Strafrecht

Ausweisung eines straffälligen Serben (Verurteilung wegen versuchten Mordes)

Aktenzeichen  M 4 K 14.2573

Datum:
26.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11, § 25 Abs. 5, § 53, § 54, § 55, § 56 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

Eine nach der bis zum 31.12.2015 geltenden Rechtslage verfügte Ausweisung eines Ausländers wird nach dem Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n.F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (wie VGH München BeckRS 2016, 44268).  (red. LS Clemens Kurzidem)
Liegt ein nach § 54 AufenthG besonders schweres oder schwer wiegendes Ausweisungsinteresse vor, dem kein gleichwertiges Bleibeinteresse im Sinne von § 55 AufenthG gegenübersteht, führt dies nicht automatisch zur Ausweisung des Betroffenen. Die Ausweisungsentscheidung setzt vielmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, bei der nach der letzten Änderung von § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere auch zu berücksichtigen ist, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat (wie VGH München BeckRS 2016, 46954).   (red. LS Clemens Kurzidem)
Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung auf der Grundlage von § 53 AufenthG a.F. lässt sich uneingeschränkt auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach den §§ 53 ff. AufenthG in der seit 01.01.2016 geltenden Fassung übertragen. (red. LS Clemens Kurzidem)
§ 53 Abs. 2 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11.03.2016 (BGBl I. S. 394) gebietet im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auch die Berücksichtigung der Rechtstreues des Ausländers. Es kann sich dabei zugunsten des betroffenen Ausländers auswirken, wenn er sich bisher rechtstreu verhalten hat; zu seinen Lasten kann sich hingegen nicht rechtstreues Verhalten, dh zB straf- oder ordnungsrechtlich relevantes Verhalten, auswirken (BT-Drs. 18/7537, S. 7). (red. LS Clemens Kurzidem)
Bei der Ermessensentscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 3 S. 1 AufenthG ist zunächst das Gewicht des Ausweisungsrunds und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen, danach aufgrund einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall das öffentliche Gefahrenabwehrinteresse an der Ausweisung zu ermitteln und schließlich die Sperrfrist am Maßstab höherrangigen Rechts, insbesondere Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu überprüfen. Veränderungen bei den maßgeblichen Kriterien kann nach einem Antrag nach § 11 Abs. 4 S. 1 AufenthG durch einer Verkürzung der Sperrfrist Rechnung getragen werden. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2014 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn.12) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Das Gericht hat die behördliche Entscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26. April 2016 anhand der gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung zu überprüfen. Die bereits am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Regelungen zur Ausweisung (Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl I. S. 1386) differenzieren nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangen für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar. Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (BayVGH, B. v. 24.2.2016 -10 ZB 15.2080 – juris Rn. 8).
2. Das Gericht kommt bei der Prüfung der Ausweisungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer Ausreise unter Abwägung der in§ 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
a) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u. a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist.
Dieser Tatbestand ist im Fall des Klägers durch das Urteil des Landgerichts … vom … März 2013, in dem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt wurde, erfüllt. Die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe beläuft sich auf das 5 1/2fache des vom Gesetzgeber für ein besonders schweres Ausweisungsinteresse vorgesehene Mindestmaß.
b) Dem besonders schweren Ausweisungsinteresse stehen keine erkennbaren schwer oder besonders schwer wiegenden Bleibeinteressen des Klägers im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG gegenüber. Die Tatbestände des § 55 Abs. 1 AufenthG, die dem Kläger ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse vermitteln könnten, liegen ersichtlich nicht vor, insbesondere besitzt der Kläger seit dem Auslaufen der letzten ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis seit dem 27. April 2012 keine Aufenthaltserlaubnis. Auch die im Katalog des § 55 Abs. 2 AufenthG (schwerwiegende Gründe für ein Bleibeinteresse) sind nicht erfüllt.
c) Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem nicht auch ein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenübersteht, führt indessen noch nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch mehr oder weniger Gewicht entfalten, so dass ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nicht zwangsläufig zur Ausweisung des Ausländers führen muss (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 53 Rn. 52; BT-Drs. 18/4097, S. 50). Erst anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls lässt sich feststellen, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern durch das Einfügen der Wörter „sowie die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat“ in § 53 Abs. 2 AufenthG klargestellt, dass sich rechtstreues Verhalten zugunsten und nicht rechtstreues Verhalten zulasten des Ausländers in der Abwägung auswirken kann (BT-Drs. 18/7537 S. 5; hierzu BayVGH B. v. 21.03.2016 – 10 ZB 15.1968 Rn.13, soweit ersichtlich noch nicht veröffentlicht).
