Medizinrecht

Tod des Ehemann ist nicht in Folge des Unfallgeschehens entstanden

Aktenzeichen  S 2 U 52/13

Datum:
14.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 8 Absatz 1 S. 1

 

Leitsatz

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Zeugenaussagen ist nicht mit der im Unfallversicherungsrecht erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Tod des verstorbenen Ehemannes der Klägerin in Folge des Unfallgeschehens entstanden ist.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet Der verstorbene Mann der Klägerin hat am 15.10.2012 keinen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII erlitten.
Nach § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, dass diese Verrichtungen zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt hat und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder dem Tod des Versicherten verursacht hat.
Die Verrichtung muss das von außen einwirkende Ereignis und den Gesundheitsschaden objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zur Zeit des Unfalls, Unfallereignis sowie Gesundheitserstschaden im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen.
Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vergleiche BSG vom 2.4.2009, Az.: B 2 U 29/07 und Az.: B 2 U 19/11 R).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar zählte der Mann der Klägerin unstreitig zum versicherten Personenkreis. Er befand sich zur Zeit des Unfalles bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Durch den Sturz hat er auch einen Unfall erlitten. Infolge des Sturzes hat er eine Kopfverletzung erlitten, die aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas und der Hirnblutung letztendlich zum Tod des Mannes der Klägerin führte.
Es fehlt jedoch an der Unfallkausalität, d.h. der Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Hier gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung.
Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der vorgenommenen Verrichtung, hier dem Zureichen von Betonteilen auf der Baustelle, und dem Sturz des Mannes der Klägerin kann einen Kausalzusammenhang im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht begründen. Aus Sicht der Kammer ist die durch den Sturz verursachte Kopfverletzung ist zwar bei, aber nicht infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten und ihr damit nicht zuzurechnen.
Die Zurechnung eines Schadens erforderte zweistufig die Erfüllung tatsächlicher und darauf aufbauend rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung, und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitsschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben. Auf der 1. Stufe setzt die Zurechnung voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Tätigkeit objektiv mitverursacht wurde. Ausgangspunkt der Zurechnung auf dieser Stufe ist die naturwissenschaftliche Theorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweggedacht werden kann ohne dass der Erfolg entfiel (Conditio sine qua non).
In der Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der Conditio-Formel eine erforderliche Bedingung für den Erfolg war, aber auch in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach und Erfahrungswissens über kausal Beziehungen beantwortet werden (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.08.2009, Az.: L 3 U 1027/05 und Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.05.2014, Az.: L 15 U 563/12).
Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der 2. Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der 1. Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Hierbei muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren sollte (vergleiche BSG vom 13.11.2012, Aktenzeichen B2U 19/12 R)
Aus Sicht der Kammer ist es nach der Aktenlage und insbesondere im Hinblick auf die angehörten Zeugen E. und G. nicht festzustellen, dass sich bei dem Ereignis vom 15.10.2012 eine spezifische Verkehrsgefahr realisiert hat. Nach den sowohl bereits im Verwaltungsverfahren vorliegenden Zeugenaussagen und den Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung konnte zur Überzeugung der Kammer nicht überzeugend dargelegt werden, dass tatsächlich widrige Bodenverhältnisse oder ein rutschiger Untergrund an der Baustelle vorlagen und diese für den Sturz des Mannes der Klägerin Auslöser gewesen sein könnten. Die polizeilichen Ermittlungen fanden erst Tage nach dem Unfall statt, die Baustelle war da nicht mehr in dem Zustand wie am Unfalltag, so dass gesicherte Aussagen zur Beschaffenheit der Baustelle am Unfalltag nicht vorliegen. Welche genaue Beschaffenheit vorlag ließ sich auch nicht aus den Zeugenaussagen rekonstruieren, jedenfalls wäre daraus aber auch kein gesicherter Schluss zu ziehen, dass der Mann der Klägerin gestolpert sei. Nach Überzeugung der Kammer im Hinblick auf die Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung liegen keine überzeugenden Indizien vor, dass der Mann der Klägerin wegen der Beschaffenheit der Umgebung gestürzt und deshalb gefallen sei, vielmehr sprechen die Aussagen der zeugen dafür, dass der Kläger ohne äußere Einflussfaktoren umgefallen ist.
