Aktenzeichen S 20 R 287/12
SGB IV § 26, § 27 Abs. 1 S. 1
BGB § 839
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die zulässige Verpflichtungsklage (in Form der Versagungsgegenklage) und Leistungsklage ist unbegründet.
I.
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten hierzu schriftsätzlich ihr Einverständnis erteilt hatten.
II.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie beim örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhoben worden. Das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren ist ebenfalls durchgeführt worden.
III.
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Bescheid vom 07.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt.
Die Beklagte hat zu Recht den geltend gemachten Zinsanspruch abgelehnt, weil der Kläger hierauf keinen Anspruch hat, jedenfalls soweit der Anspruch nicht auf Amtshaftung gestützt wird.
Einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Verzinsung des Erstattungsbetrages ist § 27 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).
Vorliegend ist unstreitig und auch nach Auffassung des Gerichts Grundlage ein Erstattungsanspruch des Klägers nach § 26 SGB IV. Damit ist § 27 SGB IV anwendbar.
Die Vorschrift lautet:
„Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen.“
Nach dieser Vorschrift beginnt die Verzinsungspflicht also frühestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags.
Danach ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Sie hat darauf verwiesen, dass der vollständige Erstattungsantrag erst am 03.02.2009 bei der X. vorgelegen habe, die Erstattung der unstreitig zu Unrecht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge des Klägers jedoch seitens der X. bereits am 11.02.2009 erfolgt sei. Eine Zinspflicht sei daher auch nicht entstanden.
Dabei hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts zu Recht darauf abgestellt, dass der Erstattungsantrag erst am 03.02.2009 vollständig vorgelegen habe.
Der Erstattungsantrag ist vollständig, wenn er die Angaben enthält, die dem Versicherungsträger eine Entscheidung über die Erstattung ermöglichen (vgl. Schlegel in juris-PK, 2. A., Stand 30.01.2004, § 27 SGB IV, RdNr. 24).
Nach Auffassung der Kammer gehört hierzu auch die Angabe der Bankverbindung, unter der die Erstattung erfolgen soll. Zur Entscheidung des Trägers über die Erstattung zählt nicht nur die Höhe des zu erstattenden Betrages, sondern auch an wen und auf welches Konto. Die Kammer folgt auch der Auffassung der Beklagten dahingehend, dass nicht automatisch darauf geschlossen werden könne, dass die Erstattung auf das aus dem Abbuchungsverfahren bekannte Konto erfolgen solle. So ist es durchaus denkbar, dass gegenüber der Einzugsstelle die Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber von dessen Konto abgeführt worden sind, die Erstattung des Arbeitnehmeranteils aber – wie im übrigen vorliegend – auf ein Konto des Arbeitnehmers selbst erfolgen soll, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmeranteil bereits vom Lohn einbehalten hatte. Daher kann der Träger erst dann abschließend und vollständig über einen Erstattungsantrag entscheiden, wenn ihm auch die Bankverbindung mitgeteilt worden ist, auf die die Erstattung nach Wunsch des Erstattungsberechtigten erfolgen soll (vgl. auch SG Hamburg, 15.03.2012, Az.: S 11 R 215/11 WA).
Dies entspricht nach Auffassung der Kammer auch dem Normzweck: § 27 SGB IV soll zwar grundsätzlich einen Ausgleich für entzogene Kapitalnutzung schaffen. Gleichwohl gilt dies nicht uneingeschränkt. Wäre dies der Fall, hätte der Gesetzgeber schlicht die Verzinsung derart regeln können, dass diese bereits mit Entrichtung der zu Unrecht gezahlten Beiträge beginnt. Dies entspricht jedoch nicht dem Wortlaut der Vorschrift, die einen vollständigen Erstattungsantrag voraussetzt. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber nicht zwangsläufig einen vollständigen Ausgleich für entgangene Kapitalnutzung in jedem Falle hat schaffen wollen, sondern nur unter der Voraussetzung eines vollständigen Erstattungsantrags und dann noch weiterer zeitlicher Verzögerung ab dessen Eingang. Das bedeutet nach der hier vertretenen Auffassung, dass der Gesetzgeber mit der Verzinsungspflicht einen Sanktionsmechanismus dafür hat schaffen wollen, dass der zur Erstattung verpflichtete Träger trotz Vorliegens aller für die Erstattung relevanten Informationen diese nicht zeitnah vornimmt.
Erst im Erstattungsantrag, der am 03.02.2009 bei der X. eingegangen ist, hat der Kläger jedoch die Bankverbindung mitgeteilt, auf die die Erstattung erfolgen soll. Der Erstattungsantrag war nach der hier vertretenen Auffassung daher auch erst an diesem Tage „vollständig“ im Sinne des § 27 SGB IV.