Im Fall des Klägers überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das öffentliche Interesse an der Ausreise sein Bleibeinteresse deutlich.
Das Gericht bezieht sich hierbei zunächst auf die von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid angestellten Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit der Ausweisung (§ 117 Abs. 5 VwGO), die noch unter der Geltung der bis 31. Dezember 2015 bestehenden Normen zum Ausweisungsrecht ergangen sind, die im Falle des Klägers die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG a. F. vorgesehen haben. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung ist uneingeschränkt auf die nach nunmehr geltendem Recht (s.o.) anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung übertragbar. Darüber hinaus lässt sich weder den von der Klägerseite vorgelegten Schriftsätzen zur Klagebegründung noch aus der klägerischen Argumentation in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entnehmen, dass eine Ausweisung des Klägers unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein sollte.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger bereits im Alter von drei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland gekommen ist, mithin seit etwa 26 Jahren seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet hat. Das Gericht unterstellt auch zugunsten des Klägers, dass er allenfalls über rudimentäre mündliche Kenntnisse des Serbischen verfügt. Auch hält es dem Kläger zugute, dass der Großteil seiner Familie ihren Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet hat und ihm sein in Belgrad lebender Bruder tatsächlich keine Stütze sein könnte. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien weitestgehend auf sich selbst gestellt sein wird, sofern er nicht von seiner in Deutschland lebenden Großfamilie finanziell unterstützt werden sollte. Auch konnte sich das Gericht von dem guten Kontakt überzeugen, den der Kläger insbesondere zu seinen drei in Deutschland lebenden Schwestern und zu seiner Mutter pflegt. All diese Faktoren führen jedoch vor dem Hintergrund der Schwere der abgeurteilten Tat und der hierdurch zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit des Täters nicht dazu, die Ausweisungsverfügung der Beklagten als unverhältnismäßig und damit als rechtswidrig anzusehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U. v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18). Der Rang des bedrohten Rechtsguts kann nicht außer Acht gelassen werden, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit einer Wiederholungsgefahr genügt. An die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, U. v. 10.7.2012, a. a. O.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit für eine erneute Verletzung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit und eine Begehung entsprechend schwerer Straftaten durch den Kläger vorliegt. Auf die diesbezüglichen Aussagen im streitgegenständlichen Bescheid sowie im Urteil des Landgerichts … vom … März 2013 wird insoweit verwiesen.
Weiterhin ist zu sehen, dass die letztgenannte strafrechtliche Verurteilung in ihrer Schwere zwar herausragend ist, sich jedoch keineswegs als die erste strafrechtliche Ahndung des Klägers erweist (s.o.). Auch ist der Kläger nicht als Erstverbüßer anzusehen, da er bereits zweimal, vom … Juli 2010 bis zum … August 2010 sowie nochmals vom … Juni 2011 bis zum … August 2011 jeweils für mehrere Wochen, zuletzt etwa ein Vierteljahr vor der zuletzt abgeurteilten Tat, als Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen Hafterfahrung gesammelt hat.
Nach der aktuellen Fassung des § 53 Abs. 2 AufenthG durch das „Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern“ vom 11. März 2016 (BGBl I. S. 394) ist auch die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Es kann sich also in der Abwägung zugunsten des Klägers auswirken, wenn der Ausländer sich bisher rechtstreu verhalten hat; zu seinen Lasten kann sich hingegen nicht rechtstreues Verhalten, d. h. z. B. straf- oder ordnungsrechtlich relevantes Verhalten, auswirken (BT-Drs. 18/7537, S. 7).