Die im Kernbereich übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlung waren aus Sicht der Kammer schlüssig und glaubhaft.
Beide Zeugen haben dargelegt, dass der Mann der Klägerin nach dem Sturz nicht ruhig, sondern krampfend am Boden gelegen habe. Aus Sicht der Kammer spricht die Schwere der erlittenen Verletzungen gegen eine Sturz wegen eines Stolperns, denn in einem solchen Fall stehen den Menschen reflexartige Schutzbewegungen zur Verfügung, die vor schwersten Verletzungen bewahren können. Bei einem epileptischen Anfall dagegen kommt es zu einem reflexlosen Umfallen, so dass aus Sicht der Kammer eine Verkrampfung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Hintergrund vor den Sturz des Mannes der Klägerin war.
Auch die in der Klinik gestellten Diagnosen sprechen aus Sicht der Kammer dafür, dass der Mann der Klägerin einen Krampfanfall erlitten und dabei gestürzt ist. Beide Zeugen haben mitgeteilt, dass der Mann der Klägerin einen starken Speichelfluss gehabt habe. Unerheblich ist es aus Sicht der Kammer, dass der Mann der Klägerin nach Aussagen der Klägerin vorab keine Krampfanfälle erlitten habe, da es sich bei dem Ereignis am 15.10.2012 um einen Erstanfall gehandelt haben kann.
In der mündlichen Verhandlung hat der Zeuge E. beispielsweise angegeben, keine genaue Erinnerung mehr daran zu haben, ob er einen Aufprall gehört habe. Im Rahmen der Aussage im Verwaltungsverfahren hat er angegeben, dass er einen Aufprall gehört habe, während er dem Mann der Klägerin den Rücken zugedreht habe. Dies spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass der Mann der Klägerin einfach umgefallen ist, da ein solcher Aufprall nicht wahrzunehmen ist, wenn sich ein erwachsener Mensch abstürzt. Aus Sicht der Kammer sind die zeitnah erhobenen Aussagen der Zeugen im Rahmen der Beweiswürdigung zu gewichten, da auch nach den Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung aufgrund des Zeitablaufes die Erinnerung an genaue Einzelheiten zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestand. Die Kammer geht davon aus, dass den zeitnah erhobenen Zeugenaussagen im Rahmen der Beweiswürdigung ein großes Gewicht zukommen muss.
Auch der Zeuge D. hat bei der ersten Zeugenvernehmung aus den Akten der Kriminalpolizei B-Stadt angegeben, der Mann der Klägerin sei einfach nach hinten umgefallen und auf dem Gehweg aufgeschlagen. Er habe das Umfallen gesehen. Damals hat der Zeuge D. angegeben, es sei für ihn erkennbar gewesen, dass der Mann der Klägerin einen Krampfanfall gehabt habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Zeuge D. dann ausgeführt, er habe das Umfallen gesehen, er wisse aber nicht mehr, ob der Mann der Klägerin sich abgestützt habe.
Er habe dem Notarzt damals gesagt, dass der Mann der Klägerin wohl einen epileptischen Anfall gehabt habe, weil er einmal einen epileptischen Anfall aus nächster Nähe mit erlebt habe und ihm dabei der starke Speichelfluss aufgefallen sei, der auch beim Mann der Klägerin vorgelegen habe. Auch wenn er kein Arzt sei, habe das so ausgesehen wie der Krampfanfall, den er einmal am Rande eines Fußballspieles miterlebt habe.
Auch der Zeuge E. hat in der mündlichen Verhandlung eindeutig beschrieben, dass der Mann der Klägerin nach dem Sturz nicht ruhig auf dem Boden gelegen habe, obwohl er bewusstlos gewesen sei, sondern krampfend und dass er einen starken Speichelfluss beobachtet habe.
Unter Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen und der ausführlichen Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung und bereits kurz nach dem Ereignis vorliegenden ersten Zeugenaussagen ist die Kammer zu der Überzeugung gelangen, dass eine Einwirkung durch ein äußeres Ereignis hier nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Überzeugende Indizien oder gar ein Beweis dafür, dass der Sturz aufgrund der Beschaffenheit der Baustelle oder wegen herumliegendem Werkzeug und folglich einem Stolpern des Mannes der Klägerin passiert ist, konnte aus Sicht der Kammer hier nicht erbracht werden. Aus Sicht der Kammer hat die Beschaffenheit der Unfallstelle nicht wesentlich zur Art und Schwere der Verletzung beigetragen. Aus Sicht der Kammer bleibt als einzig plausible Erklärungsmöglichkeit für den wohl vorliegenden ungebremsten Sturz des Mannes der Klägerin ein plötzlicher Bewusstseinsverlust, aber jedenfalls kein nachweisbar betriebliche Tätigkeit zuzurechnendes Geschehen. Aus Sicht der Kammer ist die erlittene Schädelverletzung, welche zum Tod des Mannes der Klägerin geführt hat, wesentlich durch eine innere Ursache verursacht worden.
Für die Anerkennung des Ereignisses vom 15.10.2012 als Arbeitsunfall besteht daher unter Abwägung aller vorliegenden Anhaltspunkte aus den Akten und den umfangreichen Zeugenaussagen kein Raum. Eine Unfallkausalität konnte aus Sicht der Kammer nicht hinreichend dargetan werden.


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