Verwaltungsrecht

Erlöschen bereits gestatteter privater Wohnsitznahme

Aktenzeichen  M 24 S 16.2171

Datum:
28.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl DVAsyl § 8
AsylG AsylG § 47a Abs. 1a

 

Leitsatz

Eine asylrechtliche Regelung, die zum automatischen Erlöschen bereits gestatteter privater Wohnsitznahme führt, existiert nicht, sodass es einer behördlichen Entscheidung bedarf, die die Erwägungsgründe, weshalb die Gestattung der Wohnsitznahme widerrufen wird, erkennen lässt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und Asylbewerber.
Mit Bescheid vom … September 2015 wies ihn die Regierung von Oberbayern ab sofort dem Landkreis … zu und gestattete ihm unter Widerrufsvorbehalt die Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme) im Zuständigkeitsbereich des Landkreises …
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom … April 2016 wies die Regierung von Oberbayern dem Antragsteller als künftigen Wohnsitz die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung I Bayern (…) in … zu, in die er spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheides einzuziehen hätten. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl daran, den Antragsteller von der Anschlussunterbringung in die zuständige Aufnahmeeinrichtung umzuverteilen und dadurch der Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a AsylG Geltung zu verschaffen. Darauf, dass dem Antragsteller mit Bescheid vom … September 2015 die private Wohnsitznahme gestattet worden war, wurde im streitgegenständlichen Bescheid nicht näher eingegangen.
Am … Mai 2016 erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … April 2016. Über die unter dem Aktenzeichen … bei Gericht anhängige Klage wurde noch nicht entschieden. Zugleich beantragte der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsteller sei kosovarischer Staatsangehöriger und befinde sich seit 2012 im Bundesgebiet. Seinen am … Dezember 2012 gestellten Asylantrag habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom … Februar 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Mit Beschluss vom … April 2016 habe das Verwaltungsgericht … die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsstellers gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid vom … Februar 2016 angeordnet (M 16 S7 16.30786), da der Antragsteller ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch eine fachärztliche Stellungnahme vom … April 2016 jedenfalls im Eilverfahren glaubhaft gemacht habe. Dem Antragsteller sei mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 3. September 2015 die private Wohnsitznahme gestattet worden. Schon aufgrund der vorangegangenen Genehmigung der privaten Wohnsitznahme sei der Bescheid rechtswidrig. Der Antragsteller werde aber noch von der Klinik, in der er sich nach wie vor in stationärer Behandlung befinde, zu der Fragestellung, ob die Umzugsaufforderung eine Gesundheitsgefährdung für ihn bedeute, eine Stellungnahme anfordern und nachreichen.
Der Klage- und Antragsschrift beigefügt waren die Bescheide des Antragsgegners vom … September 2015 und … April 2016, der Beschluss des VG München vom … April 2016 (…) und eine fachärztliche Stellungnahme der … vom … April 2016.
Mit Schreiben vom … Mai 2016 wurde eine fachärztliche Stellungnahme der … vom … Mai 2016 nachgereicht, wonach sich der Antragsteller seit … März 2016 dort in intensiver stationärer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung mit den Behandlungsdiagnosen Posttraumatische Belastungsstörung und rezidivierende depressive Störung, ggw. schwere depressive Episode befinde. Die stationäre Behandlung bedürfe noch einige Wochen; daran anschließend werde er eine weitere ambulante Nachbehandlung brauchen, um eventuelle wiederholte Klinikaufenthalte zu vermeiden und die psychische Stabilität zu erhalten. Aufgrund der Anbindung an die Klinik wäre die ambulante Therapie in der Klinikambulanz ideal. Der Antragsteller müsste nahe an … leben, um seine wöchentlichen Termine regelmäßig wahrzunehmen. Ein Umzug nach … würde bedeuten, dass er diese Möglichkeit nicht mehr habe. Fachärztlich werde ebenso ein Einzug in eine Gemeinschaftsunterkunft als ausdrücklich kontraindiziert angesehen. Der Antragsteller sei aufgrund seiner schweren Traumatisierung nicht in der Lage, den Wohnplatz mit anderen Menschen zu teilen. Gemeinsam mit anderen zu wohnen würde bedeuten, wieder nicht schlafen zu können und sich jede Nacht den schlimmsten Ängsten ausgesetzt zu sehen.
Mit Schreiben vom … Juni 2016 sicherte der Antragsgegner zu, die Zuweisungsentscheidung bis zur Entscheidung des Gerichts über die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht zu vollstrecken.
Mit Beschluss vom … Juni 2016 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache (…) auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten … und … Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag hat in der Sache Erfolg.
1. Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG) sofort vollziehbare Zuweisungsentscheidung im Bescheid vom 25. April 2016.
2. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über diesen Antrag als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 45 VwGO; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B. v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Der Antragsteller hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG -) seinen Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (…) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen. Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … April 2016 erhobenen Klage ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag nicht dadurch entfallen, dass der Antragsgegner zugesichert hat, bis zur Entscheidung über die Asylklage, die bei einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts … anhängig ist und auf deren Entscheidungszeitpunkt die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens keinen Einfluss haben, die Zuweisungsentscheidung nicht zu vollstrecken. Das Ziel des Antragsstellers, die sofortige Vollziehung des Bescheides vom … April 2016 bis zur Entscheidung über die gegen diesen Bescheid erhobene Klage auszusetzen, wird mit der vom Antragsgegner ausgesprochenen Zusicherung nicht erreicht.
Der Antrag ist auch begründet.
3.1. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht abzuwägen zwischen dem gesetzlich bestimmten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
3.2. Nach summarischer Prüfung ist vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid wegen eines Ermessensfehlers als rechtswidrig erweisen und die in der Hauptsache erhobene Klage des Antragstellers deshalb voraussichtlich erfolgreich sein wird, so dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das staatliche Vollzugsinteresse überwiegt.
3.2.1. Der Antragsgegner hat seine Umverteilungsentscheidung u. a. auf § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen. Dass öffentliche Interesse i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i. V. m. § 8 Abs. 5 DVAsyl i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) kann sich dabei aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG ergeben. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i. S. v. § 29a AsylG i. V. m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 27a AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt; insbesondere dürfen sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i. S. v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 8 Abs. 6 DVAsyl der Umverteilungsentscheidung nicht entgegenstehen.
3.2.2. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die vorgenannten Voraussetzungen für die getroffene Umverteilungsentscheidung gegeben sind. Denn der streitgegenständliche Bescheid erweist sich jedenfalls als ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO), weil er sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass dem Antragssteller bereits mit Bescheid vom 3. September 2015 unter Widerrufsvorbehalt die Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme) im Zuständigkeitsbereich des Landkreises … nach Art. 4 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AufnG gestattet worden war. Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf zwar gemäß § 8 Abs. 4 i. V. m. § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl i. V. m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG keiner expliziten Begründung. Bei der Gestattung der privaten Wohnsitznahme handelt es sich jedoch um einen begünstigen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung sich nach den Art. 48, 49 i. V. m. Art. 39 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), vorliegend Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG, richtet. Da weder das Asylgesetz, noch die DVAsyl oder das Aufnahmegesetz eine Regelung enthält, dass bei einer landesinternen Umverteilungsentscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG die bereits gestattete private Wohnsitznahme automatisch erlischt, bedarf es hierfür einer behördlichen Entscheidung, die die Erwägungsgründe, weshalb die Gestattung der privaten Wohnsitznahme widerrufen wird, erkennen lässt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, da im streitgegenständlichen Bescheid die Gestattung der privaten Wohnsitznahme weder im Tenor, noch in den Gründen I. oder II. überhaupt erwähnt worden ist.
Im Übrigen dürfte, soweit der Widerruf der Gestattung der privaten Wohnsitznahme zusammen mit der landesinternen Umverteilungsentscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl i. V. m. § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG getroffen wird, dem Umzuverteilenden eine längere Umzugsfrist als eine Woche einzuräumen sein, da ein Umzug aus einer Privatwohnung aufwändiger und mit entsprechenden Kündigungsfristen verbunden sein dürfte.
3.2.3. Im Ergebnis erweist sich der streitgegenständliche Bescheid deshalb nach summarischer Prüfung im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung als rechtswidrig, so dass die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben wird, weshalb die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben