IT- und Medienrecht

Technologiezugang bei standardessentiellen Patenten in Wertschöpfungsketten

Aktenzeichen  7 O 8818/19

Datum:
10.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2020, 689
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 10 Abs. 1, § 139 Abs. 1
EPÜ Art. 64 Abs. 1
AEUV Art. 101

 

Leitsatz

1. Der vom Inhaber eines standardessenziellen Patents aus kartellrechtlichen Gründen geschuldete Zugang zu einer Technologie führt in einer Wertschöpfungskette nicht automatisch zu einer Lizenzierungspflicht, sondern kann auch durch Verwendungserlaubnisse “have-made-rights” gelöst werden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Voraussetzungen der Einschränkung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs bei komplexen Produkten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu 250.000 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren,
wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,
a) Kraftfahrzeuge mit Mobilstationsvorrichtungen, die in einem Mobilkommunikationssystem enthalten sind, nämlich Telematikmodule (Telematics Modules) oder Telematiksteuereinheiten (Telematics Control Units), die den LTE-Standard seit Release 8 verwirklichen, sowie kerngleiche Abwandlungen,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
wobei die Mobilstationsvorrichtungen umfassen:
einen Empfänger, der dafür eingerichtet ist, auf einem physikalischen Downlink-Steuerkanal von einer Basisstationsvorrichtung eine Steuerungsinformation zu empfangen, die ein DownlinkSteuerungsinformationsformat aufweist und an die Mobilstation adressiert ist, wobei das Downlink-Steuerungsinformationsformat mit einer gleichen Gesamtzahl von Bits für ein Downlink-Scheduling und einen Random-Access-Befehl verwendet wird, falls das DownlinkSteuerungsinformationsformat für das Downlink-Scheduling verwendet wird, die Steuerungsinformation eine Downlink-Ressourcenzuweisung vorsieht und falls das Downlink-Steuerungsinformationsformat für den Random-Access-Befehl verwendet wird, ein voreingestellter Wert für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung eingestellt wird;
(unmittelbare Verletzung Anspruch 1)
b) Kraftfahrzeuge mit Mobilstationsvorrichtungen, die ein Verarbeitungsverfahren ausführen, nämlich Telematikmodule (Telematics Modules) oder Telematiksteuereinheiten (Telematics Control Units), die den LTE-Standard seit Release 8 verwirklichen, sowie kerngleiche Abwandlungen,
in der Bundesrepublik Deutschland Dritten, die zur Nutzung der Lehre des Klagepatentes in der Bundesrepublik Deutschland nicht berechtigt sind, anzubieten oder zu liefern,
wobei die Mobilstationsvorrichtungen in einem Mobilkommunikationssystem enthalten sind und wobei das Verarbeitungsverfahren umfasst:
empfangen, auf einem physikalischen Downlink-Steuerkanal von einer Basisstationsvorrichtung, einer Steuerungsinformation, die ein DownlinkSteuerungsinformationsformat aufweist und an die Mobilstation adressiert ist, wobei das Downlink-Steuerungsinformationsformat mit einer gleichen Gesamtzahl von Bits für ein Downlink-Scheduling und einen Random-Access-Befehl verwendet wird, falls das DownlinkSteuerungsinformationsformat für das Downlink-Scheduling verwendet wird, die Steuerungsinformation eine Downlink-Ressourcenzuweisung vorsieht und falls das Downlink-Steuerungsinformationsformat für den Random-Access-Befehl verwendet wird, ein voreingestellter Wert für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung eingestellt wird;
(mittelbare Verletzung Anspruch 3)
Von den Ziffern I.1.a und b ausgenommen sind Ausführungsformen enthaltend einen Basisband-Chipsatz (Baseband Chipset), ein Telematikmodul (Telematics Module) oder eine Telematiksteuereinheit (Telematics Control Unit), die (i) mit einer Marke oder Handelsmarke gekennzeichnet sind, die der H.1., der H.2., der H.3. (gemeinsam „H. “) und/oder einem mit H. verbundenen Unternehmen gehört, oder für H. und/oder eines seiner verbundenen Unternehmen lizenziert ist, oder zusammen gekennzeichnet (cobranded) ist mit einer Marke oder Handelsmarke, die H. und/oder einem seiner verbundenen Unternehmen gehört oder für H. und/oder eines seiner verbundenen Unternehmen lizenziert ist, und einer Marke oder Handelsmarke, die im Besitz eines drahtlosen Netzwerkbetreibers oder großen Einzelhandelsvertriebshändlers ist oder an diesen lizenziert ist, und (ii) von oder für H. und/oder eines seiner verbundenen Unternehmen hergestellt sind,
wobei Baseband Chipset wie folgt definiert ist:
 
wobei „Telematics Module” wie folgt definiert ist:
 
und wobei „Telematics Control Unit” wie folgt definiert ist:
 
2.1. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 7. März 2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
2.2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 7. April 2018 begangen hat, und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen Herstellungen, aufgeschlüsselt nach Herstellungsmengen, -zeiten und Typenbezeichnungen,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Internetwerbung der Internetadressen, der Schaltungszeiträume und der Zugriffszahlen,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob eine bestimmte Lieferung oder ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
3. die vorstehend zu Ziffer I. 1. a) (unter Beachtung der hiervon ausgenommenen und am Ende von Ziffer I. 1. aufgeführten Ausführungsformen) bezeichneten, seit dem 7. April 2018 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen;
4. die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I. 1. a) (unter Beachtung der hiervon ausgenommenen und am Ende von Ziffer I. 1. aufgeführten Ausführungsformen) zu vernichten, oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 7. April 2018 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits und der jeweiligen Nebeninterventionen werden gegeneinander aufgehoben. Die jeweiligen Nebenintervenientinnen haben ihre Kosten selbst zu tragen.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
– einheitlich 5.500.000 € für Ziffern I. 1., I. 3. und I. 4,
– 550.000 € für Ziffern I. 2.1 und I. 2.2. sowie
– 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages für Ziffer IV.
VI. Die Anträge auf Urkundenvorlage werden zurückgewiesen.
VII. Der Streitwert wird bis zum 19. September 2019 auf 300.000 €, für die Zeit nach dem
20. September 2019 auf 1.000.000 € und für die Zeit nach dem 6. Juli 2020 auf 500.000 € festgesetzt.
Der Gegenstandswert für die ehemalige Nebenintervention der H. wird auf 500.000 € festgesetzt.
Die Gegenstandswerte für die übrigen Nebeninterventionen werden jeweils auf 500.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet und das Verfahren (insbesondere mit Blick auf die anhängigen Nichtigkeitsklagen) nicht auszusetzen.
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht München I ist zuständig. Der Schadensersatzfeststellungsantrag ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
B.
I.
Das Klagepatent betrifft Vorrichtungen (Basis- und Mobilstationsvorrichtung) und ein Verfahren zur Anforderung von Uplink-Synchronisation („uplink synchronization requesting”).
1. Die Ausführungen in der Klagepatentschrift erläutern den betroffenen Stand der Technik allgemein. In [0014 a. E.] werden verschiedene Dokumente aus dem Stand der Technik zitiert. Die Schrift setzt sich mit diesen jedoch nicht vertieft auseinander.
Figur 15 des Klagepatents zeigt einzelne Kanäle für die jeweilige Strecke, wobei jeder Kanal eine eigene Funktion besitzt.
Von diesen Kanälen ist für den Gegenstand des Klagepatents der „physical downlink control channel“ (PDCCH) relevant. Dem Namen nach ist das ein Kanal auf dem Steuerinformationen („control information“) im „downlink“ übertragen werden. Mit „downlink“ wird die Funkstrecke von der Basisstationsvorrichtung zur Mobilstationsvorrichtung bezeichnet. Nach [0015] dient dieser Kanal dem Übertragen adaptiver Modulationsparameter zum Senden und Empfangen von Nutzdaten zwischen der Basisstationsvorrichtung und der Mobilstationsvorrichtung oder von Kanalzuordnungsinformationen. Diese Informationen regeln im Wesentlichen die (weitere) Datenübertragung.
Figur 16 des Klagepatents zeigt ein Beispiel von RACHs und UL-SCHs, die Funkressourcen im herkömmlichen EUTRA (Entwicklungsname des später LTE genannten Standards) zugeordnet werden.
Funkrahmen werden zwischen der Mobilstationsvorrichtung und der Basisstationsvorrichtung ausgetauscht. Jeder Funkrahmen ist in mehrere FunkressourcenRegionen mit einer vorgegebenen Dimension auf der Frequenzachse (z. B. 1,25 MHz) und auf der Zeitachse (z. B. 1 ms) aufgeteilt (vgl. [0007]). Die Klagepatentschrift nennt diese Bereiche „regions“ (Regionen). Die Funkressourcen pro Funkrahmen sind begrenzt. Im Funkrahmen sind bestimmte Kanäle festen Funkressourcen-Regionen zugeordnet. Dadurch weiß der Empfänger, der Informationen erwartet, die über einen bestimmten Kanal übertragen werden, in welchen Funkressourcen-Regionen eines Funkrahmens er diese Informationen finden wird. Empfänger ist beim „downlink“ in aller Regel eine Mobilstationsvorrichtung. Steuerinformationen („control information“) werden relativ häufig benötigt und übertragen, vgl. [0015]. Ihnen ist daher ein bestimmter Teil (eine bestimmte „region“) der Funkressource auf dem PDCCH fest zugewiesen.
Zentral für die Kommunikation zwischen Mobil- und Basisstationsvorrichtung ist, dass eine Verbindung besteht. Für den Aufbau der Verbindung ist eine Synchronisation der beiden Stationen über den RACH (Random Access Channel) erforderlich. Dieser Kanal erlaubt eine Kommunikation zwischen der Mobil- und Basisstationsvorrichtung, auch wenn an sich noch keine Kommunikationsverbindung hergestellt ist. Die Synchronisation kann entweder die Basisstationsvorrichtung initiieren oder die Mobilstationsvorrichtung. Wie im Stand der Technik beide Stationen ausgehend von der Mobilstationsvorrichtung synchronisiert werden, zeigt Figur 17 und beschreibt [0010 ff.]. Dabei kann es vorkommen, dass mehrere Mobilstationsvorrichtungen zufällig die gleiche Signatur und den gleichen RACH wählen, es deswegen zu einer Kollision kommt und daher der Synchronisationsvorgang mehrfach begonnen werden muss, [0011].
Außerdem kann eine bereits hergestellte Synchronisation der Stationen verlorengehen, [0012]. Will die Basisstationsvorrichtung Daten im „downlink“ übertragen, muss sie die Mobilstationsvorrichtung auffordern, die Synchronisation wiederherzustellen. Dazu muss der Mobilstationsvorrichtung eine entsprechende Aufforderung („request“) geschickt werden. Hierfür muss die Basisstationsvorrichtung den Random Access-Zugriff nutzen, wobei es wieder zu den beschriebenen Kollisionen kommen kann. Nach den Ausführungen in der Beschreibung der Klagepatentschrift könne die Mobilstationsvorrichtung mangels Synchronisation (im engeren Sinne) erfolgreich keinen ACK/NACK als Antwort für den HARQ senden.
In Figur 18 zeigt das Klagepatent ein Verfahren zum Verhindern der Kollision, wenn über „random access“ im „downlink“ die Übertragung wiederaufgenommen werden soll. Dieses Verfahren wird in [0014] beschrieben.
Hiernach sendet die Basisstationsvorrichtung eine UplinkSynchronisationsanforderung („uplink synchronization request“) an die Mobilstationsvorrichtung (Nachricht Mb1). Diese enthält die Signatur-ID-Nummer eines Random-Access-Zugriffs, der durch die Mobilstationsvorrichtung durchzuführen ist (dezidierte Signatur bzw. „dedicated signature“). Diese Nachricht wird über den L1/L2-Steuerkanal (= PDCCH, vgl. [0015]) übertragen. Die Mobilstationsvorrichtung führt dann den Zugriff durch, indem sie die Präambel mit „dedicated signature“ sendet (Nachricht Mb2). Mit Nachricht Mb3 wird die Synchronisation wiederhergestellt. Danach sendet die Basisstationsvorrichtung mit Nachricht Mb4 einen L1/L2-Steuerkanal mit einer Downlink-Ressourcen-Zuordnung („downlink resource assignment“) und setzt die DownlinkÜbertragung fort (Mb5).
Die Verwendung des PDCCH ist vorteilhaft, weil die Basisstationsvorrichtung an die Mobilstationsvorrichtung auch dann Daten übertragen kann, wenn die Synchronisation nicht mehr besteht, [0015].
2. Das Klagepatent kritisiert an diesem Stand der Technik die ungenügende Auslastung der Funkressourcen.
Da ein PDCCH einer festen Position einer Funkressource zugeordnet ist, wird er häufig übertragen (vgl. [0015]). Wird nun in diesem eine feste Region für ein an die Mobilstationsvorrichtung zu richtender „uplink synchronization request“ reserviert, könne diese Funkressourcen-Region nicht für die Übertragung von anderen Informationen genutzt werden. Da diese Anforderung lediglich selten benötigt würde und daher selten übertragen werden müsse, nutze der Stand der Technik die bestehenden Funkressourcen nicht optimal, [0016].
3. Das Klagepatent stellt sich die Aufgabe, eine verbesserte Auslastung der Funkressourcen zu erreichen, vgl. [0017 a. E.].