Da die Erstattung unstreitig bereits am 11.02.2009 erfolgt ist, ergibt sich nach § 27 SGB IV auch kein Verzinsungsanspruch. Auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid wird hingewiesen, denen sich die Kammer ausdrücklich anschließt.
Nach der hier vertretenen Ansicht kann es daher offen bleiben, ob bereits mit dem Statusfeststellungsantrag auf „Nichtfeststellung einer abhängigen Beschäftigung und Nichtvorliegens von Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung“ (so wohl nach Auffassung des Klägers BSG, 24.03.1983, Az.: 1 RJ 92/81 und BSG, 26.06.1986, Az.: 7 Rar 121/84) implicite von einem Erstattungsantrag auszugehen ist oder zumindest bereits ab Erhebung des Widerspruchs gegen einen Statusfeststellungsbescheid, der – wie vorliegend – dem erklärten Ziel des Statusfeststellungsantrags widerspricht, also Sozialversicherungspflicht entgegen dem Antragsbegehren bejaht (so wohl die Auffassung der 18. Kammer des Sozialgerichts Nürnberg, Az.: S 18 R 128/11 und BSG 26.06.1986, Az.: 2 RU 25/85; dagegen: 9. Kammer des Sozialgerichts Nürnberg, Az.: S 9 R 947/13 und S 9 R 946/13, LSG Baden-Württemberg, 21.01.2011, Az.: L 4 R 4672/10).
Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es letztlich auf das Vorliegen des vollständigen Erstattungsantrags in oben beschriebener Weise an. Damit kann dahinstehen, worin ein (unvollständiger) Erstattungsantrag bereits erstmalig zu erblicken ist. Entscheidend abzustellen ist auf das Vorliegen eines vollständigen Antrags.
Ein solcher hat frühestens am 03.02.2009 vorgelegen. Eine Zinspflicht scheidet danach aus.
In der vorliegenden Fallkonstellation braucht daher auch nicht entschieden werden, ob der Antrag auch beim für die Entscheidung über Erstattung und Verzinsung zuständigen Träger eingegangen ist. Die Einreichung beim unzuständigen Träger löst jedenfalls noch nicht die Verzinsungspflicht aus. § 16 Abs. 2 Satz 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ist hier nicht anwendbar, weil ein Erstattungsanspruch keine Sozialleistung ist (vgl. Schlegel aaO., RdNr. 25). Würde man danach verlangen, dass der eigentlich der X. am 03.02.2009 zugegangene vollständige Erstattungsantrag der Beklagten zugehen muss, so wäre dies sogar noch später der Fall gewesen; eine Verzinsung käme bei Erstattung am 11.02.2009 daher erst recht nicht mehr in Betracht.
Eine Verzinsung nach § 27 SGB IV scheidet daher aus.
Eine solche kann auch nicht auf andere Vorschriften oder Rechtsinstitute gestützt werden:
Eine Verzinsung nach § 44 SGB I hat nicht zu erfolgen; bei der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift (BSG, 24.03.1983, Az.: 1 RJ 92/81).
Die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in diesem Zusammenhang scheitert daran, dass § 27 SGB IV und § 44 SGB I insoweit abschließend sind. Zudem hat der Herstellungsanspruch nicht die Funktion eines Schadensausgleichs in diesem Sinne. Dies obliegt der Amtshaftung.
Ferner kann eine Verzinsung nicht auf eine entsprechende Anwendung der §§ 717 Abs. 2 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) gestützt werden (BSG, 10.08.1995, Az.: 11 Rar 91/94).
Auch kennt das Sozialrecht keinen allgemeinen Rechtssatz, nachdem alle Geldforderungen unter bestimmten Voraussetzungen zu verzinsen sind. Ein Zinsanspruch muss durch eine besondere gesetzliche Anordnung wie etwa § 44 SGB I oder § 27 SGB IV begründet sein (BSG, 25.06.1986, Az.: 9a RVs 22/84). Das Fehlen einer solchen Vorschrift könne nicht als planwidrige Regelungslücke gesehen werden, die richterlich durch Analogie zu schließen wäre (BSG aaO.). Daher scheidet auch ein Ersatz eines „Verzugsschadens“ nach dem Allgemeinen Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus.
Einzig in Betracht könnte Amtshaftung kommen. Darüber zu befinden fällt jedoch in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit und braucht hier nicht erörtert zu werden. Der betreffende Verfahrensteil ist abgetrennt und verwiesen worden.
Nach allem erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Klage ist daher als unbegründet abzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die gesamten Verfahrenskosten.
Insbesondere ist kein Fall des § 183 SGG gegeben, sondern § 197a SGG anwendbar, weil der Kläger nicht zum nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehört. Es steht nach dem vorangegangenen Verfahren S 12 R 4261/06 fest, dass der Kläger nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Damit ist er aber auch nicht mehr für das nachfolgende vorliegende Verfahren als „Versicherter“ im Sinne des § 183 SGG zu sehen.