersituation kann nicht darin gesehen werden, dass ein Rundfunkteilnehmer einzelne Programminhalte ablehnt, sodass eine unter Berufung auf Gewissensgründe erklärte Ablehnung einzelner Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms keinen Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls iSv von § 4 Abs. 6 S. 1 RBStV zu rechtfertigen vermag. (Rn. 15 und 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Schutzbereich des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 GG) oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 GG) werden durch die Zahlung des Rundfunkbeitrags nicht berührt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte über den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Darauf war sein Bevollmächtigter in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, auf ihren Antrag vom … Oktober 2016 hin von der Rundfunkbeitragspflicht befreit zu werden (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2017 ist daher nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klägerin ist gemäß § 2 Abs. 1 des am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV) grundsätzlich verpflichtet, als Inhaberin einer Wohnung einen Rundfunkbeitrag zu entrichten. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht liegen nicht vor.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin, aufgrund ihres Antrags vom … Oktober 2016 von der Rundfunkbeitragspflicht befreit zu werden, kann nur § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV sein, da eine Beitragsbefreiung aufgrund des Bezugs einer sozialen Leistung im Sinne der in § 4 Abs. 1 RBStV geregelten Fallgruppen nicht in Betracht kommt. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Abs. 1 in besonderen Härtefällen von der Beitragspflicht zu befreien.
Anknüpfungspunkt für eine Härtefallbefreiung ist eine atypische, vom Normgeber versehentlich nicht berücksichtigte Situation, denn es handelt sich nicht um eine allgemeine Härte-Auffangklausel (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2011, NVwZ-RR 2012, 29, zur entsprechenden Regelung im früheren Rundfunkgebührenrecht, § 6 Abs. 3 RGebStV). Eine Sondersituation ist zunächst – anders als in der Vorgängerregelung – in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV ausdrücklich normiert. Danach liegt ein Härtefall „insbesondere“ vor, wenn – hier nicht einschlägig – eine Sozialleistung nach Abs. 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten.
Allerdings ist § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV nach seinem Wortlaut nicht auf derartige soziale Härtefälle beschränkt, sodass die Vorschrift etwa auch solche Wohnungsinhaber begünstigen kann, denen die Beitragsentrichtung deshalb unzumutbar ist, weil ihnen der Rundfunkempfang in ihrer Wohnung objektiv unmöglich ist. So sollen absolute körperliche Rezeptionshindernisse beim Wohnungsinhaber (z.B. aufgrund schwerer Demenzerkrankung) oder besondere örtliche Gegebenheiten (Funkloch) qualifizierte Gründe für eine Beitragsbefreiung darstellen können (vgl. VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 – 6 K 43/15 – juris Rn. 92 f, m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem im Fall eines strenggläubigen Christen, der geltend machte, jede Form der elektronischen Medien abzulehnen und aus religiösen Gründen in bescheidenen Verhältnissen ohne Fernseher, Radio, Telefon, Handy, Internetanschluss oder Auto zu leben, die Zuerkennung einer Härtesituation unter Hinweis auf die Befreiungsfälle wegen objektiver Unmöglichkeit des Rundfunkempfangs nicht von vorneherein als ausgeschlossen angesehen (BVerfG, B.v. 12.12.2012, NVwZ 2013, 423).
Ein derartiger Fall, der zur Unzumutbarkeit der Beitragserhebung führen würde, ist vorliegend nicht gegeben.