4. Zur Lösung dieses Problems schlagen Klagepatentanspruch 1 eine Mobilstationsvorrichtung und Klagepatentanspruch 3 ein Verfahren vor, die sich wie folgt merkmalsmäßig gliedern lassen:
Anspruch 1
1. Mobilstationsvorrichtung, die in einem Mobilkommunikationssystem enthalten ist.
2. Die Mobilstationsvorrichtung umfasst einen Empfänger, der dafür eingerichtet ist, zu empfangen,
2.1 auf einem physikalischen Downlink-Steuerkanal von einer Basisstationsvorrichtung
2.2 eine Steuerinformation („control information“).
3. Die Steuerinformation
3.1 weist ein Downlink-Steuerungsinformationsformat („a downlink control information format“) auf und
3.2 ist an die Mobilstationsvorrichtung adressiert.
4. Das Downlink-Steuerungsinformationsformat wird mit der gleichen Gesamtzahl von Bits für ein Downloadlink-Scheduling („downlink scheduling“) und eine RandomAccess Order („random access order“) verwendet.
5. Falls das Downlink-Steuerungsinformationsformat für das Downlink-Scheduling verwendet wird, sieht die Steuerungsinformation eine Downlink-Ressourcenzuweisung („downlink resource assignment“) vor.
6. Falls das Downlink-Steuerungsinformationsformat für die Random-Access Order verwendet wird, wird ein voreingestellter Wert („preset value“) für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung („is set for a field of the downlink resource assignment“) eingestellt.
Anspruch 3
1. Verarbeitungsverfahren für eine Mobilstationsvorrichtung, die in einem Mobilkommunikationssystem enthalten ist, wobei das Verarbeitungsverfahren umfasst:
2. Empfangen,
2.1 auf einem physikalischen Download-Steuerkanal von einer Basisstationsvorrichtung
2.2 eine Steuerinformation.
3. Die Steuerinformation
3.1 weist ein Download-Steuerung Informationsform auf und
3.2 ist an die Mobilstationsvorrichtung adressiert.
4. Das Downlink-Steuerungsinformationsformat wird mit einer gleichen Gesamtzahl von Bits für ein Downloadlink-Scheduling und eine Random-Access Order verwendet.
5. Falls das Download-Steuerungsinformationsformat für das Downlink-Scheduling verwendet wird, sieht die Steuerungsinformation eine Downlink-Ressourcenzuweisung vor.
6. Falls das Downlink-Steuerunginformationsformat für die Random-Access Order verwendet wird, wird ein voreingestellter Wert für ein Feld der DownlinkRessourcenzuweisung eingestellt.
II.
Diese Lehre bedarf in zwei entscheidenden Punkten näherer Erläuterung:
1. Unter einem „downlink control information format“ (DCI-Format) im Sinne des Merkmals 3.1/4 ist unter Berücksichtigung des technischen Vorverständnisses des Fachmanns, der über einen (Fach-)Hochschulabschluss (z. B. Dipl.-Ing.) auf dem Gebiet der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Kommunikationstechnik und mit Erfahrungen in Planung und Betrieb von Kommunikationssystemen sowie mit Erfahrungen bei der Setzung von Standards bzw. deren Entwicklung verfügt, ein Format zu verstehen, in dem „downlink control information“ von der Basisstationsvorrichtung an die Mobilstationsvorrichtung übertragen werden können.
a) Wie dieses Format im Detail ausgestaltet ist, lässt der Anspruch weitgehend offen.
Der Anspruch gibt mit Merkmal 4 lediglich vor, dass das Format mit der gleichen Gesamtzahl von Bits sowohl für das „downlink scheduling“ als auch für die „random access order“ verwendet wird.
b) Darüber hinaus ist die Struktur der Bits insofern relevant, damit die Mobilstationsvorrichtung (wenn ihr die Basisstationsvorrichtung eine Folge von in der Gesamtzahl übereinstimmenden Bits sendet) wissen kann, auf welchen Bereich der einzelnen Bits sie zu achten hat, um festzustellen, ob es sich um abweichend vom Grundfall des „downlink scheduling“ um eine „random access order“ handelt. Hierfür kommt es auf den Bitbereich des DCI-Formats an, der ansonsten für „resource assignment“ verwendet wird.
aa) Grundgedanke der Erfindung ist, das bestehende DCI-Format der an die Mobilstationsvorrichtung adressierten „control information“ auf dem PDCCH nicht nur für das „downlink scheduling“ zu verwenden, sondern alternativ zum Übertragen einer „random access order“.
Erfindungsgemäß kann die „random access order“ einer Funkressourcen-Region im Funkrahmen zugeordnet werden, die im Regelfall für das „downlink scheduling“ verwendet wird, weil beide Anwendungsfälle nicht gleichzeitig vorkommen können und sich gegenseitig ausschließen. Insofern wird patentgemäß für die „random access order“ der im Funkrahmen nicht benötigte „Platz“ für das „downlink scheduling“ verwendet („gekapert“). Das physische Format („physical format“) des PDCCH (bestimmte Zuordnung zu Ressourcen-Regionen im Funkrahmen) wird, wie es [0061] formuliert, damit sowohl für ein „downlink scheduling“ als auch für eine „random access order“ verwendet und der gleichen „Region“ auf dem PDCCH zugeordnet. Es brauchen somit keine zusätzlichen Ressourcen für die „random access order“ im PDCCH reserviert zu werden und die Effizienz der Nutzung der Ressourcen wird verbessert. Es ist erfindungsgemäß nicht mehr notwendig, einen „uplink synchronization request“ (also eine „random access order“) mittels eines „specific physical process“ zu empfangen, [0061].
bb) Insofern meinen die Begriffe „random access order“ und „uplink synchronization request“ im Kontext des Klagepatents inhaltlich dasselbe und sind austauschbar.
Selbst wenn, wie die Beklagte meint, die Fachwelt „random access order“ allgemein als Oberbegriff (als eine von der Basisstationsvorrichtung an die Mobilstationsvorrichtung gerichtete Aufforderung, einen „random access“ durchzuführen) und „uplink synchronization request“ als Unterfall einer solchen Aufforderung verstehen sollte, führt die Gesamtoffenbarung der Klagepatentschrift zu diesem (davon abweichenden) synonymen Verständnis, weil Beschreibung und Zeichnungen lediglich von „uplink synchronization request“ sprechen, während der Anspruch stattdessen „random access order“ verwendet. Mit dieser synonymen Auslegung wird nach dem Verständnis der Kammer ein Widerspruch zwischen Anspruch und Beschreibung vermieden.
cc) Diese je nach Anwendungsfall („downlink scheduling“ oder „random access order“) unterschiedlichen Informationen können erfindungsgemäß in demselben „physikalischen Prozess“ gesendet werden, so dass der Empfänger sie verarbeiten und den unterschiedlichen Inhalt verstehen kann.
Beim „downlink scheduling“ kommt es zu einer Ressourcenzuweisung, also einer Angabe, wo sich die Nutzdaten befinden. Für eine „random access order“ bedarf es dieser Ressourcenzuweisung hingegen nicht. Stattdessen wird in einem Feld der DownlinkRessourcenzuweisung ein voreingestellter Wert genutzt, vgl. Merkmal 6. Anhand dieses Werts kann die Mobilstationsvorrichtung unterscheiden, ob das DCI-Format ausnahmsweise eine „random access order“ betrifft. Dann entnimmt sie dem Signal z. B. die Information, „no resource assignment is set“, vgl. [0043], [0047], [0057] und [0061]. Anderenfalls bleibt es beim Regelfall eines „downlink scheduling“. Dieses soll nach der Lehre des Klagepatentes weiterhin wie vorbekannt ablaufen und nicht verändert werden. Die verschiedenen „control information“ werden damit nicht beliebig auf einem bestimmten Abschnitt des PDCCH gesendet, sondern können anhand des voreingestellten Werts voneinander unterschieden werden.
dd) So kann die Mobilstationsvorrichtung erfindungsgemäß anhand des Felds („item“) „resource assignment“ erkennen, ob es eine Ressourcenzuweisung enthält oder beispielsweise den voreingestellten Wert für „keine Ressourcenzuweisung“. Damit kann die Mobilstationsvorrichtung alle Informationen der Steuerungsinformation entsprechend der relevanten Routine verarbeiten, sobald sie erkannt hat, um welche „control information“ es sich handelt. Es kommt dann nicht mehr darauf an, ob mit den übrigen Bits noch andere (eine, zwei oder mehrere) Informationen (in weiteren „items“) wie in Figuren 1 und 3 gezeigt codiert werden.
ee) Um feststellen zu können, ob sich in einem Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung ein voreingestellter Wert befindet, muss die Mobilstationsvorrichtung wissen, in welchem Bereich des DCI-Formats sie nach diesem Feld suchen muss.
Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht, dass sich das DCI-Format durch eine aus bestimmten „items“ zusammengesetzte Struktur auszeichne, die der Mobilstationsvorrichtung bekannt ist und die die Grundlage für die Verarbeitung der Daten bilde, sondern nur die grundlegende Bedeutung des einen „item“, also des einen Bereichs des DCI-Formats, in dem die Mobilstationsvorrichtung suchen muss, um den Wert für die Unterscheidung zu finden, ob statt des Anwendungsfalls „downlink scheduling“, der Anwendungsfall „random access order“ gegeben ist.
c) Entgegen der Annahme der Beklagten folgt aus der Bezeichnung „downlink control information format“ (DCI-Format) ebenfalls nicht, dass das Format in seinen beiden Anwendungsfällen (neben der Gesamtzahl der Bits zusätzlich) in dieselbe Anzahl von „items“ unterteilt sein muss. Aus dem Wortsinn des Anspruchs und aus der Beschreibung ergeben sich diese Vorgaben nicht.
aa) Der Patentanspruch adressiert den Aspekt mehrerer und in ihrer Gesamtzahl übereinstimmender „items“ nicht.
Es gibt in dieser Hinsicht keinen für den Fachmann festumrissenen Sinngehalt von „downlink control information format“. Jedenfalls ist hierzu nichts Konkretes dargetan. Außerdem ist dieses beschränkende Verständnis der Beklagten nicht erforderlich, um die erfindungsgemäße technische Funktion (beide Anwendungsfälle zu unterscheiden) zu erzeugen und den Merkmalen 3, 5 und 6 einen technischen Sinngehalt zu geben:
Aus der in aller Regel sachgerechten und hier gebotenen funktionsorientierten Auslegung des Merkmals „downlink control information format“ ergibt sich nach Überzeugung der Kammer keine Vorgabe hinsichtlich der Gesamtzahl der „items“. Es gibt keinen zwingenden, technischfunktionalen Grund diese Vorgabe der Beklagten in den Wortsinn von DCI-Format hineinzulesen. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten braucht die Syntax (die Struktur der Bits) nicht hinsichtlich aller „items“ für beide Anwendungsfälle einheitlich zu sein. Aus den oben dargelegten Gründen genügt es technisch stattdessen, dass die Syntax/Struktur hinsichtlich eines bestimmten „item“ gleich ist. Abgesehen von diesem relevanten „item“ mit der Bezeichnung „resource assignment“ ist die Gesamtzahl der „items“ für die Ausführung der Erfindung technisch irrelevant.
bb) Die Beklagte begründet ihr engeres Verständnis von „downlink control information format“ anhand der Ausführungsbeispiele. Dieses Vorgehen erscheint der Kammer jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Beklagte zieht maßgeblich die beschriebenen und gezeigten Ausführungsbeispiele in Figuren 1 und 3 heran, stellt auf die Strukturierung der Bits nach den jeweiligen Einheiten, wie sie in den Figuren 1 und 3 gezeigt werden, ab und folgert hieraus, dass das Format besonders anhand der Strukturierung in die genannten Einheiten („items“) beschrieben werde. Aus [0024 bis 0028], die diese Figuren beschreiben, entnimmt sie, das DCI-Format werde in der Beschreibung nur anhand der Untergliederung in die „items“ gelehrt, weswegen es für dasselbe Format auf die Übereinstimmung in der Gesamtzahl der „items“ ankomme.
Diese Beschreibungsstellen und Zeichnungen besitzen für die zutreffende Ermittlung des fachmännischen Verständnisses lediglich eine dienende Funktion. Sie füllen den von den Patentansprüchen abstrahierend gesteckten Rahmen konkretisierend aus. Insbesondere das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 3 und dessen Beschreibung in [0024 bis 0026] rechtfertigt jedoch keine einschränkende Auslegung des die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs. Diese Ausführungsform ist Teil des Schutzbereichs. Dieser ist jedoch nicht hierauf beschränkt. Der Beschreibung ist keine Begrenzung des Schutzbereichs auf diese bestimmte Ausführungsform zu entnehmen.
d) Die Ansicht der Beklagten ergibt sich nicht aus den Mitteilungen des Prüfers im Erteilungsverfahren vom 24. Oktober 2013 und vom 20. Oktober 2015 (Anlagenkonvolut B1).
Unabhängig davon, inwiefern Umstände des Erteilungsverfahrens bei der Patentauslegung berücksichtigt werden dürfen (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 14 Rn. 44 f. – zur Veröffentlichung vorgesehen), macht der von der Klägerin zutreffend beschriebene Gang des Erteilungsverfahrens vielmehr deutlich, dass es nicht die Struktur oder Bitzuweisung des DCI-Formates sind, die für ein „downlink scheduling“ und eine „random access order“ gleich sein müssen, sondern lediglich die Gesamtzahl der Bits.
