Aktenzeichen 19 W 142/16
ZPO ZPO § 3, § 9
BGB BGB § 346 Abs. 1, § 357, § 358
Leitsatz
1. Das für die Bestimmung des Streitwerts maßgebliche wirtschaftliche Interesse an der Feststellung, dass ein Darlehen durch Widerruf beendet sei und sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe, ergibt sich aus dem höheren Betrag der kumulierten Zinsen einerseits, die durch den Widerruf in der Zeit vom Widerruf und bis zum Ablauf der Zinsbindungsfrist erspart werden, und dem Vorfälligkeitsentgelt andererseits. (redaktioneller Leitsatz)
2 Daneben ist der Wert einer zu löschenden, nicht mehr valutierten Grundschuld mit 20 % ihres Nennwerts zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
35 O 5304/15 2015-11-12 Bes LGMUENCHENI LG München I
Gründe
Oberlandesgericht München
Az.: 19 W 142/16
35 O 5304/15 LG München I
… Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
In Sachen
1) …
– Kläger und Beschwerdeführer –
2) …
– Klägerin und Beschwerdeführerin –
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2: Rechtsanwälte …
gegen
…
– Beklagte und Beschwerdegegnerin –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
wegen Forderung
hier: Beschwerde
erlässt das Oberlandesgericht München – 19. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Antor als Einzelrichter
am 22.01.2016
ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 Abs. 4 ZPO folgenden
Beschluss.
1. Auf die Streitwertbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 12.11.2015, Az. 35 O 5304/15, dahingehend abgeändert, dass der Streitwert für das Verfahren und den Vergleich auf bis zu 95.000 € festgesetzt wird.
2. Im Übrigen wird die Streitwertbeschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Kläger erklärten den Widerruf zweier bei der Beklagten aufgenommenen Darlehen und beantragten Zug um Zug gegen Zahlung von insgesamt 159.450,81 € die Freigabe von Grundschulden in Höhe von 300.000 €. Nach einvernehmlicher Beilegung des Rechtsstreits durch Vergleich setzte das Landgericht München I den Verfahrensstreitwert mit Beschluss vom 29.07.2015 auf 30.000 € fest.
Hiergegen erhoben die Klägervertreter mit Schriftsatz vom 15.12.2015 Beschwerde und begehrten die Heraufsetzung des Streitwertes auf 300.000 €.
Das Landgericht München I half der Beschwerde teilweise ab, änderte den Streitwert auf 101.955,50 € und legte sie im Übrigen dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
II. Die gemäß § 68 GKG zulässige Streitwertbeschwerde erweist sich als unbegründet.
Dem Vertreter der Kläger steht wegen der von ihm behaupteten zu niedrigen Festsetzung des Streitwertes ein Beschwerderecht aus eigenem Recht nach § 32 Absatz 2 RVG zu.
Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung wurde vom Senat geprüft, führt aber im Ergebnis zu keiner abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
1. Gemäß § 48 Abs. 1 GKG richtet sich der Gebührenstreitwert in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, d. h. nach §§ 3 ff. ZPO. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten – wie der vorliegenden – hat das Gericht daher gemäß § 3 ZPO den Wert nach freiem Ermessen festzusetzen. Der Wert eines Feststellungsbegehrens ist dabei – nach § 40 GKG im Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung, die den Rechtszug einleitet – nach dem tatsächlichen Interesse des Klägers an dem Urteil zu schätzen (BGH, Beschluss vom 01.06.1976 – VI ZR 154/75, juris).
Für den Streit um die Wirksamkeit des Widerrufs ihrer auf den Abschluss des Kreditvertrages gerichteten Willenserklärungen bedeutet dies, dass es auf die wirtschaftlichen Vorteile ankommt, die sich die Klägerin infolge des Widerrufs im Gegensatz zur Erfüllung des Vertrages verspricht (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rn. 16 unter „Feststellungsklage“). Maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls (Schneider/Herget/Onderka, Streitwertkommentar, 13. Aufl., Rn. 6120 f.).