a) Eine atypische, vom Normgeber nicht berücksichtigte Sondersituation kann zunächst nicht darin gesehen werden, dass ein Rundfunkteilnehmer einzelne Programminhalte ablehnt. Einer Entscheidung, ob die Kritik der Klägerin an der Berichterstattung über Kriege im öffentlich-rechtlichen Rundfunk berechtigt ist, bedarf es nicht. Die Rechtfertigung der Rundfunkfinanzierung wäre nämlich nur dann in Frage gestellt, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht nur im Einzelfall, sondern generell den öffentlich-rechtlichen Auftrag (§ 11 RStV) verfehlen würden und ein strukturelles Versagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegeben wäre (vgl. VG Hamburg, U.v. 21.10.2010 – 3 K 2796/09 – juris). Das ist für das Gericht jedoch weiterhin nicht erkennbar (vgl. hierzu auch VG Potsdam, U.v. 18.12.2013 – 11 K 2724/13; VG Bayreuth, U.v. 20.6.2011 – B 3 K 10.766 – jeweils juris). Zwar mag in den von der Klägerin benannten Beispielen an Sendungen eine Darstellung erfolgt sein, die den an eine objektive und neutrale Berichterstattung zu stellenden Anforderungen nicht entsprochen haben und die im Einzelfall möglicherweise sogar Fehler enthalten haben mag, die später nicht in einer den Ansprüchen der Klägerin genügenden Art und Weise korrigiert wurden. Ein strukturelles Versagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aufgrund dessen er seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag generell verfehlen würde, lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Es ist im Übrigen zunächst Aufgabe der hierzu berufenen Gremien, insbesondere der Rundfunkräte, über die Erfüllung der gesetzlich bestimmten Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu wachen und erforderlichenfalls Einfluss zu nehmen. Sollten die hierzu berufenen Gremien ihren Kontrollpflichten nicht oder nur ungenügend nachkommen, stehen entsprechende rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, insbesondere steht der Weg zu den Verfassungsgerichten offen (s. z.B. BVerfG, U.v. 25.3.2014 – 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 – juris).
b) Auch verstößt die Beitragserhebung nicht gegen Grundrechte der Klägerin.
(1) Eine Verletzung der grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
Eine Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts eine ernste, sittliche, d.h. an den Kriterien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – juris; U.v. 13.4.1978 – 2 BvF 1/77, 2/77, 4/77, 5/77 – juris; VG des Saarlandes, U.v. 23.12.2015 – 6 K 43/15 – juris, Rn. 62).
Selbst wenn es Sendungen geben sollte, die mit dem Gewissen der Klägerin nicht in Einklang stehen, steht dies der Beitragspflicht nicht entgegen. Die Programmentscheidung liegt nicht im Verantwortungsbereich der Klägerin. Die Gewissensfreiheit reicht aber nur soweit wie der eigene Verantwortungsbereich (VG des Saarlandes, a. a. O., Rn. 63 m. w. N.). Denn die Zahlung einer Abgabe wie des Rundfunkbeitrags als solche ist nicht mit der Äußerung eines weltanschaulichen Bekenntnisses verbunden. Der Rundfunkbeitrag dient allgemein der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wobei dieser aufgrund der Programmfreiheit über die Programmgestaltung und damit über die Beitragsverwendung eigenverantwortlich entscheidet. Ähnlich wie bei der Steuer steht auch hier nicht fest, für welche Programme und Programminhalte der Beitrag des jeweiligen Schuldners verwendet wird. Der Beitragsschuldner, der sich auf seine Gewissensfreiheit beruft, muss und kann nicht davon ausgehen, dass sein konkreter Beitrag für Sendungen verwendet wird, deren Inhalt er aus Gewissensgründen ablehnt (OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 16.11.2015 – 7 A 10455/15- juris). Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG sowie des Art. 9 EMRK wird durch die Beitragserhebung als solche daher nicht tangiert (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2017 – OVG 11 N 91.15 – juris Rn. 127; VG des Saarlandes, a. a. O., Rn. 70 m. w. N.).
Vor diesem Hintergrund vermag eine unter Berufung auf Gewissensgründe erklärte Ablehnung einzelner Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms keinen Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zu rechtfertigen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, U.v. 1.3.2017 – 4 A 145/16 – juris Rn. 47; VG des Saarlandes, a. a. O., Rn. 72). Daher können die von der Klägerin ausführlich vorgetragenen Gründe dafür, weshalb sie die Beteiligung an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unzumutbar erachtet, im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden. Angesichts der vorhandenen Programmvielfalt der öffentlich-rechtlichen Sender wird die Klägerin auch nicht in Abrede stellen können, dass es auch eine Fülle von Sendungen geben wird, die durchaus mit ihren Wertmaßstäben in Einklang zu bringen sind. Auf der Grundlage der bestehenden verfassungsrechtlichen Beurteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es jedenfalls ausgeschlossen, die Vereinbarkeit der Programminhalte mit den Wertvorstellungen der einzelnen Beitragspflichtigen zum Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit der Beitragszahlung zu machen, sodass auch für eine Gewissensprüfung durch die Rundfunkanstalten bzw. die Gerichte kein Raum ist. Da der Rundfunkbeitrag nach dem Gebot der Belastungsgleichheit zu vollziehen ist und es sich hierbei um ein Massenverfahren handelt, können objektiv nicht nachprüfbare Kriterien wie weltanschauliche Gründe allein grundsätzlich eine Beitragsbefreiung nicht rechtfertigen.