2. Merkmal 6 verlangt, dass für ein Feld („a field“) der Downlink-Ressourcenzuweisung („downlink resource assignment“) ein voreingestellter Wert eingestellt wird, wenn eine „random access order“ gesendet wird.
a) Unter „a field of the downlink resource assignment“ versteht der Fachmann im Zusammenhang mit der „random access order“, die gerade kein „resource assignment“ enthält, einen Bitbereich, der im Falle des „downlink scheduling“ (ansonsten) für die Übermittlung des „downlink resource assignment“ verwendet wird. Mit Bitbereich kann z. B. ein „item“ gemeint sein, wie es sich aus Figuren 1 und 3 ergibt.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das „item“ für die DownlinkRessourcenzuweisung nicht in weitere Subbereiche, in weitere Felder, aufzuteilen, wobei eines dieser Felder den gemäß Merkmal 6 voreingestellten Wert aufweisen muss, der die Verwendung des DCI-Formats für die „random access order“ indiziert. Denn diese Subbereiche der „items“ werden nicht gezeigt oder beschrieben.
Die Klagepatentschrift definiert den Begriff „a field of the downlink resource assignment“ nicht. Aus der Systematik des Anspruchs und der Begriffslogik ergibt sich ebenso kein Bedeutungsgehalt. Dieser folgt aber aus dem fachmännischen Verständnis von der betroffenen Technik und aus dem Umstand, dass die in Figur 3 gezeigte und insbesondere in [0026 bis 0028] beschriebene Ausführungsform vom Gegenstand der Klagepatentansprüche 1 und 3 erfasst sein muss. Dass dies ausnahmsweise für die meisten Ausführungsformen nicht der Fall sein sollte, dafür bestehen weder hinreichend deutliche Anhaltspunkte im Anspruch, noch folgt dies aus der Beschreibung. Bestätigt wird dieses Verständnis durch die Figur 14 und die Beschreibung in [0062 a. E.]. Dort wird erläutert, dass (eine „random access order“ bzw.) ein „synchronization request“ auch dadurch identifiziert werden könne, wenn das MCS oder die Nutzlastgröße auf „0“ gesetzt werden. Zuvor werden diese „items“ (MCS und Nutzlastgröße) auch „region“ (Bereiche) genannt.
Unabhängig davon wird nicht vorgegeben, dass es – wie die Beklagte meint – davon mehrere geben muss. Dieser behauptete Wortsinn ergibt sich bereits nicht aus dem Wortlaut. So fordert Merkmal 6 weder explizit noch implizit, dass mehr als das eine angesprochene Feld vorhanden sein muss. Denn es wird nicht beansprucht, dass es ein Feld von mehreren Feldern ist, sondern das Merkmal gibt allenfalls vor, dass der Wert in einem enthalten ist, falls mehrere Felder vorhanden wären.
III.
Der LTE-Standard und die angegriffene Ausführungsform machen vom Gegenstand des Anspruchs 1 und des Anspruchs 3 des Klagepatents Gebrauch. Auf die mit dem „und/oder“-Antrag, den die Parteien übereinstimmend als hilfsweise gestellten InsbesondereAntrag verstehen, geltend gemachten jeweiligen Unteransprüche zu Anspruch 1 und Anspruch 3 des Klagepatents kommt es nicht (mehr) an.
1. Angegriffene Ausführungsform sind LTEfähige Kraftfahrzeuge der Beklagten (Pkw oder Nutzfahrzeuge) ab der LTE-Kategorie cat. 1 mit Vorrichtungen, mittels derer sie in einem LTEstandardgemäßen Mobilfunkkommunikationssystem kommunizieren können.
Betroffen ist der Standard ab Release 8 und damit auch die aktuelle Version (Release 13), die insofern denselben Inhalt aufweist. Die für den Streitfall relevante Funktionsweise des LTE-Standards ergibt sich aus den Dokumenten TS 36.212 in der Version 8.8.0 (Anlage K4) und TS 36.213 in der Version 8.8.0 (Anlage K5).
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht es der Klägerin frei, die Gegenstände und Vorrichtungen anzugreifen, die sie begehrt. Eine Beschränkung des Prozessstoffes lediglich auf das Bauteil, also auf die Mobilstationsvorrichtung, die nach dem LTE-Standard kommuniziert, kann die Beklagte nicht erreichen. Denn die Klägerin bestimmt zum einen mit ihrem Klagebegehren den Streitgegenstand maßgeblich (vgl. Zigann/Werner in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl. 2018, § 253 Rn. 46 und Rn. 60). Zum anderen werden die klagepatentgemäßen Merkmale durch LTEfähige Kraftfahrzeuge der Beklagten verwirklicht. Insofern kommt es auf die Gemeinsamkeiten und nicht auf die Unterschiede an, die allgemein z. B. zwischen einer Mobilstationsvorrichtung und einem Kraftfahrzeug bestehen mögen.
2. Die angegriffene Ausführungsform macht unmittelbar wortsinngemäß von Patentanspruch 1 des Klagepatents Gebrauch.
a) Zu Recht streiten die Parteien ausschließlich um die Benutzung der Merkmale 3.1/4 und 6. Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wendet sich die Beklagte zu Recht nicht. Denn diese werden von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht.
b) Die angegriffene Ausführungsform macht von Merkmal 3.1/4 Gebrauch.
Aus Ziffer 5.3.3.1.3 von TS 36.212 (Anlage K4) ergibt sich, dass LTEstandardgemäß „DCI format 1A“ für „compact scheduling“ und „random access procedure“ verwendet wird. Dies gilt sowohl für Release 8 als auch für Release 13.
Zwischen den Parteien ist außerdem unstreitig, dass mit „compact scheduling“ das klagepatentgemäße „downlink scheduling“ und mit „random access procedure“ die klagepatentgemäße „random access order“ bezeichnet wird. Beide Anwendungsfälle weisen dieselbe Anzahl von Bits auf.
Da entgegen der Auffassung der Beklagten – wie oben dargelegt – das klagepatentgemäße „DCI-Format“ nicht erfordert, dass es für das „downlink scheduling“ und die „random access order“ nicht nur die gleiche Gesamtzahl der Bits, sondern zusätzlich auch noch dieselbe Struktur (unterteilt in dieselbe Anzahl von „DCIitems“) aufweisen muss, greift das Nichtverletzungsargument der Beklagten nicht durch.
c) Merkmal 6 wird gleichfalls benutzt.
Nach dem LTE-Standard sieht das „DCI format 1A“ für das „compact scheduling“, also für das klagepatentgemäße „downlink scheduling“, ein „Resource block assignment“ vor. In diesem „block“ sind die Bits enthalten, die für den Anwendungsfall der „random access procedure“, also der klagepatentgemäßen „random access order“, einen voreingestellten Wert aufweisen. Dann werden die entsprechenden Bits (z. B. 12 Bits) auf „1“ gesetzt (so dass der Wert dann z. B. 111111111111 ist). Dieser Wert wird dann nicht für die Ressourcenzuweisung verwendet.
Wie die angegriffene Ausführungsform Merkmal 6 sinngemäß verwirklicht, ergibt sich insbesondere aus nachfolgender Zeichnung der Klägerin gemäß Anlage K34.
3. Die angegriffene Ausführungsform verletzt überdies den Verfahrensanspruch 3 des Klagepatents mittelbar. Die Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung sind gemäß § 10 Abs. 1 PatG erfüllt. Der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
a) Mittel ist die angegriffene Ausführungsform (Kraftfahrzeuge der Beklagten mit LTEfähigen Mobilstationsvorrichtungen), weil sie Gegenstände betreffen, die geeignet sind, zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung (in wortsinngemäßer Form) verwendet zu werden.
b) Die angegriffenen Gegenstände sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung des Verfahrensanspruchs 3 geeignet.
Das angegriffene Mittel ist geeignet, für die Benutzung der Erfindung gemäß Anspruch 3 verwendet zu werden. Werden die angegriffenen Gegenstände bestimmungsgemäß im LTE-Netz genutzt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des Verfahrens nach Anspruch 3 erfüllt. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Gegenstände und ihrer Einbindung in das LTE-Netz ist dies der Fall, weil hierdurch eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch die Nutzer der angegriffenen Gegenstände möglich ist. Da die Merkmale der Klagepatentansprüche 1 und 3 inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmen, führen die Nutzer der angegriffenen Gegenstände das geschützte Verfahren aus, wenn sie diese Gegenstände im LTE-Netz benutzen. Dies können die Nutzer weder verhindern noch beeinflussen. Das Verfahren nach Anspruch 3 wird automatisch ausgeführt, insbesondere werden die Daten im klagepatentgemäßen Format von der Basisstationsvorrichtung an die angegriffenen Gegenstände gesendet. Dass zumindest eine solche Nutzung auch stattgefunden hat, wird von der Beklagten zu Recht nicht in Abrede gestellt.
c) Dieses Mittel bezieht sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Mittels der LTEfähigen Kraftfahrzeuge lässt sich das beanspruchte Verfahren ausführen und die angegriffene Ausführungsform trägt damit zum erfindungsgemäßen Leistungsergebnis maßgeblich bei.
d) Angebot und Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland sind erfolgt.
e) Auch der subjektive Tatbestand ist gegeben.
Die subjektive Bestimmung der Nutzer zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich, weil die angegriffene Ausführungsform die patentverletzende Funktionalität vorsieht und die angegriffenen Gegenstände von der Beklagten als LTEfähig beworben werden.
IV.
Da die übrigen Voraussetzungen einer Patentverletzung zwischen den Parteien zu Recht nicht umstritten sind, stehen der Klägerin die ausgeurteilten Ansprüche zu.
1. Die Beklagte ist zur Unterlassung der patentverletzenden und rechtswidrigen Benutzungshandlungen verpflichtet, Art. 64 EPÜ i. V. mit § 139 Abs. 1 Satz 1 PatG.
a) Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die unstreitig gegebenen Tathandlungen. Die Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrigen Benutzungshandlungen (im tenorierten Umfang) indiziert.
b) Trotz des Einwands der Beklagten, ihre Fahrzeuge seien komplexe Produkte bestehend aus einer fast unüberschaubaren Vielzahl von Einzelelementen, von denen die Mobilstationsvorrichtung von untergeordneter Bedeutung sei, weswegen die Beklagte nicht zur Unterlassung verurteilt werden dürfe (KE vom 8.1.2020, Seite 25), ist nach Überzeugung der Kammer eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nicht gerechtfertigt.
aa) Die Unverhältnismäßigkeit der Unterlassungspflicht ist als Einwand und somit als Gegenrecht des Schuldners ausgebildet. Daher bedarf es keiner allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern der Schuldner muss den Einwand erheben und zu dessen materiellen Voraussetzungen substantiiert vortragen. Im deutschen Recht hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang und ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz über § 242 BGB und § 275 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen.
Mittlerweile ist höchstrichterlich anerkannt, dass im Ausnahmefall eine Einschränkung der Unterlassungspflicht geboten sein kann, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unter Berücksichtigung der Interessen von Patentinhaber und Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre (vgl. BGH GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher).
Hier ist (auch zur Einhaltung der Rechtsordnung und zur Wahrung der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit) ein strenger Maßstab geboten. Da das Unterlassungsgebot für den Schuldner stets Härten bedeutet, die grundsätzlich hinzunehmen sind, ist der Einwand nur in sehr wenigen Ausnahmefällen begründet. Bringt der Schuldner beachtliche Gründe für eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs vor, ist für die Annahme, eine unbedingte Untersagung treffe ihn unzumutbar hart, eine sorgfältige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich und eine schematische Lösung verbietet sich. Insofern ist auch das patentrechtliche und prozessuale Gesamtgefüge von maßgeblicher Bedeutung. Berücksichtigt werden können das Verhalten des Patentinhabers und sein Interesse an der Unterlassung, deren wirtschaftliche Auswirkungen für den Patentverletzer, das Verhältnis von Gegenstand des Klagepatents und angegriffenem (komplexen) Produkt, das Verhalten des Verletzers sowie allgemein Art und Umfang des Eingriffs. Es sind aber nur solche Beeinträchtigungen relevant, die bestimmungsgemäß über die hinausgehen, die mit dem Ausspruch der Unterlassung einhergehen. Der Verletzer muss mögliche und zumutbare Vorkehrungen zur Vermeidung der Patentverletzung treffen und diese beachten. Ebenso muss er sich so früh wie möglich um eine Lizenz bemühen und spätestens ab Zugang des Verletzerhinweises beginnen, für den Fall der Verurteilung zur Unterlassung eine Umstellung vorzubereiten, weil er nicht erwarten darf, hierfür Zeit nach Verkündung des Urteils zu erhalten (vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 91 f. m. w. N. – zur Veröffentlichung vorgesehen).
bb) Nach diesen Maßstäben besteht kein Bedürfnis für eine Einschränkung des Unterlassungsgebots.
(A) Zwar mag bei den angegriffenen Fahrzeugen der Beklagten nur ein einzelnes Bauteil betroffen sein.
Der Rechtsstreit zwischen den Parteien wird aber vor dem Hintergrund einer möglichen Lizenzierung eines komplexen Patentportfolios der Klägerin und eines noch größeren Patentpools von A. geführt, dem auch die Klägerin angehört.
Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen der Kammer (unter C.), dass die Beklagte sich nicht so früh wie möglich ernsthaft um eine Lizenz bemühte, weil die Beklagte nicht (jedenfalls nicht hinreichend) lizenzwillig war, obwohl A. seit dem Jahr 2016 bestrebt ist, mit der Beklagten einen Lizenzvertrag abzuschließen und die Klägerin seit der zweiten Jahreshälfte 2017 A. -Mitglied ist sowie die Klägerin ebenfalls versuchte, mit der Beklagten (und einem zumindest nicht unerheblichen Teil ihrer Zulieferer) einen entsprechenden Lizenzvertrag zu schließen.