Das hat zunächst zur Folge, dass der Streitwert der Feststellungsanträge 3 und 4 weder pauschal im Nettodarlehensbetrag noch in der noch offenen Darlehensvaluta gesehen werden kann. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es dem widerrufenden Darlehensnehmer eben nicht darum, die Darlehensvaluta überhaupt nicht mehr zurückführen zu müssen. Der Darlehensvertrag wandelt sich vielmehr infolge des Widerrufs gemäß §§ 357 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB unmittelbar in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis um, kraft dessen der Darlehensnehmer – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 358 BGB – in gleicher Weise wie beim Fortbestehen des Kreditvertrages verpflichtet ist, die Darlehensvaluta zu erstatten. Das tatsächliche Interesse des Darlehensnehmers, der die Feststellung der Wirksamkeit des Widerrufs begehrt, liegt deshalb nicht darin, von der Rückzahlung des Darlehens befreit zu werden (ebenso OLG Stuttgart, WM 2015, 1147 Rn. 3; Beschluss vom 30.04.2015 – 6 W 25/15, juris Rn. 10 f.; Beschluss vom 14.04.2015 – 6 W 23/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 29.04.2015 – 6 U 141/14, juris Rn. 3; Beschluss vom 28.01.2015 – 9 U 119/14, juris Rn. 12; OLG Celle, Beschluss vom 22.07.2015 – 3 W 48/15, juris Rn. 7; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.07.2015 – 7 W 33/15, juris Rn. 6).
Insofern sind sich die Obergerichte bei ansonsten durchaus unterschiedlichen Ansätzen zur Streitwertberechnung einig, dass sich der Streitwert nach dem entsprechenden wirtschaftlichen Interesse des Widerrufenden zu bemessen hat.
Das wirtschaftliche Interesses an der Feststellung, dass der streitgegenständliche Darlehensvertrag wirksam durch Widerruf beendet wurde und sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, sieht das OLG Stuttgart darin, dass der Darlehensnehmer zukünftig von der Verpflichtung befreit ist, bis zum Ablauf der Zinsbindung die vereinbarten Zinsen für das Darlehen zu entrichten. Da es sich bei Zinszahlungen um wiederkehrende Leistungen i. S. d. § 9 ZPO handelt, sei bei der Wertfestsetzung auf die im Zeitpunkt des Widerrufs nach dem Vertrag noch bis zum Ablauf der Zinsbindung anfallenden Zinsen abzustellen, gem. § 9 ZPO allerdings begrenzt durch den dreieinhalbfachen Jahresbetrag (OLG Stuttgart 6 W 23/15 und OLG Celle 3 W 48/15) .
Die OLG Koblenz und Köln bemessen bei einer Klage auf Feststellung der Umwandlung eines Darlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis den Streitwert grundsätzlich nach der Höhe der noch offenen Darlehensvaluta . Dies gelte auch in Fällen der „Ausnutzung“ fehlerhafter Widerrufsbelehrungen. Für die Bestimmung des Werts der auf Umwandlung in ein Rückgewährschuldverhältnis gerichteten positiven Feststellungsklage sei der übliche Abschlag von 20% in Ansatz zu bringen (OLG Koblenz 8 W 288/15; OLG Köln, 13 W 50/14).
Das OLG Düsseldorf ermittelt das gemäß § 3 ZPO maßgebliche wirtschaftliche Interesse des Klägers aus der bei der Rückabwicklung entstehenden Ersparnis an Zinsen unter Berücksichtigung des Anspruchs der Bank auf einen Nutzungsersatz. Ein Abschlag für die Feststellungsklage scheide regelmäßig aus, wenn die Feststellungsklage der Leistungsklage insoweit gleichstehe, als der Kläger letztlich durch die Feststellung eine Endabrechnung und Leistung (Rückzahlung der Differenz zwischen Vertrags- und Marktzins bzw. Nutzungsersatz) erreichen wolle (OLG Düsseldorf, 22 U 17/15).
Der Senat schließt sich der Auffassung des OLG Karlsruhe an, wonach das wirtschaftliche Interesse des Widerrufenden darin besteht, sich für die Zeit nach dem Widerruf bis zum Ablauf der Zinsbindungsfrist die vertraglich vereinbarten Zinsen zu ersparen (insofern übereinstimmend mit OLG Stuttgart, 6 W 25/15, 6 W 23/15, 6 U 141/14, 9 U 119/14, OLG Celle 3 W 48/15, OLG Zweibrücken 7 W 33/15). Hat die Bank allerdings bereits eine Vorfälligkeitsentschädigung berechnet und verlangt oder ist diese gar schon an das Kreditinstitut gezahlt worden, besteht das Interesse des Widerrufenden auch in dem Bestreben, diese nicht leisten zu müssen bzw. zurückzuerhalten (vgl. insoweit auch OLG Stuttgart, WM 2015, 1147 Rn. 5; OLG Zweibrücken, 7 W 33/15). Da ein Darlehensnehmer aber nur entweder das Vorfälligkeitsentgelt (bei vorzeitigem Entlassen aus dem Vertrag) oder die vertraglich vereinbarten Zinsen bis zum Ablauf der Zinsbindung (bei Festhalten am Vertrag), nie aber beides zusammen schuldet, ist in einem solchen Fall der jeweils höhere Betrag von beiden für den Streitwert maßgeblich. Entgegen der Auffassung der Oberlandesgerichte Stuttgart und Celle (s. o.) kommt eine Deckelung nach § 9 ZPO auf den dreieinhalbfachen Jahresbetrag der zu leistenden Vertragszinsen dabei nicht in Betracht (OLG Karlsruhe 17 W 41/15).
Da weder im Verfahren noch im Beschwerdeverfahren die Höhe der ausstehenden Zinszahlungen beziffert wurde bietet sich eine Streitwertfestsetzung anhand der im Vergleich gemachten Angaben zur Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 7.000 € an.
Zu addieren sind ferner die nach Vergleich noch zu entrichtenden Zinszahlungen vom Widerruf im Juli 2014 bis zum vereinbarten Ende August 2015. Unter Zugrundelegung einer noch offenen Darlehensvaluta von ca. 200.000 € und einem effektiven Jahreszins von 4,78% ergibt sich ein geschätzter Betrag von ca. 10.000 €.
2. Daneben ist indes auch der nach Antrag 1. zu löschenden Grundschuld selbst ein eigener Wert zuzusprechen. Es kann nicht ohne Berücksichtigung bleiben, dass es bei der Löschung einer nicht mehr valutierten Grundschuld darum geht, für den Fall einer anderweitigen Belastung oder einer Veräußerung des Grundstücks Beschwernisse, welche sich aus dem fortdauernden Eintrag eines Grundpfandrechts im Grundbuch ergeben, zu beseitigen (vgl.OLG Celle MDR 2000, 1456, 1457; OLG Frankfurt am Main OLGR 2004, 348;). Entsprechend hat die neuere obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Celle, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O., OLG Celle MDR 2005, 1196, 1197, OLG Nürnberg, 6 W 2061/08) den Wert einer nicht mehr valutierten Grundschuld mit 20% des Nennwertes angesetzt. Dem folgt auch der Senat, wodurch sich der vorläufig anzusetzende Streitwert um einen Betrag von 60.000 € erhöht.
3. In den Streitwert einzubeziehen ist zudem der Feststellungsantrag Ziffer 5, den der Senat gemäß § 3 ZPO pauschal mit 5.000 € ansetzt.
Damit ergibt sich nach der Berechnung des Senates ein Streitwert von insgesamt ca. 82.000 €.
Der Streitwert konnte auch niedriger als in der Beschwerde begehrt angesetzt werden. Jedenfalls durch eine zulässige Beschwerde ist das Beschwerdegericht berufen, die Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu überprüfen (Hartmann, Kostengesetze, Anm. 19 zu § 68 GKG). Es gelten insofern weder die Grundsätze reformatio in peius (Hartmann a. a. O. m. w. N.) noch ne ultra petita § 308 ZPO.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 68 Abs. 3 GKG). Über eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht zu entscheiden, da eine weitere Beschwerde zum Bundesgerichtshof nicht statthaft ist, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 4 GKG.