(2) Ebenso wenig kann in der Zahlung des Rundfunkbeitrags ein Verstoß gegen das Elternrecht oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu sehen sein. Der Schutzbereich dieser Grundrechte wird hierdurch nicht berührt. Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG umfasst grundsätzlich das Recht, darüber zu bestimmen, was dem Wohl des Kindes dient und was Inhalt der Erziehung des Kindes ist. Zum einen ist – wie bereits ausgeführt – die Entrichtung des Rundfunkbeitrags jedoch schon nicht mit einem inhaltlichen Bekenntnis zur Unterstützung der Programminhalte verbunden. Zum anderen nimmt die Beitragspflicht den Eltern nicht das Recht zu bestimmen, welche Inhalte des Rundfunkprogramms die Kinder konsumieren und welche nicht, da die Beitragszahlung nur das Recht, aber keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Leistung vermittelt. Schließlich vermitteln die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 124 und Art. 125 BV nicht das Recht, Kinder außerhalb der Erziehung vor jeglichen Einflüssen und Geschehnissen zu bewahren, die die Eltern für sie als negativ erachten.
2. Da nach alledem kein Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht besteht, fehlt es der Klägerin für eine isolierte Aufhebung des ablehnenden Bescheids schon am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen ist der Bescheid in formeller Hinsicht rechtlich aber auch nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der Beklagte als die den Bescheid erlassende Stelle ohne weiteres erkennbar.
Hinsichtlich des ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice (Beitragsservice) ist anzumerken, dass die Erledigung von Verwaltungsaufgaben für den Beklagten, wozu auch die Erstellung von Bescheiden gehört, ihre Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 7 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – i.V.m. § 2 der Satzung über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge findet. Auf der Grundlage dieser Vorschriften haben die Landesrundfunkanstalten eine nicht rechtsfähige öffentlich-rechtliche Verwaltungsgemeinschaft gebildet, die in ihrem Namen und ihrem Auftrag den Einzug von Rundfunkbeiträgen vornimmt und auch den Rundfunkbeitrag betreffende Bescheide sowie Widerspruchsbescheide erstellt, die jedoch rechtlich ausdrücklich der jeweiligen Landesrundfunkanstalt zugeordnet und zugerechnet werden. Dieses organisatorische Vorgehen der Landesrundfunkanstalten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Nennung der Rechtsform des Beklagten (oder des für diesen handelnden „Beitragsservice“) ist rechtlich nicht erforderlich.
Schließlich leidet der Bescheid nicht deshalb an einem (formellen) Mangel, weil er nicht unterschrieben ist. Vielmehr enthält er gemäß Art. 37 Abs. 5 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG – analog zulässigerweise den Hinweis, dass er maschinell erstellt worden ist und deshalb keine Unterschrift trägt. In Anbetracht der Tatsache, dass es gerade in Massenverfahren wie demjenigen der Rundfunkbeiträge und schon vormals der Rundfunkgebühren ohne enormen Verwaltungsaufwand kaum noch möglich wäre, jeden einzelnen Bescheid durch einen Sachbearbeiter unterschreiben zu lassen, gebietet es der Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung, die bestehenden technischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Verwaltungsaufwand und die Kosten möglichst gering zu halten.
Der Bescheid enthält schließlich auch die gemäß Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Begründung. Der Einwand der Klägerin, die Begründung sei nicht genügend einzelfallbezogen erfolgt, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids. Im Übrigen hat der Bevollmächtigte des beklagten in der Klageerwiderung die Ablehnung des Anspruchs auf Befreiung ausführlich und auf den konkreten Einzelfall bezogen begründet (vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG).
3. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.