(B) Überdies erscheint der Kammer entgegen der Annahme der Beklagten die LTEfähige Mobilstationsvorrichtung in einem Kraftfahrzeug nicht von untergeordneter Bedeutung zu sein.
Denn ein nicht unerheblicher Teil der aktuell maßgeblichen Innovationen beim Automobil steht neben der Elektrifizierung des Antriebs unter dem Stichwort „connected cars“ in einem (engen) technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit (unter anderem) LTEfähigen Mobilstationsvorrichtungen, was gerichtsbekannt ist.
(C) Außerdem werden möglicherweise eintretende Härten der Unterlassungspflicht durch das patentrechtliche und zivilprozessuale Gesamtgefüge (z. B. bei der Sicherheit für die vorläufige Vollstreckbarkeit) berücksichtigt.
c) Ein Schlechthinverbot ist bei der mittelbaren Patentverletzung gerechtfertigt.
Die angegriffenen Mittel (LTEfähige Mobilstationsvorrichtungen in Kraftfahrzeugen) können technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Jedenfalls hat die Beklagte keine patentfreie Verwendung dargetan.
Lediglich aus Gründen der Klarheit hat die Kammer gegenüber dem klägerischen Antrag den doppelten Inlandsbezug in den Tenor aufgenommen.
d) Auf Antrag der Klägerin sind der Beklagten als verurteilter Unterlassungsschuldnerin gemäß § 890 ZPO zudem die gesetzlichen Folgen einer Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung anzudrohen.
Insofern die Kammer den beantragten Bestandteil „an ihrem Geschäftsführer“ hier durch „an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter“ ersetzt hat, ist lediglich eine klarstellende Umformulierung betroffen. Die Beklagte verfügt als Aktiengesellschaft über keinen Geschäftsführer. Insofern hat die Kammer die gesellschaftsrechtlich neutrale Formulierung gewählt. Dies ändert aber weder das sich durch Auslegung ergebende Klagebegehren der Klägerin, noch hat es kostenrechtliche Auswirkungen.
2. Der ausgesprochene Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Antrag gemäß Ziffer I. 2.3 der Klageerweiterung ist jedoch unbegründet.
a) Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform gemäß Ziffer I. 2.1 des Tenors ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ.
b) Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB i. V. mit Art. 64 Abs. 1 EPÜ, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern.
Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben der Beklagten angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Der Wirtschaftsprüfervorbehalt ist wie beantragt zu gewähren. Wegen der Akzessorietät zum Schadensersatzanspruch, der ein Verschulden voraussetzt, ist die (beantragte) Karenzzeit von einem Monat ab Patenterteilung zu berücksichtigen.
c) Die gemäß Ziffer I. 2.3 der Klageerweiterung begehrte Auskunft und Rechnungslegung ist jedoch unbegründet.
Es mag unterstellt werden, dass die im Antrag ausdrücklich genannten Dienste „X1 “, „X.2“ und „X.3 “ und weitere nicht genannte Dienste von der Beklagten angeboten werden konnten und können, weil sie ihre Fahrzeuge mit einer patentgemäßen Mobilstationsvorrichtung herstellt und vertreibt.
Es fehlt aber konkreter Vortrag, warum sich aus der rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung gerade des Klagepatents ein Schaden der Klägerin ergeben kann, für den diese Dienste relevant sind. Nur dann könnten die akzessorischen Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung insofern bestehen. Die Beklagte hat auf die mangelnde Substantiierung im Schriftsatz vom 8. Januar 2020 hingewiesen (S. 25). Die Klägerin ist hierauf nicht mehr eingegangen.
3. Die Ansprüche gegen die Beklagte auf Rückruf der Verletzungsformen und deren Vernichtung ergeben sich aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
Die Ansprüche sind verhältnismäßig. Um dem Rückrufanspruch und dem Vernichtungsanspruch nachzukommen, genügt es grundsätzlich, die die Konnektivität bereitstellende Mobilstationsvorrichtungen zu entfernen, oder, etwa durch eine hinreichende Deaktivierung, unbrauchbar zu machen. Ein Rückruf oder eine Vernichtung des gesamten Kraftfahrzeuges ist nicht notwendig und von der Klägerin nicht beabsichtigt, wie die Diskussion in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Die Beklagte hat zur Verhältnismäßigkeit nichts Entgegenstehendes vorgetragen.
4. Da die Beklagte die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. 1. zumindest fahrlässig begangen hat, ist sie dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte im Geschäftsbetrieb der Beklagten spätestens einen Monat nach Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erkannt werden können und müssen, dass dieses durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzt wird. Der Verweis der Beklagten auf die Verantwortlichkeit ihrer Zulieferer führt aus dem Verschulden nicht heraus.
Eine für die Feststellung der Schadensersatzpflicht ausreichende gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens ist wegen des bereits eingetretenen Schadens aufgrund der geschehenen Patentbenutzungen begründet.
5. Die von der Klägerin begehrte Feststellung der Schadensersatzpflicht in dem Umfang, dass die Beklagte seit dem 7. April 2018 Leistungen erbringt bzw. erbrachte und/oder mit Dritten Verträge schließt oder geschlossen hat, deren Erbringung bzw. Erfüllung unter Verwendung der unter Ziffer I. 1. bezeichneten Vorrichtungen und/oder Verfahren erfolgt, insbesondere zu allen Leistungen und/oder Verträgen mit Dritten, die die Beklagte unter den Bezeichnungen „X1 “, „X.2“ oder „X.3 “ erbringt bzw. erbracht hat und/oder anbietet bzw. angeboten hat, ist aus den soeben genannten Gründen unbegründet.
C.
Der von der Beklagten erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand greift mangels Lizenzwilligkeit nicht durch. Die Beklagte kann sich ebenfalls nicht erfolgreich auf einen von ihren Zulieferern (den Nebenintervenientinnen) abgeleiteten kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen.
I.
Ein Patentinhaber, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessentiellen Patent (SEP) zu FRANDBedingungen zu erteilen, kann seine durch das SEP vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand). Als missbräuchlich können insoweit grundsätzlich Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 – FRAND-Einwand m. w. N.).
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zur FRAND-Lizenz weiter entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten SEP, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines SEP mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH aaO).
Allerdings muss derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND” (BGH aaO Rn. 83).
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch – allein oder jedenfalls in erster Linie – darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (vgl. BGH aaO Rn. 82).
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen bisheriger Auffassung (so aber z. B. noch Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 232 – zur Veröffentlichung vorgesehen) offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRANDBedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101).
II.
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin ihre, zugunsten der Beklagten von der Kammer unterstellte, marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht.
Zwar ist die erste Voraussetzung dafür, dass das Gericht den Zwangslizenzeinwand der Beklagten und damit das Angebot des Klägerin einer materiellrechtlichen Prüfung unterzieht erfüllt, denn die Beklagte hat ein Gegenangebot abgegeben, das nicht schlechterdings untragbar ist und hat darüber hinaus abgerechnet und Sicherheit geleistet (vgl. EuGH aaO Rn. 66, 67; Ziffer IV.1.c der Hinweise zur Handhabung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes nach Huawei v. ZTE innerhalb des Münchner Verfahrens in Patentstreitsachen, Stand: Februar 2020).
Nach Überzeugung der Kammer fehlte es bei der Beklagten aber sowohl im Zeitraum vor Erhebung und Erweiterung dieser Klage um Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung als auch im Zeitraum danach an der zweiten Voraussetzung, nämlich an der erforderlichen qualifizierten Lizenzwilligkeit.
Die Kammer vermag nicht feststellen, dass die Beklagte nach außen erkennbar gewillt war und ist, einen Lizenzvertrag mit der Klägerin zu „whatever terms are in fact FRAND“ abzuschließen. Eine hierzu erforderliche inhaltlich eindeutige Lizenzbereitschaftserklärung gab die Beklagte jedenfalls nicht rechtzeitig ab. Vielmehr stand die Beklagte nach Auffassung der Kammer zu Unrecht auf dem Standpunkt, nicht sie, sondern ihre Zulieferer seien direkt zu lizenzieren. Diese Annahme und das hieraus abgeleitete Verhalten erscheinen im Einzelfall nicht gerechtfertigt (dazu unten Ziffer 1). Nach Klageerweiterung um die hier relevanten Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gab die Beklagte zwar ein eigenes Gegenangebot ab und es ist damit davon auszugehen, dass sie willig war, zu den darin formulierten (für sie wesentlich günstigeren) Konditionen einen Lizenzvertrag mit der Klägerin zu schließen. Dieses Verhalten führt aber nicht dazu, dass damit die zunächst gegebene (eigene) Lizenzunwilligkeit der Beklagten vollständig „geheilt“ wäre. Denn erstens war diese Erklärung nicht rechtzeitig und zweitens mangelt es weiterhin an der erforderlichen Bereitschaft der Beklagten, einen Lizenzvertrag mit der Klägerin zu „whatever terms are in fact FRAND“ zu schließen. Eine solche Bereitschaft kann die Kammer weder aus dem Gegenangebot der Beklagten noch aus den übrigen Umständen schöpfen (dazu unten Ziffer 2).
1. Die Erklärungen und das Verhalten der Beklagten vor Abgabe ihres Gegenangebots rechtfertigen die Annahme einer hinreichenden Lizenzbereitschaft nicht. Es fehlt an einer inhaltlich eindeutigen Lizenzbereitschaftserklärung der Beklagten.
a) Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin erst mit ihrem Schreiben vom 20. Mai 2019 (Anlage K14) und den darin übermittelten „claim charts“, die unter anderem das Klagepatent betreffen, der Beklagten einen (eigenen) hinreichend konkreten Verletzungsvorwurf gemacht hat. Denn auch in der Folgezeit (bis zum Gegenangebot der Beklagten vom 17. Dezember 2019) hat sich die Beklagte nicht lizenzwillig gezeigt.
aa) Eine hinreichende Lizenzierungsbereitschaftserklärung enthält das Schreiben der Beklagten vom 7. Juni 2019 (Anlage K16) nicht. Inhalt und Charakter des Schreibens sind insofern unverbindlich.
Mit diesem Schreiben teilte die Beklagte lediglich auf das Schreiben der Klägerin vom 20. Mai 2019 mit, dass sie, die Beklagte, im Allgemeinen bereit sei, Lizenzen an benutzten Patenten zu nehmen, sie habe aber insbesondere noch Fragen dazu, ob eine direkte Lizenz der Klägerin angeboten werde oder A. die einzige Möglichkeit sei (Anlage K16). Sei ersteres der Fall, nehme die Beklagte an, sei eine Lizenz für die Zulieferer möglich. Außerdem werde sie die „claim charts“ prüfen.
bb) Das Schreiben vom 23. Juli 2019 (Anlage K19) enthält gleichfalls keine Lizenzbereitschaftserklärung der Beklagten. Der Verweis der Beklagten, dass ihre Zulieferer zu lizenzieren seien, genügt für eine solche nicht. Überdies hat die Beklagte ihre Zulieferer nicht benannt.
In diesem Schreiben nehmen die Anwälte der Beklagten rechtlich Stellung und fordern die Klägerin auf, ein FRAND-Angebot zu unterbreiten, zu erläutern und mitzuteilen, ob und welche Lizenzen die Klägerin für ihr Portfolio abgeschlossen habe, insbesondere betreffend Konnektivitäts-Zulieferer der Beklagten. Das Schreiben schließt damit, dass die Klägerin gegen FRAND-Pflichten verstoße, wenn sie nicht die Zulieferer der Beklagten lizenziere.
cc) Schließlich erklärt die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 18. September 2019 (Anlage K21) keine Lizenzbereitschaft.
Dieses Schreiben steht im Zusammenhang mit dem Schreiben der Klägerin vom 8. August 2019, in dem die Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 23. Juli 2019 (siehe oben) binnen 16 Tagen antwortet und erklärt, der Beklagten ein individuelles Angebot zu unterbreiten, wofür die Klägerin aber noch konkrete, im Schreiben genannte Informationen der Beklagten benötige (Anlage K20). In diesem Schreiben teilt die Beklagte nun – ca. sechs Wochen später – mit, dass sie die von der Klägerin genannten Informationen nicht erteilen werde, weil sie hierzu nicht verpflichtet sei. Außerdem äußert sie ihre Auffassung zur Rechtslage und ihrer Diskriminierung, bevor sie auf ihre Zulieferer als die besseren Ansprechpartner für die Lizenz verweist.
Damit verhält sich die Beklagte nach Überzeugung der Kammer nicht wie ein Lizenzwilliger, sondern verweigert (von der Klägerin erbetene und für den Abschluss eines Lizenzvertrags) benötigte Angaben. Es mag sein, dass die Beklagte rechtlich nicht verpflichtet ist, Informationen über ihre Zulieferer zu erteilen. Entsprechend der Parallelwertung bei NichtZwangslizenzen entspricht dieses Verhalten der Beklagten aber nicht dem einer lizenzwilligen Partei. Denn Parteien, die einen Lizenzvertrag aushandeln, würden nach Erfahrung der Kammer entsprechende Informationen erteilen. Überdies zeigt die Beklagte damit keine ernsthafte und zielgerichtete Mitwirkung an den Lizenzverhandlungen. Sie verzögert sie und hält die Klägerin hin, ohne alles Erforderliche dafür zu tun, zum Abschluss des (doch angeblich gewollten) Lizenzvertrags zu gelangen. Das Schreiben der Klägerin erst nach knapp sechs Wochen zu beantworten, bedeutet ein zögerliches Verhalten. Eine Antwort dieses Inhalts hätte – nach Auffassung der Kammer – die Beklagte durchaus binnen deutlich kürzerer Zeit geben können. Warum es so lange gedauert hat, dazu ist jedenfalls nichts Konkretes vorgetragen oder ersichtlich.
b) Der Eindruck der bereits festgestellten Lizenzunwilligkeit wird noch verstärkt, wenn die Kammer das gesamte Verhalten und Erklären der Beklagten, seitdem A. an sie herangetreten ist, in Betracht zieht.
aa) Es kommt maßgeblich auf eine Beurteilung des gesamten Beklagtenverhaltens hinsichtlich der angestrebten Lizenzierung an.
(A) Bei der Beurteilung der Lizenzbereitschaft eines Patentverletzers, der den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand erhebt, dürfen nicht nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zeitlich nach dem konkreten Verletzerhinweis eingetreten sind, sondern das gesamte Verhalten hinsichtlich der angestrebten Lizenzierung ist in den Blick zu nehmen. Denn ein potenzieller Lizenzgeber, der zur Vergabe von Lizenzen außerhalb des Zwangslizenzbereichs bereit wäre, würde ebenfalls einen größeren Zeitraum in den Blick nehmen, um zu beurteilen, ob derjenige, mit dem er über den Abschluss einer Lizenz verhandelt, hinreichend lizenzwillig ist. Die Parallelwertung im privatautonomen Bereich ist relevant, weil es für die Beurteilung der Lizenzwilligkeit eines Lizenzsuchers grundsätzlich nicht darauf ankommen kann, ob er aus eigenem Antrieb z. B. eine Verwertungslizenz anstrebt oder auf diese angewiesen ist, weil ein standardessenzielles Patent betroffen ist.
Außerdem kann es bei größeren Portfolios oder weltweiten Auseinandersetzungen bloß vom Zufall abhängen, ob zuerst der Patentinhaber den Verletzungsvorwurf für das Klagepatent macht oder der Patentbenutzer die Lizenzbereitschaftserklärung abgibt. Insofern sind die vom Europäischen Gerichtshof vorgegebenen Schritte zwar in der Regel in der geschilderten Reihenfolge einzuhalten. Hiervon können aber im Einzelfall Ausnahmen zu machen sein, wenn das Verhalten der Parteien hierzu Anlass gibt und eine rein formalistische Betrachtung der einzelnen Schritte nicht sachgerecht erscheint.
bb) Einen solchen Anlass bietet das Verhalten der Parteien hier.
Die Klägerin ist jedenfalls seit der zweiten Jahreshälfte 2017 Mitglied von A. . Seitdem versucht sie zunächst mittels A. und später auch seit Mai 2019 direkt, mit der Beklagten einen Lizenzvertrag über ihre sich im Patentpool von A. befindlichen Rechte zu schließen. Aber auch auf sämtliche Versuche von A. hat die Beklagte nicht so reagiert, dass die Kammer dem eine rechtzeitige und inhaltlich eindeutige Lizenzbereitschaftserklärung der Beklagten entnehmen kann.
Nachdem es bereits im Jahr 2016 zu einer ersten Kontaktaufnahme von A. mit der Beklagten kam und eine persönliche Besprechung zwischen der Beklagten und A. am 8. September 2016 stattfand, wobei A. die an der Plattform teilnehmenden Lizenzgeber sowie das Lizenzmodell erläuterte, übermittelte A. nach Abschluss einer entsprechenden Geheimhaltungsvereinbarung der Beklagten im Anschluss an diese Besprechung den damaligen Standard-Lizenzvertrag.
Danach kam es zu weiteren Telefonaten, Austausch von E-Mails und Anfang April 2017 zu einem weiteren Treffen, bei dem auch über einen geplanten gemeinsamen Workshop zum Ausräumen von Bedenken der Beklagten gesprochen worden ist. Nach der Besprechung bat A. am 10. April 2017 in einer E-Mail um Bestätigung eines solchen Workshops sowie Nennung mehrerer Terminvorschläge hierfür. Die Beklagte antwortete am 13. April 2017, man werde dies intern abstimmen und dann mit einem (Termin-) Vorschlag auf A. zukommen (Anlage K8). Nachdem die Beklagte nichts von sich hören ließ, fragte A. am 26. April 2017 nach. Daraufhin antwortete die Beklagte am 27. April 2017 und teilte mit, an einem solchen Workshop bestehe kein Interesse (Anlage K9). Sinngemäß erklärte sie, es bestehe zwar grundsätzlich der Wille eine Lizenz zu nehmen, wo benötigt, jedoch wolle man nicht die Bemühungen der Zulieferer um eigene Lizenzen torpedieren, für diese Position bitte man um Verständnis. Im Dezember 2017 teilte A. der Beklagten dann mit, dass BMW eine Lizenz genommen habe (Anlage K10). Am 8. Januar 2018 unterbreitete A. der Beklagten das aktuelle Lizenzvertragsangebot und erläuterte es (Anlage K11). Mit E-Mail vom 1. März 2018 verwies die Beklagte darauf, dass A. verpflichtet sei, die Zulieferer direkt zu lizenzieren. Eine Erklärung zur Lizenzbereitschaft wird nicht gegeben. Auf Frage von A. vom selben Tag, um welche Zulieferer es sich handele, antwortete die Beklagte nicht. Auch mehrere Nachfragen seitens A. blieben erfolglos (mehrere E-Mails, Anlage K12). Mit E-Mail vom 11. Februar 2019 informierte A. die Beklagte über Neuigkeiten und erläuterte im Einzelnen, warum ihr Angebot FRAND sei (Anlage K13); übermittelte eine Liste der Patente, die von den A. -Mitgliedern als standardessenziell deklariert wurden und erläuterte diese; informierte über das vergangenheitsbezogene Release-Payment und erläuterte die von der Benutzung abhängigen Stücklizenzen und wieso deren Höhe FRAND sei. Zudem offerierte A. der Beklagten auch eine optionale Meistbegünstigungsklausel. Schließlich bot A. der Beklagten an, nach Abschluss eines NDA den Lizenzvertrag mit BMW einzusehen. Auf all das reagierte die Beklagte (zunächst) nicht.
Am 31. Mai 2019 wandte sich A. an die Beklagte und wies in einer weiteren E-Mail vom 3. Juni 2019 darauf hin, dass sich vier weitere Patentinhaber dem A. -Pool angeschlossen haben (Anlage K15). Mit E-Mail vom selben Tag bot A. ein gemeinsames Treffen an. Am 3. Juni 2019 teilte die Beklagte A. mit, keine Lizenz zu nehmen, sondern ihre Zulieferer müssten eine Lizenz erhalten. Nach Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarung erhielt die Beklagte die Lizenzverträge von BMW und Audi zur Einsicht. Eine Lizenzbereitschaft wurde jedoch nicht erklärt.
2. Das auf das Lizenzangebot der Klägerin vom 22. Oktober 2019 (Anlage B-KAR4) von der Beklagten vorgelegte Gegenangebot vom 17. Dezember 2019 (Anlage B-KAR19) heilt die festgestellte Lizenzunwilligkeit der Beklagten nicht.
a) Das Gegenangebot wurde nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen nicht rechtzeitig unterbreitet, wobei offenbleiben kann, ob das acht Wochen spätere Gegenangebot der Beklagten noch eine rechtzeitige Antwort auf das Angebot der Klägerin vom 22. Oktober 2019 sein kann.
Einerseits ist es zwar grundsätzlich möglich und entspricht dem allgemeinen zivilprozessualen Verständnis, dass Parteien auch nach Klageerhebung Pflichten und Obliegenheiten nachholen können (OLG Karlsruhe GRUR 2020, 166 Rn. 111). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen und für die Zulässigkeit und die Begründetheit einer Klage sowie für das Durchgreifen von Einwendungen ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung. Daher können nach Ziffer III. der Hinweise zur Handhabung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes nach Huawei v. ZTE innerhalb des Münchner Verfahrens in Patentstreitsachen, Stand: Februar 2020, einzelne Defizite im laufenden Verfahren, insbesondere zwischen den beiden Terminen, unter Einhaltung von gesetzlichen oder richterlichen Fristen behoben werden. Andererseits darf die grundsätzliche Nachholbarkeit von Handlungen die redliche gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs aber nicht verhindern, weil ansonsten dem Patentverletzer die Möglichkeit eröffnet würde, das Verletzungsverfahren zu behindern oder zumindest zu verzögern (OLG Karlsruhe aaO Rn. 116; vgl. Werner in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 233 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Entscheidet sich ein zuvor lizenzunwilliger Patentverletzer um und ist später nun doch willig, eine Lizenz zu nehmen, sind mit zunehmendem Verstreichen der Zeit inhaltlich immer höhere Anforderungen an seine Lizenzbereitschaftserklärungen zu stellen.
Im konkreten Einzelfall hat die Beklagte nach Überzeugung der Kammer genau diese Verzögerung mit ihrem Gegenangebot bezweckt. Denn sie hat es mit der Aufforderung an die Klägerin unterbreitet, die laufenden Verletzungsverfahren zum Ruhen zu bringen (Anlage B- KAR19). Die Beklagte begründet dies zwar mit dem grundsätzlich berechtigten Einwand, dass die Verhandlungen ohne den Druck der laufenden Verletzungsverfahren und möglicher Unterlassungsurteile geführt werden sollten. Im konkreten Einzelfall ist dieser Einwand aber aufgrund der zuvor gegebenen massiven Lizenzunwilligkeit der Beklagten nicht berechtigt. Denn gerade aus dem Verhalten der Beklagten ergibt sich, dass erst das laufende Verletzungsverfahren und das damit verbundene Risiko eines Unterlassungsurteils dazu geführt haben, dass die Beklagte überhaupt eine (eigene) Lizenznahme in Betracht zog.
b) Unabhängig davon enthält das Gegenangebot nicht die Bereitschaft der Beklagten, einen Lizenzvertrag mit der Klägerin zu „whatever terms are in fact FRAND“ zu schließen.
Einen solchen Inhalt kann die Kammer dem Gegenangebot und der Begleit-E-Mail nicht entnehmen (Anlage B-KAR19). Denn insbesondere die von der Beklagten angebotene Stücklizenzgebühr entspricht wegen der Wahl einer abweichenden Bezugsgröße nur einem Bruchteil des Angebots der Klägerin bzw. des Betrags, den die Klägerin über A. von den Wettbewerbern der Beklagten erhält, und betrifft damit einen so deutlich niedrigeren Betrag gegenüber dem von der Klägerin geforderten, dass die Ablehnung dieses Gegenangebots durch die Klägerin denknotwendig sein musste.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem sonstigen Verhalten der Beklagten nicht ihre Absicht, einen Lizenzvertrag mit der Klägerin zu „whatever terms are in fact FRAND“ zu schließen. Insbesondere bemühte sich die Beklagte nach der Ablehnung des Gegenangebots durch die Klägerin am 31. Dezember 2019 (Anlage B-KAR20) nicht weiter, mit der Klägerin den Abschluss eines Lizenzvertrags zu erzielen.
c) Alles in allem ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass die Beklagte materiell lizenzwillig ist, auch wenn ihr Lizenzierungswunsch formell aus dem Gegenangebot entnommen werden kann.
III.
Zur Begründung ihrer – von den Zulieferern abgeleiteten – Lizenzwilligkeit kann sich die Beklagte nicht auf das Verhalten ihrer Nebenintervenientinnen berufen. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob die Nebenintervenientinnen qualifiziert lizenzwillig sind. Denn selbst wenn dies unterstellt werden würde, kann die Beklagte aus Rechtsgründen diesen Umstand nicht erfolgreich für sich geltend machen.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ist die Lizenzwilligkeit für sie nicht einheitlich zu bewerten (also die Beklagte gemeinsam mit ihren Zulieferern in den Blick zu nehmen), sondern es kommt im Prozessrechtsverhältnis zur Klägerin allein auf das Verhalten der Beklagten an (siehe unten Ziffer 1.). Außerdem ist es nicht missbräuchlich oder diskriminierend, wenn die Klägerin zunächst versuchte, allein mit der Beklagten eine Einigung über eine Lizenz zu erzielen (siehe unten Ziffer 2.).
1. Die Beklagte hat mit ihrem Gegenangebot nach dem Verständnis der Kammer zugestanden, die richtige Vertragspartei und der zutreffende Adressat des Angebots der Klägerin zu sein, um einen Lizenzvertrag über die angegriffenen Produkte zu schließen.
2. Unabhängig davon handelt die Klägerin nicht rechtsmissbräuchlich oder diskriminierend, wenn sie zunächst nur mit der Beklagten als Herstellerin des Endprodukts einen Lizenzvertrag anstrebte.
a) Die Klägerin ist grundsätzlich bereit, auch mit den Zulieferern der Beklagten einen entsprechenden Lizenzvertrag zu schließen und hat auch einen solchen im Lauf dieses Gerichtsverfahrens geschlossen, weswegen sie einen Teil der ursprünglichen Klage zurückgenommen hat.
b) Überdies braucht sich die Klägerin aus normativen Gesichtspunkten nicht auf den Einwand der Beklagten einzulassen, die Zulieferer zu lizenzieren.
Eine solche Lizenzierungspraxis mag durchaus den bisherigen Gewohnheiten und Gepflogenheiten in der (deutschen) Automobilbranche und dem klassischen Geschäftsmodell der Beklagten entsprochen haben. Die Klägerin ist jedoch nicht verpflichtet, diese Umstände zu respektieren und sich auf diese Praxis einzulassen. Denn in dem Umfang, in dem sich die Produkte der Beklagten vom Bereich des klassischen Automobilbaus immer mehr in den Bereich des Mobilfunks begeben, in dem Umfang muss die Beklagte die Praxis und die Gepflogenheiten in der Mobilfunkbranche und in diesem Markt respektieren. Wenn es hier üblich ist, dass (auch) die Endproduktehersteller lizenziert werden, so muss die Beklagte dies grundsätzlich gegen sich gelten lassen.
c) Unabhängig davon ist die Klägerin nicht verpflichtet, den Zulieferern eine Lizenz zu erteilen. Sie muss ihnen lediglich Zugang zu den durch ihre SEPs betroffenen Standards gewähren.
aa) Insoweit gilt folgender Rechtsrahmen:
(A) Ein Patentnutzer kann im Patentverletzungsprozess einen abgeleiteten Zwangslizenzeinwand geltend machen, wenn der SEP-Inhaber verpflichtet gewesen wäre, die Zulieferer des Patentnutzers zu lizenzieren. Dieser Einwand entfällt, wenn der Patentnutzer selbst die Möglichkeit gehabt hätte, einen Lizenzvertrag abzuschließen, der Erschöpfungstatbestände und Lizenzierungen in der Wertschöpfungskette hinreichend adressiert. Er entfällt insbesondere dann, wenn der Patentnutzer ein Gegenangebot über das gesamte Portfolio abgegeben und damit konzediert hat, der richtige Adressat des Angebots gewesen zu sein (vgl. Ziffer IV.4.b der Hinweise zur Handhabung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes nach Huawei v. ZTE innerhalb des Münchner Verfahrens in Patentstreitsachen, Stand: Februar 2020).
(B) Ein Inhaber eines SEPs verpflichtet sich mit der Abgabe einer ETSI-Erklärung zwar, Dritte zu FRAND-Bedingungen zu lizenzieren.
Er ist indes nicht verpflichtet, Interessenten grundsätzlich auf allen Ebenen zu lizenzieren (Borghetti/Nikolic/Petit, FRAND Licensing Levels under EU Law, abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3532469, letzter Abruf am 1.9.2020; Martinez, GRURInt 2019, 633; a. A. Kühnen, GRUR 2019, 665; BeckOKPatR-Wilhelmi, PatG, § 24 Rn. 111). Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus EU-Kartellrecht, noch folgt sie aus dem Patentrecht oder dem Vertragsrecht in Verbindung mit der ETSI-Erklärung.
(AA) Das EU-Kartellrecht zwingt den SEP-Inhaber nicht zu einer Lizenzierung auf allen Ebenen.
Der Patentinhaber darf sich grundsätzlich die Lizenzierungsebene aussuchen. Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union unterstreicht, der Inhaber eines SEPs könne den Marktzugang von Produkten verhindern (vgl. EuGH aaO Rn. 52) und die FRAND-Erklärung könne eine berechtigte Erwartung Dritter wecken, ihnen werde eine FRAND-Lizenz erteilt (vgl. EuGH aaO Rn. 53), folgt hieraus nichts anderes. Der Zugang eines Produkts zum Markt setzt nicht zwingend eine Lizenz zu Gunsten des Zulieferers voraus, sondern nur eine legale Nutzungsmöglichkeit, wie eine Lizenz in der Wertschöpfungskette, die den Zulieferern (respektive Abnehmern) eine Verwendungserlaubnis (havemade rights) vermittelt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union setzt sich auch nicht damit auseinander, auf welcher Ebene der Wertschöpfungskette eine berechtigte Erwartung einer FRAND-Lizenz entsteht (zur Frage der berechtigten Erwartung im Hinblick auf die Lizenzierung in der Zulieferkette Borghetti/Nikolic/Petit, aaO S. 8/11). Der EuGH hatte nach dem Verständnis der Kammer die Fragen, die im Zusammenhang mit einer Lizenzierung in der Wertschöpfungskette auftreten, bei seiner Entscheidung (schlicht und einfach) nicht im Blick.
(BB) Auch das Patentrecht gibt nicht vor, auf welcher Ebene in der Wertschöpfungskette eine Lizenz erteilt werden muss.
Insoweit ist bei Patentportfolien zu beachten, dass Komponentenhersteller nicht zwingend stets alle Patente nutzen, mithin auf ihrer Ebene bei einer Portfolio-Lizenzierung nicht bezüglich aller Patente Erschöpfung eintritt. Das spricht – neben Überlegungen der effizienteren Handhabung der Lizenzrate insbesondere mit Blick auf Erschöpfungstatbestände – für eine Lizenzierung auf der Ebene der Endgerätehersteller (Borghetti/Nikolic/Petit aaO S. 14/19).
(CC) Auch das Vertragsrecht in Verbindung mit der ETSI-Erklärung verpflichtet nicht zu einer Lizenzerteilung an jeden willigen Lizenznehmer.
Sie bestimmt:
„6.1 When an ESSENTIAL IPR relating to a particular STANDARD or TECHNICAL SPECIFICATION is brought to the attention of ETSI, the Director-General of ETSI shall immediately request the owner to give within three months an irrevocable undertaking in writing that it is prepared to grant irrevocable licenses on fair, reasonable and nondiscriminatory (“FRAND”) terms and conditions under such IPR to at least the following extent:
– MANUFACTURE, including the right to make or have made customized components and subsystems to the licensee’s own design for use in MANUFACTURE;
– sell, lease, or otherwise dispose of EQUIPMENT so MANUFACTURED;
– repair, use, or operate EQUIPMENT; and
– use METHODS.
The above undertaking may be made subject to the condition that those who seek licences agree to reciprocate.”
Nach dem anwendbaren französischen Recht (McGuire in: Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl. 2020, § 24 Rn. 110 – zur Veröffentlichung vorgesehen) ist sie dahingehend auszulegen, dass sie nur den SEP-Inhaber verpflichtet, mit Lizenzsuchern mit dem Ziel des Abschlusses einer FRAND-Lizenz „in good faith“ zu verhandeln (Borghetti/Nikolic/Petit aaO S. 26).
Ihre Klauseln sind nach dem französischen Recht zunächst nach dem gemeinsamen Willen der Parteien, hilfsweise nach dem Verständnis einer vernünftigen Person in der gleichen Situation („personne raisonnable placée dans la même situation“) zu verstehen, Art. 1188 Code Civil:
Die ETSI-Erklärung bezieht sich in Klausel 6.1 auf „equipment“, d. h. (Klausel 14.5) auf Systeme oder Geräte, die vollständig konform mit dem Standard sind. Insoweit ist fraglich, ob sich „equipment“ auf Endgeräte oder auch Komponenten bezieht. Über das Verständnis des Begriffs „equipment“ und der Praxis der Lizenzierung besteht eine Kontroverse, so dass das Gericht keinen sicheren gemeinsamen Willen ersehen kann. Für ein engeres Verständnis des „equipment“ nur bezogen auf Endgeräte spricht, dass ETSI die Erklärung – anders als andere standardsetzende Organisationen, etwa IEEE – nicht speziell an den License to All-Ansatz angepasst hat (Borghetti/Nikolic/Petit aaO S. 29). Jedenfalls macht aber die Auslegung nach dem Verständnis einer vernünftigen Vertragspartei deutlich, dass die Erklärung nur eine Verpflichtung zur Erteilung einer Lizenz an alle Endgerätehersteller aufstellen will. Denn nicht alle Komponenten verwirklichen stets vollständig den Standard und an anderen Stellen in der ETSI-Erklärung sind die Komponenten explizit adressiert. Die ETSI-Erklärung hat daher nicht Zulieferer im Blick, sondern Endgerätehersteller (vgl. Borghetti/Nikolic/Petit aaO S. 31).
(DD) Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Entscheidung der EU-Kommission AT.39985 Rn. 63.
Die EU-Kommission legt hier lediglich die ETSI-Erklärung aus. Wie die EU-Kommission die ETSI-Erklärung versteht, ist aber nicht letztverbindlich. Dass die in Bezug genommene Passage mit einem Problembewusstsein hinsichtlich der Wertschöpfungskette geschrieben worden ist, kann jedenfalls die Kammer nicht erkennen.
In der Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (2011/C 11/01), Rn. 285 adressiert die Kommission die Situation der Wertschöpfungskette ersichtlich nicht. In der deutschen Fassung („Dritten“) wird das insoweit fehlende Bewusstsein gegenüber der englischen Fassung („all third parties“) noch deutlicher, wobei die Hervorhebungen von der Kammer stammen,
„Zur Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs zu der Norm müsste das Konzept für Rechte des geistigen Eigentums auch vorsehen, dass die Beteiligten (wenn ihre Rechte des geistigen Eigentums Bestandteil der Norm werden sollen) eine unwiderrufliche schriftliche Verpflichtung abgeben müssen, Dritten zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen Lizenzen für diese Rechte zu erteilen („FRAND-Selbstverpflichtung“) (…).“,
demgegenüber die englische Fassung
„In order to ensure effective access to the standard, the IPR policy would need to require participants wishing to have their IPR included in the standard to provide an irrevocable commitment in writing to offer to license their essential IPR to all third parties on fair, reasonable and nondiscriminatory terms (‘FRAND commitment’);
(ergänzend zu Rn. 285 der Horizontalleitlinien vgl. Borghetti/Nikolic/Petit aaO S. 39).
Die Mitteilung der Kommission vom 19. April 2016, Schwerpunkte der IKT-Normung für den digitalen Binnenmarkt, COM(2016) 176 final S. 13 unten, identifiziert Lizenzen in der Wertschöpfungskette gerade nicht als maßgebliches Problemfeld. Es ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, dass sich die Kommission in ihrer Mitteilung über den Umgang der Europäischen Union mit standardessenziellen Patenten vom 29. November 2017 COM(2017) 712, S. 1, zu dieser Situation verhält.
(EE) All dies führt nach dem Verständnis der Kammer nun aber auch nicht dazu, dass die Nebenintervenientinnen völlig rechtlos gestellt wären.
Als Zulieferer der Beklagten haben sie zwar keinen (eigenen) Lizenzanspruch, sie besitzen aber einen Anspruch auf rechtssicheren Zugang zu der standardisierten Technik. Dieser Anspruch wirkt sich aber im Rahmen des erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands nicht zugunsten der Beklagten aus.
Zudem ist es der Beklagten ohne weiteres möglich, künftig LTEstandardkonforme Zulieferteile im Weg sogenannter verlängerter Werkbank-Konstellationen von ihren Zulieferern herstellen zu lassen und diesen so rechtssicheren Zugang zu der (von der Beklagten lizenzierten) Technologie zu gewähren. Dabei ist nach der Überzeugung der Kammer auch kein Grund für die Besorgnis unzumutbarer Rechtsunsicherheit erkennbar. Im Gegenteil steht mit der nach wie vor Gültigkeit beanspruchenden Bekanntmachung der Europäischen Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Amts.-Bl. Nr. C 1/2 vom 3. Januar 1979), eine kartellrechtliche Regelung bereit, auf deren Grundlage die Beklagte mit der nötigen Rechtssicherheit die Belieferung mit standardkonformen Produkten durch ihre Zulieferer auf der Grundlage eines (künftig) von ihr abgeschlossenen Lizenzvertrags sicherstellen könnte. Insbesondere aus Ziffer 2 dieser Bekanntmachung ergibt sich, dass die Lizenzierung des Endgeräteherstellers verbunden mit Vertragsgestaltungen zur Bereitstellung einer verlängerten Werkbank durch die Zulieferer im Licht des Art. 101 AEUV (ehemals Art. 85 EGV) selbst dann nicht zu beanstanden ist, wenn es um singulärproprietäre Befugnisse eines Endgeräteherstellers geht. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Produktion patentbenutzender Zulieferteile ohne direkte Lizenzierung auf der Zulieferebene wird insoweit als eine dem Grunde nach selbstverständlich mögliche vertragliche Gestaltung vorausgesetzt.
Ob im Hinblick auf Produkte der Nebenintervenientinnen, die nicht zum Einbau in Kraftfahrzeuge der Beklagten vorgesehen sind, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Denn ein Verstoß gegen eine etwaig insoweit bestehende Pflicht zur Lizenzierung kann sich nicht zum Nachteil der Beklagten auswirken.
D.
Eine Aussetzung mit Blick auf die erhobenen Nichtigkeitsklagen ist nach § 148 ZPO nicht veranlasst.
I.
Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang (vgl. Cepl in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 106 mwN). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl in: Cepl/Voß, aaO, § 148 ZPO Rn. 107 m. w. N.).
II.
Nach diesen Maßstäben ist das Verfahren nicht auszusetzen.
Der Gegenstand des Klagepatents in der erteilten Fassung ist nach Auffassung der Kammer rechtsbeständig. Die von der Beklagten im Rahmen ihres Aussetzungsantrags geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch. Der Gegenstand des Klagepatents ist insbesondere neu und es liegt keine unzulässige Erweiterung vor.
1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 und 3 nicht unzulässig erweitert. Er geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Stammanmeldung (Anlage NK4) hinaus.
a) Da „random access order“ und „uplink synchronization request“ nach Auslegung der Kammer inhaltlich dasselbe meinen, ist entgegen der Annahme der Beklagten der Gegenstand von „random access order“ ursprungsoffenbart.
b) Ebenso ist der Gegenstand von Merkmal 6 von Patentanspruch 1 in der Stammanmeldung offenbart. Denn entgegen der Annahme der Beklagten erfordert dieses Merkmal keine Mehrzahl an Feldern in dem Bereich der Downlink-Ressourcenzuweisung.