Allein in den 15 Monaten vor Begehen der zur Ausweisung führenden Tat musste der Kläger vier Mal strafrechtlich belangt werden, zuletzt erst ca. 5 Wochen vor Begehung der Tat. Die verwirklichten Delikte sind zwar nicht einschlägig (Verurteilung wegen gemeinschaftlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, Erschleichens von Leistungen sowie wegen Beleidigung), belegen in ihrer Häufung jedoch die massiven Probleme, die der Kläger offensichtlich mit der Einhaltung der Rechtsordnung hat, dies umso mehr, als er bereits im Sommer 2010 eine mehrwöchige Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen musste. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, erneut in unterschiedlichster Weise straffällig zu werden. Nicht nur in sozialer, auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Integration des Klägers gescheitert. Einen Beruf hat der Kläger nicht erlernt, einen Schulabschluss erst im Strafvollzug in jüngster Vergangenheit mit mäßigem Erfolg abgelegt. Schließlich ist zu sehen, dass auch der enge familiäre Zusammenhalt insbesondere mit seinen Schwestern und seiner Mutter den Kläger nicht von seinem Weg hat abbringen können. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger aufgrund der Gewalttätigkeit des Vaters eine schwierige Kindheit und Jugend gehabt hat und nach der Trennung seiner Eltern der inkonsequente Erziehungsstil seiner Mutter, wie sich dies aus den Akten ergibt, bereits vorhandene schädliche Neigungen sich verfestigen ließ. Dieser Umstand lässt die Gefährlichkeit des Klägers jedoch nicht in einem milderen Licht erscheinen, sondern verstärkt vielmehr die Befürchtung, dass der Kläger schon bei geringsten Frustrationserlebnissen oder alltäglichen Widrigkeiten des Lebens, insbesondere unter alkoholbedingter Enthemmung, erneut massiv und gewalttätig straffällig werden könnte.
Schließlich hat der Kläger auch durch seinen persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung das Gericht nicht davon überzeugen können, dass in ihm ein Lern- und Reifeprozess stattgefunden hat. Er zeigt Bagatellisierungstendenzen, indem er seine Tat als Fehler oder Dummheit bezeichnet, ist nicht bereit, die Konsequenzen seiner Tat wirklich anzunehmen und ist sich offensichtlich über die tieferen Ursachen seines Verhaltens immer noch nicht klar geworden. Insgesamt wird aus dem Vorbringen einer schweren Jugend nicht deutlich, inwiefern diese auf das Entfallen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger Einfluss haben sollte. Selbst wenn seine Straffälligkeit in Zusammenhang mit der fehlenden elterlichen Fürsorge stehen sollte, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er die angeführten Erziehungsdefizite in seiner Jugend jetzt im Erwachsenenalter aufarbeitet.
Auch in generalpräventiver Hinsicht ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig, da er nicht zu dem nach § 53 Abs. 3 AufenthG besonders geschützten Personenkreis gehört und sein Bleibeintresse nicht das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt (zur Möglichkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung siehe BT-Drucksache 18/4097, S. 49):
3. Auch die von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Befristung der Wirkung der Ausweisung auf zehn Jahre ab Ausreise ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Über die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist hat die Beklagte gemäß der seit 1. August 2015 verbindlichen Fassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Sie hat dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu tun und darf hierbei fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht; sie soll aber auch in diesen Fällen zehn Jahre nicht überschreiten. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes sowie der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierbei bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U. v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42).
Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zehn Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise als ermessensfehlerfrei. Die Beklagte war bei der Festsetzung der Frist nicht an die Fünfjahresgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gebunden, weil der Kläger strafrechtlich verurteilt worden ist und seine Ausweisung darauf beruhte. Die mit einer Freiheitsstrafe von elf Jahren abgeurteilte Tat war gegen das Leben und die Gesundheit eines anderen Menschen gerichtet, also gegen ein besonders hochrangiges Rechtsgut. Es besteht gegenwärtig weiterhin eine konkrete Wiederholungsgefahr. Zum Schutz der Gesundheit anderer Personen ist derzeit nach wie vor eine lange Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre erforderlich. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Interessen des volljährigen und unverheirateten Klägers, der derzeit noch keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz innehat, war die von der Beklagten festgesetzte Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre erforderlich, angemessen und verhältnismäßig. Die Behörde hat diese Sperre daher ermessensfehlerfrei festgesetzt.
Im Übrigen kann der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG stellen, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Kriterien nachträglich ändern sollten.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 173 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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