2. Der Gegenstand der entgegengehaltenen Druckschrift R1-063078 (Anlage D1) steht der Patentfähigkeit der Gegenstände des Klagepatents unabhängig vom Streit der Parteien um die Vorveröffentlichung nicht entgegen.
a) Diese Druckschrift betrifft den „timing advance command“. Um kenntlich zu machen, dass es sich um diesen Befehl handelt, soll ein nicht benötigter Wert im „grant field (e. g. modulation level)“ als Indikator dienen.
Zwischen den Parteien ist umstritten, ob „timing advance command“ Teil der UplinkSynchronisation ist oder erst nach einer Aufforderung, einen „random access“ zu bewirken, versandt wird, wenn also der „random access“ bereits durchgeführt ist und die Synchronisation wieder besteht.
b) Die Gegenstände von Patentanspruch 1 und Patentanspruch 3 des Klagepatents werden unabhängig von diesem Streit der Parteien nach Überzeugung der Kammer durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart.
Denn es fehlt an einer neuheitsschädlichen Offenbarung von Merkmal 6. Die Entgegenhaltung D1 offenbart nicht unmittelbar und eindeutig, dass ein Feld der DownlinkRessourcenzuweisung, das beim „downlink scheduling“ tatsächlich für die Ressourcenzuweisung genutzt wird, bei der „random access order“ bzw. beim „uplink synchronization request“ einen klagepatentgemäß voreingestellten Wert enthält. Dies jedenfalls beschreibt oder zeigt diese Schrift nicht und kann die Kammer auch nicht aus der von der Beklagten vorgelegten Textstelle entnehmen (die Hervorhebungen stammen von der Beklagten):
3. Der Gegenstand der entgegengehaltenen Druckschrift R1-061799 (Anlage D2) steht der Neuheit der Gegenstände des Klagepatents gleichfalls (unabhängig vom Streit der Parteien um die Vorveröffentlichung) nicht entgegen.
a) Diese Unterlage ist gemäß ihrer Kopfzeile eine Diskussionsgrundlage für ein Treffen der 3GPP-Mitglieder vom 27. bis 30. Juni 2006 in Cannes. Der Inhalt des Dokuments betrifft die Zuweisung physikalischer Ressourcen der Luftschnittstelle E-UTRA und wie Signale, die über diese verschickt und gegen Übertragungsfehler abgesichert werden können. Hierfür schlägt die Entgegenhaltung D2 eine bestimmte Gestaltung der L1/L2-Steuerkanäle vor.
Der Gegenstand des Dokuments D2 befasst sich insbesondere mit dem SDCCH („control channel for demodulation of DL shared data channel“ bzw. „shared downlink control channel“). Hiernach kann der SDCCH alternativ zur Übertragung von Steuerinformationen oder für das „paging“ verwendet werden. Letzteres wird verwendet „to trigger a random access procedure“. In diesem Fall überträgt der SDCCH einen „paging indicator“.
Die D2 offenbart im SDDCH betreffenden Abschnitt 3 zunächst das beispielhaft angenommene „multiple input multiple output (MIMO)“-System und beschreibt in den Tabellen 2 und 3 die Payload des SDC-Channels für eine Bandbreite von 5 MHz bzw. 10 MHz, wobei im Folgenden lediglich die Tabelle 2 für eine Bandbreite von 5 MHz eingeblendet ist und die farbigen Hervorhebungen (auch hier) von der Kammer hinzugefügt worden sind.
b) Die Gegenstände von Patentanspruch 1 und Patentanspruch 3 des Klagepatents werden nach Überzeugung der Kammer unabhängig von dem Streit der Parteien um die neuheitsschädliche Vorwegnahme weiterer Merkmale jedenfalls mangels unmittelbarer und eindeutiger Offenbarung von Merkmal 6 durch diese Entgegenhaltung nicht vorweggenommen.
aa) Was eine Entgegenhaltung dem fachkundigen Leser offenbart, unterliegt zwar nicht der Auslegung, ist aber (auch) eine Frage der Wertung (vgl. Keukenschrijver in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Auflage 2016, § 3 Rn. 60). Als unmittelbar offenbart ist angesehen worden, was die Veröffentlichung dem Fachmann an Kenntnissen vermittelt, ohne dass er sich nähere Gedanken machen muss. Abzustellen ist auf die durch die Veröffentlichung vermittelte technische Information. Ein Merkmal kann auch dann ohne weiteres zu entnehmen sein, wenn es weder wörtlich noch bildlich dargestellt ist. Die Veröffentlichung darf nicht über ihren Inhalt hinaus interpretiert werden; ihr darf nur das als offenbart zugeschrieben werden, was ein fachkundiger Leser ohne eigene Zutat nach dem Fachwissen im Anmeldezeitpunkt unmittelbar aus ihr entnehmen konnte. Es ist jedenfalls unzulässig, Erkenntnisse hineinzuinterpretieren, die erst die beanspruchte Lehre gebracht hat (vgl. Keukenschrijver in: Busse/Keukenschrijver, aaO, m. w. N.). Vorweggenommen ist, auch zur Vermeidung von Doppelpatentierungen, alles, was für den Fachmann selbstverständlich ist und deswegen keiner besonderen Offenbarung bedarf und daher mitgelesen wird, dagegen nicht das, was sich aus dem gesamten Offenbarungsgehalt nicht ohne weiteres erschließt (vgl. Keukenschrijver in: Busse/Keukenschrijver, aaO, § 3 Rn. 78 m. w. N.).
bb) Selbst wenn zugunsten der Beklagten eine Offenbarung der Merkmale 1 bis 5 des Klagepatents durch die Entgegenhaltung D2 unterstellt wird, offenbart die D2 nach diesen Maßstäben dem fachkundigen Leser nicht unmittelbar und eindeutig Merkmal 6 des Klagepatents. Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung, falls das DownlinkSteuerungsinformationsformat für die Random-Access Order verwendet wird, ein voreingestellter Wert („preset value“) für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung („is set for a field of the downlink resource assignment“) eingestellt wird, ergibt sich nach Verständnis und Überzeugung der Kammer nicht aus der D2, sondern wird allenfalls vermittelt, wenn sich der fachkundige Leser nähere Gedanken macht.
(A) Der Entgegenhaltung D2 kann im Hinblick auf den Gegenstand von Merkmal 6 des Klagepatents folgende technische Lehre entnommen werden:
In Abschnitt 3 verweist das Dokument D2 darauf, dass neben dem Senden der (zugunsten der Beklagten unterstellten) DCI auch ein „paging indicator“ gesendet werden kann. Dabei werden die „least significant bits (LSB)“ der UE RNTI („user equipment radio network temporary indentifier“) gesendet, um eine „random access procedure“ auszulösen. Die LSB der UE RNTI dürften sich nach dem Verständnis der Kammer durch die vorgegebene Bitbreite beginnend beim letzten Bit der UE RNTI bestimmen.
Gemäß Tabelle 2a, besteht die „paging indicator“-Nachricht aus den LSB des U-RNTI („UTRAN radio network temporary identifier“) und einem 16-Bit-CRC-Block.
(B) Dass – wie es das Klagepatent fordert – anhand eines voreingestellten Werts („preset value“) für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung („is set for a field of the downlink resource assignment“) eingestellt wird, dass das Downlink-Steuerungsinformationsformat für die Random-Access Order verwendet wird, ergibt sich nach Überzeugung der Kammer hieraus jedoch nicht unmittelbar und eindeutig.
Eine solche Aussage kann der fachkundige Leser der Entgegenhaltung D2 allenfalls dann ableiten, wenn er den Offenbarungsgehalt länger studiert, zahlreiche weitere Aspekte mitliest, mitdenkt und Werte berechnet sowie diverse Schlussfolgerungen zieht. Dies genügt im konkreten Einzelfall nach Überzeugung der Kammer nicht für eine hinreichende Unmittelbarkeit.
(aa) Ausgehend von dem oben dargestellten Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D2 muss der fachkundige Leser wissen, was ein U-RNTI ist.
Der U-RNTI dürfte nach dem Verständnis der Kammer eine 32 Bit lange ID sein. Diese dürfte sich im Allgemeinen zusammensetzen aus einem ersten, vorderen 12 Bit langen „serving radio network controller identifier (SRNC ID)“, welcher vom „radio network controller“ zur Steuerung von Datenpfaden innerhalb des Netzwerks genutzt würde, und einem zweiten, hinteren 20 Bit langen „serving radio network temporary identifier (S-RNTI)“, welcher der Mobilstationsvorrichtung von der Basisstationsvorrichtung individuell zugeordnet würde. Basierend auf der angenommenen Bandbreite von 32 Bit enthielten dann Bit 0 bis Bit 19 die S-RNTI und Bit 20 bis Bit 31 die SRNC ID.
Aus der Vorgabe, die 21 LSB des U-RNTI zu übertragen, müsste der fachkundige Leser im nächsten Schritt die 21 least significant bit (LSB) der U-RNTI bestimmen. In einem weiteren Schritt müsste er dann erkennen, dass die 20 Bits des hinteren S-RNTI und 1 Bit der vorderen SRNC ID betroffen sind, die übertragen werden, wobei Bit 20 im weiteren Verlauf der hier betroffenen Technik irrelevant zu sein scheint.
Aus diesen Betrachtungen müsste der fachkundige Leser wiederum ableiten, dass jede Mobilstationsvorrichtung innerhalb des Sendebereichs der Basisstationsvorrichtung durch diese „paging indicator“-Nachricht eindeutig identifiziert und angesprochen werden kann, weil aus Sicht der Basisstationsvorrichtung die S-RNTI (der „identifier“) eine eindeutige Zuordnung aller der Basisstationsvorrichtung bekannten Mobilstationsvorrichtungen ermöglichen könnte.
(bb) Selbst wenn der fachkundige Leser die soeben dargestellten Überlegungen anstellte, begründen diese keine hinreichende Offenbarung von Merkmal 6 des Klagepatents.
(A) Zum einen ist die Annahme, dass damit, falls das DownlinkSteuerungsinformationsformat für die Random-Access Order verwendet wird, ein voreingestellter Wert („preset value“) für ein Feld der Downlink-Ressourcenzuweisung („is set for a field of the downlink resource assignment“) eingestellt wird, ist nach dem Verständnis der Kammer nur dann gerechtfertigt, wenn die Identifizierung eindeutig ist und es nicht zu (zufälligen) Verwechslungen kommen kann, so dass im Fall des Sendens einer „paging indicator“-Nachricht das Paging-Ziel (die Ziel-Mobilstationsvorrichtung) unzweideutig durch die LSB der U-RNTI identifiziert wird und die übertragenen 21 Bits des U-RNTI von der ZielMobilstationsvorrichtung ausschließlich als „paging indicator“-Befehl verstanden werden.
Dies setzt nach dem Verständnis der Kammer voraus, dass der S-RNTI (Länge 20 Bits) von der Basisstationsvorrichtung in einem vorherigen Schritt (also bevor die technische Ausführung eines Schritts gemäß Anspruch 1 des Klagepatents möglich ist) ausgewählt und der Mobilstationsvorrichtung mitgeteilt wurde, so dass die „random access order“ durch einen vorher eingestellten Wert ausgelöst werden könnte. Hierfür fehlt es jedoch an einer Offenbarung in der D2.
Außerdem besteht nach dem Verständnis der Kammer das Problem, dass eine Auswahl einer „download resource assignment“-Nachricht, welche zufällig auch als „random access order“ bzw. als „paging indicator“ verstanden werden könnte, nicht ausgeschlossen ist. Würde die Basisstationsvorrichtung aufgrund des Wissens der U-RNTIs diesen Fall ausschließen?
(B) Zum anderen fehlt es nach dem Verständnis der Kammer in der Entgegenhaltung D2 an einer vollständigen Offenbarung von „a field of the downlink resource assignment“ im Sinne von Merkmal 6.
Denn nach der Auslegung der Kammer versteht der Fachmann unter „a field of the downlink resource assignment“ im Zusammenhang mit der „random access order“, die gerade kein „resource assignment“ enthält, einen Bitbereich, der im Fall des „downlink scheduling“ (ansonsten) für die Übermittlung des „downlink resource assignment“ verwendet wird.
Dass dies bei der Lehre der Entgegenhaltung D2 gleichfalls der Fall wäre, wird nach dem Verständnis der Kammer aber nicht offenbart.
(cc) Unabhängig hiervon hat die Kammer Zweifel, dass die angestellten und oben dargelegten fachmännischen Überlegungen – unter dem Gesichtspunkt eines „Mitlesens“ – eine hinreichende unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Geschilderten sind.
Denn eine unmittelbare Offenbarung von Merkmal 6 des Klagepatents ist hiermit nicht gegeben, sondern es sind insofern (wie oben begründet) zahlreiche gedankliche Zwischenschritte notwendig, um mittels weiteren Nachdenkens zur beschriebenen Erkenntnis zu gelangen. Auch unter Berücksichtigung des lediglich skizzenhaften Charakters der Entgegenhaltung D2 ergibt sich die technische Lehre von Merkmal 6 des Klagepatents nicht unmittelbar aus diesem Dokument.
Zwar beschränken sich die in diesem Dokument enthaltenen Informationen durchaus wesensgemäß auf das Nötigste, um die 3GPP-Mitglieder für das geplante Treffen vom 27. bis 30. Juni 2006 in Cannes auf die beabsichtigte Diskussion der in der D2 enthaltenen technischen Lehre vorzubereiten. Trotzdem erschließt sich nach Überzeugung der Kammer die beschriebene Lehre wegen dieser gedanklichen Zwischenschritte nicht ohne weiteres aus dem gesamten Offenbarungsgehalt der D2, sondern sie ergibt sich allenfalls mittelbar aus ihr.
(dd) Im Übrigen ist zwischen den Parteien nicht unumstritten, welchen technischen Gehalt der fachkundige Leser diesem Dokument überhaupt entnimmt.
(ee) Außerdem ist die Kammer jedenfalls nicht überzeugt, dass – selbst wenn die Offenbarung der Merkmale 1 bis 5 des Klagepatents zugunsten der Beklagten unterstellt werden würde – die Vernichtung des Klagepatents wegen neuheitsschädlicher Offenbarung von Merkmal 6 durch die Entgegenhaltung D2 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
(ff) Schließlich übt die Kammer – unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls – das ihr eingeräumte Ermessen dahingehend aus, das Verfahren wegen der behaupteten neuheitsschädlichen Vorwegnahme der klagepatentgemäßen technischen Lehre durch die Entgegenhaltung D2 nicht auszusetzen.
4. Der Gegenstand der entgegengehaltenen Anmeldeschrift WO 2008/111785 A1 (Anlage D3 = Anlage TT3 = Anlage NK7) steht der Neuheit der Gegenstände des Klagepatents schließlich ebenso nicht entgegen.
a) Die Anmeldeschrift D3 bezieht sich auf die Funkressourcenzuweisung zur Datenübertragung in einem paketbasierten Mobilkommunikationssystem und insbesondere auf ein Verfahren zur Funkressourcenzuweisung, das zu einer effizienteren Nutzung der Funkressourcen führen kann.
Die Erfindung befasst sich mit dem Problem, dass die Basisstation zwar Daten im Downlink an die Mobilstation versenden kann, die Mobilstation aber aufgrund der fehlenden Synchronisation im Uplink keine Rückmeldung an die Basisstation senden kann. Die Beschreibung führt aus, wenn das Benutzergerät die Uplink-Synchronisation nicht aufrechterhält, kann das Benutzergerät (gemeint ist die Mobilstationsvorrichtung) zwar Daten und Informationen über den Downlink empfangen, aber keine Daten und Informationen über den Uplink übertragen. Wenn sie Daten über den Downlink empfängt und die UplinkSynchronisation nicht aufrechterhält, sollte sie nach der Beschreibung der D3 die Übertragung von Daten über den Uplink stoppen und einen Random Access ausführen, um die Synchronisierung zu erhalten. Gemäß der Anmeldung soll das wie folgt geschehen:
Die Basisstation bildet einen separaten Steuerkanalblock und überträgt ihn, wenn das Benutzergerät keine Uplink-Synchronisation hat und die Basisstation die Daten über den Downlink-Datenkanal überträgt. Hierzu wird ein Verfahren zum Hinzufügen von Steuerinformationen vorgeschlagen, das dem Benutzergerät befiehlt, die UplinkSynchronisation zu einem Steuerkanalblock in der Basisstation herzustellen und von der Basisstation an das Benutzergerät zu übertragen. Der Steuerkanalblock kann auch Informationen über die Nicht-Zuweisung von Datenkanälen im Downlink und Informationen über den Random Access Kanal (RACH) enthalten, um den RACH eindeutig zuzuweisen. Dies wird in Figur 5 gezeigt.
Zu dem in Figur 5 gezeigten Schritt S61 erläutert die Anmeldeschrift, wenn das Benutzergerät keine Uplink-Synchronisation habe, füge die Basisstation Informationen zur Anforderung der Uplink-Synchronisation sowie CRC-Informationen dem Steuerkanalblock hinzu und überträgt sie über den PDCCH an das Benutzergerät. Dabei könne der Steuerkanalblock ferner ein „flag“, „downlink data channel nonallocation“, darüber informieren, dass keine Daten im Downlink zu übertragen sind und RACH-Informationen enthalten (vgl. D3 Seite 17 Zeilen 26 ff.).
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten wird durch diese Druckschrift Merkmal 4 des Klagepatents nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
Die D3 lehrt jedenfalls nicht, ein gemeinsames DCI-Format für die unterschiedlichen Anwendungsfälle („downlink scheduling“ und „random access order“) zu nutzen. Offenbart werden lediglich „control channel blocks“. Über deren Format äußert sich die Entgegenhaltung jedoch nicht und offenbart nicht die patentgemäße Übereinstimmung der Formate für beide Fälle.
E.
Die Kammer setzt den Rechtsstreit gleichfalls nicht entsprechend § 148 ZPO aus, um das vom Bundeskartellamt im Schreiben vom 24. Juni 2020 an die Kammer i. V. mit Schreiben des Bundeskartellamts im Verfahren vor dem Landgericht Mannheim zwischen Nokia Solutions and Networks Oy und Daimler AG (Az. 2 O 34/19) angeregte sowie das von den Nebenintervenientinnen C.1 und C.2 beantragte Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 2 AEUV durchzuführen.
Dieser Ermessensentscheidung der Kammer liegen folgende Erwägungen zugrunde:
I.
Die Kammer ist als erstinstanzliches Gericht nicht letzte Instanz und bereits aus diesen Gründen grundsätzlich zur Vorlage von Auslegungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union berechtigt, aber nicht verpflichtet.
II.
Bei der gebotenen Interessenabwägung hat zum einen grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des ihm erteilten Patents Vorrang. Denn ansonsten würde für die Dauer der Aussetzung der Schutz des Klagepatents vor rechtswidrigen Patentverletzungen praktisch aufgehoben werden.
Zum anderen ist die Klägerin grundsätzlich bereit, Zulieferer der Beklagten zu lizenzieren. Sie hat bereits erfolgreich einen Lizenzvertrag mit einem lizenzwilligen Zulieferer geschlossen, weswegen sie die Klage zum Teil zurückgenommen hat.
III.
Außerdem gesteht die Beklagte nach dem Verständnis der Kammer durch die Unterbreitung ihres Gegenangebots zu, dass sie die richtige Vertragspartei für den Abschluss eines Lizenzvertrags mit der Klägerin ist, so dass es auf die Einwände der Nebenintervenientinnen und damit auf die angeregten Vorlagefragen nicht entscheidend ankommt.
F.
I.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 101 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die abgewiesene Zuvielforderung der Klägerin ist zwar verhältnismäßig gering. Die Kammer bewertet den Teilstreitwert auf € 10.000,00. Die ausgeurteilte Kostenaufhebung ergibt sich aber aus der Teilklagerücknahme vom 6. Juli 2020, die nach übereinstimmenden Angaben der Parteien (siehe unten Ziffer IV.) die Hälfte des geltend gemachten Streitwerts betrifft.
II.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
1. Die Sicherheitsleistung ist grundsätzlich so zu bemessen, dass alle Schäden der Beklagten, die dieser durch die Vollstreckung des später aufgehobenen oder abzuändernden Urteils entstehen können, abgedeckt sind. Die Höhe des drohenden Vollstreckungsschadens ist ggf. zu schätzen, wobei eine Glaubhaftmachung der maßgeblichen Tatsachen ausreicht. Maßgeblich ist grundsätzlich der mit der Vollstreckung einhergehende Gewinnausfall.
2. Die Klägerin hat die Festsetzung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Streitwerts beantragt. Die Beklagte hat anhand ihrer Umsatz- und Gewinnzahlen den ihr drohenden Vollstreckungsschaden dargelegt und bei Durchsetzung des Unterlassungstitels für 18 Monate (nach Teilklagerücknahme) einen betroffenen Verlust errechnet. Der genaue Wert, der den Streitwert erheblich übersteigt, findet sich auf Seite 59 des Schriftsatzes vom 17. April 2020. Im Termin vom 23. Juli 2020 hat sie angegeben, dass sich dieser Wert durch die Teilklagerücknahme um 6/7 verringert habe (vgl. Prot. vom 23.7.2020 S.6).
3. Allerdings ist dieser Wert immer noch zu hoch angesetzt, weil er nicht den maßgeblichen Schaden betrifft. Denn nach Überzeugung der Kammer ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass der geltend gemachte Schaden tatsächlich eintreten wird.
Der Schadenseintritt hängt – wie von der Beklagten vorgerechnet – vor allem vom Verhalten der Beklagten ab. Sobald die Sicherheit geleistet ist, entscheidet die Beklagte, ob sie die ausgeurteilte Unterlassungspflicht sowie die Rückrufs- und Vernichtungspflichten treffen.
Dies ist nach Überzeugung der Kammer unwahrscheinlich, weil die Beklagte aller Voraussicht nach – selbst wenn die vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung von der Klägerin erfolgreich betrieben werden sollte – nicht die Herstellung und den Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge unterlassen wird, die einhergehenden enormen Umsatzausfälle akzeptieren, sich aus dem Markt zurückziehen und diesen der Konkurrenz überlassen wird. Dieses Szenario erscheint der Kammer völlig unrealistisch.
Vielmehr kann und wird die Beklagte voraussichtlich als vernünftig und wirtschaftlich denkender Marktteilnehmer bei der Klägerin oder bei A. eine Lizenz (die angebotene oder eine noch zu verhandelnde) nehmen und danach weiter ihre Einwände hinsichtlich der fehlenden Verletzung des LTE-Standards durch das Klagepatent und hinsichtlich des Rechtsbestands des Klagepatents verfolgen.
Dasselbe folgt aus der Überlegung, dass die Sicherheitsleistung einen etwaigen Vollstreckungsschaden abdecken soll, die Beklagte aber in diesem Fall als Geschädigte der allgemeinen Schadensminderungspflicht unterliegt.
4. Der drohende Vollstreckungsschaden ist mit 5.500.000 € zu bewerten.
Zur Berechnung des drohenden Vollstreckungsschadens hat die Kammer den klägerseits geltend gemachten Lizenzsatz mit der Anzahl der Jahre der Mindestlaufzeit des angebotenen Vertrags sowie der Anzahl von Fahrzeugen multipliziert.
Die Kammer geht von einer Anzahl von insgesamt 1.166.500 von der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr produzierter und potenziell betroffener Fahrzeuge aus. Die behauptete Anzahl von 1.040.000 Pkw (B-KAR32) bestreitet die Klägerin nicht. Soweit die Klägerin die behauptete Anzahl produzierter Vans (ca. 200.000) und Nutzfahrzeuge (ca. 105.000) wegen des Vortrags der Beklagten bestreitet, dass nur „etwa 37% der Vans“ und „etwa die Hälfte der Nutzfahrzeuge“ mit der angegriffenen Funktionalität ausgestattet seien, reduziert sich die Anzahl der hier relevanten Vans auf 74.000 und die der Nutzfahrzeuge auf 52.500. So ergibt sich der leicht aufgerundete und festgesetzte Betrag unter Berücksichtigung eines Währungsumrechnungskurses vom 1. September 2019 von Dollar in Euro.
4. Für die Zwangsvollstreckung des Auskunftsanspruchs hält die Kammer eine Sicherheitsleistung von 550.000 € für ausreichend (1/10 der obigen Sicherheitsleistung).
5. Vorsorglich hat die Kammer die Sicherheitsleistung für den Kostenausspruch im Übrigen auf 110% des vollstreckbaren Betrags festgesetzt.
III.
Der Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten nach § 712 ZPO wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat keinen „nicht zu ersetzenden Nachteil“ dargetan.
IV.
Mangels Entscheidungserheblichkeit werden die Anträge der Beklagten und der entsprechenden Nebenintervenientinnen auf Vorlage der genannten A. -Verträge zurückgewiesen. Denn für die Begründung dieses Urteils kommt es für die Kammer nicht darauf an, ob das Angebot der Klägerin inhaltlich den FRAND-Kriterien entspricht.
Entsprechendes gilt für die von den Nebenintervenientinnen C.1 und C.2 beantragte Vorlage des Vertrags der Klägerin mit dem H. -Konzern sowie der damit verbundenen und sachlich zusammenhängenden Verträge.
V.
Die Berechnung des Streitwerts ergibt sich aufgrund der Angaben der Parteien.
Die einzelnen Beträge gehen aus den angegebenen Werten in der Klage und in der Klageerweiterung vom 20. September 2019 hervor. Zudem berücksichtigt die Kammer den Wert der Teilklagerücknahme vom 6. Juli 2019 gegenüber H. Dieser Wert und damit der Gegenstandswert für die Nebenintervention betragen nach übereinstimmenden Angaben der Parteien 500.000 €.
Die verbleibenden 500.000 € des Gegenstandswerts sind mangels Angaben der Parteien für die übrigen Nebenintervenientinnen in gleicher Höhe festzusetzen, weil der (verbleibende) Streitwert einer durchgeführten Nebenintervention mit dem Streitwert der Hauptsache übereinstimmt, wenn der Nebenintervenient im Prozess die gleichen Sachanträge stellt wie die von ihm unterstützte Partei (OLG München NJW-RR 1998, 420, 421).
Für die weitergehenden Anträge auf Urkundenvorlage sowie für die weiterreichenden Anträge der Nebenintervenientinnen ist kein eigener Gegenstandswert festzusetzen. Es handelt sich hierbei um Verfahrensgegenstände, die bereits durch den festgesetzten Gegenstandswert abgedeckt sind.
VI.
Sofern die Beklagte mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10. August 2020, der nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht einging, Tatsachen vorgetragen haben sollte, sind diese wegen § 296a ZPO als verspätet zurückzuweisen. Ein Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wiederzueröffnen, besteht nicht. Gleiches gilt für den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 13. August 2020, der ebenfalls nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht einging.


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